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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.

a3) Immerhin ist uns mit Obigem das Ideal erwachsen, unser
gesamtes Begriffssystem zu einem wissenschaftlich streng gegliederten
zu gestalten, indem wir die Begriffe alle aus möglichst wenigen Ur-
oder Grundbegriffen vermittelst möglichst weniger Grundoperationen (zu
denen die Determination gehören wird) systematisch aufbauen. [Die
Begriffe dieser Operationen werden selbst zum Teil den Urbegriffen
in gewissem Sinne zuzuzählen sein].

Nachdem erkannt ist, wie viel der menschliche Geist dem Zeichen
verdankt, dürfen wir die Möglichkeit nicht ungenutzt lassen, das Zeichen
noch weiter auszubilden. Es bietet sich die Aufgabe dar, durch an-
gemessene, adäquate Gestaltung des Zeichens Zeichen und Sache durch-
weg in gesetzmässiges Entsprechen zu bringen, oder (mit den Worten
Trendelenburg's) die Gestaltung des Zeichens und den Inhalt des
Begriffs in unmittelbare Berührung zu bringen, indem wir statt des
in der Sprache gerade vorhandenen Wortes solche Zeichen ersinnen,
welche die im Begriff unterschiedenen und zusammengefassten Merk-
male unterscheidend und zusammenfassend darstellen.

Auf einzelnen Gebieten hat die Wissenschaft aus eigenem Bedürfniss
schon Anfänge einer solchen Begriffsschrift hervorgebracht. Das Verfahren,
durch welches mit unsern Ziffern die nach dem zehnteiligen Gesetz fort-
schreitende Zahlenbildung ausgedrückt wird (vergl. z2), ist ein hervor-
ragendes Beispiel dazu, an welchem es sich (in der Arithmetik und höheren
Rechnung) deutlich zeigt, wie mit dem zutreffenden Zeichen die Herrschaft
über die Sache, die Einsicht und Kunst des Menschen in unübersehbarer
Wirkung zunimmt. Mit dem "notwendigen", d. h. gemäss der Forderung
höchster Angemessenheit als solches sich aufdrängenden Zeichen muss sich
die Erkenntniss der bezeichneten Gebiete notwendig weiter und weiter er-
schliessen.

Eine solche Bezeichnung wird, wenn sie auf das ganze Feld der
Gegenstände des Denkens ausgedehnt zu werden vermag, im Gegensatz
gegen das dem Inhalte der Vorstellungen mehr oder weniger gleich-
gültige Zeichen des Wortes, eine charakteristische Sprache der Begriffe,
"Begriffsschrift", und im Gegensatz gegen die besonderen Sprachen der
Völker eine allgemeine Sprache der Sache (Pasigraphie) sein (ibid.).
Hiermit sind wir angelangt bei dem Gedanken einer philosophisch
wissenschaftlichen Universalsprache.

Derselbe war zuerst von Des Cartes erfasst, dann von Leibniz
vertieft; doch blieben die beiderseits gemachten Vorschläge mehr Umriss
und Versprechen, als Ausführung und Leistung. Ich folge mit den hierauf
bezüglichen Bemerkungen wieder Trendelenburg (l. c.). Cartesius (Episto-
lae I, 111 in der Amsterdamer Ausgabe von 1682, p. 353 sqq.) verlangt,
dass eine ähnliche Ordnung unter den Ideen, welche möglich sind, her-

Einleitung.

α3) Immerhin ist uns mit Obigem das Ideal erwachsen, unser
gesamtes Begriffssystem zu einem wissenschaftlich streng gegliederten
zu gestalten, indem wir die Begriffe alle aus möglichst wenigen Ur-
oder Grundbegriffen vermittelst möglichst weniger Grundoperationen (zu
denen die Determination gehören wird) systematisch aufbauen. [Die
Begriffe dieser Operationen werden selbst zum Teil den Urbegriffen
in gewissem Sinne zuzuzählen sein].

Nachdem erkannt ist, wie viel der menschliche Geist dem Zeichen
verdankt, dürfen wir die Möglichkeit nicht ungenutzt lassen, das Zeichen
noch weiter auszubilden. Es bietet sich die Aufgabe dar, durch an-
gemessene, adäquate Gestaltung des Zeichens Zeichen und Sache durch-
weg in gesetzmässiges Entsprechen zu bringen, oder (mit den Worten
Trendelenburg's) die Gestaltung des Zeichens und den Inhalt des
Begriffs in unmittelbare Berührung zu bringen, indem wir statt des
in der Sprache gerade vorhandenen Wortes solche Zeichen ersinnen,
welche die im Begriff unterschiedenen und zusammengefassten Merk-
male unterscheidend und zusammenfassend darstellen.

Auf einzelnen Gebieten hat die Wissenschaft aus eigenem Bedürfniss
schon Anfänge einer solchen Begriffsschrift hervorgebracht. Das Verfahren,
durch welches mit unsern Ziffern die nach dem zehnteiligen Gesetz fort-
schreitende Zahlenbildung ausgedrückt wird (vergl. ζ2), ist ein hervor-
ragendes Beispiel dazu, an welchem es sich (in der Arithmetik und höheren
Rechnung) deutlich zeigt, wie mit dem zutreffenden Zeichen die Herrschaft
über die Sache, die Einsicht und Kunst des Menschen in unübersehbarer
Wirkung zunimmt. Mit dem „notwendigen“, d. h. gemäss der Forderung
höchster Angemessenheit als solches sich aufdrängenden Zeichen muss sich
die Erkenntniss der bezeichneten Gebiete notwendig weiter und weiter er-
schliessen.

Eine solche Bezeichnung wird, wenn sie auf das ganze Feld der
Gegenstände des Denkens ausgedehnt zu werden vermag, im Gegensatz
gegen das dem Inhalte der Vorstellungen mehr oder weniger gleich-
gültige Zeichen des Wortes, eine charakteristische Sprache der Begriffe,
Begriffsschrift“, und im Gegensatz gegen die besonderen Sprachen der
Völker eine allgemeine Sprache der Sache (Pasigraphie) sein (ibid.).
Hiermit sind wir angelangt bei dem Gedanken einer philosophisch
wissenschaftlichen Universalsprache.

Derselbe war zuerst von Des Cartes erfasst, dann von Leibniz
vertieft; doch blieben die beiderseits gemachten Vorschläge mehr Umriss
und Versprechen, als Ausführung und Leistung. Ich folge mit den hierauf
bezüglichen Bemerkungen wieder Trendelenburg (l. c.). Cartesius (Episto-
lae I, 111 in der Amsterdamer Ausgabe von 1682, p. 353 sqq.) verlangt,
dass eine ähnliche Ordnung unter den Ideen, welche möglich sind, her-

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[93/0113] Einleitung. α3) Immerhin ist uns mit Obigem das Ideal erwachsen, unser gesamtes Begriffssystem zu einem wissenschaftlich streng gegliederten zu gestalten, indem wir die Begriffe alle aus möglichst wenigen Ur- oder Grundbegriffen vermittelst möglichst weniger Grundoperationen (zu denen die Determination gehören wird) systematisch aufbauen. [Die Begriffe dieser Operationen werden selbst zum Teil den Urbegriffen in gewissem Sinne zuzuzählen sein]. Nachdem erkannt ist, wie viel der menschliche Geist dem Zeichen verdankt, dürfen wir die Möglichkeit nicht ungenutzt lassen, das Zeichen noch weiter auszubilden. Es bietet sich die Aufgabe dar, durch an- gemessene, adäquate Gestaltung des Zeichens Zeichen und Sache durch- weg in gesetzmässiges Entsprechen zu bringen, oder (mit den Worten Trendelenburg's) die Gestaltung des Zeichens und den Inhalt des Begriffs in unmittelbare Berührung zu bringen, indem wir statt des in der Sprache gerade vorhandenen Wortes solche Zeichen ersinnen, welche die im Begriff unterschiedenen und zusammengefassten Merk- male unterscheidend und zusammenfassend darstellen. Auf einzelnen Gebieten hat die Wissenschaft aus eigenem Bedürfniss schon Anfänge einer solchen Begriffsschrift hervorgebracht. Das Verfahren, durch welches mit unsern Ziffern die nach dem zehnteiligen Gesetz fort- schreitende Zahlenbildung ausgedrückt wird (vergl. ζ2), ist ein hervor- ragendes Beispiel dazu, an welchem es sich (in der Arithmetik und höheren Rechnung) deutlich zeigt, wie mit dem zutreffenden Zeichen die Herrschaft über die Sache, die Einsicht und Kunst des Menschen in unübersehbarer Wirkung zunimmt. Mit dem „notwendigen“, d. h. gemäss der Forderung höchster Angemessenheit als solches sich aufdrängenden Zeichen muss sich die Erkenntniss der bezeichneten Gebiete notwendig weiter und weiter er- schliessen. Eine solche Bezeichnung wird, wenn sie auf das ganze Feld der Gegenstände des Denkens ausgedehnt zu werden vermag, im Gegensatz gegen das dem Inhalte der Vorstellungen mehr oder weniger gleich- gültige Zeichen des Wortes, eine charakteristische Sprache der Begriffe, „Begriffsschrift“, und im Gegensatz gegen die besonderen Sprachen der Völker eine allgemeine Sprache der Sache (Pasigraphie) sein (ibid.). Hiermit sind wir angelangt bei dem Gedanken einer philosophisch wissenschaftlichen Universalsprache. Derselbe war zuerst von Des Cartes erfasst, dann von Leibniz vertieft; doch blieben die beiderseits gemachten Vorschläge mehr Umriss und Versprechen, als Ausführung und Leistung. Ich folge mit den hierauf bezüglichen Bemerkungen wieder Trendelenburg (l. c.). Cartesius (Episto- lae I, 111 in der Amsterdamer Ausgabe von 1682, p. 353 sqq.) verlangt, dass eine ähnliche Ordnung unter den Ideen, welche möglich sind, her-

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/113>, abgerufen am 27.11.2024.