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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846.

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fahl sie: "ich singe und spiele besser, wenn ich mich
ganz allein glaube -- und beim Spielen vergesse ich
die ganze Welt --; also thun Sie, wie ich Sie ge-
beten habe!"

Er gehorchte und sie begann. Er hatte von die-
sem wunderbaren, feenhaften Wesen das Außerordent-
liche erwartet; aber was er jetzt vernahm, übertraf
trotz dem so alle seine Erwartungen, war so unge-
wöhnlich, daß er in einer andern Welt zu seyn
glaubte. Jhre Stimme hatte keinen großen Umfang,
ihr Gesang war nicht eben brillant, aber es war ihre
Seele, die in den Tönen lag, es war der Frühling
mit allen seinen wundervollen Klängen, den er zu hö-
ren glaubte: das Rauschen des Windes in den Blät-
tern, das Säuseln der Abendluft durch die Gräser
und Kräuter der Prairie; das Murmeln des Baches
über Kieselgrund hin; das Girren der Turteltaube in
den hohen Aesten der Magnolie, das Flöten der Nach-
tigall bei mondhellen Nächten! Die süßesten, die hei-
ligsten Erinnerungen an seine glückliche Kindheit er-
wachten dabei in seinem Herzen: wie er am Bache
lag und dem munteren Spiele der Forellen mit träu-
merischem Auge zusah; wie sein Ohr dem Geläute
der unfern weidenden Heerde lauschte; wie seine Brust
die reine, frische Luft mit Entzücken einsog; wie er
von Vergißmeinnichten und Ranunkeln umnickt, den

fahl ſie: „ich ſinge und ſpiele beſſer, wenn ich mich
ganz allein glaube — und beim Spielen vergeſſe ich
die ganze Welt —; alſo thun Sie, wie ich Sie ge-
beten habe!“

Er gehorchte und ſie begann. Er hatte von die-
ſem wunderbaren, feenhaften Weſen das Außerordent-
liche erwartet; aber was er jetzt vernahm, übertraf
trotz dem ſo alle ſeine Erwartungen, war ſo unge-
wöhnlich, daß er in einer andern Welt zu ſeyn
glaubte. Jhre Stimme hatte keinen großen Umfang,
ihr Geſang war nicht eben brillant, aber es war ihre
Seele, die in den Tönen lag, es war der Frühling
mit allen ſeinen wundervollen Klängen, den er zu hö-
ren glaubte: das Rauſchen des Windes in den Blät-
tern, das Säuſeln der Abendluft durch die Gräſer
und Kräuter der Prairie; das Murmeln des Baches
über Kieſelgrund hin; das Girren der Turteltaube in
den hohen Aeſten der Magnolie, das Flöten der Nach-
tigall bei mondhellen Nächten! Die ſüßeſten, die hei-
ligſten Erinnerungen an ſeine glückliche Kindheit er-
wachten dabei in ſeinem Herzen: wie er am Bache
lag und dem munteren Spiele der Forellen mit träu-
meriſchem Auge zuſah; wie ſein Ohr dem Geläute
der unfern weidenden Heerde lauſchte; wie ſeine Bruſt
die reine, friſche Luft mit Entzücken einſog; wie er
von Vergißmeinnichten und Ranunkeln umnickt, den

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[23/0029] fahl ſie: „ich ſinge und ſpiele beſſer, wenn ich mich ganz allein glaube — und beim Spielen vergeſſe ich die ganze Welt —; alſo thun Sie, wie ich Sie ge- beten habe!“ Er gehorchte und ſie begann. Er hatte von die- ſem wunderbaren, feenhaften Weſen das Außerordent- liche erwartet; aber was er jetzt vernahm, übertraf trotz dem ſo alle ſeine Erwartungen, war ſo unge- wöhnlich, daß er in einer andern Welt zu ſeyn glaubte. Jhre Stimme hatte keinen großen Umfang, ihr Geſang war nicht eben brillant, aber es war ihre Seele, die in den Tönen lag, es war der Frühling mit allen ſeinen wundervollen Klängen, den er zu hö- ren glaubte: das Rauſchen des Windes in den Blät- tern, das Säuſeln der Abendluft durch die Gräſer und Kräuter der Prairie; das Murmeln des Baches über Kieſelgrund hin; das Girren der Turteltaube in den hohen Aeſten der Magnolie, das Flöten der Nach- tigall bei mondhellen Nächten! Die ſüßeſten, die hei- ligſten Erinnerungen an ſeine glückliche Kindheit er- wachten dabei in ſeinem Herzen: wie er am Bache lag und dem munteren Spiele der Forellen mit träu- meriſchem Auge zuſah; wie ſein Ohr dem Geläute der unfern weidenden Heerde lauſchte; wie ſeine Bruſt die reine, friſche Luft mit Entzücken einſog; wie er von Vergißmeinnichten und Ranunkeln umnickt, den

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet03_1846/29>, abgerufen am 19.04.2024.