Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
gestellt werde, wie es eine natürliche Ordnung unter den Zahlen gibt.
Und wie jemand in einem Tage lernen kann, in einer unbekannten Sprache
alle Zahlen in's unendliche zu benennen und zu schreiben, obwol sie mit
unzähligen verschiedenen Wörtern bezeichnet werden, so könne ähnliches
mit den übrigen zum Ausdruck der menschlichen Gedanken notwendigen
Wörtern geschehen. Die Erfindung einer solchen Sprache hänge von der
wahren Philosophie ab*); denn ohne diese sei es unmöglich, alle Ideen
der Menschen aufzuzählen oder zu ordnen und so zu unterscheiden, dass
sie deutlich und einfach wären. Erst wenn man deutlich entwickelt hätte,
welches die einfachen Vorstellungen, und aus welchen Elementen die Ge-
danken zusammengesetzt sind, und wenn dies in der Welt anerkannt worden:
so lasse sich eine allgemeine Sprache hoffen, welche leicht zu lernen, aus-
zusprechen und zu schreiben wäre und welche überdies, was die Haupt-
sache, unsre Urteilskraft fördern würde, indem sie alles so deutlich und
unterschieden darstellte, dass eine Täuschung unmöglich würde, während
umgekehrt unsre Wörter nur verworrene Bedeutungen haben, an welche
sich der menschliche Geist so lange Zeit gewöhnt hat, dass er fast nichts
vollkommen einsehe. Cartesius setzt hinzu, dass er eine solche Sprache
und die Wissenschaft*), von welcher sie abhängt, für möglich halte; mit
ihrer hülfe werde dann ein Bauer über die Wahrheit der Dinge besser
urteilen, als jetzt ein Philosoph. Aber man solle nicht hoffen, sie je zu
erleben, denn das setze grosse Veränderungen voraus und es sei dazu not-
wendig, dass sich die Welt in's Paradies verwandle.

Leibniz indessen hatte kühneren Mut, obwol er die vorangegangenen
Versuche*) und ihr Vergebliches kennt.

Des Letztern (nicht von ihm herausgegebenen) Aufsätze über die Pasi-
graphie sind betitelt: historia et commendatio linguae characteristicae uni-
versalis quae simul sit ars inveniendi et judicandi, desgl. dialogus de con-
nexione inter res et verba et veritatis realitate (1677).

Schon die Namen, welche Leibniz dem Unternehmen gibt, kündigen
seine Bedeutung an. Bald nennt er es lingua characteristica universalis

*) Man sieht hier schon den grossen Unterschied, welcher besteht zwischen
dem logischen Ideal der "Pasigraphie" und dem linguistischen einer "Weltsprache",
wie es heutzutage die Volapükisten anstreben. Gleichwie die Letzteren es thun,
so bezweckten auch die erwähnten vorangegangenen Versuche blos, eine Ver-
ständigung zu erzielen zwischen Solchen, die in der Sprache einander fremd sind.
Durch die allerdings nicht gering anzuschlagende Beseitigung aller Unregelmässig-
keiten vereinfachen sie zwar erheblich die Grammatik, übernehmen aber ohne
weiteres fast alle sonstigen logischen Unvollkommenheiten unsrer faktischen Kultur-
sprachen, schliessen an diese sich als an etwas schlechthin Gegebenes an.
Solcher vorgängigen Versuche führt schon Trendelenburg uns eine ziem-
liche Anzahl (beiläufig fünfe, von Kircher, Becher, Dalgarn, Wilkins und
Trede) an. Das ohne Jahreszahl, Druckort und Namen des Verfassers unter dem
Titel: "Vorschläge einer notwendigen Sprachlehre" um 1811 erschienene Werk
von Ludwig Benedikt Trede, welches den Grundgedanken des Volapük schon
vollständig (indess wol weniger einfach) in seiner Art verwirklicht, konnte ich
von der Königlichen Bibliothek zu Berlin entleihen. Einer noch umfassenderen

Einleitung.
gestellt werde, wie es eine natürliche Ordnung unter den Zahlen gibt.
Und wie jemand in einem Tage lernen kann, in einer unbekannten Sprache
alle Zahlen in's unendliche zu benennen und zu schreiben, obwol sie mit
unzähligen verschiedenen Wörtern bezeichnet werden, so könne ähnliches
mit den übrigen zum Ausdruck der menschlichen Gedanken notwendigen
Wörtern geschehen. Die Erfindung einer solchen Sprache hänge von der
wahren Philosophie ab*); denn ohne diese sei es unmöglich, alle Ideen
der Menschen aufzuzählen oder zu ordnen und so zu unterscheiden, dass
sie deutlich und einfach wären. Erst wenn man deutlich entwickelt hätte,
welches die einfachen Vorstellungen, und aus welchen Elementen die Ge-
danken zusammengesetzt sind, und wenn dies in der Welt anerkannt worden:
so lasse sich eine allgemeine Sprache hoffen, welche leicht zu lernen, aus-
zusprechen und zu schreiben wäre und welche überdies, was die Haupt-
sache, unsre Urteilskraft fördern würde, indem sie alles so deutlich und
unterschieden darstellte, dass eine Täuschung unmöglich würde, während
umgekehrt unsre Wörter nur verworrene Bedeutungen haben, an welche
sich der menschliche Geist so lange Zeit gewöhnt hat, dass er fast nichts
vollkommen einsehe. Cartesius setzt hinzu, dass er eine solche Sprache
und die Wissenschaft*), von welcher sie abhängt, für möglich halte; mit
ihrer hülfe werde dann ein Bauer über die Wahrheit der Dinge besser
urteilen, als jetzt ein Philosoph. Aber man solle nicht hoffen, sie je zu
erleben, denn das setze grosse Veränderungen voraus und es sei dazu not-
wendig, dass sich die Welt in's Paradies verwandle.

Leibniz indessen hatte kühneren Mut, obwol er die vorangegangenen
Versuche*) und ihr Vergebliches kennt.

Des Letztern (nicht von ihm herausgegebenen) Aufsätze über die Pasi-
graphie sind betitelt: historia et commendatio linguae characteristicae uni-
versalis quae simul sit ars inveniendi et judicandi, desgl. dialogus de con-
nexione inter res et verba et veritatis realitate (1677).

Schon die Namen, welche Leibniz dem Unternehmen gibt, kündigen
seine Bedeutung an. Bald nennt er es lingua characteristica universalis

*) Man sieht hier schon den grossen Unterschied, welcher besteht zwischen
dem logischen Ideal der „Pasigraphie“ und dem linguistischen einer „Weltsprache“,
wie es heutzutage die Volapükisten anstreben. Gleichwie die Letzteren es thun,
so bezweckten auch die erwähnten vorangegangenen Versuche blos, eine Ver-
ständigung zu erzielen zwischen Solchen, die in der Sprache einander fremd sind.
Durch die allerdings nicht gering anzuschlagende Beseitigung aller Unregelmässig-
keiten vereinfachen sie zwar erheblich die Grammatik, übernehmen aber ohne
weiteres fast alle sonstigen logischen Unvollkommenheiten unsrer faktischen Kultur-
sprachen, schliessen an diese sich als an etwas schlechthin Gegebenes an.
Solcher vorgängigen Versuche führt schon Trendelenburg uns eine ziem-
liche Anzahl (beiläufig fünfe, von Kircher, Becher, Dalgarn, Wilkins und
Trede) an. Das ohne Jahreszahl, Druckort und Namen des Verfassers unter dem
Titel: „Vorschläge einer notwendigen Sprachlehre“ um 1811 erschienene Werk
von Ludwig Benedikt Trede, welches den Grundgedanken des Volapük schon
vollständig (indess wol weniger einfach) in seiner Art verwirklicht, konnte ich
von der Königlichen Bibliothek zu Berlin entleihen. Einer noch umfassenderen
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0114" n="94"/><fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/>
gestellt werde, wie es eine natürliche Ordnung unter den Zahlen gibt.<lb/>
Und wie jemand in einem Tage lernen kann, in einer unbekannten Sprache<lb/>
alle Zahlen in's unendliche zu benennen und zu schreiben, obwol sie mit<lb/>
unzähligen verschiedenen Wörtern bezeichnet werden, so könne ähnliches<lb/>
mit den übrigen zum Ausdruck der menschlichen Gedanken notwendigen<lb/>
Wörtern geschehen. Die Erfindung einer solchen Sprache hänge von der<lb/>
wahren Philosophie ab<note xml:id="seg2pn_2_1" next="#seg2pn_2_2" place="foot" n="*)"><p>Man sieht hier schon den grossen Unterschied, welcher besteht zwischen<lb/>
dem <hi rendition="#i">logischen</hi> Ideal der &#x201E;Pasigraphie&#x201C; und dem linguistischen einer &#x201E;Weltsprache&#x201C;,<lb/>
wie es heutzutage die Volapükisten anstreben. Gleichwie die Letzteren es thun,<lb/>
so bezweckten auch die erwähnten vorangegangenen Versuche blos, eine Ver-<lb/>
ständigung zu erzielen zwischen Solchen, die in der Sprache einander fremd sind.<lb/>
Durch die allerdings nicht gering anzuschlagende Beseitigung aller Unregelmässig-<lb/>
keiten vereinfachen sie zwar erheblich die Grammatik, übernehmen aber ohne<lb/>
weiteres fast alle sonstigen logischen Unvollkommenheiten unsrer faktischen Kultur-<lb/>
sprachen, schliessen an diese sich als an etwas schlechthin Gegebenes an.</p><lb/><p>Solcher vorgängigen Versuche führt schon <hi rendition="#g">Trendelenburg</hi> uns eine ziem-<lb/>
liche Anzahl (beiläufig fünfe, von <hi rendition="#g">Kircher</hi>, <hi rendition="#g">Becher</hi>, <hi rendition="#g">Dalgarn</hi>, <hi rendition="#g">Wilkins</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Trede</hi>) an. Das ohne Jahreszahl, Druckort und Namen des Verfassers unter dem<lb/>
Titel: &#x201E;Vorschläge einer notwendigen Sprachlehre&#x201C; um 1811 erschienene Werk<lb/>
von <hi rendition="#g">Ludwig Benedikt Trede</hi>, welches den Grundgedanken des Volapük schon<lb/>
vollständig (indess wol weniger einfach) in seiner Art verwirklicht, konnte ich<lb/>
von der Königlichen Bibliothek zu Berlin entleihen. Einer noch umfassenderen</p></note>; denn ohne diese sei es unmöglich, alle Ideen<lb/>
der Menschen aufzuzählen oder zu ordnen und so zu unterscheiden, dass<lb/>
sie deutlich und einfach wären. Erst wenn man deutlich entwickelt hätte,<lb/>
welches die einfachen Vorstellungen, und aus welchen Elementen die Ge-<lb/>
danken zusammengesetzt sind, und wenn dies in der Welt anerkannt worden:<lb/>
so lasse sich eine allgemeine Sprache hoffen, welche leicht zu lernen, aus-<lb/>
zusprechen und zu schreiben wäre und welche überdies, was die Haupt-<lb/>
sache, unsre Urteilskraft fördern würde, indem sie alles so deutlich und<lb/>
unterschieden darstellte, dass eine Täuschung unmöglich würde, während<lb/>
umgekehrt unsre Wörter nur verworrene Bedeutungen haben, an welche<lb/>
sich der menschliche Geist so lange Zeit gewöhnt hat, dass er fast nichts<lb/>
vollkommen einsehe. <hi rendition="#g">Cartesius</hi> setzt hinzu, dass er eine solche Sprache<lb/>
und die Wissenschaft<note sameAs="#seg2pn_2_1" place="foot" n="*)"/>, von welcher sie abhängt, für möglich halte; mit<lb/>
ihrer hülfe werde dann ein Bauer über die Wahrheit der Dinge besser<lb/>
urteilen, als jetzt ein Philosoph. Aber man solle nicht hoffen, sie je zu<lb/>
erleben, denn das setze grosse Veränderungen voraus und es sei dazu not-<lb/>
wendig, dass sich die Welt in's Paradies verwandle.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Leibniz</hi> indessen hatte kühneren Mut, obwol er die vorangegangenen<lb/>
Versuche<note sameAs="#seg2pn_2_1" place="foot" n="*)"/> und ihr Vergebliches kennt.</p><lb/>
          <p>Des Letztern (nicht von ihm herausgegebenen) Aufsätze über die Pasi-<lb/>
graphie sind betitelt: historia et commendatio linguae characteristicae uni-<lb/>
versalis quae simul sit ars inveniendi et judicandi, desgl. dialogus de con-<lb/>
nexione inter res et verba et veritatis realitate (1677).</p><lb/>
          <p>Schon die Namen, welche <hi rendition="#g">Leibniz</hi> dem Unternehmen gibt, kündigen<lb/>
seine Bedeutung an. Bald nennt er es <hi rendition="#i">lingua characteristica universalis</hi><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[94/0114] Einleitung. gestellt werde, wie es eine natürliche Ordnung unter den Zahlen gibt. Und wie jemand in einem Tage lernen kann, in einer unbekannten Sprache alle Zahlen in's unendliche zu benennen und zu schreiben, obwol sie mit unzähligen verschiedenen Wörtern bezeichnet werden, so könne ähnliches mit den übrigen zum Ausdruck der menschlichen Gedanken notwendigen Wörtern geschehen. Die Erfindung einer solchen Sprache hänge von der wahren Philosophie ab *); denn ohne diese sei es unmöglich, alle Ideen der Menschen aufzuzählen oder zu ordnen und so zu unterscheiden, dass sie deutlich und einfach wären. Erst wenn man deutlich entwickelt hätte, welches die einfachen Vorstellungen, und aus welchen Elementen die Ge- danken zusammengesetzt sind, und wenn dies in der Welt anerkannt worden: so lasse sich eine allgemeine Sprache hoffen, welche leicht zu lernen, aus- zusprechen und zu schreiben wäre und welche überdies, was die Haupt- sache, unsre Urteilskraft fördern würde, indem sie alles so deutlich und unterschieden darstellte, dass eine Täuschung unmöglich würde, während umgekehrt unsre Wörter nur verworrene Bedeutungen haben, an welche sich der menschliche Geist so lange Zeit gewöhnt hat, dass er fast nichts vollkommen einsehe. Cartesius setzt hinzu, dass er eine solche Sprache und die Wissenschaft *), von welcher sie abhängt, für möglich halte; mit ihrer hülfe werde dann ein Bauer über die Wahrheit der Dinge besser urteilen, als jetzt ein Philosoph. Aber man solle nicht hoffen, sie je zu erleben, denn das setze grosse Veränderungen voraus und es sei dazu not- wendig, dass sich die Welt in's Paradies verwandle. Leibniz indessen hatte kühneren Mut, obwol er die vorangegangenen Versuche *) und ihr Vergebliches kennt. Des Letztern (nicht von ihm herausgegebenen) Aufsätze über die Pasi- graphie sind betitelt: historia et commendatio linguae characteristicae uni- versalis quae simul sit ars inveniendi et judicandi, desgl. dialogus de con- nexione inter res et verba et veritatis realitate (1677). Schon die Namen, welche Leibniz dem Unternehmen gibt, kündigen seine Bedeutung an. Bald nennt er es lingua characteristica universalis *) Man sieht hier schon den grossen Unterschied, welcher besteht zwischen dem logischen Ideal der „Pasigraphie“ und dem linguistischen einer „Weltsprache“, wie es heutzutage die Volapükisten anstreben. Gleichwie die Letzteren es thun, so bezweckten auch die erwähnten vorangegangenen Versuche blos, eine Ver- ständigung zu erzielen zwischen Solchen, die in der Sprache einander fremd sind. Durch die allerdings nicht gering anzuschlagende Beseitigung aller Unregelmässig- keiten vereinfachen sie zwar erheblich die Grammatik, übernehmen aber ohne weiteres fast alle sonstigen logischen Unvollkommenheiten unsrer faktischen Kultur- sprachen, schliessen an diese sich als an etwas schlechthin Gegebenes an. Solcher vorgängigen Versuche führt schon Trendelenburg uns eine ziem- liche Anzahl (beiläufig fünfe, von Kircher, Becher, Dalgarn, Wilkins und Trede) an. Das ohne Jahreszahl, Druckort und Namen des Verfassers unter dem Titel: „Vorschläge einer notwendigen Sprachlehre“ um 1811 erschienene Werk von Ludwig Benedikt Trede, welches den Grundgedanken des Volapük schon vollständig (indess wol weniger einfach) in seiner Art verwirklicht, konnte ich von der Königlichen Bibliothek zu Berlin entleihen. Einer noch umfassenderen *) *)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/114
Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/114>, abgerufen am 06.05.2024.