Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.Nationalökonomie Werturteile aus einer spezifisch wirtschaftlichen Weltan- schauung heraus produziere und zu produzieren habe". Ich weiß nicht, ob M. Weber dabei mich hauptsächlich im Auge gehabt hat. Wenn ja, so scheint es mir, er habe mich gründlich mißverstanden. Allerdings ist mir die Ethik, wie die Nationalökonomie, eine realistische Wis- senschaft; ich halte die transzendente, und die rein formale Ethik, wie sie M. Weber hier als die allein berechtigte hinstellt, für verfehlt, stehe damit aber in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der heutigen Philosophen. Die National- ökonomie habe ich, wie viele Nationalökonomen von J. St. Mill bis heute, eine ethische Wissenschaft genannt; auch A. Smith hielt sie für einen Teil der Moralphilosophie; die meisten, die das taten, wollten weder Ethik und Na- tionalökonomie zusammenwerfen noch die letztere zu einer höheren Dignität erheben, noch weniger alle möglichen Kulturideale in sie einfügen. Am aller- wenigstens lag mir nahe, aus einer spezifisch wirtschaftlichen Weltanschauung heraus Werturteile zu produzieren; im Gegenteil, ich wollte nur nicht zugeben, daß wirtschaftliches Handeln jenseits von Gut und Böse stehe. Wenn daneben M. Weber das Höchste, was Menschenbrust bewegt, nämlich die Welt der sittlichen Ideale nicht in das "Technisch-Ökonomische" hineingetragen wissen will, so ist das allerdings ein ethischer Purismus, dem ich nicht folgen kann. Und jedenfalls hat es unsere Disziplin eben nicht bloß mit dem Technisch- Ökonomischen, sondern mit der ökonomischen Gesellschaftsverfassung und da- mit auch mit sittlichen und Rechtsfragen zu tun. Unsere Wissenschaft liegt mindestens auf dem Grenzgebiet des Technisch-Ökonomischen und des Ethi- schen. M. Weber hätte seine schönen Abhandlungen über die protestantische Ethik und den Kapitalismus nicht schreiben können, wenn er nicht selbst den engsten Zusammenhang zwischen Ökonomischem und Ethischem tief empfände. 7 Noch heute schwankt der Kampf über die Frage, ob und inwieweit objektive Erkenntnis der Welt möglich sei, ob die Erscheinungen uns die Wirklichkeit enthüllen, ob nicht der absolute Skeptizismus und der Subjektivismus doch Recht habe. Wir haben oben berührt, wie neuerdings die Einheit unserer Er- kenntnismethoden geleugnet wird, die Methoden der Naturwissenschaft ganz für die Geisteswissenschaften verworfen werden. Sigwart hatte gelehrt, alle Er- kenntnis habe den Zweck, ein Abbild der wirklichen Welt zu geben, Rickert leugnet dies als ganz unmöglich. Wenn trotz alledem die Fortschritte der allgemeinen Erkenntnistheorie groß sind, wenn aller Skeptizismus und Subjektivismus immer wieder in sich zer- fällt, die Einheit unserer Denkgesetze, bei allen kleineren Unterschieden zwi- schen Natur- und Geisteswissenschaften sich erhalten wird, so bleibt doch speziell für die Methodologie der Volkswirtschaftslehre und ihre Ausbildung die Schwierigkeit, daß die Fachphilosophen, welche die Erkenntnistheorie pflegen, dem Spezialbetrieb unserer Wissenschaft meist so fern stehen, daß sie bei allem guten Willen der Einbeziehung unserer Lehren in ihre Forschung deren Bedürfnisse nicht leicht ganz gerecht werden und daß umgekehrt von den Fachgenossen die meisten, auch viele, die über methologische Fragen schreiben, nicht über die entsprechende philosophische Bildung verfügen. Da- durch entsteht viel Verwirrung und Schwierigkeit. Von den deutschen Fach- genossen der letzten zwei Generationen waren eigentlich nur G. Rümelin, Nationalökonomie Werturteile aus einer spezifisch wirtschaftlichen Weltan- schauung heraus produziere und zu produzieren habe“. Ich weiß nicht, ob M. Weber dabei mich hauptsächlich im Auge gehabt hat. Wenn ja, so scheint es mir, er habe mich gründlich mißverstanden. Allerdings ist mir die Ethik, wie die Nationalökonomie, eine realistische Wis- senschaft; ich halte die transzendente, und die rein formale Ethik, wie sie M. Weber hier als die allein berechtigte hinstellt, für verfehlt, stehe damit aber in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der heutigen Philosophen. Die National- ökonomie habe ich, wie viele Nationalökonomen von J. St. Mill bis heute, eine ethische Wissenschaft genannt; auch A. Smith hielt sie für einen Teil der Moralphilosophie; die meisten, die das taten, wollten weder Ethik und Na- tionalökonomie zusammenwerfen noch die letztere zu einer höheren Dignität erheben, noch weniger alle möglichen Kulturideale in sie einfügen. Am aller- wenigstens lag mir nahe, aus einer spezifisch wirtschaftlichen Weltanschauung heraus Werturteile zu produzieren; im Gegenteil, ich wollte nur nicht zugeben, daß wirtschaftliches Handeln jenseits von Gut und Böse stehe. Wenn daneben M. Weber das Höchste, was Menschenbrust bewegt, nämlich die Welt der sittlichen Ideale nicht in das „Technisch-Ökonomische“ hineingetragen wissen will, so ist das allerdings ein ethischer Purismus, dem ich nicht folgen kann. Und jedenfalls hat es unsere Disziplin eben nicht bloß mit dem Technisch- Ökonomischen, sondern mit der ökonomischen Gesellschaftsverfassung und da- mit auch mit sittlichen und Rechtsfragen zu tun. Unsere Wissenschaft liegt mindestens auf dem Grenzgebiet des Technisch-Ökonomischen und des Ethi- schen. M. Weber hätte seine schönen Abhandlungen über die protestantische Ethik und den Kapitalismus nicht schreiben können, wenn er nicht selbst den engsten Zusammenhang zwischen Ökonomischem und Ethischem tief empfände. 7 Noch heute schwankt der Kampf über die Frage, ob und inwieweit objektive Erkenntnis der Welt möglich sei, ob die Erscheinungen uns die Wirklichkeit enthüllen, ob nicht der absolute Skeptizismus und der Subjektivismus doch Recht habe. Wir haben oben berührt, wie neuerdings die Einheit unserer Er- kenntnismethoden geleugnet wird, die Methoden der Naturwissenschaft ganz für die Geisteswissenschaften verworfen werden. Sigwart hatte gelehrt, alle Er- kenntnis habe den Zweck, ein Abbild der wirklichen Welt zu geben, Rickert leugnet dies als ganz unmöglich. Wenn trotz alledem die Fortschritte der allgemeinen Erkenntnistheorie groß sind, wenn aller Skeptizismus und Subjektivismus immer wieder in sich zer- fällt, die Einheit unserer Denkgesetze, bei allen kleineren Unterschieden zwi- schen Natur- und Geisteswissenschaften sich erhalten wird, so bleibt doch speziell für die Methodologie der Volkswirtschaftslehre und ihre Ausbildung die Schwierigkeit, daß die Fachphilosophen, welche die Erkenntnistheorie pflegen, dem Spezialbetrieb unserer Wissenschaft meist so fern stehen, daß sie bei allem guten Willen der Einbeziehung unserer Lehren in ihre Forschung deren Bedürfnisse nicht leicht ganz gerecht werden und daß umgekehrt von den Fachgenossen die meisten, auch viele, die über methologische Fragen schreiben, nicht über die entsprechende philosophische Bildung verfügen. Da- durch entsteht viel Verwirrung und Schwierigkeit. Von den deutschen Fach- genossen der letzten zwei Generationen waren eigentlich nur G. 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Smith hielt sie für einen Teil der<lb/> Moralphilosophie; die meisten, die das taten, wollten weder Ethik und Na-<lb/> tionalökonomie zusammenwerfen noch die letztere zu einer höheren Dignität<lb/> erheben, noch weniger alle möglichen Kulturideale in sie einfügen. Am aller-<lb/> wenigstens lag mir nahe, aus einer spezifisch wirtschaftlichen Weltanschauung<lb/> heraus Werturteile zu produzieren; im Gegenteil, ich wollte nur nicht zugeben,<lb/> daß wirtschaftliches Handeln jenseits von Gut und Böse stehe. Wenn daneben<lb/> M. Weber das Höchste, was Menschenbrust bewegt, nämlich die Welt der<lb/> sittlichen Ideale nicht in das „Technisch-Ökonomische“ hineingetragen wissen<lb/> will, so ist das allerdings ein ethischer Purismus, dem ich nicht folgen kann.<lb/> Und jedenfalls hat es unsere Disziplin eben nicht bloß mit dem Technisch-<lb/> Ökonomischen, sondern mit der ökonomischen Gesellschaftsverfassung und da-<lb/> mit auch mit sittlichen und Rechtsfragen zu tun. Unsere Wissenschaft liegt<lb/> mindestens auf dem Grenzgebiet des Technisch-Ökonomischen und des Ethi-<lb/> schen. M. Weber hätte seine schönen Abhandlungen über die protestantische<lb/> Ethik und den Kapitalismus nicht schreiben können, wenn er nicht selbst den<lb/> engsten Zusammenhang zwischen Ökonomischem und Ethischem tief empfände.</note><lb/> <note place="end" n="7">Noch heute schwankt der Kampf über die Frage, ob und inwieweit objektive<lb/> Erkenntnis der Welt möglich sei, ob die Erscheinungen uns die Wirklichkeit<lb/> enthüllen, ob nicht der absolute Skeptizismus und der Subjektivismus doch<lb/> Recht habe. Wir haben oben berührt, wie neuerdings die Einheit unserer Er-<lb/> kenntnismethoden geleugnet wird, die Methoden der Naturwissenschaft ganz<lb/> für die Geisteswissenschaften verworfen werden. Sigwart hatte gelehrt, alle Er-<lb/> kenntnis habe den Zweck, ein Abbild der wirklichen Welt zu geben, Rickert<lb/> leugnet dies als ganz unmöglich.<lb/> Wenn trotz alledem die Fortschritte der allgemeinen Erkenntnistheorie groß<lb/> sind, wenn aller Skeptizismus und Subjektivismus immer wieder in sich zer-<lb/> fällt, die Einheit unserer Denkgesetze, bei allen kleineren Unterschieden zwi-<lb/> schen Natur- und Geisteswissenschaften sich erhalten wird, so bleibt doch<lb/> speziell für die Methodologie der Volkswirtschaftslehre und ihre Ausbildung<lb/> die Schwierigkeit, daß die Fachphilosophen, welche die Erkenntnistheorie<lb/> pflegen, dem Spezialbetrieb unserer Wissenschaft meist so fern stehen, daß sie<lb/> bei allem guten Willen der Einbeziehung unserer Lehren in ihre Forschung<lb/> deren Bedürfnisse nicht leicht ganz gerecht werden und daß umgekehrt von<lb/> den Fachgenossen die meisten, auch viele, die über methologische Fragen<lb/> schreiben, nicht über die entsprechende philosophische Bildung verfügen. 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⁶ Nationalökonomie Werturteile aus einer spezifisch wirtschaftlichen Weltan-
schauung heraus produziere und zu produzieren habe“.
Ich weiß nicht, ob M. Weber dabei mich hauptsächlich im Auge gehabt
hat. Wenn ja, so scheint es mir, er habe mich gründlich mißverstanden.
Allerdings ist mir die Ethik, wie die Nationalökonomie, eine realistische Wis-
senschaft; ich halte die transzendente, und die rein formale Ethik, wie sie M.
Weber hier als die allein berechtigte hinstellt, für verfehlt, stehe damit aber
in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der heutigen Philosophen. Die National-
ökonomie habe ich, wie viele Nationalökonomen von J. St. Mill bis heute,
eine ethische Wissenschaft genannt; auch A. Smith hielt sie für einen Teil der
Moralphilosophie; die meisten, die das taten, wollten weder Ethik und Na-
tionalökonomie zusammenwerfen noch die letztere zu einer höheren Dignität
erheben, noch weniger alle möglichen Kulturideale in sie einfügen. Am aller-
wenigstens lag mir nahe, aus einer spezifisch wirtschaftlichen Weltanschauung
heraus Werturteile zu produzieren; im Gegenteil, ich wollte nur nicht zugeben,
daß wirtschaftliches Handeln jenseits von Gut und Böse stehe. Wenn daneben
M. Weber das Höchste, was Menschenbrust bewegt, nämlich die Welt der
sittlichen Ideale nicht in das „Technisch-Ökonomische“ hineingetragen wissen
will, so ist das allerdings ein ethischer Purismus, dem ich nicht folgen kann.
Und jedenfalls hat es unsere Disziplin eben nicht bloß mit dem Technisch-
Ökonomischen, sondern mit der ökonomischen Gesellschaftsverfassung und da-
mit auch mit sittlichen und Rechtsfragen zu tun. Unsere Wissenschaft liegt
mindestens auf dem Grenzgebiet des Technisch-Ökonomischen und des Ethi-
schen. M. Weber hätte seine schönen Abhandlungen über die protestantische
Ethik und den Kapitalismus nicht schreiben können, wenn er nicht selbst den
engsten Zusammenhang zwischen Ökonomischem und Ethischem tief empfände.
⁷ Noch heute schwankt der Kampf über die Frage, ob und inwieweit objektive
Erkenntnis der Welt möglich sei, ob die Erscheinungen uns die Wirklichkeit
enthüllen, ob nicht der absolute Skeptizismus und der Subjektivismus doch
Recht habe. Wir haben oben berührt, wie neuerdings die Einheit unserer Er-
kenntnismethoden geleugnet wird, die Methoden der Naturwissenschaft ganz
für die Geisteswissenschaften verworfen werden. Sigwart hatte gelehrt, alle Er-
kenntnis habe den Zweck, ein Abbild der wirklichen Welt zu geben, Rickert
leugnet dies als ganz unmöglich.
Wenn trotz alledem die Fortschritte der allgemeinen Erkenntnistheorie groß
sind, wenn aller Skeptizismus und Subjektivismus immer wieder in sich zer-
fällt, die Einheit unserer Denkgesetze, bei allen kleineren Unterschieden zwi-
schen Natur- und Geisteswissenschaften sich erhalten wird, so bleibt doch
speziell für die Methodologie der Volkswirtschaftslehre und ihre Ausbildung
die Schwierigkeit, daß die Fachphilosophen, welche die Erkenntnistheorie
pflegen, dem Spezialbetrieb unserer Wissenschaft meist so fern stehen, daß sie
bei allem guten Willen der Einbeziehung unserer Lehren in ihre Forschung
deren Bedürfnisse nicht leicht ganz gerecht werden und daß umgekehrt von
den Fachgenossen die meisten, auch viele, die über methologische Fragen
schreiben, nicht über die entsprechende philosophische Bildung verfügen. Da-
durch entsteht viel Verwirrung und Schwierigkeit. Von den deutschen Fach-
genossen der letzten zwei Generationen waren eigentlich nur G. Rümelin,
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