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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert.
gesetzgebung des vorigen Jahrhunderts ist bis auf die
neueste Zeit von ihren Aussprüchen fast gänzlich abhängig
geblieben.

Unter der Herrschaft des Merkantilsystems, wie
später unter dem der Physiokraten und Smithianer hat
man sich in doktrinärer Weise zu allgemein an allgemeine
Sätze gehalten. Damals war das Prinzip: Staatsein-
mischung unter allen Umständen; nichts -- lehrte man --
entsteht ohne sie; der Steuerrath, die Kriegs- und
Domänenkammer weiß Alles besser. Dann wurde ebenso
einseitig Fernhaltung aller Staatsintervention, Besei-
tigung aller Gewerbegesetzgebung Prinzip; die Regie-
rung -- lehrte man -- kann nur schaden, sie versteht
niemals die Dinge besser als die Gewerbetreibenden;
alle Industrie gedeiht nur, wenn man sie sich ganz selbst
überläßt. Früher spezialisirte man zu sehr, man dachte
mehr an die Vorbedingungen des gewerblichen Lebens
im Kleinen und Einzelnen; dadurch, daß man da ein-
griff, wollte man latente Kräfte entbinden, Hindernisse
beseitigen. Später generalisirte man zu sehr; man dachte
nur an die allgemeinsten Vorbedingungen; in die klei-
nern Ursachen und persönlichen Hemmnisse, gleichsam in
die Reibungswiderstände des praktischen Lebens wollte
man gar nicht eingreifen. Beide Prinzipien sind gleich
wahr und gleich falsch. Keins derselben, wenn auch
das eine mehr als das andere, wird an sich Industrien
ins Leben rufen; weder die volle Gewerbefreiheit noch
die weitgehendsten Gewerbereglements und Vorschriften
wirken ganz direkt und können darum Selbstzweck sein.
Für alles gewerbliche Leben und Gedeihen sind eine

Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert.
geſetzgebung des vorigen Jahrhunderts iſt bis auf die
neueſte Zeit von ihren Ausſprüchen faſt gänzlich abhängig
geblieben.

Unter der Herrſchaft des Merkantilſyſtems, wie
ſpäter unter dem der Phyſiokraten und Smithianer hat
man ſich in doktrinärer Weiſe zu allgemein an allgemeine
Sätze gehalten. Damals war das Prinzip: Staatsein-
miſchung unter allen Umſtänden; nichts — lehrte man —
entſteht ohne ſie; der Steuerrath, die Kriegs- und
Domänenkammer weiß Alles beſſer. Dann wurde ebenſo
einſeitig Fernhaltung aller Staatsintervention, Beſei-
tigung aller Gewerbegeſetzgebung Prinzip; die Regie-
rung — lehrte man — kann nur ſchaden, ſie verſteht
niemals die Dinge beſſer als die Gewerbetreibenden;
alle Induſtrie gedeiht nur, wenn man ſie ſich ganz ſelbſt
überläßt. Früher ſpezialiſirte man zu ſehr, man dachte
mehr an die Vorbedingungen des gewerblichen Lebens
im Kleinen und Einzelnen; dadurch, daß man da ein-
griff, wollte man latente Kräfte entbinden, Hinderniſſe
beſeitigen. Später generaliſirte man zu ſehr; man dachte
nur an die allgemeinſten Vorbedingungen; in die klei-
nern Urſachen und perſönlichen Hemmniſſe, gleichſam in
die Reibungswiderſtände des praktiſchen Lebens wollte
man gar nicht eingreifen. Beide Prinzipien ſind gleich
wahr und gleich falſch. Keins derſelben, wenn auch
das eine mehr als das andere, wird an ſich Induſtrien
ins Leben rufen; weder die volle Gewerbefreiheit noch
die weitgehendſten Gewerbereglements und Vorſchriften
wirken ganz direkt und können darum Selbſtzweck ſein.
Für alles gewerbliche Leben und Gedeihen ſind eine

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[40/0062] Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert. geſetzgebung des vorigen Jahrhunderts iſt bis auf die neueſte Zeit von ihren Ausſprüchen faſt gänzlich abhängig geblieben. Unter der Herrſchaft des Merkantilſyſtems, wie ſpäter unter dem der Phyſiokraten und Smithianer hat man ſich in doktrinärer Weiſe zu allgemein an allgemeine Sätze gehalten. Damals war das Prinzip: Staatsein- miſchung unter allen Umſtänden; nichts — lehrte man — entſteht ohne ſie; der Steuerrath, die Kriegs- und Domänenkammer weiß Alles beſſer. Dann wurde ebenſo einſeitig Fernhaltung aller Staatsintervention, Beſei- tigung aller Gewerbegeſetzgebung Prinzip; die Regie- rung — lehrte man — kann nur ſchaden, ſie verſteht niemals die Dinge beſſer als die Gewerbetreibenden; alle Induſtrie gedeiht nur, wenn man ſie ſich ganz ſelbſt überläßt. Früher ſpezialiſirte man zu ſehr, man dachte mehr an die Vorbedingungen des gewerblichen Lebens im Kleinen und Einzelnen; dadurch, daß man da ein- griff, wollte man latente Kräfte entbinden, Hinderniſſe beſeitigen. Später generaliſirte man zu ſehr; man dachte nur an die allgemeinſten Vorbedingungen; in die klei- nern Urſachen und perſönlichen Hemmniſſe, gleichſam in die Reibungswiderſtände des praktiſchen Lebens wollte man gar nicht eingreifen. Beide Prinzipien ſind gleich wahr und gleich falſch. Keins derſelben, wenn auch das eine mehr als das andere, wird an ſich Induſtrien ins Leben rufen; weder die volle Gewerbefreiheit noch die weitgehendſten Gewerbereglements und Vorſchriften wirken ganz direkt und können darum Selbſtzweck ſein. Für alles gewerbliche Leben und Gedeihen ſind eine

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/62>, abgerufen am 25.11.2024.