Die große Scheidung von Landwirtschaft und Gewerbe.
Beinahe 5 Mill. Fälle von Nebenberufen überhaupt wurden 1895 ermittelt, wovon 3,6 Mill. auf die Landwirtschaft entfallen.
Die Scheidung zwischen Landwirtschaft und anderen Berufen vollzieht sich aber auch deshalb vielfach nicht, weil alle Versorgung durch den Markt leicht ein Element der Verteuerung und der Unsicherheit in sich enthält; der Tagelöhner, der Schullehrer, der Handwerker des platten Landes, der kleinen Stadt spart, wenn er Kartoffeln und Gemüse selbst baut, er giebt damit Frau und Kindern eine heilsame, gegen übertriebene berufliche Arbeitsspecialisierung schützende Thätigkeit. Es giebt einsichtige sociale Reformer, die für alle Lohnarbeiter Derartiges wünschen. Ein großer Teil der socia- listischen Schriftsteller hält eine Gesundung unserer Zustände nur möglich unter der Bedingung allgemeiner Verbindung anderer Berufsarbeit mit Garten- und Ackerbau.
Endlich hat die Loslösung der alten Bestandteile der agrarisch universalen Wirt- schaft auch gewisse technische und organisatorische Hindernisse. Forstwirtschaft, Bergbau, Ziegelei, Steinbrüche sind heute meist nicht mehr mit den landwirtschaftlichen Betrieben verbunden; aber vielfach erscheint die Verbindung doch noch vorteilhaft wegen der Lage der Forsten und Gruben, wegen der Einteilung der Arbeiten, der Holznutzung etc. Neuerdings verbindet man den Rübenbau mit der Zuckerindustrie, den Kartoffelbau mit der Spiritus- brennerei, um sich die Rohstoffe zu sichern, Wege zu sparen, gewisse Nebenprodukte (wie die Schlempe) als Viehfutter zu verwenden.
All' dies sind heilsame und natürliche Ausnahmen des großen Scheidungsprozesses. Auch wo sie, wie bei manchen ländlichen Hausindustrien, bei manchen Kleinbauern und ländlichen Handwerkern die Folge haben, daß die agrarische und gewerbliche Technik nicht so leicht fortschreitet, kann die Verbindung noch angezeigt sein, wenn die ander- weiten Vorteile für die Hauswirtschaft, die Wohnweise, das Familienleben, die Moral schwerwiegender sind als die etwaige technische Unvollkommenheit.
Immer haben diese Ausnahmen und Schranken die große Thatsache nicht gehindert, daß die Landwirtschaft unserer Kulturländer heute im ganzen etwas anderes, Specialisier- teres ist als früher, daß die meisten Gewerbe sich von ihr losgelöst haben. In jedem Dorf sind heute zahlreiche Handwerker; jeder Guts- und Bauernbetrieb kauft heute dieses und jenes vom Hausierer, läßt vom wandernden Lohnwerker Schuhe und Kleider machen, kauft Wagen, Werkzeuge, Pflug und andere Ackergeräte, läßt sich sein Haus von Maurern und Zimmerern bauen.
Aber im übrigen bleibt dem landwirtschaftlichen Betriebe doch stets eine größere Vielseitigkeit als den Gewerben. Der Viehzüchter im Gebirge baut zugleich Hafer und Kartoffeln; der Ackerbauer in der Ebene hält Vieh, weil er Spannkräfte und Düngung braucht, seine Wiesen und Weiden nutzen muß; er muß mit verschiedenen Früchten wechseln, weil er sonst seinen Boden erschöpft. Die meisten landwirtschaftlichen Arbeiten sind an bestimmte Tages- und Jahreszeiten geknüpft, können nicht dauernd geübt, nicht ausschließlich denselben Kräften übertragen werden; wer morgens und abends die Kühe melkt, wer im Frühjahr pflügt, im Sommer die Ernte schneidet, muß zu anderer Zeit anderes thun. Für alle land- und forstwirtschaftlichen Betriebe handelt es sich um die schwierige Kunst, die verschiedensten Thätigkeiten an dieselben Leute im Jahre so zu verteilen, daß man auch in der Zeit der stärksten Arbeit nicht so sehr viel mehr Kräfte braucht als im Winter.
Daneben aber hat die neuere Ausbildung des Absatzes und die Entstehung größerer Gutswirtschaften doch mancherlei Ansätze zur Arbeitsteilung gebracht. Je mehr der Landwirt anfing, für den Markt zu produzieren, desto mehr mußte er suchen, das Einträglichste in seinem Betriebe in den Vordergrund zu rücken. Er legte sich vorzugs- weise auf Getreidebau oder Viehzucht, auf Mästerei oder Wollproduktion. Er begann mehr als bisher je nach Bodenverhältnissen, Größe des Gutes, Arbeitskräften und Kapitalbesitz seinen Betrieb zu specialisieren; der kleine Landwirt warf sich auf Hopfen, Tabak, Gemüse, der große auf Rübenbau, Pferdezucht und Ähnliches. Und innerhalb eines größeren Betriebes versuchte man specialisierte gelernte Arbeitskräfte, wie Schäfer,
Die große Scheidung von Landwirtſchaft und Gewerbe.
Beinahe 5 Mill. Fälle von Nebenberufen überhaupt wurden 1895 ermittelt, wovon 3,6 Mill. auf die Landwirtſchaft entfallen.
Die Scheidung zwiſchen Landwirtſchaft und anderen Berufen vollzieht ſich aber auch deshalb vielfach nicht, weil alle Verſorgung durch den Markt leicht ein Element der Verteuerung und der Unſicherheit in ſich enthält; der Tagelöhner, der Schullehrer, der Handwerker des platten Landes, der kleinen Stadt ſpart, wenn er Kartoffeln und Gemüſe ſelbſt baut, er giebt damit Frau und Kindern eine heilſame, gegen übertriebene berufliche Arbeitsſpecialiſierung ſchützende Thätigkeit. Es giebt einſichtige ſociale Reformer, die für alle Lohnarbeiter Derartiges wünſchen. Ein großer Teil der ſocia- liſtiſchen Schriftſteller hält eine Geſundung unſerer Zuſtände nur möglich unter der Bedingung allgemeiner Verbindung anderer Berufsarbeit mit Garten- und Ackerbau.
Endlich hat die Loslöſung der alten Beſtandteile der agrariſch univerſalen Wirt- ſchaft auch gewiſſe techniſche und organiſatoriſche Hinderniſſe. Forſtwirtſchaft, Bergbau, Ziegelei, Steinbrüche ſind heute meiſt nicht mehr mit den landwirtſchaftlichen Betrieben verbunden; aber vielfach erſcheint die Verbindung doch noch vorteilhaft wegen der Lage der Forſten und Gruben, wegen der Einteilung der Arbeiten, der Holznutzung ꝛc. Neuerdings verbindet man den Rübenbau mit der Zuckerinduſtrie, den Kartoffelbau mit der Spiritus- brennerei, um ſich die Rohſtoffe zu ſichern, Wege zu ſparen, gewiſſe Nebenprodukte (wie die Schlempe) als Viehfutter zu verwenden.
All’ dies ſind heilſame und natürliche Ausnahmen des großen Scheidungsprozeſſes. Auch wo ſie, wie bei manchen ländlichen Hausinduſtrien, bei manchen Kleinbauern und ländlichen Handwerkern die Folge haben, daß die agrariſche und gewerbliche Technik nicht ſo leicht fortſchreitet, kann die Verbindung noch angezeigt ſein, wenn die ander- weiten Vorteile für die Hauswirtſchaft, die Wohnweiſe, das Familienleben, die Moral ſchwerwiegender ſind als die etwaige techniſche Unvollkommenheit.
Immer haben dieſe Ausnahmen und Schranken die große Thatſache nicht gehindert, daß die Landwirtſchaft unſerer Kulturländer heute im ganzen etwas anderes, Specialiſier- teres iſt als früher, daß die meiſten Gewerbe ſich von ihr losgelöſt haben. In jedem Dorf ſind heute zahlreiche Handwerker; jeder Guts- und Bauernbetrieb kauft heute dieſes und jenes vom Hauſierer, läßt vom wandernden Lohnwerker Schuhe und Kleider machen, kauft Wagen, Werkzeuge, Pflug und andere Ackergeräte, läßt ſich ſein Haus von Maurern und Zimmerern bauen.
Aber im übrigen bleibt dem landwirtſchaftlichen Betriebe doch ſtets eine größere Vielſeitigkeit als den Gewerben. Der Viehzüchter im Gebirge baut zugleich Hafer und Kartoffeln; der Ackerbauer in der Ebene hält Vieh, weil er Spannkräfte und Düngung braucht, ſeine Wieſen und Weiden nutzen muß; er muß mit verſchiedenen Früchten wechſeln, weil er ſonſt ſeinen Boden erſchöpft. Die meiſten landwirtſchaftlichen Arbeiten ſind an beſtimmte Tages- und Jahreszeiten geknüpft, können nicht dauernd geübt, nicht ausſchließlich denſelben Kräften übertragen werden; wer morgens und abends die Kühe melkt, wer im Frühjahr pflügt, im Sommer die Ernte ſchneidet, muß zu anderer Zeit anderes thun. Für alle land- und forſtwirtſchaftlichen Betriebe handelt es ſich um die ſchwierige Kunſt, die verſchiedenſten Thätigkeiten an dieſelben Leute im Jahre ſo zu verteilen, daß man auch in der Zeit der ſtärkſten Arbeit nicht ſo ſehr viel mehr Kräfte braucht als im Winter.
Daneben aber hat die neuere Ausbildung des Abſatzes und die Entſtehung größerer Gutswirtſchaften doch mancherlei Anſätze zur Arbeitsteilung gebracht. Je mehr der Landwirt anfing, für den Markt zu produzieren, deſto mehr mußte er ſuchen, das Einträglichſte in ſeinem Betriebe in den Vordergrund zu rücken. Er legte ſich vorzugs- weiſe auf Getreidebau oder Viehzucht, auf Mäſterei oder Wollproduktion. Er begann mehr als bisher je nach Bodenverhältniſſen, Größe des Gutes, Arbeitskräften und Kapitalbeſitz ſeinen Betrieb zu ſpecialiſieren; der kleine Landwirt warf ſich auf Hopfen, Tabak, Gemüſe, der große auf Rübenbau, Pferdezucht und Ähnliches. Und innerhalb eines größeren Betriebes verſuchte man ſpecialiſierte gelernte Arbeitskräfte, wie Schäfer,
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Die große Scheidung von Landwirtſchaft und Gewerbe.
Beinahe 5 Mill. Fälle von Nebenberufen überhaupt wurden 1895 ermittelt, wovon
3,6 Mill. auf die Landwirtſchaft entfallen.
Die Scheidung zwiſchen Landwirtſchaft und anderen Berufen vollzieht ſich aber
auch deshalb vielfach nicht, weil alle Verſorgung durch den Markt leicht ein Element
der Verteuerung und der Unſicherheit in ſich enthält; der Tagelöhner, der Schullehrer,
der Handwerker des platten Landes, der kleinen Stadt ſpart, wenn er Kartoffeln und
Gemüſe ſelbſt baut, er giebt damit Frau und Kindern eine heilſame, gegen übertriebene
berufliche Arbeitsſpecialiſierung ſchützende Thätigkeit. Es giebt einſichtige ſociale
Reformer, die für alle Lohnarbeiter Derartiges wünſchen. Ein großer Teil der ſocia-
liſtiſchen Schriftſteller hält eine Geſundung unſerer Zuſtände nur möglich unter der
Bedingung allgemeiner Verbindung anderer Berufsarbeit mit Garten- und Ackerbau.
Endlich hat die Loslöſung der alten Beſtandteile der agrariſch univerſalen Wirt-
ſchaft auch gewiſſe techniſche und organiſatoriſche Hinderniſſe. Forſtwirtſchaft, Bergbau,
Ziegelei, Steinbrüche ſind heute meiſt nicht mehr mit den landwirtſchaftlichen Betrieben
verbunden; aber vielfach erſcheint die Verbindung doch noch vorteilhaft wegen der Lage der
Forſten und Gruben, wegen der Einteilung der Arbeiten, der Holznutzung ꝛc. Neuerdings
verbindet man den Rübenbau mit der Zuckerinduſtrie, den Kartoffelbau mit der Spiritus-
brennerei, um ſich die Rohſtoffe zu ſichern, Wege zu ſparen, gewiſſe Nebenprodukte (wie
die Schlempe) als Viehfutter zu verwenden.
All’ dies ſind heilſame und natürliche Ausnahmen des großen Scheidungsprozeſſes.
Auch wo ſie, wie bei manchen ländlichen Hausinduſtrien, bei manchen Kleinbauern
und ländlichen Handwerkern die Folge haben, daß die agrariſche und gewerbliche Technik
nicht ſo leicht fortſchreitet, kann die Verbindung noch angezeigt ſein, wenn die ander-
weiten Vorteile für die Hauswirtſchaft, die Wohnweiſe, das Familienleben, die Moral
ſchwerwiegender ſind als die etwaige techniſche Unvollkommenheit.
Immer haben dieſe Ausnahmen und Schranken die große Thatſache nicht gehindert,
daß die Landwirtſchaft unſerer Kulturländer heute im ganzen etwas anderes, Specialiſier-
teres iſt als früher, daß die meiſten Gewerbe ſich von ihr losgelöſt haben. In jedem
Dorf ſind heute zahlreiche Handwerker; jeder Guts- und Bauernbetrieb kauft heute dieſes
und jenes vom Hauſierer, läßt vom wandernden Lohnwerker Schuhe und Kleider machen,
kauft Wagen, Werkzeuge, Pflug und andere Ackergeräte, läßt ſich ſein Haus von Maurern
und Zimmerern bauen.
Aber im übrigen bleibt dem landwirtſchaftlichen Betriebe doch ſtets eine größere
Vielſeitigkeit als den Gewerben. Der Viehzüchter im Gebirge baut zugleich Hafer und
Kartoffeln; der Ackerbauer in der Ebene hält Vieh, weil er Spannkräfte und Düngung
braucht, ſeine Wieſen und Weiden nutzen muß; er muß mit verſchiedenen Früchten
wechſeln, weil er ſonſt ſeinen Boden erſchöpft. Die meiſten landwirtſchaftlichen Arbeiten
ſind an beſtimmte Tages- und Jahreszeiten geknüpft, können nicht dauernd geübt, nicht
ausſchließlich denſelben Kräften übertragen werden; wer morgens und abends die Kühe
melkt, wer im Frühjahr pflügt, im Sommer die Ernte ſchneidet, muß zu anderer Zeit
anderes thun. Für alle land- und forſtwirtſchaftlichen Betriebe handelt es ſich um die
ſchwierige Kunſt, die verſchiedenſten Thätigkeiten an dieſelben Leute im Jahre ſo zu
verteilen, daß man auch in der Zeit der ſtärkſten Arbeit nicht ſo ſehr viel mehr Kräfte
braucht als im Winter.
Daneben aber hat die neuere Ausbildung des Abſatzes und die Entſtehung größerer
Gutswirtſchaften doch mancherlei Anſätze zur Arbeitsteilung gebracht. Je mehr der
Landwirt anfing, für den Markt zu produzieren, deſto mehr mußte er ſuchen, das
Einträglichſte in ſeinem Betriebe in den Vordergrund zu rücken. Er legte ſich vorzugs-
weiſe auf Getreidebau oder Viehzucht, auf Mäſterei oder Wollproduktion. Er begann
mehr als bisher je nach Bodenverhältniſſen, Größe des Gutes, Arbeitskräften und
Kapitalbeſitz ſeinen Betrieb zu ſpecialiſieren; der kleine Landwirt warf ſich auf Hopfen,
Tabak, Gemüſe, der große auf Rübenbau, Pferdezucht und Ähnliches. Und innerhalb
eines größeren Betriebes verſuchte man ſpecialiſierte gelernte Arbeitskräfte, wie Schäfer,
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/363>, abgerufen am 16.07.2024.
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