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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 4. Nordhausen, 1743.

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gewesen, dem bey dieser Begebenheit nicht so wohl
als mir selbsten die Haare zu Berge gestanden, und
alle Glieder des Leibes gezittert hätten; und eben
dieserwegen beschlossen wir des anbrechenden Ta-
ges zu erwarten, ehe wir uns nach unsern Obda-
che und Lager-Stätten verfügen wolten. Dieses
geschahe, nachdem die Sonne aufgegangen war,
und alles Ungewitter vertrieben hatte; Als wir
nun unterweges das klägliche Schicksal des
Vincentii überlegt und bedauert, so traffen wir
denselben in seiner Hütte gesund und frisch an, und
zwar in der Verfassung, daß er seine Kleider und
Schuhe ausbesserte. Anfänglich entsetzten wir
uns über seine Person, indem wir zum Theil würck-
lich auf die Gedancken gerathen, als ob er vom bö-
sen Feinde wäre weggeführet worden; jedoch
Vincentius, so bald er dergleichen Gedancken von
uns vernommen, fieng überlaut zu lachen an, und
sagte: Nein, meine Freunde! ihr müsset meiner
Kunst und Geschicklichkeit ein mehreres zutrauen
lernen: denn dieses, was ich mit dem Meer-Wun-
der vorgehabt, ist ein blosses Schatten-Spiel ge-
wesen, von nun an aber sollet ihr erstlich rechte
Wunder-Dinge sehen, hören und erfahren, die
nicht allein euch, sondern auch wohl euren späten
Nachkommen zum Nutzen gereichen können.

Mittlerzeit, da er diese und noch weit mehrere
Worte, seiner gewöhnlichen Beredsamkeit nach,
vorgebracht hatte, unsere Magens aber, weiln es
bald Mittags-Zeit war, nach denen im Feuer-Lo-
che befindlichen Fleisch-Töpffen, Gemüsen und
andern guten Gerichten von Gebratens und Fi-

schen

geweſen, dem bey dieſer Begebenheit nicht ſo wohl
als mir ſelbſten die Haare zu Berge geſtanden, und
alle Glieder des Leibes gezittert haͤtten; und eben
dieſerwegen beſchloſſen wir des anbrechenden Ta-
ges zu erwarten, ehe wir uns nach unſern Obda-
che und Lager-Staͤtten verfuͤgen wolten. Dieſes
geſchahe, nachdem die Sonne aufgegangen war,
und alles Ungewitter vertrieben hatte; Als wir
nun unterweges das klaͤgliche Schickſal des
Vincentii uͤberlegt und bedauert, ſo traffen wir
denſelben in ſeiner Huͤtte geſund und friſch an, und
zwar in der Verfaſſung, daß er ſeine Kleider und
Schuhe ausbeſſerte. Anfaͤnglich entſetzten wir
uns uͤber ſeine Perſon, indem wir zum Theil wuͤrck-
lich auf die Gedancken gerathen, als ob er vom boͤ-
ſen Feinde waͤre weggefuͤhret worden; jedoch
Vincentius, ſo bald er dergleichen Gedancken von
uns vernommen, fieng uͤberlaut zu lachen an, und
ſagte: Nein, meine Freunde! ihr muͤſſet meiner
Kunſt und Geſchicklichkeit ein mehreres zutrauen
lernen: denn dieſes, was ich mit dem Meer-Wun-
der vorgehabt, iſt ein bloſſes Schatten-Spiel ge-
weſen, von nun an aber ſollet ihr erſtlich rechte
Wunder-Dinge ſehen, hoͤren und erfahren, die
nicht allein euch, ſondern auch wohl euren ſpaͤten
Nachkommen zum Nutzen gereichen koͤnnen.

Mittlerzeit, da er dieſe und noch weit mehrere
Worte, ſeiner gewoͤhnlichen Beredſamkeit nach,
vorgebracht hatte, unſere Magens aber, weiln es
bald Mittags-Zeit war, nach denen im Feuer-Lo-
che befindlichen Fleiſch-Toͤpffen, Gemuͤſen und
andern guten Gerichten von Gebratens und Fi-

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[365/0375] geweſen, dem bey dieſer Begebenheit nicht ſo wohl als mir ſelbſten die Haare zu Berge geſtanden, und alle Glieder des Leibes gezittert haͤtten; und eben dieſerwegen beſchloſſen wir des anbrechenden Ta- ges zu erwarten, ehe wir uns nach unſern Obda- che und Lager-Staͤtten verfuͤgen wolten. Dieſes geſchahe, nachdem die Sonne aufgegangen war, und alles Ungewitter vertrieben hatte; Als wir nun unterweges das klaͤgliche Schickſal des Vincentii uͤberlegt und bedauert, ſo traffen wir denſelben in ſeiner Huͤtte geſund und friſch an, und zwar in der Verfaſſung, daß er ſeine Kleider und Schuhe ausbeſſerte. Anfaͤnglich entſetzten wir uns uͤber ſeine Perſon, indem wir zum Theil wuͤrck- lich auf die Gedancken gerathen, als ob er vom boͤ- ſen Feinde waͤre weggefuͤhret worden; jedoch Vincentius, ſo bald er dergleichen Gedancken von uns vernommen, fieng uͤberlaut zu lachen an, und ſagte: Nein, meine Freunde! ihr muͤſſet meiner Kunſt und Geſchicklichkeit ein mehreres zutrauen lernen: denn dieſes, was ich mit dem Meer-Wun- der vorgehabt, iſt ein bloſſes Schatten-Spiel ge- weſen, von nun an aber ſollet ihr erſtlich rechte Wunder-Dinge ſehen, hoͤren und erfahren, die nicht allein euch, ſondern auch wohl euren ſpaͤten Nachkommen zum Nutzen gereichen koͤnnen. Mittlerzeit, da er dieſe und noch weit mehrere Worte, ſeiner gewoͤhnlichen Beredſamkeit nach, vorgebracht hatte, unſere Magens aber, weiln es bald Mittags-Zeit war, nach denen im Feuer-Lo- che befindlichen Fleiſch-Toͤpffen, Gemuͤſen und andern guten Gerichten von Gebratens und Fi- ſchen

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 4. Nordhausen, 1743, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata04_1743/375>, abgerufen am 19.05.2024.