Eine Todtenstille herrschte in dem großen, weit- läufigen, nur von drei Personen bewohnten Gebäude, wovon zwei wahrscheinlich sich schon längst zur Ruhe begeben hatten. Er konnte deutlich das Flüstern des Nachtwindes mit den Blättern eines nicht ganz nahe am Fenster stehenden Baumes vernehmen, so stille war es auch draußen in der Natur.
Da war es ihm, als ob sich auf dem Corridor, an dessen äußerstem Ende sein Zimmer lag, etwas be- wege, als ob sich leise Schritte hören ließen. Er legte das Buch aus der Hand und horchte in einer fast ängstlichen Spannung, denn so wenig sein Herz auch von Furcht wußte, so mußte dieses geheimniß- volle Wandeln inmitten der schweigenden Nacht doch seine Phantasie nothwendig lebhaft aufregen.
Es dauerte nur wenige Secunden, nachdem er das Geräusch auf dem Corridor vernommen hatte, so öffnete sich leise seine Thür und Dina stand im schnee- weißen, bis tief auf die Füße hinabwallenden Nacht- gewande, mit einem unangezündeten Lichte in der Hand, in derselben.
Er würde ihren Namen gerufen und sie da- durch aus ihrem Schlafwachen erweckt haben, wenn der Gedanke sein Blut nicht in den Adern erstar- ren gemacht hätte, daß er nicht die Unglückliche selbst, sondern wohl nur eine gespensterhafte Er-
Eine Todtenſtille herrſchte in dem großen, weit- läufigen, nur von drei Perſonen bewohnten Gebäude, wovon zwei wahrſcheinlich ſich ſchon längſt zur Ruhe begeben hatten. Er konnte deutlich das Flüſtern des Nachtwindes mit den Blättern eines nicht ganz nahe am Fenſter ſtehenden Baumes vernehmen, ſo ſtille war es auch draußen in der Natur.
Da war es ihm, als ob ſich auf dem Corridor, an deſſen äußerſtem Ende ſein Zimmer lag, etwas be- wege, als ob ſich leiſe Schritte hören ließen. Er legte das Buch aus der Hand und horchte in einer faſt ängſtlichen Spannung, denn ſo wenig ſein Herz auch von Furcht wußte, ſo mußte dieſes geheimniß- volle Wandeln inmitten der ſchweigenden Nacht doch ſeine Phantaſie nothwendig lebhaft aufregen.
Es dauerte nur wenige Secunden, nachdem er das Geräuſch auf dem Corridor vernommen hatte, ſo öffnete ſich leiſe ſeine Thür und Dina ſtand im ſchnee- weißen, bis tief auf die Füße hinabwallenden Nacht- gewande, mit einem unangezündeten Lichte in der Hand, in derſelben.
Er würde ihren Namen gerufen und ſie da- durch aus ihrem Schlafwachen erweckt haben, wenn der Gedanke ſein Blut nicht in den Adern erſtar- ren gemacht hätte, daß er nicht die Unglückliche ſelbſt, ſondern wohl nur eine geſpenſterhafte Er-
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Eine Todtenſtille herrſchte in dem großen, weit-
läufigen, nur von drei Perſonen bewohnten Gebäude,
wovon zwei wahrſcheinlich ſich ſchon längſt zur Ruhe
begeben hatten. Er konnte deutlich das Flüſtern des
Nachtwindes mit den Blättern eines nicht ganz nahe
am Fenſter ſtehenden Baumes vernehmen, ſo ſtille
war es auch draußen in der Natur.
Da war es ihm, als ob ſich auf dem Corridor,
an deſſen äußerſtem Ende ſein Zimmer lag, etwas be-
wege, als ob ſich leiſe Schritte hören ließen. Er
legte das Buch aus der Hand und horchte in einer
faſt ängſtlichen Spannung, denn ſo wenig ſein Herz
auch von Furcht wußte, ſo mußte dieſes geheimniß-
volle Wandeln inmitten der ſchweigenden Nacht doch
ſeine Phantaſie nothwendig lebhaft aufregen.
Es dauerte nur wenige Secunden, nachdem er
das Geräuſch auf dem Corridor vernommen hatte, ſo
öffnete ſich leiſe ſeine Thür und Dina ſtand im ſchnee-
weißen, bis tief auf die Füße hinabwallenden Nacht-
gewande, mit einem unangezündeten Lichte in der
Hand, in derſelben.
Er würde ihren Namen gerufen und ſie da-
durch aus ihrem Schlafwachen erweckt haben, wenn
der Gedanke ſein Blut nicht in den Adern erſtar-
ren gemacht hätte, daß er nicht die Unglückliche
ſelbſt, ſondern wohl nur eine geſpenſterhafte Er-
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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/179>, abgerufen am 27.07.2024.
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