Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Verschlechterung des deutschen Handgarns.
erklärten die britischen Kaufleute das deutsche Garn,
das früher so beliebt war, sei aus diesem Grunde fast
unverkäuflich. 1

Mit der unreellen Behandlung des ganzen Geschäfts
und der sich steigernden Noth gestaltete sich auch die
ganze bisherige Organisation des Geschäfts zur Geißel
für die Spinner. Sie hatten früher durch den Selbst-
bau oder Baarkauf des Flachses und den Verkauf des
Garnes eine gewisse Selbständigkeit behauptet. Mit der
Noth wurde das anders. Für den Selbstbau des
Flachses fehlten die Mittel; es wurde den Leuten immer
schwerer ein Stückchen Land zu pachten; sie mußten den
Flachs vom Flachshändler nehmen. Dieser machte ohne-
dieß schlechte Geschäfte durch die sinkenden Konjunkturen,
suchte sich dadurch zu helfen, daß er immer schlechtern
und billigern Flachs kaufte, den die von ihm abhängigen,
an ihn schon verschuldeten Spinner doch zu den alten
Preisen nehmen mußten. Der Verfall der Flachs-
bereitung hängt hiermit zusammen.

Gegenüber dem Garnhändler war der Spinner
nicht in besserer Lage; konnte er gar keinen Flachs mehr
kaufen, so mußte er froh sein, dem Garnhändler welchen
um Lohn zu verspinnen; hatte er noch eigenes Garn
zu verkaufen, so war er doch beim Handel immer der,
den die Noth drängte zu verkaufen, der sich jeden Preis
gefallen lassen mußte. Vom Händler und Faktor oft-
mals gewissenlos gedrückt, hielt er sich nun seinerseits
zu jedem Betrug berechtigt. Es entstand ein System

1 Gülich II, 467.

Die Verſchlechterung des deutſchen Handgarns.
erklärten die britiſchen Kaufleute das deutſche Garn,
das früher ſo beliebt war, ſei aus dieſem Grunde faſt
unverkäuflich. 1

Mit der unreellen Behandlung des ganzen Geſchäfts
und der ſich ſteigernden Noth geſtaltete ſich auch die
ganze bisherige Organiſation des Geſchäfts zur Geißel
für die Spinner. Sie hatten früher durch den Selbſt-
bau oder Baarkauf des Flachſes und den Verkauf des
Garnes eine gewiſſe Selbſtändigkeit behauptet. Mit der
Noth wurde das anders. Für den Selbſtbau des
Flachſes fehlten die Mittel; es wurde den Leuten immer
ſchwerer ein Stückchen Land zu pachten; ſie mußten den
Flachs vom Flachshändler nehmen. Dieſer machte ohne-
dieß ſchlechte Geſchäfte durch die ſinkenden Konjunkturen,
ſuchte ſich dadurch zu helfen, daß er immer ſchlechtern
und billigern Flachs kaufte, den die von ihm abhängigen,
an ihn ſchon verſchuldeten Spinner doch zu den alten
Preiſen nehmen mußten. Der Verfall der Flachs-
bereitung hängt hiermit zuſammen.

Gegenüber dem Garnhändler war der Spinner
nicht in beſſerer Lage; konnte er gar keinen Flachs mehr
kaufen, ſo mußte er froh ſein, dem Garnhändler welchen
um Lohn zu verſpinnen; hatte er noch eigenes Garn
zu verkaufen, ſo war er doch beim Handel immer der,
den die Noth drängte zu verkaufen, der ſich jeden Preis
gefallen laſſen mußte. Vom Händler und Faktor oft-
mals gewiſſenlos gedrückt, hielt er ſich nun ſeinerſeits
zu jedem Betrug berechtigt. Es entſtand ein Syſtem

1 Gülich II, 467.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0483" n="461"/><fw place="top" type="header">Die Ver&#x017F;chlechterung des deut&#x017F;chen Handgarns.</fw><lb/>
erklärten die briti&#x017F;chen Kaufleute das deut&#x017F;che Garn,<lb/>
das früher &#x017F;o beliebt war, &#x017F;ei aus die&#x017F;em Grunde fa&#x017F;t<lb/>
unverkäuflich. <note place="foot" n="1">Gülich <hi rendition="#aq">II,</hi> 467.</note></p><lb/>
          <p>Mit der unreellen Behandlung des ganzen Ge&#x017F;chäfts<lb/>
und der &#x017F;ich &#x017F;teigernden Noth ge&#x017F;taltete &#x017F;ich auch die<lb/>
ganze bisherige Organi&#x017F;ation des Ge&#x017F;chäfts zur Geißel<lb/>
für die Spinner. Sie hatten früher durch den Selb&#x017F;t-<lb/>
bau oder Baarkauf des Flach&#x017F;es und den Verkauf des<lb/>
Garnes eine gewi&#x017F;&#x017F;e Selb&#x017F;tändigkeit behauptet. Mit der<lb/>
Noth wurde das anders. Für den Selb&#x017F;tbau des<lb/>
Flach&#x017F;es fehlten die Mittel; es wurde den Leuten immer<lb/>
&#x017F;chwerer ein Stückchen Land zu pachten; &#x017F;ie mußten den<lb/>
Flachs vom Flachshändler nehmen. Die&#x017F;er machte ohne-<lb/>
dieß &#x017F;chlechte Ge&#x017F;chäfte durch die &#x017F;inkenden Konjunkturen,<lb/>
&#x017F;uchte &#x017F;ich dadurch zu helfen, daß er immer &#x017F;chlechtern<lb/>
und billigern Flachs kaufte, den die von ihm abhängigen,<lb/>
an ihn &#x017F;chon ver&#x017F;chuldeten Spinner doch zu den alten<lb/>
Prei&#x017F;en nehmen mußten. Der Verfall der Flachs-<lb/>
bereitung hängt hiermit zu&#x017F;ammen.</p><lb/>
          <p>Gegenüber dem Garnhändler war der Spinner<lb/>
nicht in be&#x017F;&#x017F;erer Lage; konnte er gar keinen Flachs mehr<lb/>
kaufen, &#x017F;o mußte er froh &#x017F;ein, dem Garnhändler welchen<lb/>
um Lohn zu ver&#x017F;pinnen; hatte er noch eigenes Garn<lb/>
zu verkaufen, &#x017F;o war er doch beim Handel immer der,<lb/>
den die Noth drängte zu verkaufen, der &#x017F;ich jeden Preis<lb/>
gefallen la&#x017F;&#x017F;en mußte. Vom Händler und Faktor oft-<lb/>
mals gewi&#x017F;&#x017F;enlos gedrückt, hielt er &#x017F;ich nun &#x017F;einer&#x017F;eits<lb/>
zu jedem Betrug berechtigt. Es ent&#x017F;tand ein Sy&#x017F;tem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[461/0483] Die Verſchlechterung des deutſchen Handgarns. erklärten die britiſchen Kaufleute das deutſche Garn, das früher ſo beliebt war, ſei aus dieſem Grunde faſt unverkäuflich. 1 Mit der unreellen Behandlung des ganzen Geſchäfts und der ſich ſteigernden Noth geſtaltete ſich auch die ganze bisherige Organiſation des Geſchäfts zur Geißel für die Spinner. Sie hatten früher durch den Selbſt- bau oder Baarkauf des Flachſes und den Verkauf des Garnes eine gewiſſe Selbſtändigkeit behauptet. Mit der Noth wurde das anders. Für den Selbſtbau des Flachſes fehlten die Mittel; es wurde den Leuten immer ſchwerer ein Stückchen Land zu pachten; ſie mußten den Flachs vom Flachshändler nehmen. Dieſer machte ohne- dieß ſchlechte Geſchäfte durch die ſinkenden Konjunkturen, ſuchte ſich dadurch zu helfen, daß er immer ſchlechtern und billigern Flachs kaufte, den die von ihm abhängigen, an ihn ſchon verſchuldeten Spinner doch zu den alten Preiſen nehmen mußten. Der Verfall der Flachs- bereitung hängt hiermit zuſammen. Gegenüber dem Garnhändler war der Spinner nicht in beſſerer Lage; konnte er gar keinen Flachs mehr kaufen, ſo mußte er froh ſein, dem Garnhändler welchen um Lohn zu verſpinnen; hatte er noch eigenes Garn zu verkaufen, ſo war er doch beim Handel immer der, den die Noth drängte zu verkaufen, der ſich jeden Preis gefallen laſſen mußte. Vom Händler und Faktor oft- mals gewiſſenlos gedrückt, hielt er ſich nun ſeinerſeits zu jedem Betrug berechtigt. Es entſtand ein Syſtem 1 Gülich II, 467.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/483
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/483>, abgerufen am 22.11.2024.