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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

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Thränen zwischen seinen Wimpern zitterten, die ersten,
die er der Geschiedenen weihete.

Diese, mit jener rauhen und fetten Stimme, wie
sie Mannweibern eigen zu seyn pflegt, an ihn gerich-
tete Frage, weckte ihn aus seinen Träumereien auf
und er trat ein, ohne der Fragerin zu antworten.
Am Eingange der Treppe blieb er nochmals stehen,
denn hier erinnerte ihn wieder Alles lebhaft an Dina.
Er sah sich im Schiff der Kirche um und ihm war,
als müsse die theuere Gestalt hinter einem der colossa-
len Pfeiler hervortreten, die die Kuppel stützten, und
ihm ein letztes Lebewohl zuwinken; aber Alles blieb
still und leer. Dann folgte er dem Weibe, das, sich
nicht weiter um ihn bekümmernd, nachdem es ihn ein-
gelassen, vor ihm die Treppe hinangestiegen war.

Er fand den Propheten bei seinem Eintritt in
das Arbeitszimmer mit Zeichnen beschäftigt; die-
ser erhob sich jedoch sogleich, um ihn zu bewill-
kommnen.

-- "Sie sollen mir aufrichtig Jhre Meinung
über dieses von mir entworfene Denkmal sagen,"
nahm er nach der ersten Begrüßung Arnolds das
Wort und führte diesen an den Tisch, auf dem das
Reißbrett stand.

Arnold betrachtete die eben so saubre als cor-
recte Zeichnung und konnte nicht umhin, das von Joe

Thränen zwiſchen ſeinen Wimpern zitterten, die erſten,
die er der Geſchiedenen weihete.

Dieſe, mit jener rauhen und fetten Stimme, wie
ſie Mannweibern eigen zu ſeyn pflegt, an ihn gerich-
tete Frage, weckte ihn aus ſeinen Träumereien auf
und er trat ein, ohne der Fragerin zu antworten.
Am Eingange der Treppe blieb er nochmals ſtehen,
denn hier erinnerte ihn wieder Alles lebhaft an Dina.
Er ſah ſich im Schiff der Kirche um und ihm war,
als müſſe die theuere Geſtalt hinter einem der coloſſa-
len Pfeiler hervortreten, die die Kuppel ſtützten, und
ihm ein letztes Lebewohl zuwinken; aber Alles blieb
ſtill und leer. Dann folgte er dem Weibe, das, ſich
nicht weiter um ihn bekümmernd, nachdem es ihn ein-
gelaſſen, vor ihm die Treppe hinangeſtiegen war.

Er fand den Propheten bei ſeinem Eintritt in
das Arbeitszimmer mit Zeichnen beſchäftigt; die-
ſer erhob ſich jedoch ſogleich, um ihn zu bewill-
kommnen.

— „Sie ſollen mir aufrichtig Jhre Meinung
über dieſes von mir entworfene Denkmal ſagen,“
nahm er nach der erſten Begrüßung Arnolds das
Wort und führte dieſen an den Tiſch, auf dem das
Reißbrett ſtand.

Arnold betrachtete die eben ſo ſaubre als cor-
recte Zeichnung und konnte nicht umhin, das von Joe

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[74/0080] Thränen zwiſchen ſeinen Wimpern zitterten, die erſten, die er der Geſchiedenen weihete. Dieſe, mit jener rauhen und fetten Stimme, wie ſie Mannweibern eigen zu ſeyn pflegt, an ihn gerich- tete Frage, weckte ihn aus ſeinen Träumereien auf und er trat ein, ohne der Fragerin zu antworten. Am Eingange der Treppe blieb er nochmals ſtehen, denn hier erinnerte ihn wieder Alles lebhaft an Dina. Er ſah ſich im Schiff der Kirche um und ihm war, als müſſe die theuere Geſtalt hinter einem der coloſſa- len Pfeiler hervortreten, die die Kuppel ſtützten, und ihm ein letztes Lebewohl zuwinken; aber Alles blieb ſtill und leer. Dann folgte er dem Weibe, das, ſich nicht weiter um ihn bekümmernd, nachdem es ihn ein- gelaſſen, vor ihm die Treppe hinangeſtiegen war. Er fand den Propheten bei ſeinem Eintritt in das Arbeitszimmer mit Zeichnen beſchäftigt; die- ſer erhob ſich jedoch ſogleich, um ihn zu bewill- kommnen. — „Sie ſollen mir aufrichtig Jhre Meinung über dieſes von mir entworfene Denkmal ſagen,“ nahm er nach der erſten Begrüßung Arnolds das Wort und führte dieſen an den Tiſch, auf dem das Reißbrett ſtand. Arnold betrachtete die eben ſo ſaubre als cor- recte Zeichnung und konnte nicht umhin, das von Joe

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/80>, abgerufen am 16.05.2024.