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Schmidlin, Johann Gottlieb: Ueber öffentliche Kinder-Industrie-Anstalten überhaupt, und insbesondere in Württemberg. Stuttgart, 1821.

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ungenügsam und verschwenderisch, und es ist Thatsache,
daß man unter den armen Kindern oft solche antrifft,
welche durch ihr Umherziehen auf dem Bettel bereits
in Ausschweifungen und Laster eingeweyht sind, die
sonst doch wenigstens diesem Alter noch fremd bleiben,
welche schon betrügen und stehlen, und in den Jahren,
wo sie eigentlich erst in die bürgerliche Gesellschaft ein-
treten, und derselben nützlich zu werden beginnen soll-
ten, bereits als junge Verbrecher von einer Straf-An-
stalt in die andere wandern. -- Einen so verwahrloß-
ten, rohen, sittenloßen, physisch- und moralisch-verdor-
benen Bettel-Knaben nimmt dann, wann er zum
Jüngling heranwächst, weder ein Handwerker leicht
zum Lehrling, noch kann ihn der Landwirth zu den
einige Anstrengung erfordernden Geschäften seines Be-
rufs gebrauchen, und findet auch er, oder ein Bettel-
Mädchen als Magd, irgendwo einen Dienst, so halten
sie selten lange in demselben aus, sondern setzen nach
einiger Zeit wieder ihr früheres Nomadenleben fort. --
Ueberhaupt kehrt derjenige, der sich einmal in dieser un-
seligen Laufbahn versucht, und an den Müßiggang
und Bettel einige Zeit hindurch gewöhnt hat, nicht
leicht wieder zu einem ordentlichen und arbeitsamen
Leben zurück. Der erste Schritt zum Bettel hält schwer,
aber ist dieser Schritt einmal gethan, so ist der Mensch
mit einem der unheilbarsten Uebel behaftet. Alle Lust
zur Arbeit und Anstrengung, aller Fleiß, alle Spar-
samkeit, Genügsamkeit, Ordnungsliebe, Vorsicht, und
der letzte Funken von Character und Ehrgefühl gehen
verloren, und so bleibt denn der männliche Bettler ge-
wöhnlich seine ganz Lebenszeit hindurch nicht nur Bett-
ler, Müßiggänger, und Verschwender, sondern gewöhn-
lich auch Verbrecher, die Bettlerinn aber wählt oft den

[1] *

ungenuͤgſam und verſchwenderiſch, und es iſt Thatſache,
daß man unter den armen Kindern oft ſolche antrifft,
welche durch ihr Umherziehen auf dem Bettel bereits
in Ausſchweifungen und Laſter eingeweyht ſind, die
ſonſt doch wenigſtens dieſem Alter noch fremd bleiben,
welche ſchon betruͤgen und ſtehlen, und in den Jahren,
wo ſie eigentlich erſt in die buͤrgerliche Geſellſchaft ein-
treten, und derſelben nuͤtzlich zu werden beginnen ſoll-
ten, bereits als junge Verbrecher von einer Straf-An-
ſtalt in die andere wandern. — Einen ſo verwahrloß-
ten, rohen, ſittenloßen, phyſiſch- und moraliſch-verdor-
benen Bettel-Knaben nimmt dann, wann er zum
Juͤngling heranwaͤchst, weder ein Handwerker leicht
zum Lehrling, noch kann ihn der Landwirth zu den
einige Anſtrengung erfordernden Geſchaͤften ſeines Be-
rufs gebrauchen, und findet auch er, oder ein Bettel-
Maͤdchen als Magd, irgendwo einen Dienſt, ſo halten
ſie ſelten lange in demſelben aus, ſondern ſetzen nach
einiger Zeit wieder ihr fruͤheres Nomadenleben fort. —
Ueberhaupt kehrt derjenige, der ſich einmal in dieſer un-
ſeligen Laufbahn verſucht, und an den Muͤßiggang
und Bettel einige Zeit hindurch gewoͤhnt hat, nicht
leicht wieder zu einem ordentlichen und arbeitſamen
Leben zuruͤck. Der erſte Schritt zum Bettel haͤlt ſchwer,
aber iſt dieſer Schritt einmal gethan, ſo iſt der Menſch
mit einem der unheilbarſten Uebel behaftet. Alle Luſt
zur Arbeit und Anſtrengung, aller Fleiß, alle Spar-
ſamkeit, Genuͤgſamkeit, Ordnungsliebe, Vorſicht, und
der letzte Funken von Character und Ehrgefuͤhl gehen
verloren, und ſo bleibt denn der maͤnnliche Bettler ge-
woͤhnlich ſeine ganz Lebenszeit hindurch nicht nur Bett-
ler, Muͤßiggaͤnger, und Verſchwender, ſondern gewoͤhn-
lich auch Verbrecher, die Bettlerinn aber waͤhlt oft den

[1] *
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[3/0013] ungenuͤgſam und verſchwenderiſch, und es iſt Thatſache, daß man unter den armen Kindern oft ſolche antrifft, welche durch ihr Umherziehen auf dem Bettel bereits in Ausſchweifungen und Laſter eingeweyht ſind, die ſonſt doch wenigſtens dieſem Alter noch fremd bleiben, welche ſchon betruͤgen und ſtehlen, und in den Jahren, wo ſie eigentlich erſt in die buͤrgerliche Geſellſchaft ein- treten, und derſelben nuͤtzlich zu werden beginnen ſoll- ten, bereits als junge Verbrecher von einer Straf-An- ſtalt in die andere wandern. — Einen ſo verwahrloß- ten, rohen, ſittenloßen, phyſiſch- und moraliſch-verdor- benen Bettel-Knaben nimmt dann, wann er zum Juͤngling heranwaͤchst, weder ein Handwerker leicht zum Lehrling, noch kann ihn der Landwirth zu den einige Anſtrengung erfordernden Geſchaͤften ſeines Be- rufs gebrauchen, und findet auch er, oder ein Bettel- Maͤdchen als Magd, irgendwo einen Dienſt, ſo halten ſie ſelten lange in demſelben aus, ſondern ſetzen nach einiger Zeit wieder ihr fruͤheres Nomadenleben fort. — Ueberhaupt kehrt derjenige, der ſich einmal in dieſer un- ſeligen Laufbahn verſucht, und an den Muͤßiggang und Bettel einige Zeit hindurch gewoͤhnt hat, nicht leicht wieder zu einem ordentlichen und arbeitſamen Leben zuruͤck. Der erſte Schritt zum Bettel haͤlt ſchwer, aber iſt dieſer Schritt einmal gethan, ſo iſt der Menſch mit einem der unheilbarſten Uebel behaftet. Alle Luſt zur Arbeit und Anſtrengung, aller Fleiß, alle Spar- ſamkeit, Genuͤgſamkeit, Ordnungsliebe, Vorſicht, und der letzte Funken von Character und Ehrgefuͤhl gehen verloren, und ſo bleibt denn der maͤnnliche Bettler ge- woͤhnlich ſeine ganz Lebenszeit hindurch nicht nur Bett- ler, Muͤßiggaͤnger, und Verſchwender, ſondern gewoͤhn- lich auch Verbrecher, die Bettlerinn aber waͤhlt oft den 1 *

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Zitationshilfe: Schmidlin, Johann Gottlieb: Ueber öffentliche Kinder-Industrie-Anstalten überhaupt, und insbesondere in Württemberg. Stuttgart, 1821, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmidlin_kinderindustrie_1821/13>, abgerufen am 28.03.2024.