scheinung vor sich habe, und so schwieg er von Ent- setzen ergriffen.
Die Nachtwandlerin -- denn das war Dina -- hatte die Augen weit offen; aber ihr Blick war starr, wie der der Todten und man sah es den unbeweg- lichen Augäpfeln an, daß sie nicht damit sah.
Sie stellte das unangezündete Licht vorsichtig auf eine neben der Thür stehende Console und schritt dann auf das Bett zu, was sie mit einiger Hast that, als fürchte sie, überrascht zu werden. Schnell hatte sie die Bettdecke zurückgeworfen und tastete mit Aengst- lichkeit in dem leeren Raume umher, wobei ihre Mie- nen einen Ausdruck von unaussprechlichem Schmerze annahmen.
-- "Es ist nicht mehr da!" rief sie, vom Bett zurücktretend, mit einer Stimme, in der man die höchste Verzweiflung nicht verkennen konnte, und die Arnolds Herz durchschauerte. "Es ist nicht mehr da!" rief sie nochmals, nachdem sie noch einmal, und ängstlicher, hastiger als zuvor, das Bett durch- sucht hatte. Dann warf sie sich auf einen Stuhl nie- der, rang die Hände, wie in Todesangst, und weinte so heftig, daß die Thränen ihr in Strömen über die bleichen Wangen schossen und das Busentuch, wo- mit sie sittsam die Brust verhüllt hatte, ganz feucht machten.
ſcheinung vor ſich habe, und ſo ſchwieg er von Ent- ſetzen ergriffen.
Die Nachtwandlerin — denn das war Dina — hatte die Augen weit offen; aber ihr Blick war ſtarr, wie der der Todten und man ſah es den unbeweg- lichen Augäpfeln an, daß ſie nicht damit ſah.
Sie ſtellte das unangezündete Licht vorſichtig auf eine neben der Thür ſtehende Conſole und ſchritt dann auf das Bett zu, was ſie mit einiger Haſt that, als fürchte ſie, überraſcht zu werden. Schnell hatte ſie die Bettdecke zurückgeworfen und taſtete mit Aengſt- lichkeit in dem leeren Raume umher, wobei ihre Mie- nen einen Ausdruck von unausſprechlichem Schmerze annahmen.
— „Es iſt nicht mehr da!“ rief ſie, vom Bett zurücktretend, mit einer Stimme, in der man die höchſte Verzweiflung nicht verkennen konnte, und die Arnolds Herz durchſchauerte. „Es iſt nicht mehr da!“ rief ſie nochmals, nachdem ſie noch einmal, und ängſtlicher, haſtiger als zuvor, das Bett durch- ſucht hatte. Dann warf ſie ſich auf einen Stuhl nie- der, rang die Hände, wie in Todesangſt, und weinte ſo heftig, daß die Thränen ihr in Strömen über die bleichen Wangen ſchoſſen und das Buſentuch, wo- mit ſie ſittſam die Bruſt verhüllt hatte, ganz feucht machten.
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ſcheinung vor ſich habe, und ſo ſchwieg er von Ent-
ſetzen ergriffen.
Die Nachtwandlerin — denn das war Dina —
hatte die Augen weit offen; aber ihr Blick war ſtarr,
wie der der Todten und man ſah es den unbeweg-
lichen Augäpfeln an, daß ſie nicht damit ſah.
Sie ſtellte das unangezündete Licht vorſichtig auf
eine neben der Thür ſtehende Conſole und ſchritt dann
auf das Bett zu, was ſie mit einiger Haſt that, als
fürchte ſie, überraſcht zu werden. Schnell hatte ſie
die Bettdecke zurückgeworfen und taſtete mit Aengſt-
lichkeit in dem leeren Raume umher, wobei ihre Mie-
nen einen Ausdruck von unausſprechlichem Schmerze
annahmen.
— „Es iſt nicht mehr da!“ rief ſie, vom Bett
zurücktretend, mit einer Stimme, in der man die
höchſte Verzweiflung nicht verkennen konnte, und die
Arnolds Herz durchſchauerte. „Es iſt nicht mehr
da!“ rief ſie nochmals, nachdem ſie noch einmal,
und ängſtlicher, haſtiger als zuvor, das Bett durch-
ſucht hatte. Dann warf ſie ſich auf einen Stuhl nie-
der, rang die Hände, wie in Todesangſt, und weinte
ſo heftig, daß die Thränen ihr in Strömen über die
bleichen Wangen ſchoſſen und das Buſentuch, wo-
mit ſie ſittſam die Bruſt verhüllt hatte, ganz feucht
machten.
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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/180>, abgerufen am 27.07.2024.
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