Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
Wie die mittelalterlichen Städte schon naturgemäß ihre Aus- und Einfuhr als ein Ganzes angesehen hatten, so geschah dasselbe nun für die Territorien und Staaten. Es war ein großer Fortschritt in der praktischen Verwaltung und in der theoretischen Erkenntnis, daß man versuchte, sich ein einheitliches Bild von der Aus- und Einfuhr ganzer Länder zu machen, daß man feststellen wollte, ob man mehr aus- oder einführe, ob man durch Mehrausfuhr ein Plus von Edelmetall gewinne. Und daß man den Staat dabei als in einem feindlichen Spannungsverhältnis zu anderen Ländern begriffen dachte, war natürlich. In dem schweren Kampfe um die Kolonien, um die Grenzen, um die Absatzgebiete standen sich die neugebildeten Staaten Jahrhunderte lang feindlich gegenüber; die wichtigsten derselben waren fast häufiger in Handels- und Kolonialkrieg miteinander begriffen als in Frieden; die kleineren und schwächeren wurden unbarmherzig wirtschaftlich von den größeren und stärkeren mißhandelt und ausgebeutet oder fürchteten, es zu werden. Was Wunder, wenn die Frage in den Vordergrund rückte, was gewinnen oder verlieren wir bei der Berührung mit dem anderen Staate? Verri drückt die Wahrheit für einen großen Teil der damaligen internationalen Beziehungen aus, wenn er sagt: "Jeder Vorteil eines Volkes im Handel bringt einem anderen Volke Schaden, das Studium des Handels ist ein wahrer Krieg". Nur wenn man durch Kriege, Kolonial- erwerbung und besonders durch kluge Verträge neue Märkte gewonnen, durch Sperren und Schutzmaßregeln den eigenen Absatz erweitert, durch Berechnung der Bilanz konstatiert hatte, daß man mehr aus- als einführe, was besonders in günstigen Jahren und bei rasch emporblühender Industrie zutraf, glaubte man sich gegen die Gefahr der Übervorteilung, der Verarmung gesichert. Jedenfalls bewies eine wachsende Ausfuhr in der Regel, daß das Ausland der Waren des Inlandes dringender bedürfe als umgekehrt, jedenfalls verband sich mit der genauen Beobachtung der Aus- und Einfuhr häufig die richtige Pflege des inländischen Verkehrs und der inländischen Industrie. Und wenn also nicht alle Sätze richtig waren, die man an die Bilanzlehre anknüpfte, wenn die Erwartungen, durch Zollmaßregeln die Geldmenge im Lande steigern zu können, übertrieben waren, die Beobachtung der Aus- und Einfuhr war ein Instrument des volkswirtschaftlichen Fortschrittes; die durch Zollgrenzen erfolgende Abschließung des Landes entsprach der Beförderung eines freien inneren Verkehrs. Die Auffassung, die Staatsgewalt habe die Pflicht, die Volkswirtschaft des Landes als ein Ganzes in ihren Interessen zu fördern, in den internationalen Rivalitätskämpfen zu stützen und zu vertreten, entsprach durchaus den Verhältnissen. Die Regierungen, welche rasch, selbstbewußt und kühn die Macht ihrer Flotten und Heere, den Apparat ihrer Zoll- und Schiffahrtsgesetze in den Dienst der staatlichen Wirtschaftsinteressen zu stellen verstanden, erreichten damit den Vor- sprung im handelspolitischen Kampfe, in Reichtum und industrieller Blüte; und wenn die Regierungen jener Tage oft zu weit gingen, von halbwahren theoretischen Sätzen sich leiten ließen, wenn Holland, England und Frankreich ebenso durch Gewalt und Kolonialausbeutung wie durch eigene innere Arbeit Reichtümer sammelten, so gaben sie doch durch ihre volkswirtschaftliche Politik dem inneren wirtschaftlichen Leben der betreffenden Nation die notwendige Unterlage der Macht, der wirtschaftlichen Bewegung der Zeit den rechten Schwung, dem nationalen Streben große Ziele. Die merkantilistischen Ideale waren so für jene Jahrhunderte ein nicht nur berechtigtes, sondern das einzig richtige Ziel. Ganz ist die Berechtigung solcher Ziele auch heute noch nicht verschwunden, obwohl das Völkerrecht und der Welthandel die internationalen Beziehungen so viel friedlicher gestaltet haben.
Die Schriften der verschiedenen europäischen Nationen, welche an dieser geistigen Bewegung teil genommen haben, unterscheiden sich hauptsächlich dadurch, daß sie je nach der Lage und den nationalen Gesamtinteressen verschiedene staatliche Verwaltungs- maßregeln empfehlen. In Holland rühmt man staatliche Admiralitäten, große monopo- lisierte Handelsgesellschaften und alle die Maßregeln, die Amsterdam zum Mittelpunkte des Welthandels machen. Außerhalb Hollands empfiehlt man allgemein die Nachahmung dieses kleinen, rührigen Handelsvolkes, aber man dringt in England in erster Linie auf nationale Schiffahrtsgesetze, die gegen Holland gerichtet sind, auf Pflege der Seefischerei,
Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
Wie die mittelalterlichen Städte ſchon naturgemäß ihre Aus- und Einfuhr als ein Ganzes angeſehen hatten, ſo geſchah dasſelbe nun für die Territorien und Staaten. Es war ein großer Fortſchritt in der praktiſchen Verwaltung und in der theoretiſchen Erkenntnis, daß man verſuchte, ſich ein einheitliches Bild von der Aus- und Einfuhr ganzer Länder zu machen, daß man feſtſtellen wollte, ob man mehr aus- oder einführe, ob man durch Mehrausfuhr ein Plus von Edelmetall gewinne. Und daß man den Staat dabei als in einem feindlichen Spannungsverhältnis zu anderen Ländern begriffen dachte, war natürlich. In dem ſchweren Kampfe um die Kolonien, um die Grenzen, um die Abſatzgebiete ſtanden ſich die neugebildeten Staaten Jahrhunderte lang feindlich gegenüber; die wichtigſten derſelben waren faſt häufiger in Handels- und Kolonialkrieg miteinander begriffen als in Frieden; die kleineren und ſchwächeren wurden unbarmherzig wirtſchaftlich von den größeren und ſtärkeren mißhandelt und ausgebeutet oder fürchteten, es zu werden. Was Wunder, wenn die Frage in den Vordergrund rückte, was gewinnen oder verlieren wir bei der Berührung mit dem anderen Staate? Verri drückt die Wahrheit für einen großen Teil der damaligen internationalen Beziehungen aus, wenn er ſagt: „Jeder Vorteil eines Volkes im Handel bringt einem anderen Volke Schaden, das Studium des Handels iſt ein wahrer Krieg“. Nur wenn man durch Kriege, Kolonial- erwerbung und beſonders durch kluge Verträge neue Märkte gewonnen, durch Sperren und Schutzmaßregeln den eigenen Abſatz erweitert, durch Berechnung der Bilanz konſtatiert hatte, daß man mehr aus- als einführe, was beſonders in günſtigen Jahren und bei raſch emporblühender Induſtrie zutraf, glaubte man ſich gegen die Gefahr der Übervorteilung, der Verarmung geſichert. Jedenfalls bewies eine wachſende Ausfuhr in der Regel, daß das Ausland der Waren des Inlandes dringender bedürfe als umgekehrt, jedenfalls verband ſich mit der genauen Beobachtung der Aus- und Einfuhr häufig die richtige Pflege des inländiſchen Verkehrs und der inländiſchen Induſtrie. Und wenn alſo nicht alle Sätze richtig waren, die man an die Bilanzlehre anknüpfte, wenn die Erwartungen, durch Zollmaßregeln die Geldmenge im Lande ſteigern zu können, übertrieben waren, die Beobachtung der Aus- und Einfuhr war ein Inſtrument des volkswirtſchaftlichen Fortſchrittes; die durch Zollgrenzen erfolgende Abſchließung des Landes entſprach der Beförderung eines freien inneren Verkehrs. Die Auffaſſung, die Staatsgewalt habe die Pflicht, die Volkswirtſchaft des Landes als ein Ganzes in ihren Intereſſen zu fördern, in den internationalen Rivalitätskämpfen zu ſtützen und zu vertreten, entſprach durchaus den Verhältniſſen. Die Regierungen, welche raſch, ſelbſtbewußt und kühn die Macht ihrer Flotten und Heere, den Apparat ihrer Zoll- und Schiffahrtsgeſetze in den Dienſt der ſtaatlichen Wirtſchaftsintereſſen zu ſtellen verſtanden, erreichten damit den Vor- ſprung im handelspolitiſchen Kampfe, in Reichtum und induſtrieller Blüte; und wenn die Regierungen jener Tage oft zu weit gingen, von halbwahren theoretiſchen Sätzen ſich leiten ließen, wenn Holland, England und Frankreich ebenſo durch Gewalt und Kolonialausbeutung wie durch eigene innere Arbeit Reichtümer ſammelten, ſo gaben ſie doch durch ihre volkswirtſchaftliche Politik dem inneren wirtſchaftlichen Leben der betreffenden Nation die notwendige Unterlage der Macht, der wirtſchaftlichen Bewegung der Zeit den rechten Schwung, dem nationalen Streben große Ziele. Die merkantiliſtiſchen Ideale waren ſo für jene Jahrhunderte ein nicht nur berechtigtes, ſondern das einzig richtige Ziel. Ganz iſt die Berechtigung ſolcher Ziele auch heute noch nicht verſchwunden, obwohl das Völkerrecht und der Welthandel die internationalen Beziehungen ſo viel friedlicher geſtaltet haben.
Die Schriften der verſchiedenen europäiſchen Nationen, welche an dieſer geiſtigen Bewegung teil genommen haben, unterſcheiden ſich hauptſächlich dadurch, daß ſie je nach der Lage und den nationalen Geſamtintereſſen verſchiedene ſtaatliche Verwaltungs- maßregeln empfehlen. In Holland rühmt man ſtaatliche Admiralitäten, große monopo- liſierte Handelsgeſellſchaften und alle die Maßregeln, die Amſterdam zum Mittelpunkte des Welthandels machen. Außerhalb Hollands empfiehlt man allgemein die Nachahmung dieſes kleinen, rührigen Handelsvolkes, aber man dringt in England in erſter Linie auf nationale Schiffahrtsgeſetze, die gegen Holland gerichtet ſind, auf Pflege der Seefiſcherei,
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Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
Wie die mittelalterlichen Städte ſchon naturgemäß ihre Aus- und Einfuhr als
ein Ganzes angeſehen hatten, ſo geſchah dasſelbe nun für die Territorien und Staaten.
Es war ein großer Fortſchritt in der praktiſchen Verwaltung und in der theoretiſchen
Erkenntnis, daß man verſuchte, ſich ein einheitliches Bild von der Aus- und Einfuhr
ganzer Länder zu machen, daß man feſtſtellen wollte, ob man mehr aus- oder einführe,
ob man durch Mehrausfuhr ein Plus von Edelmetall gewinne. Und daß man den
Staat dabei als in einem feindlichen Spannungsverhältnis zu anderen Ländern begriffen
dachte, war natürlich. In dem ſchweren Kampfe um die Kolonien, um die Grenzen,
um die Abſatzgebiete ſtanden ſich die neugebildeten Staaten Jahrhunderte lang feindlich
gegenüber; die wichtigſten derſelben waren faſt häufiger in Handels- und Kolonialkrieg
miteinander begriffen als in Frieden; die kleineren und ſchwächeren wurden unbarmherzig
wirtſchaftlich von den größeren und ſtärkeren mißhandelt und ausgebeutet oder fürchteten,
es zu werden. Was Wunder, wenn die Frage in den Vordergrund rückte, was gewinnen
oder verlieren wir bei der Berührung mit dem anderen Staate? Verri drückt die
Wahrheit für einen großen Teil der damaligen internationalen Beziehungen aus, wenn
er ſagt: „Jeder Vorteil eines Volkes im Handel bringt einem anderen Volke Schaden,
das Studium des Handels iſt ein wahrer Krieg“. Nur wenn man durch Kriege, Kolonial-
erwerbung und beſonders durch kluge Verträge neue Märkte gewonnen, durch Sperren und
Schutzmaßregeln den eigenen Abſatz erweitert, durch Berechnung der Bilanz konſtatiert hatte,
daß man mehr aus- als einführe, was beſonders in günſtigen Jahren und bei raſch
emporblühender Induſtrie zutraf, glaubte man ſich gegen die Gefahr der Übervorteilung,
der Verarmung geſichert. Jedenfalls bewies eine wachſende Ausfuhr in der Regel, daß
das Ausland der Waren des Inlandes dringender bedürfe als umgekehrt, jedenfalls
verband ſich mit der genauen Beobachtung der Aus- und Einfuhr häufig die richtige
Pflege des inländiſchen Verkehrs und der inländiſchen Induſtrie. Und wenn alſo nicht
alle Sätze richtig waren, die man an die Bilanzlehre anknüpfte, wenn die Erwartungen,
durch Zollmaßregeln die Geldmenge im Lande ſteigern zu können, übertrieben waren,
die Beobachtung der Aus- und Einfuhr war ein Inſtrument des volkswirtſchaftlichen
Fortſchrittes; die durch Zollgrenzen erfolgende Abſchließung des Landes entſprach der
Beförderung eines freien inneren Verkehrs. Die Auffaſſung, die Staatsgewalt habe die
Pflicht, die Volkswirtſchaft des Landes als ein Ganzes in ihren Intereſſen zu fördern,
in den internationalen Rivalitätskämpfen zu ſtützen und zu vertreten, entſprach durchaus
den Verhältniſſen. Die Regierungen, welche raſch, ſelbſtbewußt und kühn die Macht
ihrer Flotten und Heere, den Apparat ihrer Zoll- und Schiffahrtsgeſetze in den Dienſt
der ſtaatlichen Wirtſchaftsintereſſen zu ſtellen verſtanden, erreichten damit den Vor-
ſprung im handelspolitiſchen Kampfe, in Reichtum und induſtrieller Blüte; und wenn
die Regierungen jener Tage oft zu weit gingen, von halbwahren theoretiſchen Sätzen
ſich leiten ließen, wenn Holland, England und Frankreich ebenſo durch Gewalt und
Kolonialausbeutung wie durch eigene innere Arbeit Reichtümer ſammelten, ſo gaben ſie
doch durch ihre volkswirtſchaftliche Politik dem inneren wirtſchaftlichen Leben der betreffenden
Nation die notwendige Unterlage der Macht, der wirtſchaftlichen Bewegung der Zeit
den rechten Schwung, dem nationalen Streben große Ziele. Die merkantiliſtiſchen Ideale
waren ſo für jene Jahrhunderte ein nicht nur berechtigtes, ſondern das einzig richtige
Ziel. Ganz iſt die Berechtigung ſolcher Ziele auch heute noch nicht verſchwunden, obwohl
das Völkerrecht und der Welthandel die internationalen Beziehungen ſo viel friedlicher
geſtaltet haben.
Die Schriften der verſchiedenen europäiſchen Nationen, welche an dieſer geiſtigen
Bewegung teil genommen haben, unterſcheiden ſich hauptſächlich dadurch, daß ſie je nach
der Lage und den nationalen Geſamtintereſſen verſchiedene ſtaatliche Verwaltungs-
maßregeln empfehlen. In Holland rühmt man ſtaatliche Admiralitäten, große monopo-
liſierte Handelsgeſellſchaften und alle die Maßregeln, die Amſterdam zum Mittelpunkte
des Welthandels machen. Außerhalb Hollands empfiehlt man allgemein die Nachahmung
dieſes kleinen, rührigen Handelsvolkes, aber man dringt in England in erſter Linie auf
nationale Schiffahrtsgeſetze, die gegen Holland gerichtet ſind, auf Pflege der Seefiſcherei,
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/102>, abgerufen am 25.11.2024.
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