ren unsere ehrliche Alten viel hatten, gegeben wor- den; unter der Bedingung aber, niemanden seine Tochter zu verheyrathen, als wer auf diesem Trink- horne einen Ton herausbringen würde. Es war, wie man muthmaßet, von Golde: denn was von Geistern kömmt, muß wohl gut seyn. Rustefeil bestimmte also einen Tag; er ließ ausrufen: daß, wer dieses wunderwürdige Horn würde blasen, und Mathilden, so hieß seine Tochter, das schön- ste Mährchen erzählen können: der sollte die Braut heimführen; wer hingegen ungeschickt wä- re, der sollte sich, Ritter und Freyen, seiner Strafe unterwerfen. Allein, wer achtet die Ge- fahr, wenn man um ein solches Kleinod kämpfet?
Der Tag erschien, und die Kämpfer noch vor Tage: Heyden, Juden und Christen, und ver- sammelten sich auf dem Kampfplatze. Die Schö- ne erschien auch. Sie ward von ihrem Vater ge- führet, und setzte sich auf eine kleine Erhöhung, von der man sowohl die Braut, als das versprochene Land, sehen konnte. Mops war zu ihren Füßen, und die Heerde lag um den Hügel her. Wie man leicht denken kann: ihr Zeug war nicht kostbar; doch war sie so gekleidet, daß ihre Kleidung ihre Glieder erhob; und diese von jener nicht zu sehr verstecket wurden. Jn der Rechten hielt sie das fürchterliche Horn; in der Linken ein Buch mit Mähren.
Der erste, der sich ihr näherte, war zwar ein ganz wohlgezogener Jüngling; der sich aber bunter gekleidet hatte, als es sich für einen künftigen
Schäfer
Sc
ren unſere ehrliche Alten viel hatten, gegeben wor- den; unter der Bedingung aber, niemanden ſeine Tochter zu verheyrathen, als wer auf dieſem Trink- horne einen Ton herausbringen wuͤrde. Es war, wie man muthmaßet, von Golde: denn was von Geiſtern koͤmmt, muß wohl gut ſeyn. Ruſtefeil beſtimmte alſo einen Tag; er ließ ausrufen: daß, wer dieſes wunderwuͤrdige Horn wuͤrde blaſen, und Mathilden, ſo hieß ſeine Tochter, das ſchoͤn- ſte Maͤhrchen erzaͤhlen koͤnnen: der ſollte die Braut heimfuͤhren; wer hingegen ungeſchickt waͤ- re, der ſollte ſich, Ritter und Freyen, ſeiner Strafe unterwerfen. Allein, wer achtet die Ge- fahr, wenn man um ein ſolches Kleinod kaͤmpfet?
Der Tag erſchien, und die Kaͤmpfer noch vor Tage: Heyden, Juden und Chriſten, und ver- ſammelten ſich auf dem Kampfplatze. Die Schoͤ- ne erſchien auch. Sie ward von ihrem Vater ge- fuͤhret, und ſetzte ſich auf eine kleine Erhoͤhung, von der man ſowohl die Braut, als das verſprochene Land, ſehen konnte. Mops war zu ihren Fuͤßen, und die Heerde lag um den Huͤgel her. Wie man leicht denken kann: ihr Zeug war nicht koſtbar; doch war ſie ſo gekleidet, daß ihre Kleidung ihre Glieder erhob; und dieſe von jener nicht zu ſehr verſtecket wurden. Jn der Rechten hielt ſie das fuͤrchterliche Horn; in der Linken ein Buch mit Maͤhren.
Der erſte, der ſich ihr naͤherte, war zwar ein ganz wohlgezogener Juͤngling; der ſich aber bunter gekleidet hatte, als es ſich fuͤr einen kuͤnftigen
Schaͤfer
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ren unſere ehrliche Alten viel hatten, gegeben wor-
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wie man muthmaßet, von Golde: denn was von
Geiſtern koͤmmt, muß wohl gut ſeyn. Ruſtefeil
beſtimmte alſo einen Tag; er ließ ausrufen: daß,
wer dieſes wunderwuͤrdige Horn wuͤrde blaſen,
und Mathilden, ſo hieß ſeine Tochter, das ſchoͤn-
ſte Maͤhrchen erzaͤhlen koͤnnen: der ſollte die
Braut heimfuͤhren; wer hingegen ungeſchickt waͤ-
re, der ſollte ſich, Ritter und Freyen, ſeiner
Strafe unterwerfen. Allein, wer achtet die Ge-
fahr, wenn man um ein ſolches Kleinod kaͤmpfet?
Der Tag erſchien, und die Kaͤmpfer noch vor
Tage: Heyden, Juden und Chriſten, und ver-
ſammelten ſich auf dem Kampfplatze. Die Schoͤ-
ne erſchien auch. Sie ward von ihrem Vater ge-
fuͤhret, und ſetzte ſich auf eine kleine Erhoͤhung, von
der man ſowohl die Braut, als das verſprochene
Land, ſehen konnte. Mops war zu ihren Fuͤßen,
und die Heerde lag um den Huͤgel her. Wie man
leicht denken kann: ihr Zeug war nicht koſtbar;
doch war ſie ſo gekleidet, daß ihre Kleidung ihre
Glieder erhob; und dieſe von jener nicht zu ſehr
verſtecket wurden. Jn der Rechten hielt ſie das
fuͤrchterliche Horn; in der Linken ein Buch mit
Maͤhren.
Der erſte, der ſich ihr naͤherte, war zwar ein
ganz wohlgezogener Juͤngling; der ſich aber bunter
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Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/396>, abgerufen am 16.02.2025.
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