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Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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zuhörend, an ihrer Seite saß. Die kindliche Unbefangenheit ihres Gemüths theilte sich unvermerkt dem meinigen mit, ich genoß das Vergnügen eines freundlichen Beisammenseins, das durch keinen Affect und keine Regung der Selbstsucht gestört wird. Ruhig sah ich das holde Mädchen sich in ihr Schlafgemach zurückziehen und hörte sie nach einer Weile die Thür abschließen, welche von ihrer Seite in den gemeinschaftlichen Salon führt.

Keine Absicht und keine Befürchtung stört den Frieden dieser reinen Seele, sagte ich zu mir selbst, als ich allein war. Wär' es nicht Sünde, sie durch das Geständniß einer Leidenschaft zu beunruhigen, die sie jetzt noch kaum verstehen, gewiß nicht erwidern kann? Die Zeit mag vollenden, wofür der Zufall in Kurzem beinahe schon zu viel that. Sind wir doch aus dem wilden Treiben der Welt in die stille Befriedigung der Einsamsamkeit gerettet! Der schöne Baum der Hoffnung, mit seinen Knospen und Blüten, hat Wurzel in dem Boden deiner Wünsche geschlagen; laß ihn Kraft gewinnen und zur Zeitigung gelangen! Ist es nicht auch ein Genuß, die goldenen Früchte wachsen und reifen zu sehen, bis sie, in süßer Fülle schwellend, sich selbst von den Zweigen lösen und uns freiwillig in den Schooß fallen? -- Mit diesen Gedanken legte ich mich zur Ruhe, und mit einem leisen: gute Nacht, Gretchen! sank ich dem Schlaf in die Arme.

zuhörend, an ihrer Seite saß. Die kindliche Unbefangenheit ihres Gemüths theilte sich unvermerkt dem meinigen mit, ich genoß das Vergnügen eines freundlichen Beisammenseins, das durch keinen Affect und keine Regung der Selbstsucht gestört wird. Ruhig sah ich das holde Mädchen sich in ihr Schlafgemach zurückziehen und hörte sie nach einer Weile die Thür abschließen, welche von ihrer Seite in den gemeinschaftlichen Salon führt.

Keine Absicht und keine Befürchtung stört den Frieden dieser reinen Seele, sagte ich zu mir selbst, als ich allein war. Wär' es nicht Sünde, sie durch das Geständniß einer Leidenschaft zu beunruhigen, die sie jetzt noch kaum verstehen, gewiß nicht erwidern kann? Die Zeit mag vollenden, wofür der Zufall in Kurzem beinahe schon zu viel that. Sind wir doch aus dem wilden Treiben der Welt in die stille Befriedigung der Einsamsamkeit gerettet! Der schöne Baum der Hoffnung, mit seinen Knospen und Blüten, hat Wurzel in dem Boden deiner Wünsche geschlagen; laß ihn Kraft gewinnen und zur Zeitigung gelangen! Ist es nicht auch ein Genuß, die goldenen Früchte wachsen und reifen zu sehen, bis sie, in süßer Fülle schwellend, sich selbst von den Zweigen lösen und uns freiwillig in den Schooß fallen? — Mit diesen Gedanken legte ich mich zur Ruhe, und mit einem leisen: gute Nacht, Gretchen! sank ich dem Schlaf in die Arme.

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[0060] zuhörend, an ihrer Seite saß. Die kindliche Unbefangenheit ihres Gemüths theilte sich unvermerkt dem meinigen mit, ich genoß das Vergnügen eines freundlichen Beisammenseins, das durch keinen Affect und keine Regung der Selbstsucht gestört wird. Ruhig sah ich das holde Mädchen sich in ihr Schlafgemach zurückziehen und hörte sie nach einer Weile die Thür abschließen, welche von ihrer Seite in den gemeinschaftlichen Salon führt. Keine Absicht und keine Befürchtung stört den Frieden dieser reinen Seele, sagte ich zu mir selbst, als ich allein war. Wär' es nicht Sünde, sie durch das Geständniß einer Leidenschaft zu beunruhigen, die sie jetzt noch kaum verstehen, gewiß nicht erwidern kann? Die Zeit mag vollenden, wofür der Zufall in Kurzem beinahe schon zu viel that. Sind wir doch aus dem wilden Treiben der Welt in die stille Befriedigung der Einsamsamkeit gerettet! Der schöne Baum der Hoffnung, mit seinen Knospen und Blüten, hat Wurzel in dem Boden deiner Wünsche geschlagen; laß ihn Kraft gewinnen und zur Zeitigung gelangen! Ist es nicht auch ein Genuß, die goldenen Früchte wachsen und reifen zu sehen, bis sie, in süßer Fülle schwellend, sich selbst von den Zweigen lösen und uns freiwillig in den Schooß fallen? — Mit diesen Gedanken legte ich mich zur Ruhe, und mit einem leisen: gute Nacht, Gretchen! sank ich dem Schlaf in die Arme.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:30:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:30:04Z)

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Zitationshilfe: Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/60>, abgerufen am 04.05.2024.