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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846.

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Sir Francis, worin dieser sich auf die mündlichen
Mittheilungen des jungen Deutschen über den Stand
der Angelegenheiten in Jllinois berief; man durfte
also nicht daran zweifeln, daß Arnold wirklich ab-
gereist sei; aber wo war er geblieben? welches war
sein Schicksal gewesen? Dies waren die Fragen, die
sie sich unaufhörlich vorlegte, ohne eine andere Ant-
wort darauf zu finden, als: "Er ist todt! sonst wäre
er hier!"

Sie hatte weder diese Befürchtungen, noch ihre
Liebe vor dem Vater verborgen; ihre Seele wußte
nichts von Verstellung, sie konnte auch vor einem
Vater, den sie mit einer fast leidenschaftlichen Zärt-
lichkeit liebte, kein Geheimniß haben; sie war es nicht
gewohnt geworden, irgend ein Gefühl, irgend eine
Regung ihres Herzens vor ihm zu verbergen, der sie
in Allem verstand, dessen Liebe nichts weiter von ihr
verlangte, als daß sie ganz glücklich und in allen
Dingen völlig offen gegen ihn sei.

Welch' ein Trost war also seine Gegenwart bis-
her für sie gewesen! Jetzt aber verstrich eine Stunde
nach der andern und er kehrte noch immer nicht wie-
der! Sie konnte den Blick nicht von dem Zeiger der
ihr gegenüberstehenden Uhr abwenden und mit jeder
Minute, die er vorwärts rückte, wurde ihr ängst-
licher, schlug ihr Herz stärker. Sie sprang endlich

Sir Francis, worin dieſer ſich auf die mündlichen
Mittheilungen des jungen Deutſchen über den Stand
der Angelegenheiten in Jllinois berief; man durfte
alſo nicht daran zweifeln, daß Arnold wirklich ab-
gereiſt ſei; aber wo war er geblieben? welches war
ſein Schickſal geweſen? Dies waren die Fragen, die
ſie ſich unaufhörlich vorlegte, ohne eine andere Ant-
wort darauf zu finden, als: „Er iſt todt! ſonſt wäre
er hier!“

Sie hatte weder dieſe Befürchtungen, noch ihre
Liebe vor dem Vater verborgen; ihre Seele wußte
nichts von Verſtellung, ſie konnte auch vor einem
Vater, den ſie mit einer faſt leidenſchaftlichen Zärt-
lichkeit liebte, kein Geheimniß haben; ſie war es nicht
gewohnt geworden, irgend ein Gefühl, irgend eine
Regung ihres Herzens vor ihm zu verbergen, der ſie
in Allem verſtand, deſſen Liebe nichts weiter von ihr
verlangte, als daß ſie ganz glücklich und in allen
Dingen völlig offen gegen ihn ſei.

Welch’ ein Troſt war alſo ſeine Gegenwart bis-
her für ſie geweſen! Jetzt aber verſtrich eine Stunde
nach der andern und er kehrte noch immer nicht wie-
der! Sie konnte den Blick nicht von dem Zeiger der
ihr gegenüberſtehenden Uhr abwenden und mit jeder
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[138/0144] Sir Francis, worin dieſer ſich auf die mündlichen Mittheilungen des jungen Deutſchen über den Stand der Angelegenheiten in Jllinois berief; man durfte alſo nicht daran zweifeln, daß Arnold wirklich ab- gereiſt ſei; aber wo war er geblieben? welches war ſein Schickſal geweſen? Dies waren die Fragen, die ſie ſich unaufhörlich vorlegte, ohne eine andere Ant- wort darauf zu finden, als: „Er iſt todt! ſonſt wäre er hier!“ Sie hatte weder dieſe Befürchtungen, noch ihre Liebe vor dem Vater verborgen; ihre Seele wußte nichts von Verſtellung, ſie konnte auch vor einem Vater, den ſie mit einer faſt leidenſchaftlichen Zärt- lichkeit liebte, kein Geheimniß haben; ſie war es nicht gewohnt geworden, irgend ein Gefühl, irgend eine Regung ihres Herzens vor ihm zu verbergen, der ſie in Allem verſtand, deſſen Liebe nichts weiter von ihr verlangte, als daß ſie ganz glücklich und in allen Dingen völlig offen gegen ihn ſei. Welch’ ein Troſt war alſo ſeine Gegenwart bis- her für ſie geweſen! Jetzt aber verſtrich eine Stunde nach der andern und er kehrte noch immer nicht wie- der! Sie konnte den Blick nicht von dem Zeiger der ihr gegenüberſtehenden Uhr abwenden und mit jeder Minute, die er vorwärts rückte, wurde ihr ängſt- licher, ſchlug ihr Herz ſtärker. Sie ſprang endlich

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet03_1846/144>, abgerufen am 03.05.2024.