dem gantzen Hauß-Gesinde angenommen wurde, weil mein munteres Wesen allen angenehm war. Man steckte mich so gleich in andere Kleider, und machte in allen Stücken zu meiner Auferziehung den herrlichsten Anfang. Mein Herr nahm mich wenig Tage hernach mit sich zum Ober-Richter, und würck- te so viel, daß meine Eltern, die derselbe im Gefäng- nisse fast gantz vergessen zu haben schien, aufs neue zum Verhör kamen. Kaum aber hatte mein Herr meinen Vater und Mutter recht in die Augen gefas- set, als ihm die Thränen von den Wangen rolleten, und er sich nicht enthalten kon[te] vom Stuhle aufzu- stehen, sie beyderseits zu umarmen.
Mein Vater sahe sich solcher Gestalt entdeckt, hielt derowegen vor weit schädlicher, sich gegen dem Ober- Richter ferner zu verstellen, sondern offenbarete dem- selben seinen gantzen Stand und Wesen. Mein Edelmann, der sich Eduard Sadby nennete, sagte öffentlich: Jch bin in meinem Hertzen völlig über- zeugt, daß diese armen Leute an dem Laster der beley- digten Majestät, welches ihre Eltern und Freunde begangen haben, unschuldig sind, man verfähret zu scharff, indem man die Straffe der Eltern auch auf die unschuldigen Kinder ausdehnet. Mein Gewis- sen läst es unmöglich zu, diese erbarmens-würdigen Standes-Personen mit verdammen zu helffen, ohn- geacht ihre Vorfahren seit hundert Jahrrn her mei- nes Geschlechts Todt-Feinde gewesen sind.
Mit allen diesen Vorstellungen aber konte der ehrliche Eduard nichts mehr ausrichten, als daß
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dem gantzen Hauß-Geſinde angenommen wurde, weil mein munteres Weſen allen angenehm war. Man ſteckte mich ſo gleich in andere Kleider, und machte in allen Stuͤcken zu meiner Auferziehung den herrlichſten Anfang. Mein Herr nahm mich wenig Tage hernach mit ſich zum Ober-Richter, und wuͤrck- te ſo viel, daß meine Eltern, die derſelbe im Gefaͤng- niſſe faſt gantz vergeſſen zu haben ſchien, aufs neue zum Verhoͤr kamen. Kaum aber hatte mein Herr meinen Vater und Mutter recht in die Augen gefaſ- ſet, als ihm die Thraͤnen von den Wangen rolleten, und er ſich nicht enthalten kon[te] vom Stuhle aufzu- ſtehen, ſie beyderſeits zu umarmen.
Mein Vater ſahe ſich ſolcher Geſtalt entdeckt, hielt derowegen vor weit ſchaͤdlicher, ſich gegen dem Ober- Richter ferner zu verſtellen, ſondern offenbarete dem- ſelben ſeinen gantzen Stand und Weſen. Mein Edelmann, der ſich Eduard Sadby nennete, ſagte oͤffentlich: Jch bin in meinem Hertzen voͤllig uͤber- zeugt, daß dieſe armen Leute an dem Laſter der beley- digten Majeſtaͤt, welches ihre Eltern und Freunde begangen haben, unſchuldig ſind, man verfaͤhret zu ſcharff, indem man die Straffe der Eltern auch auf die unſchuldigen Kinder ausdehnet. Mein Gewiſ- ſen laͤſt es unmoͤglich zu, dieſe erbarmens-wuͤrdigen Standes-Perſonen mit verdammen zu helffen, ohn- geacht ihre Vorfahren ſeit hundert Jahrrn her mei- nes Geſchlechts Todt-Feinde geweſen ſind.
Mit allen dieſen Vorſtellungen aber konte der ehrliche Eduard nichts mehr ausrichten, als daß
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dem gantzen Hauß-Geſinde angenommen wurde,
weil mein munteres Weſen allen angenehm war.
Man ſteckte mich ſo gleich in andere Kleider, und
machte in allen Stuͤcken zu meiner Auferziehung den
herrlichſten Anfang. Mein Herr nahm mich wenig
Tage hernach mit ſich zum Ober-Richter, und wuͤrck-
te ſo viel, daß meine Eltern, die derſelbe im Gefaͤng-
niſſe faſt gantz vergeſſen zu haben ſchien, aufs neue
zum Verhoͤr kamen. Kaum aber hatte mein Herr
meinen Vater und Mutter recht in die Augen gefaſ-
ſet, als ihm die Thraͤnen von den Wangen rolleten,
und er ſich nicht enthalten konte vom Stuhle aufzu-
ſtehen, ſie beyderſeits zu umarmen.
Mein Vater ſahe ſich ſolcher Geſtalt entdeckt, hielt
derowegen vor weit ſchaͤdlicher, ſich gegen dem Ober-
Richter ferner zu verſtellen, ſondern offenbarete dem-
ſelben ſeinen gantzen Stand und Weſen. Mein
Edelmann, der ſich Eduard Sadby nennete, ſagte
oͤffentlich: Jch bin in meinem Hertzen voͤllig uͤber-
zeugt, daß dieſe armen Leute an dem Laſter der beley-
digten Majeſtaͤt, welches ihre Eltern und Freunde
begangen haben, unſchuldig ſind, man verfaͤhret zu
ſcharff, indem man die Straffe der Eltern auch auf
die unſchuldigen Kinder ausdehnet. Mein Gewiſ-
ſen laͤſt es unmoͤglich zu, dieſe erbarmens-wuͤrdigen
Standes-Perſonen mit verdammen zu helffen, ohn-
geacht ihre Vorfahren ſeit hundert Jahrrn her mei-
nes Geſchlechts Todt-Feinde geweſen ſind.
Mit allen dieſen Vorſtellungen aber konte der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage folgte schon 1732. Zum Zeitpunkt der Digitalisierung stand nur die dritte Auflage von 1740 zur Verfügung. (Link zur Erstausgabe: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-459276)
Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/359>, abgerufen am 22.11.2024.
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