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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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Jch pochte an, eine Magd öffnete die Thür, und
hieß mich, auf mein Anbringen, daß der Herr
Pfarrer, einem von den Zigeunern ausgeplünderten
Handwercks-Purschen, mit ein Paar alten Schuhen
helffen solte, ein wenig warten. Die Thür blieb
etwas offen stehen, derowegen konte ich von ferne
die Priester-Frau im Hause sitzen sehen, welche ein
kleines Kind auf dem Schoose, ein ander grösseres
aber vor sich stehen hatte, und mit beyden aufs lieb-
reichste spielete. Aber, ach Himmel, wie wurde
mir zu Muthe, da ich an dieser Priester-Frau, mei-
ne ehemahlige geliebte Lucia erkannte. Ja, sie
war es selbst leibhafftig, und also fehlete wenig, daß
ich nicht in Ohnmacht gesuncken wäre, jedoch ob
schon dieses nicht geschahe, so blieb ich hergegen
gantz entgeistert, mit halb hinweg gewendeten Ge-
sichte vor der Thüre stehen, konte mich auch kaum
ermuntern, da mir die Magd ein Paar gantz feine
Schuhe, ein Paar schwartze Strümpfe, und dann
ein Heßisches 3. Ggr. Stück brachte. Die gute
Pfarr Frau konte mich unmöglich erkennen, weil
mein Bart und die Haare sehr verwildert waren,
sie auch mich nicht einmahl recht im Gesichte hatte,
derowegen war ihre Mildigkeit aus der reichlichen
Gabe mehr als zu klar zu spüren. Mir wurden
durch verschiedene Gemüths-Bewegungen die hel-
len Thränen-Tropfen aus den Augen getrieben,
so daß, nachdem ich meine Dancksagung der Magd
mit jämmerlichen Geberden aufgetragen hatte,
dieselbe mich fragte: Ob ich etwa kranck oder beschä-
digt wäre? Jch beantwortete solches mit Seuffzen
und Thränen, suchte aber mit betrübten Hertzen

den

Jch pochte an, eine Magd oͤffnete die Thuͤr, und
hieß mich, auf mein Anbringen, daß der Herr
Pfarrer, einem von den Zigeunern ausgepluͤnderten
Handwercks-Purſchen, mit ein Paar alten Schuhen
helffen ſolte, ein wenig warten. Die Thuͤr blieb
etwas offen ſtehen, derowegen konte ich von ferne
die Prieſter-Frau im Hauſe ſitzen ſehen, welche ein
kleines Kind auf dem Schooſe, ein ander groͤſſeres
aber vor ſich ſtehen hatte, und mit beyden aufs lieb-
reichſte ſpielete. Aber, ach Himmel, wie wurde
mir zu Muthe, da ich an dieſer Prieſter-Frau, mei-
ne ehemahlige geliebte Lucia erkannte. Ja, ſie
war es ſelbſt leibhafftig, und alſo fehlete wenig, daß
ich nicht in Ohnmacht geſuncken waͤre, jedoch ob
ſchon dieſes nicht geſchahe, ſo blieb ich hergegen
gantz entgeiſtert, mit halb hinweg gewendeten Ge-
ſichte vor der Thuͤre ſtehen, konte mich auch kaum
ermuntern, da mir die Magd ein Paar gantz feine
Schuhe, ein Paar ſchwartze Struͤmpfe, und dann
ein Heßiſches 3. Ggr. Stuͤck brachte. Die gute
Pfarr Frau konte mich unmoͤglich erkennen, weil
mein Bart und die Haare ſehr verwildert waren,
ſie auch mich nicht einmahl recht im Geſichte hatte,
derowegen war ihre Mildigkeit aus der reichlichen
Gabe mehr als zu klar zu ſpuͤren. Mir wurden
durch verſchiedene Gemuͤths-Bewegungen die hel-
len Thraͤnen-Tropfen aus den Augen getrieben,
ſo daß, nachdem ich meine Danckſagung der Magd
mit jaͤmmerlichen Geberden aufgetragen hatte,
dieſelbe mich fragte: Ob ich etwa kranck oder beſchaͤ-
digt waͤre? Jch beantwortete ſolches mit Seuffzen
und Thraͤnen, ſuchte aber mit betruͤbten Hertzen

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[356/0370] Jch pochte an, eine Magd oͤffnete die Thuͤr, und hieß mich, auf mein Anbringen, daß der Herr Pfarrer, einem von den Zigeunern ausgepluͤnderten Handwercks-Purſchen, mit ein Paar alten Schuhen helffen ſolte, ein wenig warten. Die Thuͤr blieb etwas offen ſtehen, derowegen konte ich von ferne die Prieſter-Frau im Hauſe ſitzen ſehen, welche ein kleines Kind auf dem Schooſe, ein ander groͤſſeres aber vor ſich ſtehen hatte, und mit beyden aufs lieb- reichſte ſpielete. Aber, ach Himmel, wie wurde mir zu Muthe, da ich an dieſer Prieſter-Frau, mei- ne ehemahlige geliebte Lucia erkannte. Ja, ſie war es ſelbſt leibhafftig, und alſo fehlete wenig, daß ich nicht in Ohnmacht geſuncken waͤre, jedoch ob ſchon dieſes nicht geſchahe, ſo blieb ich hergegen gantz entgeiſtert, mit halb hinweg gewendeten Ge- ſichte vor der Thuͤre ſtehen, konte mich auch kaum ermuntern, da mir die Magd ein Paar gantz feine Schuhe, ein Paar ſchwartze Struͤmpfe, und dann ein Heßiſches 3. Ggr. Stuͤck brachte. Die gute Pfarr Frau konte mich unmoͤglich erkennen, weil mein Bart und die Haare ſehr verwildert waren, ſie auch mich nicht einmahl recht im Geſichte hatte, derowegen war ihre Mildigkeit aus der reichlichen Gabe mehr als zu klar zu ſpuͤren. Mir wurden durch verſchiedene Gemuͤths-Bewegungen die hel- len Thraͤnen-Tropfen aus den Augen getrieben, ſo daß, nachdem ich meine Danckſagung der Magd mit jaͤmmerlichen Geberden aufgetragen hatte, dieſelbe mich fragte: Ob ich etwa kranck oder beſchaͤ- digt waͤre? Jch beantwortete ſolches mit Seuffzen und Thraͤnen, ſuchte aber mit betruͤbten Hertzen den

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/370>, abgerufen am 17.05.2024.