Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

Bild:
<< vorherige Seite

ziehet, daß er bey annoch gantz frischen Hertzen, Lun-
ge und Leber auszuspeyen gezwungen ist. Er hatte
trifftige Ursachen zu glauben gehabt, daß ihm ein bö-
ser Bube diesen Streich muthwilliger und mörde-
rischer weise gespielet habe, iedoch erträgt er sein
Creutz mit ziemlicher Gelassenheit, und eben in die-
sem Zustande erfährt er meine Anwesenheit zufälli-
ger weise, schicket derowegen seinen Aufwarte-Kna-
ben so lange nach mir aus, bis selbiger mich endlich
antrifft und zu ihm bringt.

Jch bejammerte meines Vaters elenden Zustand,
und erfuhr, daß er keines Thalers mehr mächtig wä-
re, sondern einzig und allein von der Gnade seiner,
selbst sehr armselig lebenden, vermeintlichen Arti-
sten, dependir
en mußte, weiln er, ihrer Meynung
nach, noch ein und andere Arcana auf den Hertzen,
so wohl auch in Schrifften verborgen hätte, die sie
nach und nach von ihm heraus zu locken gedachten.
Jch hergegen machte nunmehro alle Anstalten mei-
nen Vater aufs beste zuverpflegen, iedoch durffte
ich ihn in Anwesenheit anderer Leute, nicht Vater,
sondern nur Better nennen, damit sein veränderter
Nahme nicht verdacht erweckte. Wiewohl die
Hoffnung zu seiner Genesung, schien gantz vergeblich
zu seyn, und binnen Monats-Frist wurde sein Zu-
stand dermassen schlecht, daß er selbsten zu verstehen
gab, welchergestalt sein Ende heran nahete, de-
rowegen möchte ich mir weiter keine grössere Mühe
geben, als ihm einen Lutherischen Prediger zuzufüh-
ren, der ihn täglich etliche Stunden zum sel. ster-
ben praepariren, und mit dem letzten Zehr-Pfennige,
nemlich dem heil. Abendmahle, welches er seit 5.

Jahren

ziehet, daß er bey annoch gantz friſchen Hertzen, Lun-
ge und Leber auszuſpeyen gezwungen iſt. Er hatte
trifftige Urſachen zu glauben gehabt, daß ihm ein boͤ-
ſer Bube dieſen Streich muthwilliger und moͤrde-
riſcher weiſe geſpielet habe, iedoch ertraͤgt er ſein
Creutz mit ziemlicher Gelaſſenheit, und eben in die-
ſem Zuſtande erfaͤhrt er meine Anweſenheit zufaͤlli-
ger weiſe, ſchicket derowegen ſeinen Aufwarte-Kna-
ben ſo lange nach mir aus, bis ſelbiger mich endlich
antrifft und zu ihm bringt.

Jch bejammerte meines Vaters elenden Zuſtand,
und erfuhr, daß er keines Thalers mehr maͤchtig waͤ-
re, ſondern einzig und allein von der Gnade ſeiner,
ſelbſt ſehr armſelig lebenden, vermeintlichen Arti-
ſten, dependir
en mußte, weiln er, ihrer Meynung
nach, noch ein und andere Arcana auf den Hertzen,
ſo wohl auch in Schrifften verborgen haͤtte, die ſie
nach und nach von ihm heraus zu locken gedachten.
Jch hergegen machte nunmehro alle Anſtalten mei-
nen Vater aufs beſte zuverpflegen, iedoch durffte
ich ihn in Anweſenheit anderer Leute, nicht Vater,
ſondern nur Better nennen, damit ſein veraͤnderter
Nahme nicht verdacht erweckte. Wiewohl die
Hoffnung zu ſeiner Geneſung, ſchien gantz vergeblich
zu ſeyn, und binnen Monats-Friſt wurde ſein Zu-
ſtand dermaſſen ſchlecht, daß er ſelbſten zu verſtehen
gab, welchergeſtalt ſein Ende heran nahete, de-
rowegen moͤchte ich mir weiter keine groͤſſere Muͤhe
geben, als ihm einen Lutheriſchen Prediger zuzufuͤh-
ren, der ihn taͤglich etliche Stunden zum ſel. ſter-
ben præpariren, und mit dem letzten Zehr-Pfennige,
nemlich dem heil. Abendmahle, welches er ſeit 5.

Jahren
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <floatingText>
            <body>
              <div n="1">
                <p><pb facs="#f0269" n="255"/>
ziehet, daß er bey annoch gantz fri&#x017F;chen Hertzen, Lun-<lb/>
ge und Leber auszu&#x017F;peyen gezwungen i&#x017F;t. Er hatte<lb/>
trifftige Ur&#x017F;achen zu glauben gehabt, daß ihm ein bo&#x0364;-<lb/>
&#x017F;er Bube die&#x017F;en Streich muthwilliger und mo&#x0364;rde-<lb/>
ri&#x017F;cher wei&#x017F;e ge&#x017F;pielet habe, iedoch ertra&#x0364;gt er &#x017F;ein<lb/>
Creutz mit ziemlicher Gela&#x017F;&#x017F;enheit, und eben in die-<lb/>
&#x017F;em Zu&#x017F;tande erfa&#x0364;hrt er meine Anwe&#x017F;enheit zufa&#x0364;lli-<lb/>
ger wei&#x017F;e, &#x017F;chicket derowegen &#x017F;einen Aufwarte-Kna-<lb/>
ben &#x017F;o lange nach mir aus, bis &#x017F;elbiger mich endlich<lb/>
antrifft und zu ihm bringt.</p><lb/>
                <p>Jch bejammerte meines Vaters elenden Zu&#x017F;tand,<lb/>
und erfuhr, daß er keines Thalers mehr ma&#x0364;chtig wa&#x0364;-<lb/>
re, &#x017F;ondern einzig und allein von der Gnade &#x017F;einer,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ehr arm&#x017F;elig lebenden, vermeintlichen <hi rendition="#aq">Arti-<lb/>
&#x017F;ten, dependir</hi>en mußte, weiln er, ihrer Meynung<lb/>
nach, noch ein und andere <hi rendition="#aq">Arcana</hi> auf den Hertzen,<lb/>
&#x017F;o wohl auch in Schrifften verborgen ha&#x0364;tte, die &#x017F;ie<lb/>
nach und nach von ihm heraus zu locken gedachten.<lb/>
Jch hergegen machte nunmehro alle An&#x017F;talten mei-<lb/>
nen Vater aufs be&#x017F;te zuverpflegen, iedoch durffte<lb/>
ich ihn in Anwe&#x017F;enheit anderer Leute, nicht Vater,<lb/>
&#x017F;ondern nur Better nennen, damit &#x017F;ein vera&#x0364;nderter<lb/>
Nahme nicht verdacht erweckte. Wiewohl die<lb/>
Hoffnung zu &#x017F;einer Gene&#x017F;ung, &#x017F;chien gantz vergeblich<lb/>
zu &#x017F;eyn, und binnen Monats-Fri&#x017F;t wurde &#x017F;ein Zu-<lb/>
&#x017F;tand derma&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chlecht, daß er &#x017F;elb&#x017F;ten zu ver&#x017F;tehen<lb/>
gab, welcherge&#x017F;talt &#x017F;ein Ende heran nahete, de-<lb/>
rowegen mo&#x0364;chte ich mir weiter keine gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere Mu&#x0364;he<lb/>
geben, als ihm einen Lutheri&#x017F;chen Prediger zuzufu&#x0364;h-<lb/>
ren, der ihn ta&#x0364;glich etliche Stunden zum &#x017F;el. &#x017F;ter-<lb/>
ben <hi rendition="#aq">præparir</hi>en, und mit dem letzten Zehr-Pfennige,<lb/>
nemlich dem heil. Abendmahle, welches er &#x017F;eit 5.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Jahren</fw><lb/></p>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0269] ziehet, daß er bey annoch gantz friſchen Hertzen, Lun- ge und Leber auszuſpeyen gezwungen iſt. Er hatte trifftige Urſachen zu glauben gehabt, daß ihm ein boͤ- ſer Bube dieſen Streich muthwilliger und moͤrde- riſcher weiſe geſpielet habe, iedoch ertraͤgt er ſein Creutz mit ziemlicher Gelaſſenheit, und eben in die- ſem Zuſtande erfaͤhrt er meine Anweſenheit zufaͤlli- ger weiſe, ſchicket derowegen ſeinen Aufwarte-Kna- ben ſo lange nach mir aus, bis ſelbiger mich endlich antrifft und zu ihm bringt. Jch bejammerte meines Vaters elenden Zuſtand, und erfuhr, daß er keines Thalers mehr maͤchtig waͤ- re, ſondern einzig und allein von der Gnade ſeiner, ſelbſt ſehr armſelig lebenden, vermeintlichen Arti- ſten, dependiren mußte, weiln er, ihrer Meynung nach, noch ein und andere Arcana auf den Hertzen, ſo wohl auch in Schrifften verborgen haͤtte, die ſie nach und nach von ihm heraus zu locken gedachten. Jch hergegen machte nunmehro alle Anſtalten mei- nen Vater aufs beſte zuverpflegen, iedoch durffte ich ihn in Anweſenheit anderer Leute, nicht Vater, ſondern nur Better nennen, damit ſein veraͤnderter Nahme nicht verdacht erweckte. Wiewohl die Hoffnung zu ſeiner Geneſung, ſchien gantz vergeblich zu ſeyn, und binnen Monats-Friſt wurde ſein Zu- ſtand dermaſſen ſchlecht, daß er ſelbſten zu verſtehen gab, welchergeſtalt ſein Ende heran nahete, de- rowegen moͤchte ich mir weiter keine groͤſſere Muͤhe geben, als ihm einen Lutheriſchen Prediger zuzufuͤh- ren, der ihn taͤglich etliche Stunden zum ſel. ſter- ben præpariren, und mit dem letzten Zehr-Pfennige, nemlich dem heil. Abendmahle, welches er ſeit 5. Jahren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/269
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/269>, abgerufen am 09.05.2024.