Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.Vorrede. Sclaverey, wenn unser Verstand gar fran-zösiren sollte: Schande genug, daß es un- ser Leib thut. Und ist es denn wohl so ausgemacht, daß Boileau Verstand hat? Jch möchte ihn gern allen Franzo- sen absprechen; denn sie machen mir mit ih- ren verdammten Regeln die schönsten Ein- fälle zunichte. Jch kehre mich daher auch gar nicht daran. Jch biete Himmel und Hölle, Sehraffen und Cherubim zu Le- gionen auf; wenn ich auch nur den Tag meines Mäcenaten besinge. Jch weis wohl, daß er oft saget: ich rasete! aber Gott verzeihe es ihm! Er soll mir beweisen, daß man mit gesunder Vernunft rasen kön- ne. Denn ausser der Dichtkunst bin ich so fromm, als ein Lamm. Der gute Herr! Er ist in Paris gewesen; er hat Voltären gesehen; auch Fontenellen gesprochen. Weil diese nun zu verstehen waren; ich aber mich in der Entzückung oft übern Ver- stand schwinge, und die Macht über Geist und Sprache etwas dichterisch ausübe: so lachet
Vorrede. Sclaverey, wenn unſer Verſtand gar fran-zoͤſiren ſollte: Schande genug, daß es un- ſer Leib thut. Und iſt es denn wohl ſo ausgemacht, daß Boileau Verſtand hat? Jch moͤchte ihn gern allen Franzo- ſen abſprechen; denn ſie machen mir mit ih- ren verdammten Regeln die ſchoͤnſten Ein- faͤlle zunichte. Jch kehre mich daher auch gar nicht daran. Jch biete Himmel und Hoͤlle, Sehraffen und Cherubim zu Le- gionen auf; wenn ich auch nur den Tag meines Maͤcenaten beſinge. Jch weis wohl, daß er oft ſaget: ich raſete! aber Gott verzeihe es ihm! Er ſoll mir beweiſen, daß man mit geſunder Vernunft raſen koͤn- ne. Denn auſſer der Dichtkunſt bin ich ſo fromm, als ein Lamm. Der gute Herr! Er iſt in Paris geweſen; er hat Voltaͤren geſehen; auch Fontenellen geſprochen. Weil dieſe nun zu verſtehen waren; ich aber mich in der Entzuͤckung oft uͤbern Ver- ſtand ſchwinge, und die Macht uͤber Geiſt und Sprache etwas dichteriſch ausuͤbe: ſo lachet
<TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0012"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vorrede.</hi></fw><lb/> Sclaverey, wenn unſer Verſtand gar <hi rendition="#fr">fran-<lb/> zoͤſiren</hi> ſollte: Schande genug, daß es un-<lb/> ſer Leib thut. <hi rendition="#fr">Und iſt es denn wohl ſo<lb/> ausgemacht, daß Boileau Verſtand<lb/> hat?</hi> Jch moͤchte ihn gern allen <hi rendition="#fr">Franzo-<lb/> ſen</hi> abſprechen; denn ſie machen mir mit ih-<lb/> ren verdammten Regeln die ſchoͤnſten Ein-<lb/> faͤlle zunichte. Jch kehre mich daher auch<lb/> gar nicht daran. Jch biete Himmel und<lb/> Hoͤlle, <hi rendition="#fr">Sehraffen</hi> und <hi rendition="#fr">Cherubim</hi> zu Le-<lb/> gionen auf; wenn ich auch nur den Tag<lb/> meines <hi rendition="#fr">Maͤcenaten</hi> beſinge. Jch weis<lb/> wohl, daß er oft ſaget: ich raſete! aber<lb/> Gott verzeihe es ihm! Er ſoll mir beweiſen,<lb/> daß man mit geſunder Vernunft raſen koͤn-<lb/> ne. Denn auſſer der Dichtkunſt bin ich ſo<lb/> fromm, als ein Lamm. Der gute Herr!<lb/> Er iſt in <hi rendition="#fr">Paris</hi> geweſen; er hat <hi rendition="#fr">Voltaͤren</hi><lb/> geſehen; auch <hi rendition="#fr">Fontenellen</hi> geſprochen.<lb/> Weil dieſe nun zu verſtehen waren; ich<lb/> aber mich in der Entzuͤckung oft uͤbern Ver-<lb/> ſtand ſchwinge, und die Macht uͤber Geiſt<lb/> und Sprache etwas dichteriſch ausuͤbe: ſo<lb/> <fw place="bottom" type="catch">lachet</fw><lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0012]
Vorrede.
Sclaverey, wenn unſer Verſtand gar fran-
zoͤſiren ſollte: Schande genug, daß es un-
ſer Leib thut. Und iſt es denn wohl ſo
ausgemacht, daß Boileau Verſtand
hat? Jch moͤchte ihn gern allen Franzo-
ſen abſprechen; denn ſie machen mir mit ih-
ren verdammten Regeln die ſchoͤnſten Ein-
faͤlle zunichte. Jch kehre mich daher auch
gar nicht daran. Jch biete Himmel und
Hoͤlle, Sehraffen und Cherubim zu Le-
gionen auf; wenn ich auch nur den Tag
meines Maͤcenaten beſinge. Jch weis
wohl, daß er oft ſaget: ich raſete! aber
Gott verzeihe es ihm! Er ſoll mir beweiſen,
daß man mit geſunder Vernunft raſen koͤn-
ne. Denn auſſer der Dichtkunſt bin ich ſo
fromm, als ein Lamm. Der gute Herr!
Er iſt in Paris geweſen; er hat Voltaͤren
geſehen; auch Fontenellen geſprochen.
Weil dieſe nun zu verſtehen waren; ich
aber mich in der Entzuͤckung oft uͤbern Ver-
ſtand ſchwinge, und die Macht uͤber Geiſt
und Sprache etwas dichteriſch ausuͤbe: ſo
lachet
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |