herabgehe, wofür dann freilich einige Naturaleinnahmen hinzukämen.
Die Genossenschaften haben hierin wohl Einiges gebessert; schon 1863 existirten 20 preußische und 16 andere deutsche Rohstoffvereine von Schneidern; 1868 zählt Schulze 23 Rohstoffvereine, 11 Magazingenossen- schaften und 10 wirkliche Produktivvereine (einige hier- von sind in Böhmen) auf; die Stuttgarter Produktiv- genossenschaft, durch Dr. Pfeifer besonders in Gang gebracht, erfreut sich eines blühenden Geschäfts, wie denn nicht zu bezweifeln, daß die Schneider sich auf kooperativem Wege helfen können. Aber was bedeuten bis jetzt diese paar Vereine gegenüber den 169924 zoll- vereinsländischen Geschäften!
Je mehr das Magazinsystem siegt, desto mehr findet die Beschäftigung weiblicher Hände in der Schneiderei statt; in allen Geschäften, welche fertige Kleider liefern, seien es Herren- oder Frauenkleider, wendet man mehr und mehr Mädchen an, was schon aus den täglichen Annoncen der Zeitungen zu sehen ist, welche Mädchen suchen, "die auf Herrenarbeit geübt sind." Und nicht bloß aus den untern Ständen rekrutirt sich die Zahl dieser weiblichen Hände; der ganze Ueberschuß von Töch- tern aus dem Krämer-, Handwerker- und Beamten- stand, die nicht so glücklich sind in den Hafen einer auskömmlichen Ehe einzulaufen, sehr viele Wittwen sind froh, solche Beschäftigung zu finden; hat ja doch erst in neuerer Zeit die Bewegung begonnen, ihnen auch andere und lohnendere Stellungen zu eröffnen. An manchen Orten klagen die Schneider, sie könnten mit
Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
herabgehe, wofür dann freilich einige Naturaleinnahmen hinzukämen.
Die Genoſſenſchaften haben hierin wohl Einiges gebeſſert; ſchon 1863 exiſtirten 20 preußiſche und 16 andere deutſche Rohſtoffvereine von Schneidern; 1868 zählt Schulze 23 Rohſtoffvereine, 11 Magazingenoſſen- ſchaften und 10 wirkliche Produktivvereine (einige hier- von ſind in Böhmen) auf; die Stuttgarter Produktiv- genoſſenſchaft, durch Dr. Pfeifer beſonders in Gang gebracht, erfreut ſich eines blühenden Geſchäfts, wie denn nicht zu bezweifeln, daß die Schneider ſich auf kooperativem Wege helfen können. Aber was bedeuten bis jetzt dieſe paar Vereine gegenüber den 169924 zoll- vereinsländiſchen Geſchäften!
Je mehr das Magazinſyſtem ſiegt, deſto mehr findet die Beſchäftigung weiblicher Hände in der Schneiderei ſtatt; in allen Geſchäften, welche fertige Kleider liefern, ſeien es Herren- oder Frauenkleider, wendet man mehr und mehr Mädchen an, was ſchon aus den täglichen Annoncen der Zeitungen zu ſehen iſt, welche Mädchen ſuchen, „die auf Herrenarbeit geübt ſind.“ Und nicht bloß aus den untern Ständen rekrutirt ſich die Zahl dieſer weiblichen Hände; der ganze Ueberſchuß von Töch- tern aus dem Krämer-, Handwerker- und Beamten- ſtand, die nicht ſo glücklich ſind in den Hafen einer auskömmlichen Ehe einzulaufen, ſehr viele Wittwen ſind froh, ſolche Beſchäftigung zu finden; hat ja doch erſt in neuerer Zeit die Bewegung begonnen, ihnen auch andere und lohnendere Stellungen zu eröffnen. An manchen Orten klagen die Schneider, ſie könnten mit
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Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
herabgehe, wofür dann freilich einige Naturaleinnahmen
hinzukämen.
Die Genoſſenſchaften haben hierin wohl Einiges
gebeſſert; ſchon 1863 exiſtirten 20 preußiſche und 16
andere deutſche Rohſtoffvereine von Schneidern; 1868
zählt Schulze 23 Rohſtoffvereine, 11 Magazingenoſſen-
ſchaften und 10 wirkliche Produktivvereine (einige hier-
von ſind in Böhmen) auf; die Stuttgarter Produktiv-
genoſſenſchaft, durch Dr. Pfeifer beſonders in Gang
gebracht, erfreut ſich eines blühenden Geſchäfts, wie
denn nicht zu bezweifeln, daß die Schneider ſich auf
kooperativem Wege helfen können. Aber was bedeuten
bis jetzt dieſe paar Vereine gegenüber den 169924 zoll-
vereinsländiſchen Geſchäften!
Je mehr das Magazinſyſtem ſiegt, deſto mehr findet
die Beſchäftigung weiblicher Hände in der Schneiderei
ſtatt; in allen Geſchäften, welche fertige Kleider liefern,
ſeien es Herren- oder Frauenkleider, wendet man mehr
und mehr Mädchen an, was ſchon aus den täglichen
Annoncen der Zeitungen zu ſehen iſt, welche Mädchen
ſuchen, „die auf Herrenarbeit geübt ſind.“ Und nicht
bloß aus den untern Ständen rekrutirt ſich die Zahl
dieſer weiblichen Hände; der ganze Ueberſchuß von Töch-
tern aus dem Krämer-, Handwerker- und Beamten-
ſtand, die nicht ſo glücklich ſind in den Hafen einer
auskömmlichen Ehe einzulaufen, ſehr viele Wittwen ſind
froh, ſolche Beſchäftigung zu finden; hat ja doch erſt
in neuerer Zeit die Bewegung begonnen, ihnen auch
andere und lohnendere Stellungen zu eröffnen. An
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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 648. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/670>, abgerufen am 23.11.2024.
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