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Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.

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nigscheiben einst bedienete. Niemand hatte die
Ruhe dieses Waldes gestöret: und so lange er grü-
nete, hatten ihn Rustefeile besessen. Dieser Ru-
stefeil
zeugte eine Tochter. Sie war schön, und
überaus bescheiden. Die Sonne hatte ihre Farbe
zwar nicht verderbet; aber ihren Zügen doch einen
solchen Glanz ertheilet, den unserer Ritter Frauen
und Fräulein, durch keine Schminke, erlangen.
Sie besaß eine kleine Heerde, und war die einzige
Erbin ihres Vaters. Schön, und eine einzige
Erbin seyn, ist fast zu viel für eine Person; ja in
unsern Jahren wäre es an dem letztern genug.
War es also ein Wunder, daß sie Verehrer hatte?
Sie zählte unter ihnen so gar Freyen und edle
Baren. Allein ein Schatz ist so leicht nicht zu
heben; und unsere Schöne war auch weise. Zwar
war sie keine Roswithe, auch nicht eine Wins-
beckin:
allein kann man nicht weise seyn, ohne
eben jemanden zu verdunkeln? es giebt ja vieler-
ley Sterne am Himmel. Jhre Weisheit bestand
hauptsächlich in einem leichten Gedächtnisse, alle
weise Mährchen zu fassen, und sie des Abends
dem Vater zur angenehmen Zeitkürzung wieder zu
erzählen. Sie erfand auch neue. Jn ihrer Ein-
samkeit, und bey der sanften Gemüthsart ihrer Ge-
sellschaften, ging es auch leicht an. Es war also
nicht genug stolz und grob zu seyn, diese Beute da-
von zu tragen: man mußte auch Mährchen er-
zählen,
d. i. Verstand zeigen. Ueberdieß hatte
ihr Vater ein Horn in dem Walde gefunden, oder
es war ihm vielmehr von einem Waldgeiste, de-

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nigſcheiben einſt bedienete. Niemand hatte die
Ruhe dieſes Waldes geſtoͤret: und ſo lange er gruͤ-
nete, hatten ihn Ruſtefeile beſeſſen. Dieſer Ru-
ſtefeil
zeugte eine Tochter. Sie war ſchoͤn, und
uͤberaus beſcheiden. Die Sonne hatte ihre Farbe
zwar nicht verderbet; aber ihren Zuͤgen doch einen
ſolchen Glanz ertheilet, den unſerer Ritter Frauen
und Fraͤulein, durch keine Schminke, erlangen.
Sie beſaß eine kleine Heerde, und war die einzige
Erbin ihres Vaters. Schoͤn, und eine einzige
Erbin ſeyn, iſt faſt zu viel fuͤr eine Perſon; ja in
unſern Jahren waͤre es an dem letztern genug.
War es alſo ein Wunder, daß ſie Verehrer hatte?
Sie zaͤhlte unter ihnen ſo gar Freyen und edle
Baren. Allein ein Schatz iſt ſo leicht nicht zu
heben; und unſere Schoͤne war auch weiſe. Zwar
war ſie keine Roswithe, auch nicht eine Wins-
beckin:
allein kann man nicht weiſe ſeyn, ohne
eben jemanden zu verdunkeln? es giebt ja vieler-
ley Sterne am Himmel. Jhre Weisheit beſtand
hauptſaͤchlich in einem leichten Gedaͤchtniſſe, alle
weiſe Maͤhrchen zu faſſen, und ſie des Abends
dem Vater zur angenehmen Zeitkuͤrzung wieder zu
erzaͤhlen. Sie erfand auch neue. Jn ihrer Ein-
ſamkeit, und bey der ſanften Gemuͤthsart ihrer Ge-
ſellſchaften, ging es auch leicht an. Es war alſo
nicht genug ſtolz und grob zu ſeyn, dieſe Beute da-
von zu tragen: man mußte auch Maͤhrchen er-
zaͤhlen,
d. i. Verſtand zeigen. Ueberdieß hatte
ihr Vater ein Horn in dem Walde gefunden, oder
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[369/0395] Sc nigſcheiben einſt bedienete. Niemand hatte die Ruhe dieſes Waldes geſtoͤret: und ſo lange er gruͤ- nete, hatten ihn Ruſtefeile beſeſſen. Dieſer Ru- ſtefeil zeugte eine Tochter. Sie war ſchoͤn, und uͤberaus beſcheiden. Die Sonne hatte ihre Farbe zwar nicht verderbet; aber ihren Zuͤgen doch einen ſolchen Glanz ertheilet, den unſerer Ritter Frauen und Fraͤulein, durch keine Schminke, erlangen. Sie beſaß eine kleine Heerde, und war die einzige Erbin ihres Vaters. Schoͤn, und eine einzige Erbin ſeyn, iſt faſt zu viel fuͤr eine Perſon; ja in unſern Jahren waͤre es an dem letztern genug. War es alſo ein Wunder, daß ſie Verehrer hatte? Sie zaͤhlte unter ihnen ſo gar Freyen und edle Baren. Allein ein Schatz iſt ſo leicht nicht zu heben; und unſere Schoͤne war auch weiſe. Zwar war ſie keine Roswithe, auch nicht eine Wins- beckin: allein kann man nicht weiſe ſeyn, ohne eben jemanden zu verdunkeln? es giebt ja vieler- ley Sterne am Himmel. Jhre Weisheit beſtand hauptſaͤchlich in einem leichten Gedaͤchtniſſe, alle weiſe Maͤhrchen zu faſſen, und ſie des Abends dem Vater zur angenehmen Zeitkuͤrzung wieder zu erzaͤhlen. Sie erfand auch neue. Jn ihrer Ein- ſamkeit, und bey der ſanften Gemuͤthsart ihrer Ge- ſellſchaften, ging es auch leicht an. Es war alſo nicht genug ſtolz und grob zu ſeyn, dieſe Beute da- von zu tragen: man mußte auch Maͤhrchen er- zaͤhlen, d. i. Verſtand zeigen. Ueberdieß hatte ihr Vater ein Horn in dem Walde gefunden, oder es war ihm vielmehr von einem Waldgeiſte, de- ren A a

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Zitationshilfe: Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/395>, abgerufen am 16.07.2024.