Schnitzler, Arthur: Anatol. Berlin, 1893.
größere Sehnsucht nach Glück, als in diesen letzten Tagen einer Liebe -- und, wenn da irgend eine Laune, irgend ein Rausch, irgend ein Nichts kommt, das sich als Glück verkleidet, so wollen wir nicht hinter die Maske sehen ... Da kommen dann die Augenblicke, in denen man sich schämt, daß man alle die Süßigkeit geendet glaubte -- da bittet man einander so vieles ab, ohne es in Worten zu sagen -- Man ist so ermattet von der Angst des Sterbens -- und nun ist plötzlich das Leben wieder da -- heißer, glühender, als je -- und trügerischer als je! -- Max. Vergiß nur eines nicht: Dieses Ende beginnt oft früher, als wir ahnen! -- Es gibt manches Glück, das mit dem ersten Kuß zu sterben begann. -- Weißt Du nichts von den schwer Kranken, die sich für gesund halten bis zum letzten Augenblick --? Anatol. Zu diesen Glücklichen gehöre ich nicht! -- Das steht fest! -- Ich bin stets ein Hypochonder der Liebe ge- wesen ... Vielleicht waren meine Gefühle nicht einmal so krank, als ich sie glaubte -- um so ärger! -- Mir ist manch- mal, als werde die Sage vom bösen Blick an mir wahr ... Nur ist der meine nach innen gewandt und meine besten Empfindungen siechen vor ihm hin. Max. Dann muß man eben den Stolz seines bösen Blickes haben. Anatol. Ach nein, ich beneide ja doch die Andern! Weißt Du -- die Glücklichen, für die jedes Stück Leben ein neuer Sieg ist! -- Ich muß mir immer vornehmen, mit etwas fertig zu werden; ich mache Haltestellen, -- ich
größere Sehnſucht nach Glück, als in dieſen letzten Tagen einer Liebe — und, wenn da irgend eine Laune, irgend ein Rauſch, irgend ein Nichts kommt, das ſich als Glück verkleidet, ſo wollen wir nicht hinter die Maske ſehen … Da kommen dann die Augenblicke, in denen man ſich ſchämt, daß man alle die Süßigkeit geendet glaubte — da bittet man einander ſo vieles ab, ohne es in Worten zu ſagen — Man iſt ſo ermattet von der Angſt des Sterbens — und nun iſt plötzlich das Leben wieder da — heißer, glühender, als je — und trügeriſcher als je! — Max. Vergiß nur eines nicht: Dieſes Ende beginnt oft früher, als wir ahnen! — Es gibt manches Glück, das mit dem erſten Kuß zu ſterben begann. — Weißt Du nichts von den ſchwer Kranken, die ſich für geſund halten bis zum letzten Augenblick —? Anatol. Zu dieſen Glücklichen gehöre ich nicht! — Das ſteht feſt! — Ich bin ſtets ein Hypochonder der Liebe ge- weſen … Vielleicht waren meine Gefühle nicht einmal ſo krank, als ich ſie glaubte — um ſo ärger! — Mir iſt manch- mal, als werde die Sage vom böſen Blick an mir wahr … Nur iſt der meine nach innen gewandt und meine beſten Empfindungen ſiechen vor ihm hin. Max. Dann muß man eben den Stolz ſeines böſen Blickes haben. Anatol. Ach nein, ich beneide ja doch die Andern! Weißt Du — die Glücklichen, für die jedes Stück Leben ein neuer Sieg iſt! — Ich muß mir immer vornehmen, mit etwas fertig zu werden; ich mache Halteſtellen, — ich <TEI> <text> <body> <div type="act" n="1"> <div type="scene" n="2"> <sp who="#ANA"> <p><pb facs="#f0112" n="102"/> größere Sehnſucht nach Glück, als in dieſen letzten Tagen<lb/> einer Liebe — und, wenn da irgend eine Laune, irgend ein<lb/> Rauſch, irgend ein Nichts kommt, das ſich als Glück verkleidet,<lb/> ſo wollen wir nicht hinter die Maske ſehen … Da kommen<lb/> dann die Augenblicke, in denen man ſich <hi rendition="#g">ſchämt</hi>, daß man<lb/> alle die Süßigkeit geendet glaubte — da bittet man einander<lb/> ſo vieles ab, ohne es in Worten zu ſagen — Man iſt ſo<lb/> ermattet von der Angſt des Sterbens — und nun iſt plötzlich<lb/> das Leben wieder da — heißer, glühender, als je — und<lb/> trügeriſcher als je! —</p> </sp><lb/> <sp who="#MAX"> <speaker> <hi rendition="#b">Max.</hi> </speaker> <p>Vergiß nur eines nicht: Dieſes Ende beginnt oft<lb/> früher, als wir ahnen! — Es gibt manches Glück, das mit<lb/> dem erſten Kuß zu ſterben begann. — Weißt Du nichts von<lb/> den ſchwer Kranken, die ſich für geſund halten bis zum letzten<lb/> Augenblick —?</p> </sp><lb/> <sp who="#ANA"> <speaker> <hi rendition="#b">Anatol.</hi> </speaker> <p>Zu dieſen Glücklichen gehöre ich nicht! — Das<lb/> ſteht feſt! — Ich bin ſtets ein Hypochonder der Liebe ge-<lb/> weſen … Vielleicht waren meine Gefühle nicht einmal ſo<lb/> krank, als ich ſie glaubte — um ſo ärger! — Mir iſt manch-<lb/> mal, als werde die Sage vom böſen Blick an mir wahr …<lb/> Nur iſt der meine nach innen gewandt und meine beſten<lb/> Empfindungen ſiechen vor ihm hin.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAX"> <speaker> <hi rendition="#b">Max.</hi> </speaker> <p>Dann muß man eben den Stolz ſeines böſen<lb/> Blickes haben.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANA"> <speaker> <hi rendition="#b">Anatol.</hi> </speaker> <p>Ach nein, ich beneide ja doch die Andern! Weißt<lb/> Du — die Glücklichen, für die jedes Stück Leben ein<lb/> neuer Sieg iſt! — Ich muß mir immer vornehmen, mit<lb/> etwas fertig zu werden; ich mache Halteſtellen, — ich<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [102/0112]
größere Sehnſucht nach Glück, als in dieſen letzten Tagen
einer Liebe — und, wenn da irgend eine Laune, irgend ein
Rauſch, irgend ein Nichts kommt, das ſich als Glück verkleidet,
ſo wollen wir nicht hinter die Maske ſehen … Da kommen
dann die Augenblicke, in denen man ſich ſchämt, daß man
alle die Süßigkeit geendet glaubte — da bittet man einander
ſo vieles ab, ohne es in Worten zu ſagen — Man iſt ſo
ermattet von der Angſt des Sterbens — und nun iſt plötzlich
das Leben wieder da — heißer, glühender, als je — und
trügeriſcher als je! —
Max. Vergiß nur eines nicht: Dieſes Ende beginnt oft
früher, als wir ahnen! — Es gibt manches Glück, das mit
dem erſten Kuß zu ſterben begann. — Weißt Du nichts von
den ſchwer Kranken, die ſich für geſund halten bis zum letzten
Augenblick —?
Anatol. Zu dieſen Glücklichen gehöre ich nicht! — Das
ſteht feſt! — Ich bin ſtets ein Hypochonder der Liebe ge-
weſen … Vielleicht waren meine Gefühle nicht einmal ſo
krank, als ich ſie glaubte — um ſo ärger! — Mir iſt manch-
mal, als werde die Sage vom böſen Blick an mir wahr …
Nur iſt der meine nach innen gewandt und meine beſten
Empfindungen ſiechen vor ihm hin.
Max. Dann muß man eben den Stolz ſeines böſen
Blickes haben.
Anatol. Ach nein, ich beneide ja doch die Andern! Weißt
Du — die Glücklichen, für die jedes Stück Leben ein
neuer Sieg iſt! — Ich muß mir immer vornehmen, mit
etwas fertig zu werden; ich mache Halteſtellen, — ich
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |