Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Die merkantilistische Litteratur der einzelnen Länder. des ostindischen Handels, auf eine staatliche Herabdrückung des Zinsfußes und eineFörderung der heimischen Industrie; in Deutschland empfiehlt man vor allem Erschwe- rung und Verbot der fremden Manufakteneinfuhr, um das gewerbliche Leben der Heimat nicht ganz durch die fremde Konkurrenz erdrücken zu lassen. Die einzelnen Mittel sind verschieden, die Ziele sind überall dieselben: die egoistische Förderung der eigenen Volks- wirtschaft mit allen Mitteln des Staates. Während die viel bewunderten Holländer mehr das praktische Leben ausbildeten Wenn in Deutschland die ersten kameralistischen Professuren auf den Universitäten Die merkantiliſtiſche Litteratur der einzelnen Länder. des oſtindiſchen Handels, auf eine ſtaatliche Herabdrückung des Zinsfußes und eineFörderung der heimiſchen Induſtrie; in Deutſchland empfiehlt man vor allem Erſchwe- rung und Verbot der fremden Manufakteneinfuhr, um das gewerbliche Leben der Heimat nicht ganz durch die fremde Konkurrenz erdrücken zu laſſen. Die einzelnen Mittel ſind verſchieden, die Ziele ſind überall dieſelben: die egoiſtiſche Förderung der eigenen Volks- wirtſchaft mit allen Mitteln des Staates. Während die viel bewunderten Holländer mehr das praktiſche Leben ausbildeten Wenn in Deutſchland die erſten kameraliſtiſchen Profeſſuren auf den Univerſitäten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0103" n="87"/><fw place="top" type="header">Die merkantiliſtiſche Litteratur der einzelnen Länder.</fw><lb/> des oſtindiſchen Handels, auf eine ſtaatliche Herabdrückung des Zinsfußes und eine<lb/> Förderung der heimiſchen Induſtrie; in Deutſchland empfiehlt man vor allem Erſchwe-<lb/> rung und Verbot der fremden Manufakteneinfuhr, um das gewerbliche Leben der Heimat<lb/> nicht ganz durch die fremde Konkurrenz erdrücken zu laſſen. 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In England wirkte das<lb/> freie politiſche Leben, der ſonſtige wiſſenſchaftliche Geiſt, der zur Beobachtung beſonders<lb/> geſchickte Nationalcharakter und der handelspolitiſche Kampf mit Holland zuſammen, die<lb/> hervorragendſten Schriften des Merkantilismus ins Leben zu rufen. Thomas Mun<lb/><hi rendition="#aq">(A discourse of trade from England into the East Indies, 1609; Englands treasure by<lb/> foreign trade ect, 1664)</hi> iſt der erſte erhebliche Theoretiker der Handelsbilanz, der<lb/> Compagniedirektor Sir Joſiah Child <hi rendition="#aq">(Brief observations concerning trade and the interest<lb/> of money, 1668; A new discourse of trade, 1690)</hi> tritt für Zinsfußerniedrigung,<lb/> Handelscompagnien, ſtrenge Abhängigkeit und Ausnutzung der Kolonien auf, Sir William<lb/> Petty, Autodidakt, Arzt, Chemiker, glücklicher Geſchäftsmann und Spekulant <hi rendition="#aq">(A treatise<lb/> of taxes ect, 1662; Several essays in political arithmetic, 1682; The political anatomy<lb/> of Ireland, 1691; 1719)</hi>, weiß volkswirtſchaftliche Zuſtände zu beobachten und zahlen-<lb/> mäßig zu ſchildern, ähnlich wie ſein Nachfolger auf dieſem Gebiete, Charles Davenant,<lb/> deſſen zahlreiche Schriften in die Zeit von 1695—1712 fallen <hi rendition="#aq">(The political and com-<lb/> mercial works, 1771);</hi> dieſer erörtert in geläuterter Weiſe die Handelsbilanz, die Pro-<lb/> hibitivmaßregeln, den Kolonialhandel. Faſt alle engliſchen Schriftſteller dieſer Zeit<lb/> ſchließen ſich den neugebildeten Parteien der Tories und der Whigs an, ſtehen in deren<lb/> Dienſt, verherrlichen als Whigs die maßloſe Überſpannung des Schutzſyſtems, eifern<lb/> als Tories dagegen. Den theoretiſchen und ſyſtematiſchen Höhepunkt der engliſchen<lb/> Merkantiliſten bildet erſt der viel ſpätere, etwas breite und ungelenke James Steuart<lb/> (<hi rendition="#aq">Inquiry into the principles of political economy being an essay on the science of<lb/> domestic policy in free nations,</hi> 1767, deutſch 1769), der Adam Smith an Eleganz<lb/> und Klarheit unzweifelhaft, aber kaum an hiſtoriſchem und pſychologiſchem Verſtändnis,<lb/> an praktiſcher Lebenskenntnis nachſteht.</p><lb/> <p>Wenn in Deutſchland die erſten kameraliſtiſchen Profeſſuren auf den Univerſitäten<lb/> errichtet werden, um die Kammerbeamten für ihre Verwaltungsthätigkeit beſſer vor-<lb/> zubereiten, und wenn ſo in der deutſchen Litteratur jener Tage die landwirtſchaftliche<lb/> und gewerblich-techniſche Unterweiſung neben Finanz- und volkswirtſchaftlichen Fragen<lb/> eine beſonders große Rolle ſpielt, den Schriften einen erdig realiſtiſchen Beigeſchmack<lb/> im ganzen giebt, ſo hat andererſeits doch das deutſche Schulmeiſtertum am früheſten<lb/> ſyſtematiſche Werke geſchaffen. Wie die Engländer aus Pufendorfs Naturrecht einen<lb/> erheblichen Teil ihrer ſyſtematiſchen Betrachtungen nahmen, ſo hat Johann Joachim<lb/> Becher ſchon 1667 eine Art merkantiliſtiſch-kameraliſtiſchen Lehrbuches geſchrieben; er iſt<lb/> urſprünglich Arzt und Chemiker, ſpäter Kommerzienrat und Projektenmacher; ſein<lb/> „Politiſcher Diskurs von den eigentlichen Urſachen des Auf- und Abnehmens der Städte,<lb/> Länder und Republiken“ hat von 1667—1759 ſechs Auflagen erlebt, hat mit ſeiner<lb/> Lehre von der ſtaatlichen Regulierung alles Verkehrs, mit ſeiner Forderung von Com-<lb/> pagnien, Werk- und Kaufhäuſern, von Schutzzollmaßregeln gegen Frankreich die deutſche<lb/> Praxis faſt drei Menſchenalter beherrſcht. An ihn ſchließen ſich die meiſten der folgenden<lb/> Kameraliſten an: Hörnigk, Schröder, Gaſſer, Zinken bis zu dem glatt ſyſtematiſierenden<lb/> J. H. G. von Juſti und ſeinen zahlreichen Lehrbüchern (Grundſätze der Staatswirt-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [87/0103]
Die merkantiliſtiſche Litteratur der einzelnen Länder.
des oſtindiſchen Handels, auf eine ſtaatliche Herabdrückung des Zinsfußes und eine
Förderung der heimiſchen Induſtrie; in Deutſchland empfiehlt man vor allem Erſchwe-
rung und Verbot der fremden Manufakteneinfuhr, um das gewerbliche Leben der Heimat
nicht ganz durch die fremde Konkurrenz erdrücken zu laſſen. Die einzelnen Mittel ſind
verſchieden, die Ziele ſind überall dieſelben: die egoiſtiſche Förderung der eigenen Volks-
wirtſchaft mit allen Mitteln des Staates.
Während die viel bewunderten Holländer mehr das praktiſche Leben ausbildeten
und über wirtſchaftliche Einzelfragen ſchrieben, erzeugten in Italien die alte geiſtige Kultur
und die Münzgebrechen der Zeit Schriftſteller, die vom Geldweſen zum Handel und
zur allgemeinen Wirtſchaftspolitik vordringen: Antonio Serra (Breve trattato delle cause
che possono far abondare li regni d’oro e d’argento, dove non sono miniere, 1613)
iſt als einer der erſten und Antonio Genoveſi (Lezione di Commercio, osia di Eco-
nomia Civile, 1769, deutſch 1776) als einer der umfaſſendſten und maßvollſten Schrift-
ſteller der von uns bezeichneten Gedankenrichtung zu nennen. In England wirkte das
freie politiſche Leben, der ſonſtige wiſſenſchaftliche Geiſt, der zur Beobachtung beſonders
geſchickte Nationalcharakter und der handelspolitiſche Kampf mit Holland zuſammen, die
hervorragendſten Schriften des Merkantilismus ins Leben zu rufen. Thomas Mun
(A discourse of trade from England into the East Indies, 1609; Englands treasure by
foreign trade ect, 1664) iſt der erſte erhebliche Theoretiker der Handelsbilanz, der
Compagniedirektor Sir Joſiah Child (Brief observations concerning trade and the interest
of money, 1668; A new discourse of trade, 1690) tritt für Zinsfußerniedrigung,
Handelscompagnien, ſtrenge Abhängigkeit und Ausnutzung der Kolonien auf, Sir William
Petty, Autodidakt, Arzt, Chemiker, glücklicher Geſchäftsmann und Spekulant (A treatise
of taxes ect, 1662; Several essays in political arithmetic, 1682; The political anatomy
of Ireland, 1691; 1719), weiß volkswirtſchaftliche Zuſtände zu beobachten und zahlen-
mäßig zu ſchildern, ähnlich wie ſein Nachfolger auf dieſem Gebiete, Charles Davenant,
deſſen zahlreiche Schriften in die Zeit von 1695—1712 fallen (The political and com-
mercial works, 1771); dieſer erörtert in geläuterter Weiſe die Handelsbilanz, die Pro-
hibitivmaßregeln, den Kolonialhandel. Faſt alle engliſchen Schriftſteller dieſer Zeit
ſchließen ſich den neugebildeten Parteien der Tories und der Whigs an, ſtehen in deren
Dienſt, verherrlichen als Whigs die maßloſe Überſpannung des Schutzſyſtems, eifern
als Tories dagegen. Den theoretiſchen und ſyſtematiſchen Höhepunkt der engliſchen
Merkantiliſten bildet erſt der viel ſpätere, etwas breite und ungelenke James Steuart
(Inquiry into the principles of political economy being an essay on the science of
domestic policy in free nations, 1767, deutſch 1769), der Adam Smith an Eleganz
und Klarheit unzweifelhaft, aber kaum an hiſtoriſchem und pſychologiſchem Verſtändnis,
an praktiſcher Lebenskenntnis nachſteht.
Wenn in Deutſchland die erſten kameraliſtiſchen Profeſſuren auf den Univerſitäten
errichtet werden, um die Kammerbeamten für ihre Verwaltungsthätigkeit beſſer vor-
zubereiten, und wenn ſo in der deutſchen Litteratur jener Tage die landwirtſchaftliche
und gewerblich-techniſche Unterweiſung neben Finanz- und volkswirtſchaftlichen Fragen
eine beſonders große Rolle ſpielt, den Schriften einen erdig realiſtiſchen Beigeſchmack
im ganzen giebt, ſo hat andererſeits doch das deutſche Schulmeiſtertum am früheſten
ſyſtematiſche Werke geſchaffen. Wie die Engländer aus Pufendorfs Naturrecht einen
erheblichen Teil ihrer ſyſtematiſchen Betrachtungen nahmen, ſo hat Johann Joachim
Becher ſchon 1667 eine Art merkantiliſtiſch-kameraliſtiſchen Lehrbuches geſchrieben; er iſt
urſprünglich Arzt und Chemiker, ſpäter Kommerzienrat und Projektenmacher; ſein
„Politiſcher Diskurs von den eigentlichen Urſachen des Auf- und Abnehmens der Städte,
Länder und Republiken“ hat von 1667—1759 ſechs Auflagen erlebt, hat mit ſeiner
Lehre von der ſtaatlichen Regulierung alles Verkehrs, mit ſeiner Forderung von Com-
pagnien, Werk- und Kaufhäuſern, von Schutzzollmaßregeln gegen Frankreich die deutſche
Praxis faſt drei Menſchenalter beherrſcht. An ihn ſchließen ſich die meiſten der folgenden
Kameraliſten an: Hörnigk, Schröder, Gaſſer, Zinken bis zu dem glatt ſyſtematiſierenden
J. H. G. von Juſti und ſeinen zahlreichen Lehrbüchern (Grundſätze der Staatswirt-
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