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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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§ 4. Erste Grundlagen: Prinzip I und II.
schliessenden Kreises. Es können so auch alle drei Kreise in einen
einzigen zusammenfallen, und erhalten wir eigentlich noch vorstehende
drei Figuren (Fig. 4 .. 6), welche mit Fig. 3 zusammen den Satz II erst
vollständig veranschaulichen.

Wir werden bei der Veranschaulichung von Sätzen und Aufgaben
uns künftig zumeist nur an den "allgemeinen" Fall halten und uns
mit der Darstellung der Fälle spezielleren Charakters durch Figuren
nicht aufhalten, vielmehr die besonderen Ausartungen, die "Degenera-
tionsfälle" sich ebenfalls zu veranschaulichen jeweils dem Leser über-
lassen -- soferne solches überhaupt noch wünschenswert erscheint.

In verwickelteren Untersuchungen -- beim Auftreten zahlreicher
Gebietssymbole -- wird es ohnehin unthunlich, jene Möglichkeiten
immer vollständig durchzugehen. Alsdann aber bleibt der Argwohn
zulässig, es möchte in einem der übergangenen Spezialfälle die Sache
sich doch wesentlich anders verhalten, als in dem allgemeineren Falle
behauptet und dargestellt worden. Hieraus erhellt, dass aus der An-
schauung
nicht in gleichem Maasse die Überzeugung von der Gewiss-
heit
unsrer allgemeinen Untersuchungsergebnisse zu schöpfen ist, wie
sie sich erreichen lassen wird durch die streng analytische Methode,
deren wir uns fast immer, jedenfalls in wesentlichen Fragen ganz aus-
schliesslich bedienen. Kann doch in der That für die Umgrenzung
eines Gebiets die Figur immer nur ein Beispiel darstellen, während
unsre Gebiete irgendwie beschaffen sein, auch aus isolirten Punkten,
Linien und getrennten Flächenstücken sollen bestehen dürfen! Mag
also auch anfangs -- bei unsern grundlegenden Betrachtungen -- die
Anschauung oft rasch vorauseilen dem durch das Folgende illustrirten
modus procedendi, nämlich dem vorsichtigen und zuweilen mühsamen
Verfahren des von der Anschauung losgelösten streng deduktiven
Schliessens, so wird sie doch später sicher hinter diesem Verfahren
zurückbleiben; sie wird ihm bald nachhinken und zuletzt es aufgeben
müssen, dasselbe einzuholen. Bei dem Aufbau unsres Lehrgebäudes
soll darum die Anschauung nur nebensächliche Verwendung finden,
illustrationsweise, um den abstrakten logischen Prozeduren einen Vor-
stellungsinhalt zu geben; sie soll darin überhaupt nur eine didaktische,
erziehende, pädagogische Rolle spielen.

Hier freilich müssen wir uns noch auf dieselbe stützen, um das
Prinzip II annehmbar erscheinen zu lassen: Wenn ein Gebiet in einem
zweiten und dieses in einem dritten enthalten ist, fällt es uns unmöglich,
uns vorzustellen, dass das erste nicht in dem dritten enthalten wäre;
das Gegenteil vielmehr ist unmittelbar "intuitiv". Auf die Heraus-

§ 4. Erste Grundlagen: Prinzip I und II.
schliessenden Kreises. Es können so auch alle drei Kreise in einen
einzigen zusammenfallen, und erhalten wir eigentlich noch vorstehende
drei Figuren (Fig. 4 ‥ 6), welche mit Fig. 3 zusammen den Satz II erst
vollständig veranschaulichen.

Wir werden bei der Veranschaulichung von Sätzen und Aufgaben
uns künftig zumeist nur an den „allgemeinen“ Fall halten und uns
mit der Darstellung der Fälle spezielleren Charakters durch Figuren
nicht aufhalten, vielmehr die besonderen Ausartungen, die „Degenera-
tionsfälle“ sich ebenfalls zu veranschaulichen jeweils dem Leser über-
lassen — soferne solches überhaupt noch wünschenswert erscheint.

In verwickelteren Untersuchungen — beim Auftreten zahlreicher
Gebietssymbole — wird es ohnehin unthunlich, jene Möglichkeiten
immer vollständig durchzugehen. Alsdann aber bleibt der Argwohn
zulässig, es möchte in einem der übergangenen Spezialfälle die Sache
sich doch wesentlich anders verhalten, als in dem allgemeineren Falle
behauptet und dargestellt worden. Hieraus erhellt, dass aus der An-
schauung
nicht in gleichem Maasse die Überzeugung von der Gewiss-
heit
unsrer allgemeinen Untersuchungsergebnisse zu schöpfen ist, wie
sie sich erreichen lassen wird durch die streng analytische Methode,
deren wir uns fast immer, jedenfalls in wesentlichen Fragen ganz aus-
schliesslich bedienen. Kann doch in der That für die Umgrenzung
eines Gebiets die Figur immer nur ein Beispiel darstellen, während
unsre Gebiete irgendwie beschaffen sein, auch aus isolirten Punkten,
Linien und getrennten Flächenstücken sollen bestehen dürfen! Mag
also auch anfangs — bei unsern grundlegenden Betrachtungen — die
Anschauung oft rasch vorauseilen dem durch das Folgende illustrirten
modus procedendi, nämlich dem vorsichtigen und zuweilen mühsamen
Verfahren des von der Anschauung losgelösten streng deduktiven
Schliessens, so wird sie doch später sicher hinter diesem Verfahren
zurückbleiben; sie wird ihm bald nachhinken und zuletzt es aufgeben
müssen, dasselbe einzuholen. Bei dem Aufbau unsres Lehrgebäudes
soll darum die Anschauung nur nebensächliche Verwendung finden,
illustrationsweise, um den abstrakten logischen Prozeduren einen Vor-
stellungsinhalt zu geben; sie soll darin überhaupt nur eine didaktische,
erziehende, pädagogische Rolle spielen.

Hier freilich müssen wir uns noch auf dieselbe stützen, um das
Prinzip II annehmbar erscheinen zu lassen: Wenn ein Gebiet in einem
zweiten und dieses in einem dritten enthalten ist, fällt es uns unmöglich,
uns vorzustellen, dass das erste nicht in dem dritten enthalten wäre;
das Gegenteil vielmehr ist unmittelbar „intuitiv“. Auf die Heraus-

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[171/0191] § 4. Erste Grundlagen: Prinzip I und II. schliessenden Kreises. Es können so auch alle drei Kreise in einen einzigen zusammenfallen, und erhalten wir eigentlich noch vorstehende drei Figuren (Fig. 4 ‥ 6), welche mit Fig. 3 zusammen den Satz II erst vollständig veranschaulichen. Wir werden bei der Veranschaulichung von Sätzen und Aufgaben uns künftig zumeist nur an den „allgemeinen“ Fall halten und uns mit der Darstellung der Fälle spezielleren Charakters durch Figuren nicht aufhalten, vielmehr die besonderen Ausartungen, die „Degenera- tionsfälle“ sich ebenfalls zu veranschaulichen jeweils dem Leser über- lassen — soferne solches überhaupt noch wünschenswert erscheint. In verwickelteren Untersuchungen — beim Auftreten zahlreicher Gebietssymbole — wird es ohnehin unthunlich, jene Möglichkeiten immer vollständig durchzugehen. Alsdann aber bleibt der Argwohn zulässig, es möchte in einem der übergangenen Spezialfälle die Sache sich doch wesentlich anders verhalten, als in dem allgemeineren Falle behauptet und dargestellt worden. Hieraus erhellt, dass aus der An- schauung nicht in gleichem Maasse die Überzeugung von der Gewiss- heit unsrer allgemeinen Untersuchungsergebnisse zu schöpfen ist, wie sie sich erreichen lassen wird durch die streng analytische Methode, deren wir uns fast immer, jedenfalls in wesentlichen Fragen ganz aus- schliesslich bedienen. Kann doch in der That für die Umgrenzung eines Gebiets die Figur immer nur ein Beispiel darstellen, während unsre Gebiete irgendwie beschaffen sein, auch aus isolirten Punkten, Linien und getrennten Flächenstücken sollen bestehen dürfen! Mag also auch anfangs — bei unsern grundlegenden Betrachtungen — die Anschauung oft rasch vorauseilen dem durch das Folgende illustrirten modus procedendi, nämlich dem vorsichtigen und zuweilen mühsamen Verfahren des von der Anschauung losgelösten streng deduktiven Schliessens, so wird sie doch später sicher hinter diesem Verfahren zurückbleiben; sie wird ihm bald nachhinken und zuletzt es aufgeben müssen, dasselbe einzuholen. Bei dem Aufbau unsres Lehrgebäudes soll darum die Anschauung nur nebensächliche Verwendung finden, illustrationsweise, um den abstrakten logischen Prozeduren einen Vor- stellungsinhalt zu geben; sie soll darin überhaupt nur eine didaktische, erziehende, pädagogische Rolle spielen. Hier freilich müssen wir uns noch auf dieselbe stützen, um das Prinzip II annehmbar erscheinen zu lassen: Wenn ein Gebiet in einem zweiten und dieses in einem dritten enthalten ist, fällt es uns unmöglich, uns vorzustellen, dass das erste nicht in dem dritten enthalten wäre; das Gegenteil vielmehr ist unmittelbar „intuitiv“. Auf die Heraus-

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/191>, abgerufen am 27.04.2024.