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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
der Export und der innere Bedarf ein solcher, noch war
innerhalb Deutschlands der Uebergang zur Maschinen-
spinnerei so schwierig, theuer und unbeliebt, 1 daß der
Handspinnerei immer noch ein großes Feld geblieben
wäre, wenn sie sich nicht selbst durch die Verschlechterung
des Produktes diskreditirt hätte.

Gerade als die Garnpreise zu sinken begannen,
fing man in Schlesien an, das sächsische Spinnrad ein-
zuführen, das mehr und schneller, aber auch viel
schlechter zu spinnen erlaubte. 2 Bei dem täglich sinken-
den Lohn suchten sich die Leute durch eine immer schnellere
und schlechtere Produktion zu helfen. Eine strenge poli-
zeiliche Beaufsichtigung der Produkte wäre doppelt am
Platze gewesen und gerade jetzt fiel sie fast ganz weg.
Man hatte in Preußen mit der freiheitlichen Gewerbe-
gesetzgebung die Spinner- und Weberreglements nicht
vollständig aufgehoben, man hatte aber aufgehört, sie
streng durchzuführen. Mehr und mehr schlichen sich
betrügerische Verschlechterungen ein, die deutsche Waare
kam im Ausland in Verruf. Das Maschinengarn
gewann damals an Beliebtheit nur, weil man sicher
war, ein gleichmäßiges bestimmtes Produkt vor sich zu
haben, während das Handgarn die Publica fides,
deren es früher genoß, verloren hatte. Im Jahre 1828

1 Die preußische Regierung hatte zuerst 1810 eine unvoll-
kommene Spinnmaschine gekauft und dem Kaufmann Alberti
im schlesischen Gebirge überlassen; aber erst nach Jahren war sie
leidlich in Gang gekommen. S. Hoffmann, Uebersicht der Wir-
kungen der Spinnmaschinen a. a. O. S. 149.
2 Schneer, über die Noth der Leinenarbeiter S. 11.

Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
der Export und der innere Bedarf ein ſolcher, noch war
innerhalb Deutſchlands der Uebergang zur Maſchinen-
ſpinnerei ſo ſchwierig, theuer und unbeliebt, 1 daß der
Handſpinnerei immer noch ein großes Feld geblieben
wäre, wenn ſie ſich nicht ſelbſt durch die Verſchlechterung
des Produktes diskreditirt hätte.

Gerade als die Garnpreiſe zu ſinken begannen,
fing man in Schleſien an, das ſächſiſche Spinnrad ein-
zuführen, das mehr und ſchneller, aber auch viel
ſchlechter zu ſpinnen erlaubte. 2 Bei dem täglich ſinken-
den Lohn ſuchten ſich die Leute durch eine immer ſchnellere
und ſchlechtere Produktion zu helfen. Eine ſtrenge poli-
zeiliche Beaufſichtigung der Produkte wäre doppelt am
Platze geweſen und gerade jetzt fiel ſie faſt ganz weg.
Man hatte in Preußen mit der freiheitlichen Gewerbe-
geſetzgebung die Spinner- und Weberreglements nicht
vollſtändig aufgehoben, man hatte aber aufgehört, ſie
ſtreng durchzuführen. Mehr und mehr ſchlichen ſich
betrügeriſche Verſchlechterungen ein, die deutſche Waare
kam im Ausland in Verruf. Das Maſchinengarn
gewann damals an Beliebtheit nur, weil man ſicher
war, ein gleichmäßiges beſtimmtes Produkt vor ſich zu
haben, während das Handgarn die Publica fides,
deren es früher genoß, verloren hatte. Im Jahre 1828

1 Die preußiſche Regierung hatte zuerſt 1810 eine unvoll-
kommene Spinnmaſchine gekauft und dem Kaufmann Alberti
im ſchleſiſchen Gebirge überlaſſen; aber erſt nach Jahren war ſie
leidlich in Gang gekommen. S. Hoffmann, Ueberſicht der Wir-
kungen der Spinnmaſchinen a. a. O. S. 149.
2 Schneer, über die Noth der Leinenarbeiter S. 11.
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[460/0482] Die Umbildung einzelner Gewerbszweige. der Export und der innere Bedarf ein ſolcher, noch war innerhalb Deutſchlands der Uebergang zur Maſchinen- ſpinnerei ſo ſchwierig, theuer und unbeliebt, 1 daß der Handſpinnerei immer noch ein großes Feld geblieben wäre, wenn ſie ſich nicht ſelbſt durch die Verſchlechterung des Produktes diskreditirt hätte. Gerade als die Garnpreiſe zu ſinken begannen, fing man in Schleſien an, das ſächſiſche Spinnrad ein- zuführen, das mehr und ſchneller, aber auch viel ſchlechter zu ſpinnen erlaubte. 2 Bei dem täglich ſinken- den Lohn ſuchten ſich die Leute durch eine immer ſchnellere und ſchlechtere Produktion zu helfen. Eine ſtrenge poli- zeiliche Beaufſichtigung der Produkte wäre doppelt am Platze geweſen und gerade jetzt fiel ſie faſt ganz weg. Man hatte in Preußen mit der freiheitlichen Gewerbe- geſetzgebung die Spinner- und Weberreglements nicht vollſtändig aufgehoben, man hatte aber aufgehört, ſie ſtreng durchzuführen. Mehr und mehr ſchlichen ſich betrügeriſche Verſchlechterungen ein, die deutſche Waare kam im Ausland in Verruf. Das Maſchinengarn gewann damals an Beliebtheit nur, weil man ſicher war, ein gleichmäßiges beſtimmtes Produkt vor ſich zu haben, während das Handgarn die Publica fides, deren es früher genoß, verloren hatte. Im Jahre 1828 1 Die preußiſche Regierung hatte zuerſt 1810 eine unvoll- kommene Spinnmaſchine gekauft und dem Kaufmann Alberti im ſchleſiſchen Gebirge überlaſſen; aber erſt nach Jahren war ſie leidlich in Gang gekommen. S. Hoffmann, Ueberſicht der Wir- kungen der Spinnmaſchinen a. a. O. S. 149. 2 Schneer, über die Noth der Leinenarbeiter S. 11.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/482>, abgerufen am 22.11.2024.