und dem Spinnrad zu liefern hatte, niemals ein so bedeutendes Gewerbe, wie die Flachsspinnerei; sie war selten ein selbständiges Gewerbe wie jene.
Auch im Mittelalter bildeten nur in den größten und blühendsten Städten der damaligen Tuchindustrie die Wollschläger, die Wollkämmer und die Wollspinner eigene Zünfte. Meist wurde das Schlagen der Wolle von den Tuchmachern selbst besorgt; das Kämmen wurde beinahe durchaus von Frauen um Lohn betrieben und selbst das Spinnen war mehr Nebenbeschäftigung der untern Klassen überhaupt; vielfach hielten sich die Weber eigene Knechte und Mägde zu diesem Geschäfte.1 Das vorige Jahrhundert, dessen Wollindustrie die der früheren Zeit ja im Durchschnitt keinenfalls erreichte, kannte zwar neben der Hausspinnerei professionsmäßige Spinner, aber nicht in zu großer Zahl; die armen Leute in den Städten der Wollindustrie, in nächster Nähe der Tuch- macher und Raschmacher gaben sich damit ab. Sie bildeten nicht wie die Leinenspinner ganze Kolonien auf dem Lande.2 Sie waren nicht Unternehmer, wie jene; sie waren zum Einkauf des Rohmaterials viel zu arm. Die Wolle war zu theuer, der Wollhandel war schon entwickelt, selbst die Webermeister waren theilweise ja zu arm, Wolle selbst zu kaufen. Das Bild, das uns aus den zahlreichen Reglements des vorigen Jahr-
1 (Hildebrand) zur Geschichte der deutschen Wollindustrie, in Hildebrand's Jahrbücher VII, S. 90.
2 Justi, Abhandlung von denen Manufaktur- und Fabrikenreglements zur Ergänzung seines Werkes von denen Manufakturen und Fabriken, Berlin und Leipzig 1762. S. 48.
Die Wollſpinnerei in früherer Zeit.
und dem Spinnrad zu liefern hatte, niemals ein ſo bedeutendes Gewerbe, wie die Flachsſpinnerei; ſie war ſelten ein ſelbſtändiges Gewerbe wie jene.
Auch im Mittelalter bildeten nur in den größten und blühendſten Städten der damaligen Tuchinduſtrie die Wollſchläger, die Wollkämmer und die Wollſpinner eigene Zünfte. Meiſt wurde das Schlagen der Wolle von den Tuchmachern ſelbſt beſorgt; das Kämmen wurde beinahe durchaus von Frauen um Lohn betrieben und ſelbſt das Spinnen war mehr Nebenbeſchäftigung der untern Klaſſen überhaupt; vielfach hielten ſich die Weber eigene Knechte und Mägde zu dieſem Geſchäfte.1 Das vorige Jahrhundert, deſſen Wollinduſtrie die der früheren Zeit ja im Durchſchnitt keinenfalls erreichte, kannte zwar neben der Hausſpinnerei profeſſionsmäßige Spinner, aber nicht in zu großer Zahl; die armen Leute in den Städten der Wollinduſtrie, in nächſter Nähe der Tuch- macher und Raſchmacher gaben ſich damit ab. Sie bildeten nicht wie die Leinenſpinner ganze Kolonien auf dem Lande.2 Sie waren nicht Unternehmer, wie jene; ſie waren zum Einkauf des Rohmaterials viel zu arm. Die Wolle war zu theuer, der Wollhandel war ſchon entwickelt, ſelbſt die Webermeiſter waren theilweiſe ja zu arm, Wolle ſelbſt zu kaufen. Das Bild, das uns aus den zahlreichen Reglements des vorigen Jahr-
1 (Hildebrand) zur Geſchichte der deutſchen Wollinduſtrie, in Hildebrand’s Jahrbücher VII, S. 90.
2 Juſti, Abhandlung von denen Manufaktur- und Fabrikenreglements zur Ergänzung ſeines Werkes von denen Manufakturen und Fabriken, Berlin und Leipzig 1762. S. 48.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0497"n="475"/><fwplace="top"type="header">Die Wollſpinnerei in früherer Zeit.</fw><lb/>
und dem Spinnrad zu liefern hatte, niemals ein ſo<lb/>
bedeutendes Gewerbe, wie die Flachsſpinnerei; ſie war<lb/>ſelten ein ſelbſtändiges Gewerbe wie jene.</p><lb/><p>Auch im Mittelalter bildeten nur in den größten und<lb/>
blühendſten Städten der damaligen Tuchinduſtrie die<lb/>
Wollſchläger, die Wollkämmer und die Wollſpinner<lb/>
eigene Zünfte. Meiſt wurde das Schlagen der Wolle<lb/>
von den Tuchmachern ſelbſt beſorgt; das Kämmen wurde<lb/>
beinahe durchaus von Frauen um Lohn betrieben und<lb/>ſelbſt das Spinnen war mehr Nebenbeſchäftigung der<lb/>
untern Klaſſen überhaupt; vielfach hielten ſich die Weber<lb/>
eigene Knechte und Mägde zu dieſem Geſchäfte.<noteplace="foot"n="1">(Hildebrand) zur Geſchichte der deutſchen Wollinduſtrie,<lb/>
in Hildebrand’s Jahrbücher <hirendition="#aq">VII,</hi> S. 90.</note> Das<lb/>
vorige Jahrhundert, deſſen Wollinduſtrie die der früheren<lb/>
Zeit ja im Durchſchnitt keinenfalls erreichte, kannte zwar<lb/>
neben der Hausſpinnerei profeſſionsmäßige Spinner,<lb/>
aber nicht in zu großer Zahl; die armen Leute in den<lb/>
Städten der Wollinduſtrie, in nächſter Nähe der Tuch-<lb/>
macher und Raſchmacher gaben ſich damit ab. Sie<lb/>
bildeten nicht wie die Leinenſpinner ganze Kolonien auf<lb/>
dem Lande.<noteplace="foot"n="2">Juſti, Abhandlung von denen Manufaktur- und<lb/>
Fabrikenreglements zur Ergänzung ſeines Werkes von denen<lb/>
Manufakturen und Fabriken, Berlin und Leipzig 1762. S. 48.</note> Sie waren nicht Unternehmer, wie jene;<lb/>ſie waren zum Einkauf des Rohmaterials viel zu arm.<lb/>
Die Wolle war zu theuer, der Wollhandel war ſchon<lb/>
entwickelt, ſelbſt die Webermeiſter waren theilweiſe ja<lb/>
zu arm, Wolle ſelbſt zu kaufen. Das Bild, das uns<lb/>
aus den zahlreichen Reglements des vorigen Jahr-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[475/0497]
Die Wollſpinnerei in früherer Zeit.
und dem Spinnrad zu liefern hatte, niemals ein ſo
bedeutendes Gewerbe, wie die Flachsſpinnerei; ſie war
ſelten ein ſelbſtändiges Gewerbe wie jene.
Auch im Mittelalter bildeten nur in den größten und
blühendſten Städten der damaligen Tuchinduſtrie die
Wollſchläger, die Wollkämmer und die Wollſpinner
eigene Zünfte. Meiſt wurde das Schlagen der Wolle
von den Tuchmachern ſelbſt beſorgt; das Kämmen wurde
beinahe durchaus von Frauen um Lohn betrieben und
ſelbſt das Spinnen war mehr Nebenbeſchäftigung der
untern Klaſſen überhaupt; vielfach hielten ſich die Weber
eigene Knechte und Mägde zu dieſem Geſchäfte. 1 Das
vorige Jahrhundert, deſſen Wollinduſtrie die der früheren
Zeit ja im Durchſchnitt keinenfalls erreichte, kannte zwar
neben der Hausſpinnerei profeſſionsmäßige Spinner,
aber nicht in zu großer Zahl; die armen Leute in den
Städten der Wollinduſtrie, in nächſter Nähe der Tuch-
macher und Raſchmacher gaben ſich damit ab. Sie
bildeten nicht wie die Leinenſpinner ganze Kolonien auf
dem Lande. 2 Sie waren nicht Unternehmer, wie jene;
ſie waren zum Einkauf des Rohmaterials viel zu arm.
Die Wolle war zu theuer, der Wollhandel war ſchon
entwickelt, ſelbſt die Webermeiſter waren theilweiſe ja
zu arm, Wolle ſelbſt zu kaufen. Das Bild, das uns
aus den zahlreichen Reglements des vorigen Jahr-
1 (Hildebrand) zur Geſchichte der deutſchen Wollinduſtrie,
in Hildebrand’s Jahrbücher VII, S. 90.
2 Juſti, Abhandlung von denen Manufaktur- und
Fabrikenreglements zur Ergänzung ſeines Werkes von denen
Manufakturen und Fabriken, Berlin und Leipzig 1762. S. 48.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/497>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.