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Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ginge. -- Max! sagte ich, mich zu ihm wendend, du bist jetzt oft hier oben. -- Er näherte sich mir einige Schritte. -- Du hast dir gestern, fuhr ich mit gemäßigtem Ernste fort, große Ansprüche auf meine Dankbarkeit erworben. Was ich für deine Erziehung gethan habe, ist kein Ersatz dafür; -- ich möchte nicht, lieber Max, daß Etwas zwischen uns träte. -- Seine Blicke, welche bisher am Boden gehaftet, erhoben sich jetzt und begegneten den meinigen. Ich sah Thränen darin; er ergriff meine Hände, drückte sie gegen seine Brust und entfernte sich schnell.

Einen Augenblick stand ich, ihm nachsehend, dann ging ich in Gretchens Zimmer. Ich sah sie am Fenster sitzen, den Kopf in die Hand gestützt. Sie stand auf und kam mir langsam entgegen; ihre Augen waren verweint. -- Max ging eben von Ihnen? sagte ich, in möglichst ruhigem Tone. -- Ja! war ihre Antwort. -- Er schien sehr bewegt, -- und auch Sie haben geweint. -- Sie schwieg. Ich setzte mich und winkte ihr, es auch zu thun. -- Es ist nicht mehr, wie es war, sagte ich nach einer Pause; während meiner kurzen Abwesenheit hat sich viel verändert. -- Sie wollte reden, schlug aber die Augen nieder und schwieg. -- Max liebt Sie. -- Es ist so, antwortete sie, vor sich hinsehend. -- Und Sie lieben ihn! -- Sie zögerte. -- Reden Sie, Gretchen! -- Ich glaub' es fast, sagte sie, mit kaum vernehmbarer Stimme. -- Ich stand auf und ging ein paar Mal auf und ab. -- Gute Nacht!

ginge. — Max! sagte ich, mich zu ihm wendend, du bist jetzt oft hier oben. — Er näherte sich mir einige Schritte. — Du hast dir gestern, fuhr ich mit gemäßigtem Ernste fort, große Ansprüche auf meine Dankbarkeit erworben. Was ich für deine Erziehung gethan habe, ist kein Ersatz dafür; — ich möchte nicht, lieber Max, daß Etwas zwischen uns träte. — Seine Blicke, welche bisher am Boden gehaftet, erhoben sich jetzt und begegneten den meinigen. Ich sah Thränen darin; er ergriff meine Hände, drückte sie gegen seine Brust und entfernte sich schnell.

Einen Augenblick stand ich, ihm nachsehend, dann ging ich in Gretchens Zimmer. Ich sah sie am Fenster sitzen, den Kopf in die Hand gestützt. Sie stand auf und kam mir langsam entgegen; ihre Augen waren verweint. — Max ging eben von Ihnen? sagte ich, in möglichst ruhigem Tone. — Ja! war ihre Antwort. — Er schien sehr bewegt, — und auch Sie haben geweint. — Sie schwieg. Ich setzte mich und winkte ihr, es auch zu thun. — Es ist nicht mehr, wie es war, sagte ich nach einer Pause; während meiner kurzen Abwesenheit hat sich viel verändert. — Sie wollte reden, schlug aber die Augen nieder und schwieg. — Max liebt Sie. — Es ist so, antwortete sie, vor sich hinsehend. — Und Sie lieben ihn! — Sie zögerte. — Reden Sie, Gretchen! — Ich glaub' es fast, sagte sie, mit kaum vernehmbarer Stimme. — Ich stand auf und ging ein paar Mal auf und ab. — Gute Nacht!

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[0089] ginge. — Max! sagte ich, mich zu ihm wendend, du bist jetzt oft hier oben. — Er näherte sich mir einige Schritte. — Du hast dir gestern, fuhr ich mit gemäßigtem Ernste fort, große Ansprüche auf meine Dankbarkeit erworben. Was ich für deine Erziehung gethan habe, ist kein Ersatz dafür; — ich möchte nicht, lieber Max, daß Etwas zwischen uns träte. — Seine Blicke, welche bisher am Boden gehaftet, erhoben sich jetzt und begegneten den meinigen. Ich sah Thränen darin; er ergriff meine Hände, drückte sie gegen seine Brust und entfernte sich schnell. Einen Augenblick stand ich, ihm nachsehend, dann ging ich in Gretchens Zimmer. Ich sah sie am Fenster sitzen, den Kopf in die Hand gestützt. Sie stand auf und kam mir langsam entgegen; ihre Augen waren verweint. — Max ging eben von Ihnen? sagte ich, in möglichst ruhigem Tone. — Ja! war ihre Antwort. — Er schien sehr bewegt, — und auch Sie haben geweint. — Sie schwieg. Ich setzte mich und winkte ihr, es auch zu thun. — Es ist nicht mehr, wie es war, sagte ich nach einer Pause; während meiner kurzen Abwesenheit hat sich viel verändert. — Sie wollte reden, schlug aber die Augen nieder und schwieg. — Max liebt Sie. — Es ist so, antwortete sie, vor sich hinsehend. — Und Sie lieben ihn! — Sie zögerte. — Reden Sie, Gretchen! — Ich glaub' es fast, sagte sie, mit kaum vernehmbarer Stimme. — Ich stand auf und ging ein paar Mal auf und ab. — Gute Nacht!

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:30:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/89>, abgerufen am 04.05.2024.