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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739.

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merckten, daß er einen gantz natürlichen, aber der-
gestalt leisen Schlaff hatte, daß ihn auch das gelin-
deste Geräusche erweckte. Folgende Tage wurde er
recht mercklich immer schwächer und schwächer, so
daß er kaum mehr einen Arm oder Bein allein auf-
heben konte, jedoch, weil sich kein Eckel vor der Spei-
se und Tranck bey ihm spüren ließ, hatten wir noch
immer gute Hoffnung, saß oder lag er stille, so waren
seine Augen mehrentheils geschlossen, und schiene es,
als wenn er im Schlummer zuweilen lächelte. Emige
Tage vor dem Michaelis-Feste fragte ich ihn, ob er
denn etwa an einem oder andern Theile des Leibes,
innerlich oder äusserlich Schmertzen fühlete? Ach
nein, mein Sohn,
gab er zur Antwort, ich fühle
weder Schmertz noch Pein, sondern eine an-
genehme süsse Mattigkeit, wie ein Mensch,
der in sanfftem Schlummer liegt, und bald
in einen rieffen Schlaff verfallen will, und
wenn ich meine Augen zuschliesse, sehe ich
die allerlieblichsten Sachen vor mir.

Solchergestalt saß und lag er fast beständig in
einem süssen Schlummer, und man merckte, daß
ers nicht gerne hatte, wenn man ihn ohne Noth
darinnen stöhrete, war also wenig munter, als
wenn man ihm Speise reichte, und wenn Bet-
Stunde gehalten wurde. Als er am Michaelis
Heil. Abend in die Vesper lauten hörete, und von
uns vernahm, daß Morgendes Tages das Michae-
lis-Fest zu feyern sey, sprach er mit einer muntern
und srölichen Gebärde: Ach! meine Kinder,
ich muß zu guter letzt die Kirche noch ein-

mahl
(P 5)

merckten, daß er einen gantz natuͤrlichen, aber der-
geſtalt leiſen Schlaff hatte, daß ihn auch das gelin-
deſte Geraͤuſche erweckte. Folgende Tage wurde er
recht mercklich immer ſchwaͤcher und ſchwaͤcher, ſo
daß er kaum mehr einen Arm oder Bein allein auf-
heben konte, jedoch, weil ſich kein Eckel vor der Spei-
ſe und Tranck bey ihm ſpuͤren ließ, hatten wir noch
immer gute Hoffnung, ſaß oder lag er ſtille, ſo waren
ſeine Augen mehrentheils geſchloſſen, und ſchiene es,
als wenn er im Schlum̃er zuweilen laͤchelte. Emige
Tage vor dem Michaelis-Feſte fragte ich ihn, ob er
denn etwa an einem oder andern Theile des Leibes,
innerlich oder aͤuſſerlich Schmertzen fuͤhlete? Ach
nein, mein Sohn,
gab er zur Antwort, ich fuͤhle
weder Schmertz noch Pein, ſondern eine an-
genehme ſuͤſſe Mattigkeit, wie ein Menſch,
der in ſanfftem Schlummer liegt, und bald
in einen rieffen Schlaff verfallen will, und
wenn ich meine Augen zuſchlieſſe, ſehe ich
die allerlieblichſten Sachen vor mir.

Solchergeſtalt ſaß und lag er faſt beſtaͤndig in
einem ſuͤſſen Schlummer, und man merckte, daß
ers nicht gerne hatte, wenn man ihn ohne Noth
darinnen ſtoͤhrete, war alſo wenig munter, als
wenn man ihm Speiſe reichte, und wenn Bet-
Stunde gehalten wurde. Als er am Michaelis
Heil. Abend in die Veſper lauten hoͤrete, und von
uns vernahm, daß Morgendes Tages das Michae-
lis-Feſt zu feyern ſey, ſprach er mit einer muntern
und ſroͤlichen Gebaͤrde: Ach! meine Kinder,
ich muß zu guter letzt die Kirche noch ein-

mahl
(P 5)
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[233/0241] merckten, daß er einen gantz natuͤrlichen, aber der- geſtalt leiſen Schlaff hatte, daß ihn auch das gelin- deſte Geraͤuſche erweckte. Folgende Tage wurde er recht mercklich immer ſchwaͤcher und ſchwaͤcher, ſo daß er kaum mehr einen Arm oder Bein allein auf- heben konte, jedoch, weil ſich kein Eckel vor der Spei- ſe und Tranck bey ihm ſpuͤren ließ, hatten wir noch immer gute Hoffnung, ſaß oder lag er ſtille, ſo waren ſeine Augen mehrentheils geſchloſſen, und ſchiene es, als wenn er im Schlum̃er zuweilen laͤchelte. Emige Tage vor dem Michaelis-Feſte fragte ich ihn, ob er denn etwa an einem oder andern Theile des Leibes, innerlich oder aͤuſſerlich Schmertzen fuͤhlete? Ach nein, mein Sohn, gab er zur Antwort, ich fuͤhle weder Schmertz noch Pein, ſondern eine an- genehme ſuͤſſe Mattigkeit, wie ein Menſch, der in ſanfftem Schlummer liegt, und bald in einen rieffen Schlaff verfallen will, und wenn ich meine Augen zuſchlieſſe, ſehe ich die allerlieblichſten Sachen vor mir. Solchergeſtalt ſaß und lag er faſt beſtaͤndig in einem ſuͤſſen Schlummer, und man merckte, daß ers nicht gerne hatte, wenn man ihn ohne Noth darinnen ſtoͤhrete, war alſo wenig munter, als wenn man ihm Speiſe reichte, und wenn Bet- Stunde gehalten wurde. Als er am Michaelis Heil. Abend in die Veſper lauten hoͤrete, und von uns vernahm, daß Morgendes Tages das Michae- lis-Feſt zu feyern ſey, ſprach er mit einer muntern und ſroͤlichen Gebaͤrde: Ach! meine Kinder, ich muß zu guter letzt die Kirche noch ein- mahl (P 5)

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739/241>, abgerufen am 03.05.2024.