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Schnitzler, Arthur: Anatol. Berlin, 1893.

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Anatol. Ein recht mäßiges Vergnügen, das Du mir da
vorschlägst.
Max. Ich meine nur so -- Aber ich habe Dir's ja
den ganzen Nachmittag angesehen, schon im Prater unten, wo
Du blaß und langweilig warst wie die Möglichkeit --
Anatol. Sie wollte heute hinunterfahren.
Max. Du warst aber froh, daß uns ihr Wagen nicht
begegnete, weil Du gewiß jenes Lächeln nicht mehr zur Ver-
fügung hast, mit dem Du sie vor zwei Jahren begrüßtest.
Anatol. (steht auf). Wie kommt das nur! -- Sag mir, wie
kommt das nur --? -- Also steht mir das wieder einmal
bevor -- dieses allmählige, langsame, unsagbar traurige Ver-
glimmen? -- Du ahnst nicht, wie ich davor schaudere --!
Max. D'rum sage ich ja: Reise ab! -- Oder habe den
Muth, ihr die ganze Wahrheit zu sagen.
Anatol. Was denn? Und wie?
Max. Nun, ganz einfach: daß es aus ist.
Anatol. Auf diese Arten von Wahrheit brauchen wir
uns nicht viel zu Gute zu thun; das es ist ja doch nur die
brutale Aufrichtigkeit ermüdeter Lügner.
Max. Natürlich! Lieber verbergt Ihr es mit tausend
Listen vor einander, das Ihr Euch nicht mehr dieselben seid,
die Ihr war't, als mit einem raschen Entschluß auseinander
zu gehen. Warum denn nur? --
Anatol. Weil wir es ja selbst nicht glauben. Weil
es mitten in dieser unendlichen Oedigkeit der Agonie
sonderbare täuschende, blühende Augenblicke gibt, in denen
Alles schöner ist, als je zuvor ...! Nie haben wir eine
Anatol. Ein recht mäßiges Vergnügen, das Du mir da
vorſchlägſt.
Max. Ich meine nur ſo — Aber ich habe Dir’s ja
den ganzen Nachmittag angeſehen, ſchon im Prater unten, wo
Du blaß und langweilig warſt wie die Möglichkeit —
Anatol. Sie wollte heute hinunterfahren.
Max. Du warſt aber froh, daß uns ihr Wagen nicht
begegnete, weil Du gewiß jenes Lächeln nicht mehr zur Ver-
fügung haſt, mit dem Du ſie vor zwei Jahren begrüßteſt.
Anatol. (ſteht auf). Wie kommt das nur! — Sag mir, wie
kommt das nur —? — Alſo ſteht mir das wieder einmal
bevor — dieſes allmählige, langſame, unſagbar traurige Ver-
glimmen? — Du ahnſt nicht, wie ich davor ſchaudere —!
Max. D’rum ſage ich ja: Reiſe ab! — Oder habe den
Muth, ihr die ganze Wahrheit zu ſagen.
Anatol. Was denn? Und wie?
Max. Nun, ganz einfach: daß es aus iſt.
Anatol. Auf dieſe Arten von Wahrheit brauchen wir
uns nicht viel zu Gute zu thun; das es iſt ja doch nur die
brutale Aufrichtigkeit ermüdeter Lügner.
Max. Natürlich! Lieber verbergt Ihr es mit tauſend
Liſten vor einander, das Ihr Euch nicht mehr dieſelben ſeid,
die Ihr war’t, als mit einem raſchen Entſchluß auseinander
zu gehen. Warum denn nur? —
Anatol. Weil wir es ja ſelbſt nicht glauben. Weil
es mitten in dieſer unendlichen Oedigkeit der Agonie
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Alles ſchöner iſt, als je zuvor …! Nie haben wir eine
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[101/0111] Anatol. Ein recht mäßiges Vergnügen, das Du mir da vorſchlägſt. Max. Ich meine nur ſo — Aber ich habe Dir’s ja den ganzen Nachmittag angeſehen, ſchon im Prater unten, wo Du blaß und langweilig warſt wie die Möglichkeit — Anatol. Sie wollte heute hinunterfahren. Max. Du warſt aber froh, daß uns ihr Wagen nicht begegnete, weil Du gewiß jenes Lächeln nicht mehr zur Ver- fügung haſt, mit dem Du ſie vor zwei Jahren begrüßteſt. Anatol. (ſteht auf). Wie kommt das nur! — Sag mir, wie kommt das nur —? — Alſo ſteht mir das wieder einmal bevor — dieſes allmählige, langſame, unſagbar traurige Ver- glimmen? — Du ahnſt nicht, wie ich davor ſchaudere —! Max. D’rum ſage ich ja: Reiſe ab! — Oder habe den Muth, ihr die ganze Wahrheit zu ſagen. Anatol. Was denn? Und wie? Max. Nun, ganz einfach: daß es aus iſt. Anatol. Auf dieſe Arten von Wahrheit brauchen wir uns nicht viel zu Gute zu thun; das es iſt ja doch nur die brutale Aufrichtigkeit ermüdeter Lügner. Max. Natürlich! Lieber verbergt Ihr es mit tauſend Liſten vor einander, das Ihr Euch nicht mehr dieſelben ſeid, die Ihr war’t, als mit einem raſchen Entſchluß auseinander zu gehen. Warum denn nur? — Anatol. Weil wir es ja ſelbſt nicht glauben. Weil es mitten in dieſer unendlichen Oedigkeit der Agonie ſonderbare täuſchende, blühende Augenblicke gibt, in denen Alles ſchöner iſt, als je zuvor …! Nie haben wir eine

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Zitationshilfe: Schnitzler, Arthur: Anatol. Berlin, 1893, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnitzler_anatol_1893/111>, abgerufen am 04.05.2024.