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Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Bewegung unterdrücken zu wollen; plötzlich wandte sie sich hinweg, um mir ein paar Thränen zu verbergen, die sich in ihre Augen drängten. -- Nein! rief ich, meiner selbst nicht mehr mächtig, es ist nicht ganz so, liebstes Gretchen! Jener Mann lebt nicht mehr, -- ich selbst bin der Besitzer! -- Sie sah mich an mit einem Blicke, worin ein Vorwurf mit einer Aufwallung der Freude kämpfte. Böser Mann! sagte sie, mit dem Finger drohend, mich so zu necken! und als ich sie besänftigend in meine Arme ziehen wollte, machte sie sich, mit einer halb strafenden, halb verzeihenden Miene, los und eilte davon.

Sie ist dein, rief ich entzückt; das liebenswürdige, bezaubernde Geschöpf ist dein! Ihr Herz hat für dich entschieden; es hat sich wider den Gedanken aufgelehnt, diesen Aufenthalt, der ihr so lieb ist, mit einem Andern als mit dir zu theilen! -- Still, aber selig träumend, ging ich in meinen Zimmern umher, Gretchen erwartend, die zum Nachtessen wieder kommen sollte. -- Sie hatte sich bequem gemacht und ein weißes Corsett angezogen, welches ihr ein noch vertraulicheres Ansehen gab. Unwillkürlich schielte ich nach den Pantöffelchen, welche Paul auf mein Geheiß in ihre Schlafkammer gelegt hatte; aber die Füßchen waren mit züchtiger Strenge beschuht. Nie habe ich die Sittsamkeit so liebenswürdig und so entfernt von aller Prüderie gesehen. Gretchen war an dem Abend besonders gesprächig; ich vergaß mich selbst und meine Wünsche, indem ich, ihrem sinnigen Geplauder

Bewegung unterdrücken zu wollen; plötzlich wandte sie sich hinweg, um mir ein paar Thränen zu verbergen, die sich in ihre Augen drängten. — Nein! rief ich, meiner selbst nicht mehr mächtig, es ist nicht ganz so, liebstes Gretchen! Jener Mann lebt nicht mehr, — ich selbst bin der Besitzer! — Sie sah mich an mit einem Blicke, worin ein Vorwurf mit einer Aufwallung der Freude kämpfte. Böser Mann! sagte sie, mit dem Finger drohend, mich so zu necken! und als ich sie besänftigend in meine Arme ziehen wollte, machte sie sich, mit einer halb strafenden, halb verzeihenden Miene, los und eilte davon.

Sie ist dein, rief ich entzückt; das liebenswürdige, bezaubernde Geschöpf ist dein! Ihr Herz hat für dich entschieden; es hat sich wider den Gedanken aufgelehnt, diesen Aufenthalt, der ihr so lieb ist, mit einem Andern als mit dir zu theilen! — Still, aber selig träumend, ging ich in meinen Zimmern umher, Gretchen erwartend, die zum Nachtessen wieder kommen sollte. — Sie hatte sich bequem gemacht und ein weißes Corsett angezogen, welches ihr ein noch vertraulicheres Ansehen gab. Unwillkürlich schielte ich nach den Pantöffelchen, welche Paul auf mein Geheiß in ihre Schlafkammer gelegt hatte; aber die Füßchen waren mit züchtiger Strenge beschuht. Nie habe ich die Sittsamkeit so liebenswürdig und so entfernt von aller Prüderie gesehen. Gretchen war an dem Abend besonders gesprächig; ich vergaß mich selbst und meine Wünsche, indem ich, ihrem sinnigen Geplauder

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[0059] Bewegung unterdrücken zu wollen; plötzlich wandte sie sich hinweg, um mir ein paar Thränen zu verbergen, die sich in ihre Augen drängten. — Nein! rief ich, meiner selbst nicht mehr mächtig, es ist nicht ganz so, liebstes Gretchen! Jener Mann lebt nicht mehr, — ich selbst bin der Besitzer! — Sie sah mich an mit einem Blicke, worin ein Vorwurf mit einer Aufwallung der Freude kämpfte. Böser Mann! sagte sie, mit dem Finger drohend, mich so zu necken! und als ich sie besänftigend in meine Arme ziehen wollte, machte sie sich, mit einer halb strafenden, halb verzeihenden Miene, los und eilte davon. Sie ist dein, rief ich entzückt; das liebenswürdige, bezaubernde Geschöpf ist dein! Ihr Herz hat für dich entschieden; es hat sich wider den Gedanken aufgelehnt, diesen Aufenthalt, der ihr so lieb ist, mit einem Andern als mit dir zu theilen! — Still, aber selig träumend, ging ich in meinen Zimmern umher, Gretchen erwartend, die zum Nachtessen wieder kommen sollte. — Sie hatte sich bequem gemacht und ein weißes Corsett angezogen, welches ihr ein noch vertraulicheres Ansehen gab. Unwillkürlich schielte ich nach den Pantöffelchen, welche Paul auf mein Geheiß in ihre Schlafkammer gelegt hatte; aber die Füßchen waren mit züchtiger Strenge beschuht. Nie habe ich die Sittsamkeit so liebenswürdig und so entfernt von aller Prüderie gesehen. Gretchen war an dem Abend besonders gesprächig; ich vergaß mich selbst und meine Wünsche, indem ich, ihrem sinnigen Geplauder

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:30:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:30:04Z)

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Zitationshilfe: Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/59>, abgerufen am 04.05.2024.