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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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ob er meinen Groß-Vater von Person wohl kenne-
te. Seine Antwort war: Ja! mein Freund, sehr
wohl, aber euren leiblichen Vater noch weit mehr,
thut so wohl und eröffnet mir, wo sich derselbe vor-
itzo aufhält, und welchergestalt er in so grosses Un-
glück gerathen, denn ich versichere, daß derselbe mein
allervertrautester Freund gewesen. Mein Herr!
versetzte ich, den Aufenthalt meines unglückseligen
und dennoch geliebten Vaters zu erfahren, habe ich
seit etlichen Jahren, sehr viele vergebliche Mühe an-
gewendet, sonsten ist es leider! an dem, daß er sich
von einem gottlosen und ehrvergessenen Land-Strei-
cher, der noch darzu meiner Mutter Bruder gewe-
sen, ins Unglücke führen, und um sein zeitliches Glück
bringen lassen, da er doch sonst iederzeit, und von ie-
dermann vor einen redlichen, geschickten und vernünff-
tigen Mann gehalten worden. Hierauf fragte der
Patient: Ob ich nicht wisse, wie es meiner Mutter
und Geschwistern erginge, und ich berichtette ihm die
Wahrheit, daß nemlich die Mutter, meines wis-
sens, annoch in gefänglicher Hafft, mein ältester
Bruder noch nicht aus Welschland zurück gekom-
men, die Schwester aber von mir vor einigen Jah-
ren nach Augspurg geführet sey. GOtt sey gelobt,
schrye er hierauf mit weinender Stimme, der doch
zwey von meinen lieben Kindern aus dem Verder-
ben gerissen hat. Jch wußte nicht so gleich, was ich
aus solchen Worten schliessen solte, so bald ich aber
das Licht genommen, und dem Patienten unter die
Augen geleuchtet hatte, erkannte ich, ohngeacht sei-
ner starck veränderten Gestalt, meinen leiblichen
Vater, fiel ihm um den Hals, und benetzte sein An-

gesicht

ob er meinen Groß-Vater von Perſon wohl kenne-
te. Seine Antwort war: Ja! mein Freund, ſehr
wohl, aber euren leiblichen Vater noch weit mehr,
thut ſo wohl und eroͤffnet mir, wo ſich derſelbe vor-
itzo aufhaͤlt, und welchergeſtalt er in ſo groſſes Un-
gluͤck gerathen, denn ich verſichere, daß derſelbe mein
allervertrauteſter Freund geweſen. Mein Herr!
verſetzte ich, den Aufenthalt meines ungluͤckſeligen
und dennoch geliebten Vaters zu erfahren, habe ich
ſeit etlichen Jahren, ſehr viele vergebliche Muͤhe an-
gewendet, ſonſten iſt es leider! an dem, daß er ſich
von einem gottloſen und ehrvergeſſenen Land-Strei-
cher, der noch darzu meiner Mutter Bruder gewe-
ſen, ins Ungluͤcke fuͤhren, und um ſein zeitliches Gluͤck
bringen laſſen, da er doch ſonſt iederzeit, und von ie-
dermañ vor einen redlichen, geſchickten und vernuͤnff-
tigen Mann gehalten worden. Hierauf fragte der
Patient: Ob ich nicht wiſſe, wie es meiner Mutter
und Geſchwiſtern erginge, und ich berichtette ihm die
Wahrheit, daß nemlich die Mutter, meines wiſ-
ſens, annoch in gefaͤnglicher Hafft, mein aͤlteſter
Bruder noch nicht aus Welſchland zuruͤck gekom-
men, die Schweſter aber von mir vor einigen Jah-
ren nach Augſpurg gefuͤhret ſey. GOtt ſey gelobt,
ſchrye er hierauf mit weinender Stimme, der doch
zwey von meinen lieben Kindern aus dem Verder-
ben geriſſen hat. Jch wußte nicht ſo gleich, was ich
aus ſolchen Worten ſchlieſſen ſolte, ſo bald ich aber
das Licht genommen, und dem Patienten unter die
Augen geleuchtet hatte, erkannte ich, ohngeacht ſei-
ner ſtarck veraͤnderten Geſtalt, meinen leiblichen
Vater, fiel ihm um den Hals, und benetzte ſein An-

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[250/0264] ob er meinen Groß-Vater von Perſon wohl kenne- te. Seine Antwort war: Ja! mein Freund, ſehr wohl, aber euren leiblichen Vater noch weit mehr, thut ſo wohl und eroͤffnet mir, wo ſich derſelbe vor- itzo aufhaͤlt, und welchergeſtalt er in ſo groſſes Un- gluͤck gerathen, denn ich verſichere, daß derſelbe mein allervertrauteſter Freund geweſen. Mein Herr! verſetzte ich, den Aufenthalt meines ungluͤckſeligen und dennoch geliebten Vaters zu erfahren, habe ich ſeit etlichen Jahren, ſehr viele vergebliche Muͤhe an- gewendet, ſonſten iſt es leider! an dem, daß er ſich von einem gottloſen und ehrvergeſſenen Land-Strei- cher, der noch darzu meiner Mutter Bruder gewe- ſen, ins Ungluͤcke fuͤhren, und um ſein zeitliches Gluͤck bringen laſſen, da er doch ſonſt iederzeit, und von ie- dermañ vor einen redlichen, geſchickten und vernuͤnff- tigen Mann gehalten worden. Hierauf fragte der Patient: Ob ich nicht wiſſe, wie es meiner Mutter und Geſchwiſtern erginge, und ich berichtette ihm die Wahrheit, daß nemlich die Mutter, meines wiſ- ſens, annoch in gefaͤnglicher Hafft, mein aͤlteſter Bruder noch nicht aus Welſchland zuruͤck gekom- men, die Schweſter aber von mir vor einigen Jah- ren nach Augſpurg gefuͤhret ſey. GOtt ſey gelobt, ſchrye er hierauf mit weinender Stimme, der doch zwey von meinen lieben Kindern aus dem Verder- ben geriſſen hat. Jch wußte nicht ſo gleich, was ich aus ſolchen Worten ſchlieſſen ſolte, ſo bald ich aber das Licht genommen, und dem Patienten unter die Augen geleuchtet hatte, erkannte ich, ohngeacht ſei- ner ſtarck veraͤnderten Geſtalt, meinen leiblichen Vater, fiel ihm um den Hals, und benetzte ſein An- geſicht

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/264>, abgerufen am 09.05.2024.