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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

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als wir Tritte auf der zu meinem Zimmer führen-
den Treppe hörten.

Die Stubenthür war verschlossen; es wurde an-
gepocht; wir regten uns nicht; leise aber öffnete
Braun ein Fenster und schaute aus demselben auf den
darunter liegenden Hofplatz hinab, ob Flucht nicht
möglich sei: sie war unmöglich, denn er würde, da
wir uns im zweiten Stockwerk befanden, sich auf
dem Steinpflaster zerschmettert haben, wenn er den
Sprung gewagt hätte. Einen andern Ausgang als
diesen aber hatte das Zimmer nicht.

Wir blickten uns verzweiflungsvoll an. Selbst
Braun schien die Fassung verloren zu haben.

Vor der Thür wurde das Pochen immer stärker
und die Drohworte, die mein Vater ausstieß, ver-
mehrten unser Entsetzen. Jch weiß nicht, wie es kam,
daß ich jetzt, sonst so schwach und hinfällig, in die-
ser grausamen Situation nicht ohnmächtig wurde.

-- "Macht auf, oder ich schlage mit der mit-
gebrachten Axt die Thür ein!" rief mein Vater mit
vor Wuth bebender Stimme.

Wir antworteten noch immer nicht; doch sah ich
Braun in die Tasche seines Rocks greifen und ein Pi-
stol daraus hervornehmen, dessen Hahn er aufzog.

-- "Was willst du?!" rief ich bei diesem An-
blick, von einem nie zuvor gekannten Entsetzen er-

als wir Tritte auf der zu meinem Zimmer führen-
den Treppe hörten.

Die Stubenthür war verſchloſſen; es wurde an-
gepocht; wir regten uns nicht; leiſe aber öffnete
Braun ein Fenſter und ſchaute aus demſelben auf den
darunter liegenden Hofplatz hinab, ob Flucht nicht
möglich ſei: ſie war unmöglich, denn er würde, da
wir uns im zweiten Stockwerk befanden, ſich auf
dem Steinpflaſter zerſchmettert haben, wenn er den
Sprung gewagt hätte. Einen andern Ausgang als
dieſen aber hatte das Zimmer nicht.

Wir blickten uns verzweiflungsvoll an. Selbſt
Braun ſchien die Faſſung verloren zu haben.

Vor der Thür wurde das Pochen immer ſtärker
und die Drohworte, die mein Vater ausſtieß, ver-
mehrten unſer Entſetzen. Jch weiß nicht, wie es kam,
daß ich jetzt, ſonſt ſo ſchwach und hinfällig, in die-
ſer grauſamen Situation nicht ohnmächtig wurde.

— „Macht auf, oder ich ſchlage mit der mit-
gebrachten Axt die Thür ein!“ rief mein Vater mit
vor Wuth bebender Stimme.

Wir antworteten noch immer nicht; doch ſah ich
Braun in die Taſche ſeines Rocks greifen und ein Pi-
ſtol daraus hervornehmen, deſſen Hahn er aufzog.

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[116/0122] als wir Tritte auf der zu meinem Zimmer führen- den Treppe hörten. Die Stubenthür war verſchloſſen; es wurde an- gepocht; wir regten uns nicht; leiſe aber öffnete Braun ein Fenſter und ſchaute aus demſelben auf den darunter liegenden Hofplatz hinab, ob Flucht nicht möglich ſei: ſie war unmöglich, denn er würde, da wir uns im zweiten Stockwerk befanden, ſich auf dem Steinpflaſter zerſchmettert haben, wenn er den Sprung gewagt hätte. Einen andern Ausgang als dieſen aber hatte das Zimmer nicht. Wir blickten uns verzweiflungsvoll an. Selbſt Braun ſchien die Faſſung verloren zu haben. Vor der Thür wurde das Pochen immer ſtärker und die Drohworte, die mein Vater ausſtieß, ver- mehrten unſer Entſetzen. Jch weiß nicht, wie es kam, daß ich jetzt, ſonſt ſo ſchwach und hinfällig, in die- ſer grauſamen Situation nicht ohnmächtig wurde. — „Macht auf, oder ich ſchlage mit der mit- gebrachten Axt die Thür ein!“ rief mein Vater mit vor Wuth bebender Stimme. Wir antworteten noch immer nicht; doch ſah ich Braun in die Taſche ſeines Rocks greifen und ein Pi- ſtol daraus hervornehmen, deſſen Hahn er aufzog. — „Was willſt du?!“ rief ich bei dieſem An- blick, von einem nie zuvor gekannten Entſetzen er-

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/122>, abgerufen am 05.12.2024.