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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846.

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Heft und zeigte Arnolden die darin enthaltenen Ge-
genden; es waren die ihm sehr bekannten aus der
Nähe des Bodensees.

-- "Da war ich," sagte er, auf eine schöne
Burgruine zeigend; "da unten, am Fuße des zertrüm-
merten Schlosses, lag ich oft und träumte von alten
Mährchen und Sagen, die sich daran knüpfen. O, es
ist gar herrlich dort, und welche Seligkeit müßte es
seyn, wenn ich Sie einmal dahin führen, Jhnen die
göttliche Aussicht zeigen könnte, die man von da Oben
herab hat!"

-- "Und dann säße ich neben Jhnen, am Fuße
der Mauer, und wir Beide, wie zwei glückliche Ge-
schwister, Hand in Hand!" rief sie, und ihr Auge
leuchtete vor Freude. "O, es ist doch betrübt, we-
der eine Mutter mehr, noch eine Schwester, einen
Bruder zu haben!" fügte sie traurig hinzu. "Sie,
Sir," fuhr sie nach einer Weile fort, "Sie sind
wohl glücklicher in diesem Punkte?"

-- "Jch? im Gegentheil," versetzte er. "Den
Vater habe ich nie gekannt, die theure Mutter ist
mir vor einigen Jahren schon gestorben und Geschwi-
ster habe ich nie gehabt."

-- "So will ich Jhnen Schwester, und Sie,
nicht wahr? wollen mein Bruder seyn?" fragte sie
mit himmlischer Naivität. "Mich dünkt, das Schick-

Heft und zeigte Arnolden die darin enthaltenen Ge-
genden; es waren die ihm ſehr bekannten aus der
Nähe des Bodenſees.

— „Da war ich,“ ſagte er, auf eine ſchöne
Burgruine zeigend; „da unten, am Fuße des zertrüm-
merten Schloſſes, lag ich oft und träumte von alten
Mährchen und Sagen, die ſich daran knüpfen. O, es
iſt gar herrlich dort, und welche Seligkeit müßte es
ſeyn, wenn ich Sie einmal dahin führen, Jhnen die
göttliche Ausſicht zeigen könnte, die man von da Oben
herab hat!“

— „Und dann ſäße ich neben Jhnen, am Fuße
der Mauer, und wir Beide, wie zwei glückliche Ge-
ſchwiſter, Hand in Hand!“ rief ſie, und ihr Auge
leuchtete vor Freude. „O, es iſt doch betrübt, we-
der eine Mutter mehr, noch eine Schweſter, einen
Bruder zu haben!“ fügte ſie traurig hinzu. „Sie,
Sir,“ fuhr ſie nach einer Weile fort, „Sie ſind
wohl glücklicher in dieſem Punkte?“

— „Jch? im Gegentheil,“ verſetzte er. „Den
Vater habe ich nie gekannt, die theure Mutter iſt
mir vor einigen Jahren ſchon geſtorben und Geſchwi-
ſter habe ich nie gehabt.“

— „So will ich Jhnen Schweſter, und Sie,
nicht wahr? wollen mein Bruder ſeyn?“ fragte ſie
mit himmliſcher Naivität. „Mich dünkt, das Schick-

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[27/0033] Heft und zeigte Arnolden die darin enthaltenen Ge- genden; es waren die ihm ſehr bekannten aus der Nähe des Bodenſees. — „Da war ich,“ ſagte er, auf eine ſchöne Burgruine zeigend; „da unten, am Fuße des zertrüm- merten Schloſſes, lag ich oft und träumte von alten Mährchen und Sagen, die ſich daran knüpfen. O, es iſt gar herrlich dort, und welche Seligkeit müßte es ſeyn, wenn ich Sie einmal dahin führen, Jhnen die göttliche Ausſicht zeigen könnte, die man von da Oben herab hat!“ — „Und dann ſäße ich neben Jhnen, am Fuße der Mauer, und wir Beide, wie zwei glückliche Ge- ſchwiſter, Hand in Hand!“ rief ſie, und ihr Auge leuchtete vor Freude. „O, es iſt doch betrübt, we- der eine Mutter mehr, noch eine Schweſter, einen Bruder zu haben!“ fügte ſie traurig hinzu. „Sie, Sir,“ fuhr ſie nach einer Weile fort, „Sie ſind wohl glücklicher in dieſem Punkte?“ — „Jch? im Gegentheil,“ verſetzte er. „Den Vater habe ich nie gekannt, die theure Mutter iſt mir vor einigen Jahren ſchon geſtorben und Geſchwi- ſter habe ich nie gehabt.“ — „So will ich Jhnen Schweſter, und Sie, nicht wahr? wollen mein Bruder ſeyn?“ fragte ſie mit himmliſcher Naivität. „Mich dünkt, das Schick-

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet03_1846/33>, abgerufen am 28.03.2024.