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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

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scheinlich vermischten sich beide Empfindungen so in
meiner Seele, daß ich nicht zu unterscheiden vermochte,
welches das stärkere war.

Jn der folgenden Nacht kam Braun wieder zu
mir; mir aber fehlte der Muth -- ich weiß selbst
nicht, warum? -- ihm die von mir gemachte Ent-
deckung mitzutheilen, und erst nach mehren Tagen ver-
mochte ich es über mich.

Sein heftiges Erschrecken bei dieser Nachricht ent-
ging mir nicht: er erbleichte und ein ganz eigener,
nie zuvor an ihm wahrgenommener Ausdruck zeigte
sich in seinen Gesichtszügen. Erst nach einer ziemlich
langen Pause sagte er:

-- "Du wirst dich irren -- ich hoffe es! --
Was weißt denn du davon?"

Jch schwieg, weil ich ihn so aufgeregt und er-
schrocken sah.

Beide blieben wir dann eine Weile einander ge-
genüber stumm; ich weinte; er starrte vor sich hin.

Dann erhob er sich plötzlich und durchmaaß mit
schnellen Schritten das Zimmer, wie Einer thut, der
etwas in sich überlegen will. Wir Beide dachten nicht
an die Unvorsichtigkeit, die er durch dieses kräftige
und männliche Auftreten beging, da meines Vaters
Schlafzimmer unter dem meinigen war. Wir wur-
den erst aufmerksam auf das, was er gethan hatte,

8 *

ſcheinlich vermiſchten ſich beide Empfindungen ſo in
meiner Seele, daß ich nicht zu unterſcheiden vermochte,
welches das ſtärkere war.

Jn der folgenden Nacht kam Braun wieder zu
mir; mir aber fehlte der Muth — ich weiß ſelbſt
nicht, warum? — ihm die von mir gemachte Ent-
deckung mitzutheilen, und erſt nach mehren Tagen ver-
mochte ich es über mich.

Sein heftiges Erſchrecken bei dieſer Nachricht ent-
ging mir nicht: er erbleichte und ein ganz eigener,
nie zuvor an ihm wahrgenommener Ausdruck zeigte
ſich in ſeinen Geſichtszügen. Erſt nach einer ziemlich
langen Pauſe ſagte er:

— „Du wirſt dich irren — ich hoffe es! —
Was weißt denn du davon?“

Jch ſchwieg, weil ich ihn ſo aufgeregt und er-
ſchrocken ſah.

Beide blieben wir dann eine Weile einander ge-
genüber ſtumm; ich weinte; er ſtarrte vor ſich hin.

Dann erhob er ſich plötzlich und durchmaaß mit
ſchnellen Schritten das Zimmer, wie Einer thut, der
etwas in ſich überlegen will. Wir Beide dachten nicht
an die Unvorſichtigkeit, die er durch dieſes kräftige
und männliche Auftreten beging, da meines Vaters
Schlafzimmer unter dem meinigen war. Wir wur-
den erſt aufmerkſam auf das, was er gethan hatte,

8 *
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[115/0121] ſcheinlich vermiſchten ſich beide Empfindungen ſo in meiner Seele, daß ich nicht zu unterſcheiden vermochte, welches das ſtärkere war. Jn der folgenden Nacht kam Braun wieder zu mir; mir aber fehlte der Muth — ich weiß ſelbſt nicht, warum? — ihm die von mir gemachte Ent- deckung mitzutheilen, und erſt nach mehren Tagen ver- mochte ich es über mich. Sein heftiges Erſchrecken bei dieſer Nachricht ent- ging mir nicht: er erbleichte und ein ganz eigener, nie zuvor an ihm wahrgenommener Ausdruck zeigte ſich in ſeinen Geſichtszügen. Erſt nach einer ziemlich langen Pauſe ſagte er: — „Du wirſt dich irren — ich hoffe es! — Was weißt denn du davon?“ Jch ſchwieg, weil ich ihn ſo aufgeregt und er- ſchrocken ſah. Beide blieben wir dann eine Weile einander ge- genüber ſtumm; ich weinte; er ſtarrte vor ſich hin. Dann erhob er ſich plötzlich und durchmaaß mit ſchnellen Schritten das Zimmer, wie Einer thut, der etwas in ſich überlegen will. Wir Beide dachten nicht an die Unvorſichtigkeit, die er durch dieſes kräftige und männliche Auftreten beging, da meines Vaters Schlafzimmer unter dem meinigen war. Wir wur- den erſt aufmerkſam auf das, was er gethan hatte, 8 *

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/121>, abgerufen am 05.12.2024.