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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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lieff. Jedoch so bald er nur etwa hundert Schritt
von mir, sich nebst seinem Knaben in die Sonne ge-
legt, fing ich von neuen an zu schlummern, wurde
aber nochmahls durch das Getöse etlicher Reuter
gestöhret, welche, wie ich durch ein Spalt-Loch
sehen konte, sich dem Hirten näherten, und fragten:
Ob er keinen Deserteur, in solcher Kleidung, wie sie
ihm die meinige beschrieben, vorbey lauffen sehen.
Er konte freylich wohl mit guten Gewissen Nein sa-
gen, berichtete auch auf ferneres Befragen, daß
nur noch eine gute Stunde Wegs bis zur Grentze
sey, weßwegen die Reuter ihre Pferde desto schärf-
fer ansporneten, und zwischen den Bäumen, nicht
12. Schritte vor meinem Behältnisse, hinritten.
Mein Hertze klopfte inzwischen so lange, bis ich
dieselben aus dem Gehore und Gesichte verlohr,
endlich aber verlohr sich auch zugleich die allergrößte
Angst, in darauf folgenden mehr als 6. stündigen
Schlafe. Nachdem ich aufgewacht war, fing
mich der Hunger ziemlich zu plagen an, iedoch der
Magen mußte vor dieses mahl durch aus Raison an-
nehmen, weil ich nicht vor rathsam hielt, diesen
sichern Ort zu verlassen, ohngeacht derselbe vor
menschlichen Augen sehr unsicher zu seyn schien.
Der Hirte, welcher binnen der Zeit weit im Felde
gewesen, kam endlich gegen Abend wiederum zu-
rück, und setzte sich etwa 20. Schritt von meinem
Baume nieder, bald darauf kam auch sein Knabe,
der vermuthlich Tags über im Dorffe gewesen war,
setzte sich neben ihn, und fragte unter andern: Ob die
Reuter wieder zurück gekommen wären, die dem
entlauffenen Lands. Knechte nachgesetzt hätten. Der
Alte bejahete solches, meldete darbey, daß er aber-

mahls

lieff. Jedoch ſo bald er nur etwa hundert Schritt
von mir, ſich nebſt ſeinem Knaben in die Sonne ge-
legt, fing ich von neuen an zu ſchlummern, wurde
aber nochmahls durch das Getoͤſe etlicher Reuter
geſtoͤhret, welche, wie ich durch ein Spalt-Loch
ſehen konte, ſich dem Hirten naͤherten, und fragten:
Ob er keinen Deſerteur, in ſolcher Kleidung, wie ſie
ihm die meinige beſchrieben, vorbey lauffen ſehen.
Er konte freylich wohl mit guten Gewiſſen Nein ſa-
gen, berichtete auch auf ferneres Befragen, daß
nur noch eine gute Stunde Wegs bis zur Grentze
ſey, weßwegen die Reuter ihre Pferde deſto ſchaͤrf-
fer anſporneten, und zwiſchen den Baͤumen, nicht
12. Schritte vor meinem Behaͤltniſſe, hinritten.
Mein Hertze klopfte inzwiſchen ſo lange, bis ich
dieſelben aus dem Gehore und Geſichte verlohr,
endlich aber verlohr ſich auch zugleich die allergroͤßte
Angſt, in darauf folgenden mehr als 6. ſtuͤndigen
Schlafe. Nachdem ich aufgewacht war, fing
mich der Hunger ziemlich zu plagen an, iedoch der
Magen mußte vor dieſes mahl durch aus Raiſon an-
nehmen, weil ich nicht vor rathſam hielt, dieſen
ſichern Ort zu verlaſſen, ohngeacht derſelbe vor
menſchlichen Augen ſehr unſicher zu ſeyn ſchien.
Der Hirte, welcher binnen der Zeit weit im Felde
geweſen, kam endlich gegen Abend wiederum zu-
ruͤck, und ſetzte ſich etwa 20. Schritt von meinem
Baume nieder, bald darauf kam auch ſein Knabe,
der vermuthlich Tags uͤber im Dorffe geweſen war,
ſetzte ſich neben ihn, und fragte unter andern: Ob die
Reuter wieder zuruͤck gekommen waͤren, die dem
entlauffenen Lands. Knechte nachgeſetzt haͤtten. Der
Alte bejahete ſolches, meldete darbey, daß er aber-

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[219/0233] lieff. Jedoch ſo bald er nur etwa hundert Schritt von mir, ſich nebſt ſeinem Knaben in die Sonne ge- legt, fing ich von neuen an zu ſchlummern, wurde aber nochmahls durch das Getoͤſe etlicher Reuter geſtoͤhret, welche, wie ich durch ein Spalt-Loch ſehen konte, ſich dem Hirten naͤherten, und fragten: Ob er keinen Deſerteur, in ſolcher Kleidung, wie ſie ihm die meinige beſchrieben, vorbey lauffen ſehen. Er konte freylich wohl mit guten Gewiſſen Nein ſa- gen, berichtete auch auf ferneres Befragen, daß nur noch eine gute Stunde Wegs bis zur Grentze ſey, weßwegen die Reuter ihre Pferde deſto ſchaͤrf- fer anſporneten, und zwiſchen den Baͤumen, nicht 12. Schritte vor meinem Behaͤltniſſe, hinritten. Mein Hertze klopfte inzwiſchen ſo lange, bis ich dieſelben aus dem Gehore und Geſichte verlohr, endlich aber verlohr ſich auch zugleich die allergroͤßte Angſt, in darauf folgenden mehr als 6. ſtuͤndigen Schlafe. Nachdem ich aufgewacht war, fing mich der Hunger ziemlich zu plagen an, iedoch der Magen mußte vor dieſes mahl durch aus Raiſon an- nehmen, weil ich nicht vor rathſam hielt, dieſen ſichern Ort zu verlaſſen, ohngeacht derſelbe vor menſchlichen Augen ſehr unſicher zu ſeyn ſchien. Der Hirte, welcher binnen der Zeit weit im Felde geweſen, kam endlich gegen Abend wiederum zu- ruͤck, und ſetzte ſich etwa 20. Schritt von meinem Baume nieder, bald darauf kam auch ſein Knabe, der vermuthlich Tags uͤber im Dorffe geweſen war, ſetzte ſich neben ihn, und fragte unter andern: Ob die Reuter wieder zuruͤck gekommen waͤren, die dem entlauffenen Lands. Knechte nachgeſetzt haͤtten. Der Alte bejahete ſolches, meldete darbey, daß er aber- mahls

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/233>, abgerufen am 24.11.2024.