Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ten, sagte ich zu mir selbst, die von der eigentlichen Lage der Sachen weniger wissen, als nichts. -- Da kam Paul, mich zum Essen zu rufen. Gretchen stand bei ihrem Stuhle, Max, ein wenig abgewandt, bei dem seinigen. Wir setzten uns schweigend. Ich warf einen Blick auf Gretchen, die, mit dem Vorlegen beschäftigt, ziemlich ernst, aber ruhig schien. Max sah auf seinen Teller und mußte sich anreden lassen, um Gretchen seine Suppe abzunehmen. Ich selbst war wenig gestimmt, die Unterhaltung anzufangen, doch that ich einige Fragen an Max, die er beantwortete, ohne aufzusehen. Gretchen suchte öfters ein Gespräch in Gang zu bringen, aber die Worte wollten ihr nicht fließen, und der Versuch hatte keine Folge. Sie vermied es sichtbar, die Rede an Max zu richten. Dagegen ließ dieser zuweilen einen Blick auf sie fallen, worin ich die Glut einer mühsam verhehlten Leidenschaft zu erkennen glaubte. -- Er liebt sie, sagte ich zu mir selbst, und weiß, was zwischen ihr und mir vorgegangen ist. -- Die unerfreuliche Tischgesellschaft ward endlich aufgehoben; wir verließen alle Drei fast zugleich das Speisezimmer. Meine Unruhe trieb mich bald wieder ins Freie. Diesmal wollte ich meiner Stimmung Meister werden; ich machte einen weiten Spaziergang, von dem ich erst Abends ziemlich ermüdet zurückkehrte. Als ich in mein Zimmer treten wollte, öffnete sich die Thür auf Gretchens Seite, und Max kam heraus. Er war bestürzt und blieb stehen, als wollte er abwarten, bis ich weg- ten, sagte ich zu mir selbst, die von der eigentlichen Lage der Sachen weniger wissen, als nichts. — Da kam Paul, mich zum Essen zu rufen. Gretchen stand bei ihrem Stuhle, Max, ein wenig abgewandt, bei dem seinigen. Wir setzten uns schweigend. Ich warf einen Blick auf Gretchen, die, mit dem Vorlegen beschäftigt, ziemlich ernst, aber ruhig schien. Max sah auf seinen Teller und mußte sich anreden lassen, um Gretchen seine Suppe abzunehmen. Ich selbst war wenig gestimmt, die Unterhaltung anzufangen, doch that ich einige Fragen an Max, die er beantwortete, ohne aufzusehen. Gretchen suchte öfters ein Gespräch in Gang zu bringen, aber die Worte wollten ihr nicht fließen, und der Versuch hatte keine Folge. Sie vermied es sichtbar, die Rede an Max zu richten. Dagegen ließ dieser zuweilen einen Blick auf sie fallen, worin ich die Glut einer mühsam verhehlten Leidenschaft zu erkennen glaubte. — Er liebt sie, sagte ich zu mir selbst, und weiß, was zwischen ihr und mir vorgegangen ist. — Die unerfreuliche Tischgesellschaft ward endlich aufgehoben; wir verließen alle Drei fast zugleich das Speisezimmer. Meine Unruhe trieb mich bald wieder ins Freie. Diesmal wollte ich meiner Stimmung Meister werden; ich machte einen weiten Spaziergang, von dem ich erst Abends ziemlich ermüdet zurückkehrte. Als ich in mein Zimmer treten wollte, öffnete sich die Thür auf Gretchens Seite, und Max kam heraus. Er war bestürzt und blieb stehen, als wollte er abwarten, bis ich weg- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="17"> <p><pb facs="#f0088"/> ten, sagte ich zu mir selbst, die von der eigentlichen Lage der Sachen weniger wissen, als nichts. — Da kam Paul, mich zum Essen zu rufen.</p><lb/> <p>Gretchen stand bei ihrem Stuhle, Max, ein wenig abgewandt, bei dem seinigen. Wir setzten uns schweigend. Ich warf einen Blick auf Gretchen, die, mit dem Vorlegen beschäftigt, ziemlich ernst, aber ruhig schien. Max sah auf seinen Teller und mußte sich anreden lassen, um Gretchen seine Suppe abzunehmen. Ich selbst war wenig gestimmt, die Unterhaltung anzufangen, doch that ich einige Fragen an Max, die er beantwortete, ohne aufzusehen. Gretchen suchte öfters ein Gespräch in Gang zu bringen, aber die Worte wollten ihr nicht fließen, und der Versuch hatte keine Folge. Sie vermied es sichtbar, die Rede an Max zu richten. Dagegen ließ dieser zuweilen einen Blick auf sie fallen, worin ich die Glut einer mühsam verhehlten Leidenschaft zu erkennen glaubte. — Er liebt sie, sagte ich zu mir selbst, und weiß, was zwischen ihr und mir vorgegangen ist. — Die unerfreuliche Tischgesellschaft ward endlich aufgehoben; wir verließen alle Drei fast zugleich das Speisezimmer.</p><lb/> <p>Meine Unruhe trieb mich bald wieder ins Freie. Diesmal wollte ich meiner Stimmung Meister werden; ich machte einen weiten Spaziergang, von dem ich erst Abends ziemlich ermüdet zurückkehrte. Als ich in mein Zimmer treten wollte, öffnete sich die Thür auf Gretchens Seite, und Max kam heraus. Er war bestürzt und blieb stehen, als wollte er abwarten, bis ich weg-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0088]
ten, sagte ich zu mir selbst, die von der eigentlichen Lage der Sachen weniger wissen, als nichts. — Da kam Paul, mich zum Essen zu rufen.
Gretchen stand bei ihrem Stuhle, Max, ein wenig abgewandt, bei dem seinigen. Wir setzten uns schweigend. Ich warf einen Blick auf Gretchen, die, mit dem Vorlegen beschäftigt, ziemlich ernst, aber ruhig schien. Max sah auf seinen Teller und mußte sich anreden lassen, um Gretchen seine Suppe abzunehmen. Ich selbst war wenig gestimmt, die Unterhaltung anzufangen, doch that ich einige Fragen an Max, die er beantwortete, ohne aufzusehen. Gretchen suchte öfters ein Gespräch in Gang zu bringen, aber die Worte wollten ihr nicht fließen, und der Versuch hatte keine Folge. Sie vermied es sichtbar, die Rede an Max zu richten. Dagegen ließ dieser zuweilen einen Blick auf sie fallen, worin ich die Glut einer mühsam verhehlten Leidenschaft zu erkennen glaubte. — Er liebt sie, sagte ich zu mir selbst, und weiß, was zwischen ihr und mir vorgegangen ist. — Die unerfreuliche Tischgesellschaft ward endlich aufgehoben; wir verließen alle Drei fast zugleich das Speisezimmer.
Meine Unruhe trieb mich bald wieder ins Freie. Diesmal wollte ich meiner Stimmung Meister werden; ich machte einen weiten Spaziergang, von dem ich erst Abends ziemlich ermüdet zurückkehrte. Als ich in mein Zimmer treten wollte, öffnete sich die Thür auf Gretchens Seite, und Max kam heraus. Er war bestürzt und blieb stehen, als wollte er abwarten, bis ich weg-
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Zitationshilfe: | Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/88>, abgerufen am 27.07.2024. |