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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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Neumann und Hasbach, neuerdings M. Weber und Eulenburg nach meinem
Urteil voll ausgerüstet, um mit Autorität an den methodologischen Fragen zu
arbeiten; selbst von J. St. Mill kann man es bezweifeln, noch mehr von
Cairness, C. Menger, um von anderen zu schweigen. Von allen neueren Philo-
sophen übersieht Wundt etwas, Dilthey ziemlich viel von der Art der staats-
wissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Arbeit, Windelband und Rickert
sehr wenig.
Es ist so an sich kein Wunder, wenn Gothein den methodologisch arbeiten-
den Volkswirten zuruft, redet doch nicht ewig davon, wie man's machen soll,
sondern macht etwas. Und ein anderer meinte gar, nur die zu wirklicher
Facharbeit ganz Unfähigen schrieben über Methode. Und doch ist solcher Pessi-
mismus gänzlich falsch. Steigende Klarheit über Methode ist die grundlegende
Bedingung für den Fortschritt in jeder, also auch in unserer Fachwissenschaft
selbst, wie schon aller tiefere Einblick in die Geschichte unserer Wissenschaft
zeigt. --
8 In allen volkswirtschaftlichen Schriften des 18. und 19. Jahrh. spielen die
psychischen Ursachen des wirtschaftlichen Handelns und hauptsächlich die
Frage, ob man sie isoliert betrachten solle und könne, eine große Rolle. A.
Smith ging von dem durch Gerechtigkeit und Schicklichkeit gezügelten, sitt-
lich berechtigten Erwerbstrieb aus, Ricardo vom Erwerbstrieb des Geschäfts-
mannes seiner Zeit; beide glaubten damit das Seelenleben nicht gespalten son-
dern im ganzen erfaßt zu haben. Die Nachfolger Ricardos und besonders heute
Menger und Dietzel wollen absichtlich den Erwerbstrieb oder den wirt-
schaftlichen Sinn isoliert betrachten; aber sie haben ihn nicht speziell durch
psychologische Methoden beobachtet; ihre Isolierung ist eine bloß subjektiv
vollzogene Gedankenscheidung; daher die Zweifel und Einwürfe gegen diese
nicht durch die realistische Beobachtung verifizierte Isolierung. Die neueren
Vertreter dieser Richtung geben auch zu, daß andere psychische Ursachen mit-
wirken, machen aber keinen konkreten Versuch, das Maß dieser Mitwirkung
zu beobachten und zu bestimmen. Man wird die Möglichkeit solcher Isolie-
rung von Trieben, ja auch eine abstrakte Anwendung derselben wohl zuge-
ben können, wird aber über die Nützlichkeit und darüber streiten können, ob
und in wie weit man damit überhaupt noch auf dem Felde der empirischen
Beobachtung stehe.
Die objektiven Folgen des wirtschaftlichen Handelns der einzelnen wirt-
schaftenden Menschen, die sozialwirtschaftlichen Erscheinungen, z. B. die ein-
zelne wirtschaftende Familie, die Gemeinde, die Verbände, die Korporationen,
die einzelnen oder gesamten Vorgänge auf dem Markt, die Preisbildung wird
man natürlich auch isoliert für sich zu beobachten versuchen können. Aber
da entsteht sofort die Frage, wieweit das nach Zeit, Mitteln, Beobachtern
möglich sei. Die Statistik kann wohl alle einzelnen Fälle einer bestimmten Art
in einer menschlichen Gemeinschaft unter Stellung von ein paar Fragen durch-
zählen; eine ganze Beobachtung aber der Mehrzahl der Millionen und Milliarden
sonstiger Fälle ist auf gesellschaftlichem, volkswirtschaftlichem, historischem
Gebiete undenkbar. Die Vorschrift, jeden gesellschaftlichen Vorgang in seine
kleinsten Teile aufzulösen, diese je für sich zu beobachten und aus den ge-
sammelten Beobachtungen erst ein Gesamtergebnis zusammenzusetzen, ist auf
Neumann und Hasbach, neuerdings M. Weber und Eulenburg nach meinem
Urteil voll ausgerüstet, um mit Autorität an den methodologischen Fragen zu
arbeiten; selbst von J. St. Mill kann man es bezweifeln, noch mehr von
Cairness, C. Menger, um von anderen zu schweigen. Von allen neueren Philo-
sophen übersieht Wundt etwas, Dilthey ziemlich viel von der Art der staats-
wissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Arbeit, Windelband und Rickert
sehr wenig.
Es ist so an sich kein Wunder, wenn Gothein den methodologisch arbeiten-
den Volkswirten zuruft, redet doch nicht ewig davon, wie man’s machen soll,
sondern macht etwas. Und ein anderer meinte gar, nur die zu wirklicher
Facharbeit ganz Unfähigen schrieben über Methode. Und doch ist solcher Pessi-
mismus gänzlich falsch. Steigende Klarheit über Methode ist die grundlegende
Bedingung für den Fortschritt in jeder, also auch in unserer Fachwissenschaft
selbst, wie schon aller tiefere Einblick in die Geschichte unserer Wissenschaft
zeigt. —
8 In allen volkswirtschaftlichen Schriften des 18. und 19. Jahrh. spielen die
psychischen Ursachen des wirtschaftlichen Handelns und hauptsächlich die
Frage, ob man sie isoliert betrachten solle und könne, eine große Rolle. A.
Smith ging von dem durch Gerechtigkeit und Schicklichkeit gezügelten, sitt-
lich berechtigten Erwerbstrieb aus, Ricardo vom Erwerbstrieb des Geschäfts-
mannes seiner Zeit; beide glaubten damit das Seelenleben nicht gespalten son-
dern im ganzen erfaßt zu haben. Die Nachfolger Ricardos und besonders heute
Menger und Dietzel wollen absichtlich den Erwerbstrieb oder den wirt-
schaftlichen Sinn isoliert betrachten; aber sie haben ihn nicht speziell durch
psychologische Methoden beobachtet; ihre Isolierung ist eine bloß subjektiv
vollzogene Gedankenscheidung; daher die Zweifel und Einwürfe gegen diese
nicht durch die realistische Beobachtung verifizierte Isolierung. Die neueren
Vertreter dieser Richtung geben auch zu, daß andere psychische Ursachen mit-
wirken, machen aber keinen konkreten Versuch, das Maß dieser Mitwirkung
zu beobachten und zu bestimmen. Man wird die Möglichkeit solcher Isolie-
rung von Trieben, ja auch eine abstrakte Anwendung derselben wohl zuge-
ben können, wird aber über die Nützlichkeit und darüber streiten können, ob
und in wie weit man damit überhaupt noch auf dem Felde der empirischen
Beobachtung stehe.
Die objektiven Folgen des wirtschaftlichen Handelns der einzelnen wirt-
schaftenden Menschen, die sozialwirtschaftlichen Erscheinungen, z. B. die ein-
zelne wirtschaftende Familie, die Gemeinde, die Verbände, die Korporationen,
die einzelnen oder gesamten Vorgänge auf dem Markt, die Preisbildung wird
man natürlich auch isoliert für sich zu beobachten versuchen können. Aber
da entsteht sofort die Frage, wieweit das nach Zeit, Mitteln, Beobachtern
möglich sei. Die Statistik kann wohl alle einzelnen Fälle einer bestimmten Art
in einer menschlichen Gemeinschaft unter Stellung von ein paar Fragen durch-
zählen; eine ganze Beobachtung aber der Mehrzahl der Millionen und Milliarden
sonstiger Fälle ist auf gesellschaftlichem, volkswirtschaftlichem, historischem
Gebiete undenkbar. Die Vorschrift, jeden gesellschaftlichen Vorgang in seine
kleinsten Teile aufzulösen, diese je für sich zu beobachten und aus den ge-
sammelten Beobachtungen erst ein Gesamtergebnis zusammenzusetzen, ist auf
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[85/0089] ⁷ Neumann und Hasbach, neuerdings M. Weber und Eulenburg nach meinem Urteil voll ausgerüstet, um mit Autorität an den methodologischen Fragen zu arbeiten; selbst von J. St. Mill kann man es bezweifeln, noch mehr von Cairness, C. Menger, um von anderen zu schweigen. Von allen neueren Philo- sophen übersieht Wundt etwas, Dilthey ziemlich viel von der Art der staats- wissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Arbeit, Windelband und Rickert sehr wenig. Es ist so an sich kein Wunder, wenn Gothein den methodologisch arbeiten- den Volkswirten zuruft, redet doch nicht ewig davon, wie man’s machen soll, sondern macht etwas. Und ein anderer meinte gar, nur die zu wirklicher Facharbeit ganz Unfähigen schrieben über Methode. Und doch ist solcher Pessi- mismus gänzlich falsch. Steigende Klarheit über Methode ist die grundlegende Bedingung für den Fortschritt in jeder, also auch in unserer Fachwissenschaft selbst, wie schon aller tiefere Einblick in die Geschichte unserer Wissenschaft zeigt. — ⁸ In allen volkswirtschaftlichen Schriften des 18. und 19. Jahrh. spielen die psychischen Ursachen des wirtschaftlichen Handelns und hauptsächlich die Frage, ob man sie isoliert betrachten solle und könne, eine große Rolle. A. Smith ging von dem durch Gerechtigkeit und Schicklichkeit gezügelten, sitt- lich berechtigten Erwerbstrieb aus, Ricardo vom Erwerbstrieb des Geschäfts- mannes seiner Zeit; beide glaubten damit das Seelenleben nicht gespalten son- dern im ganzen erfaßt zu haben. Die Nachfolger Ricardos und besonders heute Menger und Dietzel wollen absichtlich den Erwerbstrieb oder den wirt- schaftlichen Sinn isoliert betrachten; aber sie haben ihn nicht speziell durch psychologische Methoden beobachtet; ihre Isolierung ist eine bloß subjektiv vollzogene Gedankenscheidung; daher die Zweifel und Einwürfe gegen diese nicht durch die realistische Beobachtung verifizierte Isolierung. Die neueren Vertreter dieser Richtung geben auch zu, daß andere psychische Ursachen mit- wirken, machen aber keinen konkreten Versuch, das Maß dieser Mitwirkung zu beobachten und zu bestimmen. Man wird die Möglichkeit solcher Isolie- rung von Trieben, ja auch eine abstrakte Anwendung derselben wohl zuge- ben können, wird aber über die Nützlichkeit und darüber streiten können, ob und in wie weit man damit überhaupt noch auf dem Felde der empirischen Beobachtung stehe. Die objektiven Folgen des wirtschaftlichen Handelns der einzelnen wirt- schaftenden Menschen, die sozialwirtschaftlichen Erscheinungen, z. B. die ein- zelne wirtschaftende Familie, die Gemeinde, die Verbände, die Korporationen, die einzelnen oder gesamten Vorgänge auf dem Markt, die Preisbildung wird man natürlich auch isoliert für sich zu beobachten versuchen können. Aber da entsteht sofort die Frage, wieweit das nach Zeit, Mitteln, Beobachtern möglich sei. Die Statistik kann wohl alle einzelnen Fälle einer bestimmten Art in einer menschlichen Gemeinschaft unter Stellung von ein paar Fragen durch- zählen; eine ganze Beobachtung aber der Mehrzahl der Millionen und Milliarden sonstiger Fälle ist auf gesellschaftlichem, volkswirtschaftlichem, historischem Gebiete undenkbar. Die Vorschrift, jeden gesellschaftlichen Vorgang in seine kleinsten Teile aufzulösen, diese je für sich zu beobachten und aus den ge- sammelten Beobachtungen erst ein Gesamtergebnis zusammenzusetzen, ist auf

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/89>, abgerufen am 28.04.2024.