Wochen da, als wir Schüler merckten, daß er im Lateinischen, Griechischen, Historischen, Geogra- phischen und andern Wissenschafften nicht um ein Haar besser beschlagen war, als die, so von ihm lernen solten, derowegen klappte der Respect, wel- chen er doch im höchsten Grad verlangte, gar schlecht. Ohngeacht aber der gute Herr Praeceptor uns keinen Autorem vor-exponiren konte; so mochte er doch der Frau Amtmännin des Ovidii Libr. de arte amandi desto besser zu erklären wis- sen, indem beyde die Privat-Stunden dermassen öffentlich zu halten pflegten, daß ihre freye Auf- führung dem Amtmanne endlich selbst Verdacht erwecken muste.
Der gute Mann erwehlte demnach mich zu seinem Vertrauten, nahm eine verstellete Reise vor, kame aber in der Nacht wieder zurück unter das Cammer-Fenster, wo der Informator nebst seinen Schülern zu schlaffen pflegte. Dieser ver- liebte Venus-Professor stund nach Mitternacht auf, der Frau Amtmännin eine Visite zu geben. Jch, der ihn zubelauschen, noch kein Auge zugethan hatte, war der verbothenen Zusammenkunfft kaum versichert, als ich dem, unter dem Fenster stehenden Amtmanne das abgeredete Zeichen mit Husten und Hinunterwerffung meiner Schlaff-Mütze gab, welcher hierauff nicht gefackelt, sondern sich in aller Stille ins Hauß herein practiciret, Licht angeschla- gen, und die beyden verliebten Seelen, ich weiß nicht in was vor Positur ertappet hatte.
Es war ein erbärmlich Geschrey in der Frauen Cammer, so, daß fast alles Hauß-Gesinde herzu
gelauf-
Wochen da, als wir Schuͤler merckten, daß er im Lateiniſchen, Griechiſchen, Hiſtoriſchen, Geogra- phiſchen und andern Wiſſenſchafften nicht um ein Haar beſſer beſchlagen war, als die, ſo von ihm lernen ſolten, derowegen klappte der Reſpect, wel- chen er doch im hoͤchſten Grad verlangte, gar ſchlecht. Ohngeacht aber der gute Herr Præceptor uns keinen Autorem vor-exponiren konte; ſo mochte er doch der Frau Amtmaͤnnin des Ovidii Libr. de arte amandi deſto beſſer zu erklaͤren wiſ- ſen, indem beyde die Privat-Stunden dermaſſen oͤffentlich zu halten pflegten, daß ihre freye Auf- fuͤhrung dem Amtmanne endlich ſelbſt Verdacht erwecken muſte.
Der gute Mann erwehlte demnach mich zu ſeinem Vertrauten, nahm eine verſtellete Reiſe vor, kame aber in der Nacht wieder zuruͤck unter das Cammer-Fenſter, wo der Informator nebſt ſeinen Schuͤlern zu ſchlaffen pflegte. Dieſer ver- liebte Venus-Profeſſor ſtund nach Mitternacht auf, der Frau Amtmaͤnnin eine Viſite zu geben. Jch, der ihn zubelauſchen, noch kein Auge zugethan hatte, war der verbothenen Zuſammenkunfft kaum verſichert, als ich dem, unter dem Fenſter ſtehenden Amtmanne das abgeredete Zeichen mit Huſten und Hinunterwerffung meiner Schlaff-Muͤtze gab, welcher hierauff nicht gefackelt, ſondern ſich in aller Stille ins Hauß herein practiciret, Licht angeſchla- gen, und die beyden verliebten Seelen, ich weiß nicht in was vor Poſitur ertappet hatte.
Es war ein erbaͤrmlich Geſchrey in der Frauen Cammer, ſo, daß faſt alles Hauß-Geſinde herzu
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Wochen da, als wir Schuͤler merckten, daß er im
Lateiniſchen, Griechiſchen, Hiſtoriſchen, Geogra-
phiſchen und andern Wiſſenſchafften nicht um ein
Haar beſſer beſchlagen war, als die, ſo von ihm
lernen ſolten, derowegen klappte der Reſpect, wel-
chen er doch im hoͤchſten Grad verlangte, gar
ſchlecht. Ohngeacht aber der gute Herr Præceptor
uns keinen Autorem vor-exponiren konte; ſo
mochte er doch der Frau Amtmaͤnnin des Ovidii
Libr. de arte amandi deſto beſſer zu erklaͤren wiſ-
ſen, indem beyde die Privat-Stunden dermaſſen
oͤffentlich zu halten pflegten, daß ihre freye Auf-
fuͤhrung dem Amtmanne endlich ſelbſt Verdacht
erwecken muſte.
Der gute Mann erwehlte demnach mich zu
ſeinem Vertrauten, nahm eine verſtellete Reiſe
vor, kame aber in der Nacht wieder zuruͤck unter
das Cammer-Fenſter, wo der Informator nebſt
ſeinen Schuͤlern zu ſchlaffen pflegte. Dieſer ver-
liebte Venus-Profeſſor ſtund nach Mitternacht
auf, der Frau Amtmaͤnnin eine Viſite zu geben.
Jch, der ihn zubelauſchen, noch kein Auge zugethan
hatte, war der verbothenen Zuſammenkunfft kaum
verſichert, als ich dem, unter dem Fenſter ſtehenden
Amtmanne das abgeredete Zeichen mit Huſten
und Hinunterwerffung meiner Schlaff-Muͤtze gab,
welcher hierauff nicht gefackelt, ſondern ſich in aller
Stille ins Hauß herein practiciret, Licht angeſchla-
gen, und die beyden verliebten Seelen, ich weiß
nicht in was vor Poſitur ertappet hatte.
Es war ein erbaͤrmlich Geſchrey in der Frauen
Cammer, ſo, daß faſt alles Hauß-Geſinde herzu
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage folgte schon 1732. Zum Zeitpunkt der Digitalisierung stand nur die dritte Auflage von 1740 zur Verfügung. (Link zur Erstausgabe: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-459276)
Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/128>, abgerufen am 26.11.2024.
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