Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

Bild:
<< vorherige Seite

mahls mit ihnen gesprochen, und erfahren, wie sie
heute einen vergeblichen Ritt gethan hätten. Es ist
Schade Vater, sagte hierzu der Knabe, daß wir
den Schelm nicht haben ansagen können, denn sonst
hätten wir gewiß einen Thaler Geld dabey verdie-
net, oder wohl gar zwey. Ach Töffel! versetzte der
Alte, behüt uns GOtt vor solchem Blut-Gelde, es
kan vielleicht wohl ein gut ehrlich Mutter-Kind ge-
wesen seyn, wer weiß, wie sie ihn gecreutziget haben,
ich wolte lieber einen Psennig oder wohl gar nichts
nehmen, und einen solchen armen Kerl 10. Meilen
fortbringen, als vor 10. Thlr. Geld ihn den Sol-
daten verrathen, denn diese machen nicht viel Feder-
lesens, sondern lassen auch die besten Kerls an den
Galgen hencken. O du redliches Blut! gedachte
ich in meinem Hertzen, GOtt wird dir deine christli-
che Liebe, wo nicht zeitlich, doch dort ewig zu vergelten
wissen. Jedoch ich hielt mich noch beständig in aller
Stille, bis endlich, nach verschiedenen andern Ge-
sprächen, der Knabe weit ins Feld lieff, um das zer-
streute Vieh zusammen zu treiben. Da nun bald
hernach der Hirte etwas näher an meinen Baum
kam, rief ich ihn an, klagte seiner Treuhertzigkeit
meine Noth, überreichte ihm einen Ducaten, und
bat, mir davor, so bald es möglich, nur einen Trunck
Bier, nebst einem Stücke Brod zu verschaffen. Er
zeigte grosses Mitleiden bey meinem Elende, über-
reichte mir indessen ein Stück Brod nebst einem Kä-
se, und versprach, binnen zwey Stunden mit besserer
Speise und Geträncke bey mir zu erscheinen, wolte
aber durchaus kein Gold, sondern sagte, ich möchte
ihm nur etliche Groschen Silber-Geld geben, um die
Speisen davor zu kauffen, weil er in seinem gantzen

Leben

mahls mit ihnen geſprochen, und erfahren, wie ſie
heute einen vergeblichen Ritt gethan haͤtten. Es iſt
Schade Vater, ſagte hierzu der Knabe, daß wir
den Schelm nicht haben anſagen koͤnnen, denn ſonſt
haͤtten wir gewiß einen Thaler Geld dabey verdie-
net, oder wohl gar zwey. Ach Toͤffel! verſetzte der
Alte, behuͤt uns GOtt vor ſolchem Blut-Gelde, es
kan vielleicht wohl ein gut ehrlich Mutter-Kind ge-
weſen ſeyn, wer weiß, wie ſie ihn gecreutziget haben,
ich wolte lieber einen Pſennig oder wohl gar nichts
nehmen, und einen ſolchen armen Kerl 10. Meilen
fortbringen, als vor 10. Thlr. Geld ihn den Sol-
daten verrathen, denn dieſe machen nicht viel Feder-
leſens, ſondern laſſen auch die beſten Kerls an den
Galgen hencken. O du redliches Blut! gedachte
ich in meinem Hertzen, GOtt wird dir deine chriſtli-
che Liebe, wo nicht zeitlich, doch dort ewig zu vergelten
wiſſen. Jedoch ich hielt mich noch beſtaͤndig in aller
Stille, bis endlich, nach verſchiedenen andern Ge-
ſpraͤchen, der Knabe weit ins Feld lieff, um das zer-
ſtreute Vieh zuſammen zu treiben. Da nun bald
hernach der Hirte etwas naͤher an meinen Baum
kam, rief ich ihn an, klagte ſeiner Treuhertzigkeit
meine Noth, uͤberreichte ihm einen Ducaten, und
bat, mir davor, ſo bald es moͤglich, nur einen Trunck
Bier, nebſt einem Stuͤcke Brod zu verſchaffen. Er
zeigte groſſes Mitleiden bey meinem Elende, uͤber-
reichte mir indeſſen ein Stuͤck Brod nebſt einem Kaͤ-
ſe, und verſprach, binnen zwey Stunden mit beſſerer
Speiſe und Getraͤncke bey mir zu erſcheinen, wolte
aber durchaus kein Gold, ſondern ſagte, ich moͤchte
ihm nur etliche Groſchen Silber-Geld geben, um die
Speiſen davor zu kauffen, weil er in ſeinem gantzen

Leben
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0234" n="220"/>
mahls mit ihnen ge&#x017F;prochen, und erfahren, wie &#x017F;ie<lb/>
heute einen vergeblichen Ritt gethan ha&#x0364;tten. Es i&#x017F;t<lb/>
Schade Vater, &#x017F;agte hierzu der Knabe, daß wir<lb/>
den Schelm nicht haben an&#x017F;agen ko&#x0364;nnen, denn &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
ha&#x0364;tten wir gewiß einen Thaler Geld dabey verdie-<lb/>
net, oder wohl gar zwey. Ach To&#x0364;ffel! ver&#x017F;etzte der<lb/>
Alte, behu&#x0364;t uns GOtt vor &#x017F;olchem Blut-Gelde, es<lb/>
kan vielleicht wohl ein gut ehrlich Mutter-Kind ge-<lb/>
we&#x017F;en &#x017F;eyn, wer weiß, wie &#x017F;ie ihn gecreutziget haben,<lb/>
ich wolte lieber einen P&#x017F;ennig oder wohl gar nichts<lb/>
nehmen, und einen &#x017F;olchen armen Kerl 10. Meilen<lb/>
fortbringen, als vor 10. Thlr. Geld ihn den Sol-<lb/>
daten verrathen, denn die&#x017F;e machen nicht viel Feder-<lb/>
le&#x017F;ens, &#x017F;ondern la&#x017F;&#x017F;en auch die be&#x017F;ten Kerls an den<lb/>
Galgen hencken. O du redliches Blut! gedachte<lb/>
ich in meinem Hertzen, GOtt wird dir deine chri&#x017F;tli-<lb/>
che Liebe, wo nicht zeitlich, doch dort ewig zu vergelten<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en. Jedoch ich hielt mich noch be&#x017F;ta&#x0364;ndig in aller<lb/>
Stille, bis endlich, nach ver&#x017F;chiedenen andern Ge-<lb/>
&#x017F;pra&#x0364;chen, der Knabe weit ins Feld lieff, um das zer-<lb/>
&#x017F;treute Vieh zu&#x017F;ammen zu treiben. Da nun bald<lb/>
hernach der Hirte etwas na&#x0364;her an meinen Baum<lb/>
kam, rief ich ihn an, klagte &#x017F;einer Treuhertzigkeit<lb/>
meine Noth, u&#x0364;berreichte ihm einen <hi rendition="#aq">Ducat</hi>en, und<lb/>
bat, mir davor, &#x017F;o bald es mo&#x0364;glich, nur einen Trunck<lb/>
Bier, neb&#x017F;t einem Stu&#x0364;cke Brod zu ver&#x017F;chaffen. Er<lb/>
zeigte gro&#x017F;&#x017F;es Mitleiden bey meinem Elende, u&#x0364;ber-<lb/>
reichte mir inde&#x017F;&#x017F;en ein Stu&#x0364;ck Brod neb&#x017F;t einem Ka&#x0364;-<lb/>
&#x017F;e, und ver&#x017F;prach, binnen zwey Stunden mit be&#x017F;&#x017F;erer<lb/>
Spei&#x017F;e und Getra&#x0364;ncke bey mir zu er&#x017F;cheinen, wolte<lb/>
aber durchaus kein Gold, &#x017F;ondern &#x017F;agte, ich mo&#x0364;chte<lb/>
ihm nur etliche Gro&#x017F;chen Silber-Geld geben, um die<lb/>
Spei&#x017F;en davor zu kauffen, weil er in &#x017F;einem gantzen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Leben</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0234] mahls mit ihnen geſprochen, und erfahren, wie ſie heute einen vergeblichen Ritt gethan haͤtten. Es iſt Schade Vater, ſagte hierzu der Knabe, daß wir den Schelm nicht haben anſagen koͤnnen, denn ſonſt haͤtten wir gewiß einen Thaler Geld dabey verdie- net, oder wohl gar zwey. Ach Toͤffel! verſetzte der Alte, behuͤt uns GOtt vor ſolchem Blut-Gelde, es kan vielleicht wohl ein gut ehrlich Mutter-Kind ge- weſen ſeyn, wer weiß, wie ſie ihn gecreutziget haben, ich wolte lieber einen Pſennig oder wohl gar nichts nehmen, und einen ſolchen armen Kerl 10. Meilen fortbringen, als vor 10. Thlr. Geld ihn den Sol- daten verrathen, denn dieſe machen nicht viel Feder- leſens, ſondern laſſen auch die beſten Kerls an den Galgen hencken. O du redliches Blut! gedachte ich in meinem Hertzen, GOtt wird dir deine chriſtli- che Liebe, wo nicht zeitlich, doch dort ewig zu vergelten wiſſen. Jedoch ich hielt mich noch beſtaͤndig in aller Stille, bis endlich, nach verſchiedenen andern Ge- ſpraͤchen, der Knabe weit ins Feld lieff, um das zer- ſtreute Vieh zuſammen zu treiben. Da nun bald hernach der Hirte etwas naͤher an meinen Baum kam, rief ich ihn an, klagte ſeiner Treuhertzigkeit meine Noth, uͤberreichte ihm einen Ducaten, und bat, mir davor, ſo bald es moͤglich, nur einen Trunck Bier, nebſt einem Stuͤcke Brod zu verſchaffen. Er zeigte groſſes Mitleiden bey meinem Elende, uͤber- reichte mir indeſſen ein Stuͤck Brod nebſt einem Kaͤ- ſe, und verſprach, binnen zwey Stunden mit beſſerer Speiſe und Getraͤncke bey mir zu erſcheinen, wolte aber durchaus kein Gold, ſondern ſagte, ich moͤchte ihm nur etliche Groſchen Silber-Geld geben, um die Speiſen davor zu kauffen, weil er in ſeinem gantzen Leben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/234
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/234>, abgerufen am 21.11.2024.