Ueber
oͤffentliche
Kinder-Jnduſtrie-Anſtalten
uͤberhaupt,
und insbeſondere
in Wuͤrttemberg.
Von
Johann Gottlieb Schmidlin,
Secretaͤr der Centralleitung des Wuͤrttembergiſchen
Wohlthaͤtigkeits-Vereins.
Stuttgart,
gedruckt bei Friedrich Herre.
1821.
Ueberſicht des Jnhalts.
I. Ueber Erziehung, Unterricht, und Beſchaͤftigung
der Kinder uͤberhaupt. §.
1) Nothwendigkeit einer zweckmaͤßigen Erziehung
der Kinder uͤberhaupt 1.
2) Nothwendigkeit der Verhinderung des Muͤßig-
gangs und Bettels derſelben 2.
3) Unzulaͤnglichkeit der policeylichen Strenge zu
Erreichung dieſes Zweckes 3.
4) Unzulaͤnglichkeit der wuͤrttembergiſchen Ele-
mentar-Schulen 4 — 5.
5) Nothwendigkeit der Verbindung angemeſſener
Hand-Arbeiten mit den Kopf-Arbeiten 6 — 11.
II. Ueber die Privat-Beſchaͤftigung der Kinder.
1) Zweckmaͤßigkeit derſelben im Allgemeinen 12 — 15.
2) Mangel an ſolcher bey vielen Kindern 16 — 19.
3) Unzulaͤnglichkeit und Zweckwidrigkeit der wirk-
lich vorhandenen fuͤr viele Kinder 20 — 22.
III. Ueber oͤffentliche Kinder-Jnduſtrie-An-
ſtalten.
1) Nothwendigkeit derſelben uͤberhaupt 23 — 25.
2) Ueberſicht und Reſultate der in Wuͤrttemberg §.
bereits beſtehenden Anſtalten dieſer Art 26 — 30.
3) Nothwendigkeit der Verbeſſerung der bereits
beſtehenden und der Einrichtung weiterer
Anſtalten dieſer Art 31.
4) Mittel zu Beſeitigung der - der Erreichung
dieſes Zweckes im Wege ſtehenden Hinderniſſe:
A. Zweckmaͤßige Wahl der Beſchaͤftigungs-
Gegenſtaͤnde:
a) Ueberhaupt 32.
b) Hand-Arbeiten.
aa) Schwerere land- und hauswirth-
ſchaftliche Arbeiten 33 — 35.
bb) Kunſt-Arbeiten:
aaa) Ueberhaupt 36 — 42.
bbb) Beſondere Arten ſolcher Ar-
beiten 43 — 47.
ccc) Anſchaffung des Arbeits-Mate-
rials 48.
ddd) Abſatz der Fabrikate 49.
c) Jntellectuelle, religioͤſe, und moraliſche
Bildung:
aa) Ueberhaupt 50.
bb) Jntellectuelle Bildung 51.
cc) Religioͤſe Bildung 52.
dd) Moraliſche Bildung 53.
B. Aufmunterung der Kinder durch
a) Strafen 54.
b) Belohnungen 55.
c) Regiſter, Buͤcher, Schulfeſt ꝛc. 56.
C. Vermeidung eines nachtheiligen Ein-
fluſſes der Jnduſtrie-Schulen §.
a) auf den bisherigen Elementar-Schul-
unterricht 57 — 60.
b) auf die Geſundheit und den Frohſinn
der Kinder 61.
D. Beruͤckſichtigung
a) des Alters der Schuͤler 62.
b) des Geſchlechts derſelben 63.
c) des Standes der Eltern 64 — 66.
d) der Geſchaͤfte der Eltern (in Beziehung
auf Unentbehrlichkeit der Beyhuͤlfe ihrer
Kinder) 67 — 69.
e) der Armuth der Eltern (in Beziehung
auf Schulgeld, Schulbuͤcher, Schreib-
materialien, Werkzeuge, Arbeitslohn,
Eſſen, Kleidung ꝛc.) 70 — 72.
E. Maßregeln im Falle einer muthwilli-
gen Widerſetzlichkeit der Eltern.
a) Belehrung, Zuſpruch, Zwang zur Theil-
nahme 73 — 75.
b) Entfernung der Kinder von den Jhrigen
aa) Ueberhaupt 76.
bb) Unterbringung derſelben in Privat-
Koſthaͤuſern 77.
cc) Unterbringung derſelben in oͤffent-
lichen Kinder-Verpflegungs- und
Erziehungs-Anſtalten 78.
F. Sorge fuͤr Anſchaffung der erforder-
lichen §.
a) Lehrer 79 — 83.
b) Aufſeher 84 — 87.
c) Zimmer 88 — 90.
d) Geld-Mittel 91 — 100.
G. Maßregeln gegen Mangel an Ein-
ſicht oder gutem Willen der oͤffent-
lichen Behoͤrden 101 — 103.
§. 1.
Wer jemals Gelegenheit gehabt hat, zu beobachten,
wie tief oft Menſchen, beſonders aus der aͤrmeren Volks-
claſſe, in phyſiſcher, moraliſcher, und oͤconomiſcher Hin-
ſicht ſinken, und zu welcher aͤrgerlichen, ſchaͤdlichen,
und oft beynahe unertraͤglichen Laſt fuͤr die uͤbrige Ge-
ſellſchaft ſie werden, wenn ſie in ihrer Jugend entwe-
der gar nicht, oder wenigſtens nicht hinlaͤnglich und
zweckmaͤßig verſorgt, geleitet, gebildet, unter Aufſicht
gehalten, uͤberhaupt erzogen werden; der wird gewiß
auch einſehen und zugeſtehen, daß von dem Grade der
Zweckmaͤßigkeit und Gewiſſenhaftigkeit der Erziehung
der Jugend der kuͤnftige Grad der Vollkommenheit, des
Wohlſtandes, und des Gluͤckes nicht nur der einzelnen
Jndividuen, aus welchen dieſe Jugend gerae beſteht,
ſondern auch, da dieſelbe die Grundlage der kuͤnftigen
Geſchlechter iſt, ganzer Voͤlker und Staaten in aller
Zukunft weſentlich abhaͤngt, daß beſonders auch die
Erziehung des Nachwuchſes vom weiblichen Geſchlechte,
welches die Wiege und erſte Bildnerinn der Voͤlker iſt,
von der hoͤchſten Wichtigkeit ſeyn muß, und daß es
daher nicht nur fuͤr die Kinder ſelbſt eine auf ihre ganze
Lebenszeit fortwirkende Wohlthat, ſondern auch eine
heilige Pflicht aller derjenigen, welche zur Erziehung
der Jugend und zur Verwaltung des Staates berufen
ſind, iſt, nichts zu verſaͤumen, was dazu dienen kann,
1
die Kinder, beſonders die Kinder der aͤr-
meren Volksclaſſe, auf eine den Beduͤrf-
niſſen ihres Standes und ihrer kuͤnftigen
Beſtimmung moͤglichſt angemeſſene Weiſe
zu erziehen und auszubilden.
§. 2.
Gewiß kann dieſer Zweck nie erreicht werden, wenn
die Kinder in ihrer Jugend ohne Aufſicht und Be-
ſchaͤftigung dem Muͤßiggange uͤberlaſſen
werden. — Die lange Weile verleitet ſie zu allen moͤg-
lichen Verirrungen, Fehltritten, und Laſtern, und waͤh-
rend alſo der Muͤßiggang fuͤr ſie ſelbſt ſittenverderblich
iſt, wird er zugleich fuͤr Andere, z. B. fuͤr die Be-
ſitzer der Waldungen und Felder, in welchen ſie dann
gewoͤhnlich umherſtreifen, und allen moͤglichen Unfug
ausuͤben, in hohem Grade laͤſtig und ſchaͤdlich. — Am
gefaͤhrlichſten jedoch iſt er fuͤr die Kinder der aͤrmeren
Volksclaſſe, indem er bey dieſen zugleich das Umher-
laufen auf dem Bettel beguͤnſtigt, wozu ſie
ohnehin ſo leicht theils durch Mangel an hinlaͤnglicher
Nahrung zu Hauſe, theils durch das ſchlimme Bey-
ſpiel der herumziehenden fremden Bettler verleitet, ja
oft durch ihre Eltern ſelbſt angewieſen, und angehal-
ten, und durch das uͤbel angebrachte Mitleiden man-
cher Vermoͤglicheren ermuntert werden. — Welchen
unſeligen Einfluß aͤußert aber der Bettel nicht auf die
demſelben ergebenen Kinder! Dem religioͤſen, ſittlichen,
und intellectuellen Unterichte und aller Aufſicht entzo-
gen, bleiben Religion, Sittlichkeit, Ordnung, und Jn-
duſtrie ihnen fremd, der Hang zum Muͤßiggang und
einem leichtſinnigen, unſteten, und ungebundenen Le-
ben wurzelt immer tiefer bey ihnen ein, ſie werden
ungenuͤgſam und verſchwenderiſch, und es iſt Thatſache,
daß man unter den armen Kindern oft ſolche antrifft,
welche durch ihr Umherziehen auf dem Bettel bereits
in Ausſchweifungen und Laſter eingeweyht ſind, die
ſonſt doch wenigſtens dieſem Alter noch fremd bleiben,
welche ſchon betruͤgen und ſtehlen, und in den Jahren,
wo ſie eigentlich erſt in die buͤrgerliche Geſellſchaft ein-
treten, und derſelben nuͤtzlich zu werden beginnen ſoll-
ten, bereits als junge Verbrecher von einer Straf-An-
ſtalt in die andere wandern. — Einen ſo verwahrloß-
ten, rohen, ſittenloßen, phyſiſch- und moraliſch-verdor-
benen Bettel-Knaben nimmt dann, wann er zum
Juͤngling heranwaͤchst, weder ein Handwerker leicht
zum Lehrling, noch kann ihn der Landwirth zu den
einige Anſtrengung erfordernden Geſchaͤften ſeines Be-
rufs gebrauchen, und findet auch er, oder ein Bettel-
Maͤdchen als Magd, irgendwo einen Dienſt, ſo halten
ſie ſelten lange in demſelben aus, ſondern ſetzen nach
einiger Zeit wieder ihr fruͤheres Nomadenleben fort. —
Ueberhaupt kehrt derjenige, der ſich einmal in dieſer un-
ſeligen Laufbahn verſucht, und an den Muͤßiggang
und Bettel einige Zeit hindurch gewoͤhnt hat, nicht
leicht wieder zu einem ordentlichen und arbeitſamen
Leben zuruͤck. Der erſte Schritt zum Bettel haͤlt ſchwer,
aber iſt dieſer Schritt einmal gethan, ſo iſt der Menſch
mit einem der unheilbarſten Uebel behaftet. Alle Luſt
zur Arbeit und Anſtrengung, aller Fleiß, alle Spar-
ſamkeit, Genuͤgſamkeit, Ordnungsliebe, Vorſicht, und
der letzte Funken von Character und Ehrgefuͤhl gehen
verloren, und ſo bleibt denn der maͤnnliche Bettler ge-
woͤhnlich ſeine ganz Lebenszeit hindurch nicht nur Bett-
ler, Muͤßiggaͤnger, und Verſchwender, ſondern gewoͤhn-
lich auch Verbrecher, die Bettlerinn aber waͤhlt oft den
1 *
ſchaͤndlichen Beruf einer feilen Luſtdirne, gebiert dem
Staate wieder Bettler, oder wandert, getroffen von
dem Fluche des Laſters, mit ſchrecklichen Krankheiten
behaftet, bis zu ihrem Tode als ein Scheuſal fuͤr die
menſchliche Geſellſchaft umher. —
§. 3.
Manche Orts-Vorſteher verſichern zwar, daß aus
ihrem Orte kein Kind dem Betteln nachgehe;
an ſehr vielen anderen Orten hingegen iſt beſtimmt
das Gegentheil der Fall. — Das einfachſte Mittel,
dieſen Unfug abzuſtellen, waͤre freylich, wenn die Ver-
moͤglicheren ſich entſchloͤßen und vereinigten, keinem
Bettler, und beſonders keinem bettelnden Kinde
mehr ein Allmoſen abzureichen, und es hat
auch bisher nicht an Aufforderungen hiezu gefehlt;
allein alle dieſe Aufforderungen haben keine ſolche Ver-
einigung zu Stande gebracht, und werden dieſelbe
wohl auch nie zu Stande bringen. — Viele ſind zwar
der Meinung, durch ſtrenge Polizey-Verord-
nungen gegen die Bettler und ernſtliche Handhabung
derſelben laſſe ſich das Uebel heben; allein alle bis-
herigen Verſuche und Erfahrungen beweiſen das Ge-
gentheil, und es iſt eine in neueren Zeiten beynahe
allgemein anerkannte und laut ausgeſprochene, durch
vielſeitige Erfahrungen erprobte Wahrheit, daß, beſon-
ders wenn auch vollends, wie dieß im Jahre 1817.
der Fall war, andere Neben-Umſtaͤnde den Bettel zu
entſchuldigen ſcheinen oder ſonſt beguͤnſtigen, alle bloß
negativen Polizey-Mittel nicht hinreichend ſind, die
Kinder vom Muͤßiggang und Bettel abzuhalten, wenn
nicht zugleich auch moͤglichſt anhaltende Aufſicht und
Beſchaͤftigung ſaͤmmtlicher, und beſonders der aͤrmeren
Kinder, damit verbunden werden.Nach der Wuͤrttembergiſchen Cynosura ecclesiastica
S. 440. heißt es ſchon in Reſcripten von 1562 u. 1573.
„Das Allmoſen ſoll man den Hausarmen austheilen,
„und ihre Kinder zur Arbeit anhalten“, — und in der
Wuͤrttembergiſchen Kaſten-Ordnung von 1615. S. 333.
„Armen vaterloſen Waiſen ſoll man zu Handwerken,
„Schulen, zur Ehre und Haushaltung, mit hoͤchſtem
„Fleiß verhelfen.“
§. 4.
Ein bedeutender Schritt zu Erreichung dieſes
Zweckes iſt nun freylich in Wuͤrttemberg bereits da-
durch geſchehen, daß jedes auch noch ſo kleine Dorf
ſeine eigene Elementar-Schule beſizt, und in der
Regel jedes Kind angehalten wird, des Winters alle
Tage (mit alleiniger Ausnahme woͤchentlicher 2 halben
Taͤge, an welchen Vacanz iſt) 6 Stunden, und des
Sommers alle Tage, oder wenigſtens je um den an-
deren Tag, 2 Stunden in einer ſolchen Schule zuzu-
bringen, ohne das Hin- und Hergehen, welches zum
Theil wegen weiter Entfernung der Schule von der
Wohnung und dem Wohnorte ziemlich viele Zeit er-
fordert. An manchem Orte wird auch, wenigſtens
von einzelnen Eltern und Lehrern, dafuͤr geſorgt, daß
ſie einen Theil ihrer uͤbrigen Zeit mit Nachleſen der in
der Schule vorgetragenen Lehr-Gegenſtaͤnde, mit Aus-
wendiglernen deſſen, was ihnen aufgegeben wurde,
und mit Fertigung einer Schrift und anderer Aufga-
ben fuͤr den anderen Tag nuͤtzlich zubringen; auch der
Confirmations-Unterricht und der Beſuch des kirchlichen
Gottesdienſtes fuͤllt bey den groͤßeren Kindern manche
Stunde aus; und mancher Knabe, beſonders in Staͤd-
ten, welcher zum Gelehrten, Geiſtlichen, Geſchaͤfts-
mann ꝛc. beſtimmt iſt, wird oft beynahe den ganzen
Tag hindurch auf dieſe Art von ſeinen Lehrern und
Eltern auf eine ihm nuͤtzliche Weiſe beſchaͤftigt.
Wirklich iſt auch ein zweckmaͤßiger und fleißiger
Schul-Unterricht eines der vorzuͤglichſten und nothwen-
digſten Mittel zu Abhaltung der Kinder vom Muͤßig-
gang und Bettel, und zu guter Erziehung und Bil-
dung der Jugend, wirklich ſind die Elementar-Kennt-
niſſe, welche derſelben in den Wuͤrttembergiſchen Dorf-
ſchulen gewoͤhnlich beygebracht werden, nahmentlich
Religion, Leſen, Schreiben, Rechnen ꝛc. zu Erreichung
dieſes Zweckes hoͤchſtnothwendig und befoͤrderlich, und
die bedeutenden Fortſchritte, welche die Paͤdagogik
in dieſer Beziehung in neuern Zeiten gemacht hat,
ſind nicht zu verkennen. —
— Gewiß wuͤrden auch manche Kinder freywillig
ihr Brod nicht mehr, wie bisher, vor fremder Thuͤre,
und in weit entlegenen beſſeren Ortſchaften erbetteln,
wenn ſie oder ihre Eltern ſich nur uͤberzeugen koͤnnten,
daß ſie bey dem Zuhauſebleiben und dem Beſuche der
Schule beſſer verſorgt waͤren.
§. 5.
Allein doch nicht alle Orte ohne Ausnahme
haben in Wuͤrttemberg eine eigene Schule, und
beſonders fehlt dieſelbe oft den kleinen Weilern und
einzelnen Hoͤfen. — Auch da, wo wirklich Schulen
vorhanden ſind, wird nicht uͤberall von den Leh-
rern und Eltern mit gleicher Strenge auf
fleißige Beſuchung der Schule und Ferti-
gung der Aufgaben fuͤr dieſelbe geſehen,
das Hin- und Hergehen in die weiter vom Hauſe und
Orte entfernten Schulen ſelbſt gibt den Kindern zum
Theil Gelegenheit und Veranlaſſung zum Betteln,
und ſelbſt den angeſtrengteſten Bemuͤhungen der Leh-
rer, Schul-Jnſpektoren und Geiſtlichen iſt es noch
nicht uͤberall gelungen, den regelmaͤßigen Beſuch der
Kirchen und Schulen zu Stande zu bringen, vielmehr
beſuchen manche Kinder im ganzen Jahre kaum 4 bis
6 Wochen lang die Schule, und ziehen die uͤbrige
Zeit des Jahres hindurch dem Bettel nach. —
Ueberhaupt fuͤllt der gewoͤhnliche oͤffent-
liche Gottesdienſt und Schul-Unterricht,
wenn er auch noch ſo regelmaͤßig beſucht wird, und
die Ausarbeitung der ſich darauf beziehenden Aufgaben,
noch lange nicht uͤberall die ganze Zeit der
Kinder aus. —
Mit den Gegenſtaͤnden des bisher ge-
woͤhnlichen Schul-Unterrichts koͤnnen und
duͤrfen aber die uͤbrigen Stunden durchaus
nicht bey jedem Kinde ausgefuͤllt werden.
Vielleicht nicht ganz mit Unrecht hat man ſchon fruͤ-
her den Wuͤrttembergiſchen Schul-Anſtalten den Vor-
wurf gemacht, daß ſie zu einſeitig ſeyen, indem darin
allzuſehr auf die Bildung zu Gelehrten, Geſchaͤfts-
maͤnnern und Kuͤnſtlern gedrungen, und dagegen die
Bildung der Kinder, beſonders der aͤrmeren Kinder,
zu guten Handwerkern, Bauern, Tagloͤhnern und
Dienſtboten vernachlaͤßigt werde. Aller Unterricht
und jede Beſchaͤftigung muß dem Stande und der
kuͤnftigen Beſtimmung der Kinder angemeſſen ſeyn,
und die Kinder ſelbſt, oder wenigſtens ihre Eltern und
Lehrer muͤſſen einſehen und ſich uͤberzeugen koͤnnen,
daß ihnen ihr Lernen und Arbeiten, waͤre es auch
nicht im Augenblicke, doch wenigſtens in Zukunft, zu
etwas nuͤtze ſeyn werde. Offenbar ſind aber die Stun-
den, welche bisher gewoͤhnlich auf den Schul-Unter-
richt verwendet worden ſind, hinreichend, um dem
kuͤnftigen Dienſtboten, Tagloͤhner und Bauern ſo viele
moraliſche und intellectuelle Kenntniſſe beyzubringen,
als er zu Erfuͤllung ſeines kuͤnftigen Berufs bedarf,
und die Vermehrung dieſer Stunden wuͤrde alſo nicht
nur den Kindern, Eltern und Lehrern als eine un-
noͤthige Plage erſcheinen, und ihnen die Luſt zur Theil-
nahme ſelbſt an den nothwendigen Unterrichtsſtunden
benehmen, ſondern gewiß waͤre auch das immerwaͤh-
rende Sitzen und Kopfarbeiten, und das immerwaͤh-
rende Einerley, der koͤrperlichen Ausbildung der Kin-
der, welche doch dem Landvolke, beſonders den Dienſt-
boten, Tagloͤhnern, Bauern und Handwerkern ſo ganz
unentbehrlich iſt, ſehr hinderlich, uͤberhaupt der Ge-
ſundheit der Kinder nicht zutraͤglich.
§. 6.
Jndeſſen gibt es ja Unterrichts- und Beſchaͤfti-
gungs-Gegenſtaͤnde genug, von deren Nutzen und
Nothwendigkeit nicht nur die Lehrer, Eltern und Kin-
der ſich eher uͤberzeugen wuͤrden, ſondern deren Erler-
nung und Betreibung auch wirklich fuͤr die lezteren
oft ſehr nuͤtzlich und ſogar hoͤchſtnothwendig waͤren. —
Zu Gegenſtaͤnden dieſer Art gehoͤren hauptſaͤchlich Hand-
Arbeiten.
§. 7.
Kein Handwerker nimmt gerne einen Knaben
in die Lehre, und niemand dingt gerne einen Knecht
oder eine Magd, welche nicht bereits gewiſſe Handar-
beiten verſtehen, ſich Geſchicklichkeit zu Treibung ſol-
cher Arbeiten erworben, und ſich an anhaltendes und
fleißiges Arbeiten gewoͤhnt haben, wo im Gegentheil
junge Leute, welche dieſe Eigenſchaften bereits beſitzen,
auch vorzugsweiſe uͤberall geſucht, und beſſer als andere
behandelt und bezahlt werden. — Und wie ſchlimm
iſt es, wenn ein Lehrling bey einem Handwerk, ein
reiſender Handwerks-Geſelle, ein Bauernknecht ꝛc. ſich
nicht einmal einen Knopf an ein Kleidungsſtuͤck feſt-
naͤhen, wenn eine Dienſtmagd nicht einmal ihre Struͤm-
pfe ſelbſt ſtricken, ihre Kleidungsſtuͤcke, wenn ſie zerriſ-
ſen ſind, ſelbſt ausbeſſern, ſich zu ihrem Putz, auf
welchen doch jede in ihrer Art ſo ſehr ſieht, wenigſtens
Einiges ſelbſt machen, an ihrer dereinſtigen Ausſteuer
etwas vorbereiten kann!
§. 8.
Waͤhrend der Dienſtzeit ſelbſt finden ſie dann ge-
woͤhnlich keine Zeit und Gelegenheit mehr, ſie haben
auch nicht mehr ſo, wie in juͤngeren Jahren die Ge-
lenkigkeit und Gewandtheit, um ſich Fertigkeiten dieſer
Art zu erwerben. Wer wird aber ein ſo ungeſchicktes
Maͤdchen gerne zur Frau nehmen! Und welche Nach-
theile entſtehen nicht daraus, wenn ſie es auch wirklich
bis zum Eheſtand und zu einer eigenen Haushaltung
bringt! Wie gut waͤre es, wenn ſie als Hausmutter
mit ihren Leuten ihren Flachs, ihren Hanf, ihre Wolle
ſelbſt verſpinnen, die Struͤmpfe fuͤr die Familie ſelbſt
ſtricken, die fuͤr dieſelbe erforderliche Leinwand ſelbſt
weben und bleichen, das Leib- und Bett-Weißzeug
ſelbſt verfertigen und waſchen, die zerriſſenen Kleidungs-
und Bettſtuͤcke ſelbſt ausbeſſern, und ſich dadurch nicht
nur manche Ausgabe, die ihr nun wehe thut, erſpa-
ren, oder den Lohn, den ſie nun Fremden bezahlen
muß, und vielleicht kaum aufzutreiben vermag, in Stun-
den ſelbſt verdienen koͤnnte, in welchen ſie ihre Leute
doch bezahlen und unterhalten, Licht brennen, und das
Zimmer waͤrmen muß, und welche ſie außerdem vor
langer Weile kaum auszufuͤllen, oder wenigſtens in kei-
nem Falle eben ſo nuͤtzlich zu verwenden weiß, waͤhrend
ſie zugleich bey der Selbſtverarbeitung eine weit dauer-
haftere — ihren Verhaͤltniſſen und Beduͤrfniſſen ange-
meſſenere Waare erhielte, als gewoͤhnlich diejenige iſt,
welche man durch Fremde machen laͤßt, oder Kaufs-
weiſe von ihnen erhaͤlt, beſonders wenn man nicht ein-
mal, was bey dergleichen ungeſchickten Hausmuͤttern
uͤberdieß der Fall iſt, die Waare gehoͤrig zu beurtheilen
verſteht. — Solche Weiber gehen dann oft, um eine
Ausgabe dieſer Art zu erſparen, oder weil ſie das Geld
dazu nicht aufzutreiben wiſſen, mit ihren Kindern lieber
in unreinlichen und zerriſſenen Kleidern umher, und
werden dadurch zuletzt dem Manne gleichguͤltig oder
gar zum Eckel. Und koͤnnen ſie auch vollends nicht
einmal die allereinfachſten und nothwendigſten Speiſen
kochen, wie es der Brauch iſt, ſo ſucht der Mann
außer dem Hauſe zu erhalten, was ihm zu Hauſe ſeine
Kuͤche verſagt, geht in das Wirthshaus, verzehrt dort
ſein Geld, betrinkt ſich wohl auch, und mißhandelt
dann, wennn er nach Hauſe kommt, Frau und Kinder.
— Ueberdieß werden, wenn die Mutter dergleichen Ar-
beiten nicht verſteht, auch die Toͤchter darin nicht un-
terrichtet und geuͤbt, auch die Huͤlfe, welche dieſe ihr
in ihrem Hausweſen leiſten koͤnnten, geht verloren, und
auch ſie und ihre Nachkommen werden ſo unwiſſend
und ungluͤcklich, als ihre Mutter war.
§. 9.
Wie gut waͤre es auch fuͤr manchen Hausvater,
wenn er zuweilen eine kleine Arbeit, wofuͤr er außerdem
Geld ausgeben muß, in muͤßigen Stunden ſelbſt ver-
fertigen koͤnnte! — Wie gut waͤre es, wenn Fami-
lien, welche wenige oder gar keine Guͤter oder ſonſti-
ges Vermoͤgen haben, — wenn Profeſſioniſten, wie
z. B. Jpſer, Maurer, Zimmerleute ꝛc., welche in der
Regel im Winter auf ihrem Handwerk keine Arbeit fin-
den, — oder wenn erwachſene unverheirathete,
beſonders wenn am Koͤrper gebrechliche oder ſonſt
zu ſchwerer Arbeit untaugliche Perſonen,
— oder wenn unbemittelte Juͤnglinge, welche fuͤr
den Militaͤrdienſt ausgehoben wurden, und,
wenn ſie in Garniſon liegen, ſo manche vom Dienſte
freye Stunde haben, — in ihrer Jugend eine oder
einige Handarbeiten gelernt haͤtten und verſtuͤnden, wo-
durch ſie vor den unvermeidlichen Folgen des Muͤßig-
gangs verwahrt, und in den Stand geſetzt wuͤrden,
ſich etwas zu verdienen, hiedurch ſich vor Mangel und
Elend zu ſchuͤtzen, und die noͤthigſten Lebens-Beduͤrf-
niſſe zu verſchaffen, oder durch eine ſolche Zulage zu
ihrem ordentlichen Einkommen ihre Lage ertraͤglicher
und angenehmer zu machen.
§. 10.
Ueberhaupt iſt den Kindern damit noch nicht immer
ganz geholfen, wenn ihnen Kenntniſſe beygebracht wer-
den, durch deren Anwendung ſie ſich in ſpaͤteren
Jahren ihr Brod verdienen koͤnnen; nicht ſelten waͤre
es hoͤchſt wohlthaͤtig, wenn ſie ſchon als Kinder ge-
wiſſe Handarbeiten betreiben koͤnnten, oft nicht ſowohl,
um ihre eigene Lage dadurch zu verbeſſern,
und um ſo eher vom Hinauslaufen auf den Bettel ab-
gehalten zu werden, als vielmehr, um ihre Eltern
bey ihren haͤuslichen Geſchaͤften unter-
ſtuͤtzen, oder durch dergleichen Arbeiten etwas erwer
ben, und hiedurch zu Erhaltung armer Eltern
oder Geſchwiſter etwas beytragen zu koͤnnen.
§. 11.
Das Geſagte wird gewiß hinreichend ſeyn, um
zu beweiſen, daß nothwendig, wo nicht alle, doch we-
nigſtens diejenigen Kinder beyderley Geſchlechts,
bey denen es wahrſcheinlich iſt, daß ſie jetzt oder in
Zukunft nur durch ihrer Haͤnde Arbeit ſich werden er-
naͤhren, und nuͤtzliche Mitglieder der buͤrgerlichen Ge-
ſellſchaft werden koͤnnen, daß alſo vorzuͤglich auch die
aͤrmeren Kinder, ſobald ihre Geiſtes- und koͤrperlichen
Kraͤfte es erlauben, nicht nur in nuͤtzlichen ihrem Stan-
de und kuͤnftigen Berufe und Fortkommen moͤglichſt
angemeſſenen Hand-Arbeiten unterrichtet, ge-
uͤbt, und ausgebildet, und dadurch zugleich auch
fuͤr leichtere Erlernung und Treibung anderer Hand-
arbeiten geſchickter und fertiger gemacht und
abgehaͤrtet, — ſondern auch, ſo viel es ohne Ab-
bruch des nothwendigen moraliſchen und intellectuellen
Unterrichts und ohne Nachtheil fuͤr ihre Geſundheit
geſchehen kann, an anhaltende Thaͤtigkeit und
Arbeit auf eine ſolche Weiſe gewoͤhnt werden ſoll-
ten, daß wirkliche Arbeitſamkeit, d. h. Trieb,
Luſt, Neigung, Sinn, Liebe, Freude zur Ar-
beit, daß eigener Gewerbfleiß, eigene Jnduſtrie
in ihnen erwachte, daß ſie den Werth der Zeit einſe-
hen lernten, daß es ihnen eigentlich zur anderen Na-
tur wuͤrde, ihre ganze Zeit und Kraft nur zu ihrem
eigenen und anderer Nutzen zu verwenden, und daß
ſie ſich ſchaͤmten, einen Biſſen Brod zu eſſen, welchen
ſie nicht ihrer eigenen rechtlichen Thaͤtigkeit zu verdan-
ken haͤtten.
§. 12.
Zu Erreichung dieſes Zweckes tragen nun freylich
viele, vielleicht die meiſten, beſonders die recht-
ſchaffenen und fuͤr das Wohl der Kinder be-
ſorgten Eltern, Verwandte und Pfleger
von ſelbſt das Jhrige bey, indem ſie die Kinder
in denjenigen Stunden, welche ihnen der Beſuch der
Schulen, und die Fertigung der ihnen in dieſen ge-
machten Aufgaben uͤbrig laͤßt, nach Maßgabe der
Jahrszeit und Localitaͤt, zu den gewoͤhnlichſten und
nothwendigſten Hand-Arbeiten ihres Standes und kuͤnf-
tigen Berufs, ſowohl im Felde als zu Hauſe, ſelbſt
anleiten und unter ihrer eigenen Aufſicht anhalten,
und ſie auf dieſe Art wirklich vor dem Muͤßiggang und
Bettel bewahren, und an Arbeitſamkeit und anhaltende
Thaͤtigkeit gewoͤhnen.
§. 13.
So muͤſſen z. B. die Kinder ſolcher Eltern, deren
Haupt-Nahrungszweig Feldbau und Viehzucht,
uͤberhaupt die Landwirthſchaft iſt, dieſelbe bey
den hiezu gehoͤrigen Geſchaͤften, nahmentlich bey dem
Bauen und Beſſern ihrer Weinberge, Gaͤr-
ten, Wieſen, Aecker, bey der Obſtbaumzucht,
und bey Einheimſung des Ertrags unterſtuͤtzen,
das Getreide austreſchen, uͤberhaupt die ge-
wonnenen Produkte verarbeiten helfen, muͤſſen Futter,
Eicheln, Buͤcheln, Laub und Streue fuͤr das
Vieh holen, daſſelbe fuͤttern, traͤnken, die
Staͤlle reinigen, das Gefluͤgel und Vieh
(beſonders wo die Markungen aus einzelnen Hoͤfen
beſtehen) in Feldern und Waͤldern huͤten, das Holz
im Walde aufmachen und herbeyſchaffen helfen,
Holz tragen, Wacht- Jagd- und andere
Frohnen und Botengaͤnge verrichten, und waͤh-
rend die aͤlteren Perſonen dem Feldgeſchaͤfte nachgehen,
juͤngere Kinder huͤten, und ihnen warten und
pflegen. — Kinder aͤrmerer Eltern muͤſſen, beſonders
in holzarmen Gegenden, Dornbuͤſchel und anderes
duͤrres Holz (Doͤrrhoͤlzer, Brockholz) in den
Waͤldern ſammeln und einbringen, auf den bey
der Ernte abgeleerten Feldern die zuruͤckgebliebe-
nen Aehren, Kartoffeln ꝛc. ableſen, Heidel-
beere, Himbeere, Wachholder- und andere
Beere, Kraͤuter fuͤr die Apotheker, Acker-
ſalat, und andere Gewaͤchſe auf den Ver-
kauf ſammeln, Sand graben, und dergl. —
Manche werden wohl auch von ihren Eltern bey ihren
Handwerks- und Profeſſions-Arbeiten be-
ſchaͤftigt, und zum Flachs- Hanf- Wolle- Baum-
wolle- und Seide-Spinnen, Spulen, Stri-
cken, Naͤhen, Sticken ꝛc. angehalten. — An eini-
gen Orten muͤſſen ſie auch Beſen, Schindeln,
Rechen, Strohgabeln und andere dergleichen
Holzwaaren verfertigen.
§. 14.
Dieſe Arbeiten beſchaͤftigen beyde Geſchlechter,
ſowohl Knaben als Maͤdchen, denn zu den
Feldgeſchaͤften, zum Viehhuͤten, zum Holzſammeln
und Tragen, zum Dungfuͤhren, zum Treſchen, und
zu den Profeſſions- und Holzarbeiten werden haupt-
ſaͤchlich die Knaben, — zum Gaͤnſehuͤten, zur Aufſicht
uͤber kleine Kinder, zum Spinnen, Stricken, Naͤhen ꝛc.
die Maͤdchen gebraucht; — ja es gibt Orte, wo die
Knaben ſo gut als die Maͤdchen zum Spinnen und
dergleichen Arbeiten angehalten werden.
§. 15.
Auch werden die Kinder oft ſchon in dem zaͤrte-
ſten Alter, ſobald ſie nur einigermaßen Haͤnde und
Fuͤße zu gebrauchen im Stande und arbeitsfaͤhig ſind,
(zum Spulen z. B. ſchon vom 5ten oder 6ten Jahre
an, zum Spinnen, ſobald ſie nur eine Spindel regie-
ren koͤnnen, zum Viehhuͤten vom 6ten und 8ten Jahre
an, zum Treſchen und Beſorgen des Viehes im Stalle
vom 8ten bis 9ten Jahre an, und zu Feld-Arbeiten,
ſobald ſie nur einigermaßen erſtarkt ſind, vom 10 bis
12ten Jahre an, —) und zwar bis ſie aus der
Schule kommen, und ſich zu einem Handwerk
oder in Knechts- oder Magddienſte begeben koͤnnen,
zu allen Arbeiten, denen ſie gewachſen ſind, und ſo
ſtrenge, als nur immer Kraͤfte und Zeit es ihnen ge-
ſtatten, angehalten.
§. 16.
Allein leider gibt es ja auch ſchlechte Eltern,
Verwandte, und Pfleger, welche es aus Nach-
laͤßigkeit, Geiz, oder anderen verwerflichen Urſachen
verſaͤumen, die Kinder gehoͤrig zu beſchaͤftigen. —
Manche glauben zwar durch obrigkeitliche Auf-
ſicht und Strenge koͤnnen auch dieſe dazu angehal-
ten werden, ihre Pflicht zu erfuͤllen, und wirklich wird
von vielen gemeinſchaftlichen Oberaͤmtern und Ober-
amtsleitungen des Wohlthaͤtigkeits-Vereins in ihren
Berichten behauptet, die Kirchen-Convente, die
Ortsleitungen des Wohlthaͤtigkeits-Ver-
eins, und andere Ortsbehoͤrden wiſſen ſich durch
genaue - auf die Einzelnen ſich erſtreckende, Aufmerk-
ſamkeit, Aufſicht, und Wachſamkeit auf das Thun
und Laſſen der armen Kinder und Eltern, beſonders
in Orten, wo die geiſtlichen und weltlichen Vorſteher
Sinn fuͤr die Sache haben, und zwar ſelbſt in Orten,
welche viele arme Kinder zaͤhlen, ſtets zu verſichern,
daß alle Kinder ohne Ausnahme beſtaͤndig auf eine ih-
ren Faͤhigkeiten und Kraͤften angemrſſene, nuͤtzliche
Weiſe beſchaͤftigt, dadurch von dem Muͤßiggang und
Bettel, und einem unordentlichen und unſittlichen Le-
ben abgehalten, und uͤberhaupt ihrer kuͤnftigen Beſtim-
mung gemaͤß erzogen und ausgebildet werden. — An
einigen Orten wird zu dieſem Ende von Zeit zu Zeit
der Jnnwohnerſchaft genaue Aufſicht uͤber das Thun
und Laſſen der Kinder empfohlen, und die Localleitun-
gen laſſen von Zeit zu Zeit durch weibliche ſowohl als
maͤnnliche Mitglieder aus ihrer Mitte, beſonders durch
diejenige, welchen zum Theil ohnehin die ſpeciellere
Aufſicht uͤber die einzelnen Armen uͤbertragen iſt, bey
den Armenfamilien, und vorzuͤglich bey ſolchen, welche
im Verdachte ſtehen, daß ſie es an gehoͤriger Beſchaͤf-
tigung der Kinder fehlen laſſen, nachſehen. — Dieſe
Mitglieder zeigen dann jeden Mangel an gehoͤriger
Beſchaͤftigung derſelben ſogleich dem Kirchen-Convente
oder der Localleitung an, die betreffenden Perſonen
werden vorgeladen, ermahnt, geſtraft, kurz, es wird
nichts verſaͤumt, ſondern jedes dienliche Mittel ange-
wendet, um die Saumſeligen zu gehoͤriger Beſchaͤftigung
ihrer Kinder anzuhalten.
§. 17.
Allein an vielen Orten ſind die Mitglieder der
Localleitungen und Kirchen-Convente ſo in-
dolent, und haben ſo wenig guten Willen, daß ſie
kaum zu einer Sitzung zu bringen, geſchweige denn ein
ſo unangenehmes und undankbares Geſchaͤfte, wie die
Aufſicht uͤber die Beſchaͤftigung der armen Familien
und Kinder, zu uͤbernehmen geneigt ſind, indem ſie
wohl wiſſen, daß mancher, in deſſen Hauſe ſie etwa
nachſehen wollten, dieß fuͤr einen Eingriff in ſeine
Haus- und Eltern-Rechte anſehen, und ihre Sorgfalt
durch Grobheiten, wohl auch durch Schmaͤhen und
Schimpfen erwiedern wuͤrde. — Selbſt wenn es ihnen
auch an gutem Willen nicht fehlt, ſo haben ſie wenig-
ſtens nicht immer Kraft und Beharrlichkeit genug, in-
dem ſie ſich nur gar zu leicht, wenn irgend ein Hin-
derniß oder eine Schwierigkeit ſich entgegenſtellt, wie-
der abſchrecken laſſen. — Haben auch einzelne Mit-
glieder der Localleitungen zuweilen ſowohl guten Willen
als Kraft genug, ſo wird ihre Thaͤtigkeit nicht ſelten
durch den Mangel an Theilnahme der uͤbrigen Mit-
glieder geſtoͤrt und gelaͤhmt. —
Wirklich iſt auch die Zahl dieſer Mitglieder gewoͤhn-
lich zu klein, um ein Geſchaͤfte dieſer Art ſo vertheilen
zu koͤnnen, daß es fuͤr jeden Einzelnen nicht zu laͤſtig
waͤre; gewoͤhnlich beſtehen ſie aus den aͤlteſten Rich-
tern, welche oft ſchon zu ſchwach an Kraͤften fuͤr ein
ſolches Geſchaͤfte ſind; oder ſie haben mit ihrem eige-
nen Feldbau oder ſonſtigen Gewerbe bereits ſo viel
zu thun, daß ihnen keine Zeit zu einem Nebengeſchaͤfte
uͤbrig bleibt. Mehrere Localleitungen halten ſich auch
nicht fuͤr befugt zu einer ſolchen Aufſicht.
2
§. 18.
Als Verbeſſerung dieſer Einrichtung iſt zwar vor-
geſchlagen worden, jeder Ort von einigem Belang ſollte
in gewiſſe Bezirke, zu ungefaͤhr 15 bis 20 Fami-
lien auf jeden, abgetheilt, und einem gutge-
ſinnten Hausvater daraus, der einiges Anſehen
haͤtte, die Aufſicht uͤber ſaͤmmtliche Arme eines ſol-
chen Bezirks uͤbergeben werden; zur Erleichterung
ſollten dieſe Bezirks-Aufſeher abwechſeln, und etwa, ſo
lange ſie in Function waͤren; perſonalfrey ſeyn. — An
anderen Orten iſt den Ortsvorſtehern, Schul-
lehrern, und Policeydienern eine ſolche Aufſicht
zur beſonderen Pflicht gemacht; — und wieder an an-
deren Orten, beſonders in ſolchen, welche eine bedeu-
tende Anzahl armer Kinder haben, ſind eigene Auf-
ſeher fuͤr die armen Kinder aufgeſtellt. — Allein auch
dieſe Aufſeher, wozu ohnehin oft ſchwer ganz taugliche
Maͤnner zu finden ſeyn duͤrften, wuͤrden wohl aus aͤhn-
lichen Gruͤnden, wie die Kirchen-Convente und Local-
leitungen, gewoͤhnlich zu ſchuͤchtern ſeyn, ihren Beruf
gehoͤrig zu erfuͤllen, beſonders wenn nicht zugleich der
geiſtliche und weltliche Ortsvorſteher, mit welchen ſie
ohnehin in beſtaͤndiger Communication ſtehen muͤßten,
thaͤtig eingriffen, und ſie mit Kraft und Beharrlichkeit
in ihrem Berufe unterſtuͤtzten. — Jn vielen Orten
wohnt aber nicht einmal ein Geiſtlicher, und mancher
Geiſtliche hat ſelbſt nicht guten Willen, Kraft und Ge-
ſchicklichkeit genug, um ſich einem Geſchaͤfte zu unter-
ziehen, von dem er keine andere Belohnung, als das
Bewußtſeyn treuer Berufs-Erfuͤllung vor ſich ſieht. Es
gibt zwar auch recht viele wuͤrdige Geiſtliche, welche
ihrem erhabenen Berufe folgend, mit Einſicht, Muth,
und Kraft dieſem edeln Zwecke nachſtreben wuͤrden,
wenn ſie von den weltlichen Gemeinde-Vorſtehern Un-
terſtuͤtzung zu hoffen haͤtten. Allein dieſe Leute legen
oft, — am Alten haͤngend, und jeder neuen Einrich-
tung feind, — weit entfernt, die guten Zwecke zu be-
foͤrdern, — denſelben vielmehr noch Hinderniſſe in den
Weg, und halten dadurch ihren Pfarrer, der oft von
der Gemeinde ſehr abhaͤngig iſt, von der ernſtlichen
Verfolgung des Zweckes ab. — Ueberdieß wuͤrden einer
ſolchen Aufſicht die zerſtreute Lage der Weiler, Hoͤfe,
und Haͤuſer, und der Tummel-Plaͤtze der Kinder in
manchen Gegenden beynahe unuͤberwindliche Hinder-
niſſe in den Weg legen, — und ſehr oft waͤre es dem
Aufſeher unmoͤglich zu unterſcheiden, was eigentlicher
Muͤßiggang, oder aber nothwendige und billige Erhoh-
lung der Kinder ſey. — Die Aufſicht uͤber die Be-
ſchaͤftigung derſelben auf die vorgeſchlagene Art wuͤrde
alſo wohl in den meiſten Faͤllen, beſonders in groͤße-
ren Orten, wo nicht ganz unausfuͤhrbar, doch wenig-
ſtens ſehr ſchwer, und nicht ohne große Koſten, zu be-
werkſtelligen, und in jedem Falle hoͤchſt unvollkommen
ſeyn. —
§. 19.
Ueberhaupt fehlt es nicht immer bloß an dem gu-
ten Willen der Eltern, Verwandten, und Pfleger, den
Kindern Beſchaͤftigung zu verſchaffen, vielmehr gebricht
es wirklich manchem bey dem beſten Willen oft an
Anleitung und Gelegenheit zu einer angemeſ-
ſenen Beſchaͤftigung, ſo wenig es auch anderen viel-
leicht hieran fehlen mag. — Der Arme, der Duͤrftige,
der Unvermoͤgliche, uͤberhaupt der Unbeguͤterte z. B.
hat keine Feldguͤter, keinen Viehſtand, wo-
mit er ſeine Kinder nuͤtzlich beſchaͤftigen
2 *
koͤnnte. — Mancher arme Mann findet zwar als Tag-
loͤhner Gelegenheit zu ſolchen Geſchaͤften, aber mei-
ſtens beſchraͤnkt ſich dieß nur auf ſeine eigene Perſon,
und nicht zugleich auch auf ſeine Kinder, und an man-
chem Orte fehlt es, wenigſtens zu mancher Zeit, dem
Familienvater ſelbſt an Gelegenheit, im Taglohn zu
arbeiten. — Manche Eltern koͤnnen auch, um nicht
die Erwerbung ihres Unterhalts durch ihre eigene Hand-
arbeit zu verſaͤumen, nicht allzuviele Zeit auf
die Anleitung ihrer Kinder zu ſolchen Arbeiten verwen-
den. — Viele Eltern ſind zu unwiſſend, uner-
fahren, und ungeſchickt, um ihre Kinder in nuͤtz-
lichen Handarbeiten ſelbſt unterrichten zu koͤnnen, be-
ſonders wenn dieſe Kinder vollends gar blind, oder
taubſtumm, oder ſonſt ſchwerer als andere zu unterrich-
ten ſind; auch ſind manche Eltern zu arm, oder es
faͤllt ihnen wenigſtens allzuſchwer, um ihre Kinder in
einem ſolchen Falle durch andere geſchicktere Perſonen
unterrichten zu laſſen. Zuweilen koͤnnen zwar in die-
ſem Falle aͤltere Geſchwiſter die Stelle der Eltern ver-
treten; auch gibt es Orte, wo ſich gute Menſchen
finden, welche armen Kindern unentgeldlich oder um
eine aͤußerſt geringe Belohnung Unterricht in gewoͤhn-
lichen Arbeiten, die ſie nicht bey ihren Eltern lernen
koͤnnen, ertheilen; und die Vermoͤglicheren laſſen ihre
Kinder auf eigene Koſten durch andere geſchicktere
Perſonen, z. B. durch Naͤherinnen, im Naͤhen, Stri-
cken ꝛc. in oder außer ihrem Hauſe unterrichten. Aber
an manchem Orte fehlt es ganz an Gelegenheit hiezu.
— Manche arme Kinder werden zwar wohl auch
von vermoͤglicheren Verwandten, Nachbarn
und Fremden, beſonders in Staͤdten und anderen
Orten, wo Fabriken und uͤberhaupt mehr Gewerbe
ſind, zu Botengaͤngen und Frohnen in ihrem Nahmen
angeſtellt, zur Aufſicht uͤber ihre kleinen Kinder,
zum Huͤten ihres Viehes, oder zu anderen kleinen Ver-
richtungen gedungen, oder durch Spulen, Spinnen,
Stricken ꝛc. um den Lohn beſchaͤftigt; allein auch
dieß iſt doch nicht allgemein genug der Fall. —
§. 20.
Obige Privat-Arbeiten beſchaͤftigen ferner die Kin-
der zwar zum Theil nicht nur den Sommer, ſon-
dern großentheils auch den Winter hin-
durch, denn wenn gleich die eigentlichen Feld-Geſchaͤfte
hauptſaͤchlich nur vom Anfange des Fruͤhlings an bis
zum Eintritt des Winters getrieben werden koͤnnen, ſo
werden doch im Winter alte Weinberge ausgehauen
und gereuttet, es wird Erde und Duͤnger in die
Weinberge und auf die Wieſen gefuͤhrt, oder (beſon-
ders von unbemittelteren Guͤterbeſitzern, welchen es an
Zugvieh und Fuhrwerk fehlt) getragen, und auf Schlit-
ten gefuͤhrt, es wird Holz aufgemacht und herbeyge-
ſchafft, und duͤrres Holz geleſen, es wird, wenn nur
der Boden nicht gefroren iſt, Ackerſalat geſammelt, die
Fruͤchten werden ausgetroſchen, das Vieh muß gefuͤt-
tert und getraͤnkt, die Staͤlle muͤſſen gereinigt, es muß
Holz getragen werden u. ſ. w. — Andere Verrichtun-
gen, wie z. B. das Botengehen und Frohnen, das
Kinderhuͤten, die Profeſſions-Arbeiten, das Spinnen,
Stricken, Naͤhen, Sticken, und die Verfertigung von
Holzwaaren gehen Sommer und Winter fort. —
Deſſen ungeachtet bleibt manchem Landmann, be-
ſonders im Winter, und uͤberhaupt in denjenigen Zei-
ten, wo Jahrszeit und Witterung ihm Feldgeſchaͤfte
nicht erlauben, vorzuͤglich an den langen Winter-
Abenden, ſo manche Stunde uͤbrig, welche er
oft mit den Seinigen durchaus auf keine nuͤtzliche
Weiſe auszufuͤllen weiß, und daher, hinter dem
Ofen ſchlafend, oder in den Spinnſtuben leichtſinnige
Geſpraͤche fuͤhrend, oder wohl auch in der Schenke
zechend zubringt. — Mehrere obiger Beſchaͤftigungen
ſind auch von der Art, daß fuͤglich, wenigſtens Zeiten-
weiſe, noch ein anderes Geſchaͤfte daneben
getrieben werden koͤnnte; ſo koͤnnte z. B. ne-
ben dem Huͤten kleiner Kinder oder des Gefluͤgels und
Viehes nach Umſtaͤnden wohl noch geſtrickt, Stroh
geflochten, oder irgend eine Arbeit dieſer Art verrichtet
werden. — Selbſt Neben-Arbeiten, wie z. B. Leinen-
Wolle- und Seide-Spinnen, welche das Landvolk an
manchen Orten verſteht, und in dergleichen Stunden
auch wirklich zu treiben pflegt, ſind ſo mancher
Stockung und Stoͤrung durch aͤußere Han-
dels- und andere Verhaͤltniſſe unterwor-
fen. — Es waͤre daher aͤußerſt wohlthaͤtig, wenn die
Jugend nicht nur eine, ſondern verſchiedene Arbeiten
dieſer Art verſtehen lernte, um muͤßige Stunden oben-
gedachter Art nuͤtzlich ausfuͤllen zu koͤnnen, um bey
Geſchaͤften, welche zugleich noch eine Neben-Beſchaͤfti-
gung zulaſſen, durch eine mehr Aufmerkſamkeit erfor-
dernde und eintraͤglichere Nebenarbeit vom Muͤſſiggang
und Unfug abgehalten zu werden, und um ſpaͤterhin,
wenn die eine oder die andere dieſer Arbeiten aus ir-
gend einem Grunde temporaͤr oder fuͤr immer ſtocken
ſollte, und nicht mehr mit Vortheil ſollte betrieben
werden koͤnnen, deſſen ungeachtet bey einer der an-
deren Beſchaͤftigung und Verdienſt zu finden.
§. 21.
Ueberdieß ſind die oben aufgezaͤhlten Privat-Be-
ſchaͤftigungen der Kinder zum Theil mit einer regel-
maͤßigen Beſuchung und Benutzung des oͤf-
fentlichen Gottesdienſtes und Schul-Unter-
richts unvereinbar, und wegen des Mangels
an Aufſicht, welchem die Kinder dabey ausgeſezt
ſind, zum Theil auch in anderer- beſonders moraliſcher
Hinſicht von der Art, daß ſie zu Befoͤrderung des
Zweckes, die Kinder ihrer kuͤnftigen Beſtimmung ge-
maͤß zu erziehen und auszubilden, keineswegs geeignet
ſind. Viele dieſer Arbeiten werden zwar unter den
Augen und der Aufſicht der Eltern, Dienſtherrn ꝛc.
verrichtet, bey anderen aber iſt das Gegentheil der
Fall. So muͤſſen z. B. bey dem Viehhuͤten die Kin-
der, da ſie dadurch den ganzen Sommer hindurch al-
lem moraliſchen und intellectuellen Unterrichte, und al-
ler ordentlichen Aufſicht entzogen, und auf die Geſell-
ſchaft mit ihrem Vieh beſchraͤnkt werden, nothwendig
verwildern, und ſich, da dieſes Huͤten nur eine halbe
Beſchaͤftigung iſt, bey weitem nicht ihre volle Auf-
merkſamkeit in Anſpruch nimmt, und ihnen Zeit genug
zu allem moͤglichen Neben-Unfug uͤbrig laͤßt, je laͤnger
je mehr an den verderblichen Muͤſſiggang, Bettel, und
andere Unarten aller Art gewoͤhnen; — deßgleichen
werden die Kinder durch das Hinausſchicken, um Holz
zu ſammeln und einzubringen, viel zu ſehr zu Schul-
Verſaͤumniſſen verleitet, von eigentlicher Arbeits- und
Ordnungsliebe entwoͤhnt, und zu dem Feld- und Wald-
diebſtahl, wohl auch zum Verderben fruchtbarer Baͤume
verleitet; — aͤhnliche Nachtheile entſtehen aus dem
Frohnen und Botengehen der Kinder, und ſelbſt die
haͤuslichen Geſchaͤfte koͤnnen ihnen, beſonders vom
Fruͤhjahre bis zum Eintritte des Winters, wo ge-
woͤhnlich von den Doͤrfern alles im Felde beſchaͤftigt
iſt, und die Kinder ſich dann zu Hauſe ganz ſelbſt
uͤberlaſſen ſind, durch dieſen Mangel an Aufſicht ver-
derblich werden.
§. 22.
Endlich werden obige Privat-Beſchaͤftigungen,
wenn ſie auch an und fuͤr ſich keineswegs zu tadeln
ſind, den Kindern oft durch Uebertreibung von
Seite ihrer Eltern ꝛc. mehr ſchaͤdlich als nuͤtzlich, in-
dem nicht ſelten, beſonders aͤrmere Kinder, allzu-
fruͤhe und allzuſtrenge, zu allzuharten
Geſchaͤften, zum Schaden ihrer Geſundheit, und
zur Verſaͤumniß des oͤffentlichen Gottesdienſtes und
Schul-Unterrichts, und der zu Hauſe fuͤr die Schule
auszuarbeitenden Aufgaben, von den Jhrigen angehal-
ten werden.
§. 23.
Aus allem dieſem folgt, daß durch bloße Be-
obachtung, ob alle Kinder von den Jhrigen gehoͤrig
beſchaͤftigt werden, und durch Beſtrafung derjenigen,
welche ihre Pflichten in dieſer Hinſicht nicht erfuͤllen, der
Zweck noch nicht erreicht werden kann, ja daß eine
ſolche Beſtrafung in manchen Faͤllen hart und unge-
recht waͤre, wenn nicht zugleich, und waͤre es auch
nur, um alle unſtatthaften Vorwaͤnde abzuſchneiden,
Anſtalt getroffen wuͤrde, daß jedes Kind, wel-
ches nicht von den Seinigen die erforder-
liche Anleitung, Gelegenheit und Ermun-
terung zu einer nuͤtzlichen Beſchaͤftigung
erhalten kann, dieſelbe durch obrigkeit-
liche Fuͤrſorge erhielte, und daß es durch
obrigkeitlich veranſtaltete, beſtaͤndige Auf-
ſicht anhaltend auf der einen Seite vor Uebertrei-
buug durch allzufruͤhes, allzuſtrenges und
allzuhartes Arbeiten geſchuͤzt, auf der andern
Seite aber von dem Muͤſſiggang und Bettel,
und deren verderblichen Folgen, abgehal-
ten wuͤrde.
§. 24.
Um dieſen Zweck zu erreichen, iſt es vielleicht zu-
weilen genug, wenn einzelne Kinder einer oder
einigen in dergleichen Handarbeiten erfahrenen
Perſonen, z. B. Strickerinnen, Naͤherinnen, Sticke-
rinnen ꝛc. zum Unterricht uͤbergeben, und die
Koſten dieſes Unterrichts auf eine oͤffentliche Caſſe
uͤbernommen werden, — oder wenn auch nur obrig-
keitlich dafuͤr geſorgt wird, daß es nicht an Per-
ſonen im Orte fehle, welche in dergleichen Hand-
arbeiten Unterricht geben koͤnnen.
§. 25.
Jn der Regel wuͤrde es aber zu koſtſpielig und
mit zu vielen Schwierigkeiten verbunden ſeyn, jedem
Kinde einzeln hinlaͤngliche Anleitung, Gelegenheit und
Ermunterung zu einer nuͤtzlichen Beſchaͤftigung zu ver-
ſchaffen, beſonders aber wuͤrde die Aufſicht uͤber die
Kinder zu ſchwer zu bewerkſtelligen und viel zu unvoll-
kommen ſeyn, wenn nicht ein Vereinigungs-Ort
beſtimmt, eine foͤrmliche ſogenannte Jnduſtrie-
Schule eingerichtet wuͤrde, wo alle dieſer Fuͤrſorge
beduͤrftigen Kinder ſich aus ihrer Zerſtreuung
verſammeln, den Unterricht gemeinſchaft-
lich genießen, und ſich unter gemeinſchaft-
licher Aufſicht ſowohl beſchaͤftigen als er-
hohlen koͤnnten.
§. 26.
Auch in Wuͤrttemberg hat man laͤngſt das
Beduͤrfniß der Errichtung ſolcher Jnduſtrie-Schu-
len gefuͤhlt. — Die erſten oͤffentlichen Verſuche, die-
ſem Beduͤrfniſſe abzuhelfen, waren die im Jahre 1710
bis 1712. in Stuttgart und im J. 1736. in Ludwigs-
burg, in Verbindung mit den dortigen Zucht- und Zwangs-
Arbeits-Anſtalten, errichteten beyden Waiſenhaͤu-
ſer. — Weiter ging Oberamtmann Muͤller in
Sulz, welcher in einer im Jahr 1762. in Stuttgart
erſchienenen Druckſchrift auf Anlegung mehrerer Ma-
nufacturen und Fabriken im Lande antrug, um
dadurch zugleich duͤrftigen Perſonen Unterhalt zu ver-
ſchaffen, — beſonders aber Oberamtmann Faber
in Nuͤrtingen, welcher im Jahr 1761. daſelbſt mit
Errichtung einer Baumwollen-Spinnerey und
Weberey auf oͤffentliche Rechnung einen ſo
wohlgelungenen Verſuch machte, daß die von ihm ent-
worfene Armen-Allmoſen- und Spinn-Ordnung ver-
mittelſt eines R. v. 11. May 1766. von Seite der
Regierung allen Oberaͤmtern gedruckt mitgetheilt wurde,
um dieſelbe auch ihrerſeits, nach Beſchaffenheit der
Umſtaͤnde, ganz oder theilweiſe, oder mit zweckmaͤßi-
gen Modificationen einzufuͤhren. —
Das gegebene Beiſpiel fand jedoch Anfangs we-
nige Nachahmung, und erſt im Jahre 1776. wurde in
Stuttgart eine im Jahre 1788. verbeſſerte Spinn-
Anſtalt errichtet, worin jeder Arme, vom 7ten
Jahre an bis zu den hoͤheren Altersſtufen im Spinnen
von Baumwolle, Wolle, Flachs und Hauf, auch im
Stricken unentgeldlichen Unterricht, und Gelegenheit
zu einem taͤglichen Verdienſte fand. — Durch ver-
ſchiedene General-Neſcripte vom 8. May und 18. Oct.
1786, 8. Jul. 1789, 10. April 1790, und 14. April
1794. wurde daher von der Regierung auf's Neue
empfohlen, die einheimiſchen Armen durch obrigkeitliche
Veranſtaltung mit einer oder anderer Arbeit (Feld-
arbeit, Spinnen ꝛc.) hinlaͤnglich zu verſehen; und beſon-
ders verordnete das R. v. 10. April 1790, daß an
Orten, wo Fabriken, Manufacturen, Spinnereyen ꝛc.
ſchon vorhanden ſeyen, die Jnhaber derſelben zum Beſten
der arbeitſuchenden Armen zu weiterer Ausbreitung
ihrer Gewerbe aufgemuntert, an ſolchen Orten aber,
wo keine dergleichen Gewerbe beſtehen, die Armen da-
durch in Arbeit geſezt werden ſollen, daß man aus
den zu ihrer Verſorgung beſtimmten Fonds rohe Ma-
terialien zur Verarbeitung nebſt den erforderlichen Werk-
zeugen fuͤr ſie anſchaffe, und die Fabrikate ihnen ge-
gen einen verhaͤltnißmaͤßigen Lohn wieder abnehme
und verkaufe. —
Jm Jahre 1795. wurde hierauf in der Stadt
Marbach eine Wollenſpinnanſtalt fuͤr Erwachſene
und Kinder errichtet, an welcher nahmentlich a) die-
jenigen Kinder, welche auf Koſten des Hoſpitals er-
halten wurden, b) die Kinder derjenigen Eltern, wel-
che an dem geſtifteten Allmoſenbrode Antheil nahmen,
oder bey Krankheiten und Ungluͤcksfaͤllen Unterſtuͤtzung
ſuchen wollten, und c) alle Kinder, welche auf dem
Bettel ergriffen wurden, Antheil nehmen muſſten. —
Jn ebendemſelben Jahre kam in Birkach, Stutt-
garter Amts-Oberamts, durch die Thaͤtigkeit
des (als Verfaſſer der Schwaͤbiſchen Provincialblaͤtter
uͤber Armen-Verſorgung und Armen-Erziehung,
Stuttgart, bey Metzler, 1796 ‒ 1798. bekannten)
dortigen Pfarrers Kohler eiue Spinn- und nachher
auch Strick- und Naͤh-Schule fuͤr Kinder zu Stande,
welche durch ein Reſcript vom 30. Jan. 1796. unter
Beyſchluß einer gedruckten Beſchreibung derſelben all-
gemein zur Nachahmung, und zur Verbindung mit
den Lehrſchulen, empfohlen wurde.
Auch fuͤr Stadt und Amt Tuͤbingen wurde im
Jahre 1796. eine Baumwollen-Spinn-Anſtalt und in
Marggroͤningen im Jahre 1798. eine Schafwollen-
Spinn-Anſtalt fuͤr Erwachſene und Kinder errichtet, —
und in Stuttgart im Jahre 1801. mit der Armen-
kaſten-Schule eine Jnduſtrie-Schule verbunden, worin
die Kinder im Baumwollen-Spinnen, Stricken und
Naͤhen Unterricht erhielten. — Jm Jahr 1802. aber
wurde in Degerloch, Stuttgarter Amts Ober-
Amts, eine Strickſchule, — im Jahre 1807. in Stutt-
gart von einer Privat-Geſellſchaft freywilliger Armen-
freunde eine (beſondere, am 1. Sept. 1807. eroͤffnete)
Jnduſtrie-Schule, und in ebendemſelben Jahre in
Weinsberg eine Wollenſpinn-Anſtalt gegruͤndet.
§. 27.
Jn der katholiſchen Schul-Ordnung vom 10. Sep-
tember 1808. aber wurde befohlen, daß „mit den
„ſogenannten Lehrſchulen uͤberall nach und nach eine
„Arbeitsſchule verbunden werden ſoll“, jedoch dabey
bemerkt, „daß, da die Einfuͤhrung der Arbeitsſchulen
„mit vielen Schwierigkeiten verbunden ſey, man ſchon
„die Bemuͤhungen jener Pfarrer und Jnſpektoren be-
„lobungswuͤrdig finden werde, welche damit nur eini-
„germaßen den Anfang machen, nur etwas leiſten,
„nur dieſen oder jenen Gegenſtand der Jnduſtrie her-
„vorziehen werden“, — und durch die evangeliſche
Schul-Ordnung v. \frac{26}{31}. Decbr. 1810. wurde in der
Ueberzeugung von der Nothwendigkeit der allgemeineren
Beybringung und Verbreitung von Kenntniſſen und
Fertigkeiten, womit ſich die Kinder ſpaͤterhin manche
Ausgabe erſparen, und ihr Brod ſelbſt und reichlicher
verdienen koͤnnen, verordnet, „daß mit jeder oͤffent-
„lichen Schule in der Regel eine Jnduſtrie- oder Ar-
„beits-Schule theils fuͤr Knaben, theils fuͤr Maͤdchen
„verbunden, und von den gemeinſchaftlichen Ober-
„aͤmtern uͤber die Ausfuͤhrbarkeit dieſer Anordnung
„nach der Localitaͤt jeden Orts baldmoͤglichſt Bericht
„an das Koͤnigl. Ober-Conſiſtorium erſtattet werden
„ſoll.“
Wirklich wurden auch hieranf in mehreren Orten,
z. B. im Jahre 1808. in Hall, — und im J. 1810.
in Tettnang, — beſonders aber in den Jahren
1811. u. 1812. nur in dem evangeliſchen Theile
des Koͤnigreichs an 40. und auch in dem katho-
liſchen Theile mehrere Arbeitsſchulen errichtet, —
eine Wirkung jener Geſetze, welche man, da damals
die vorangegangenen und bevorſtehenden Kriege alle
Kraͤfte der Gemeinden in Anſpruch genommen hatten,
die frommen Stiftungen, denen zunaͤchſt die Foͤrde-
rung ſolcher Anſtalten oblag, der Verwaltung der Orts-
behoͤrden entzogen worden waren, und die Oberaͤmter
ſo viele anderwaͤrtige Geſchaͤfte hatten, auch oft ſo
kurz auf ihren Stellen blieben, daß ſie dem inneren
Zuſtande der Gemeinden und der Bildung der Jugend
wenige Aufmerkſamkeit wiedmen konnten, zu dieſer
Zeit allerdings fuͤr bedeutend halten, und womit man
ſich daher vor der Hand um ſo mehr begnuͤgen muſſte,
als die nachfolgenden Kriegsjahre und Kriegsleiden der
Realiſirung jedes weiteren Verſuchs unuͤberwindliche
Hinderniſſe entgegenſtellten. — Deſſenungeachtet wur-
den ſpaͤterhin noch mehrere Anſtalten dieſer Art, nah-
mentlich im J. 1813. (eroͤffnet 29. Jun.) in Stutt-
gart von der Privat-Geſellſchaft freywilliger Armen-
freunde eine zweyte Kinder-Beſchaͤftigungs-Anſtalt, —
um eben dieſe Zeit ungefaͤhr in Riedlingen, — und
im J. 1815. in Geißlingen und Tuͤbingen (in
lezterem Orte ebenfalls von einer Anzahl freywilliger
Armenfreunde) Jnduſtrie-Schulen errichtet.
§. 28.
Ein neuer Sporn zu Errichtung ſolcher Schulen
lag aber in den beſonderen Verhaͤltniſſen der Hunger-
Jahre 1816 und 1817. — Die druͤckende
Noth, welche in dieſen Jahren faſt uͤberall Statt
fand, machte viele Arbeiten ſtocken; auf dem Felde und
zu Hauſe war wenig zu verdienen, und ſomit fuͤr Er-
wachſene und fuͤr Kinder ein ungewoͤhnliches Beduͤrfniß
entſtanden, Arbeit zu ſuchen, und damit ihren Unter-
halt zu erwerben. — Der Wohlthaͤtigkeits-Ver-
ein, welcher ſich am Anfange des Jahres 1817 bildete,
machte es ſich daher zur beſonderen Pflicht, fuͤr Erhal-
tung der beſtehenden und Errichtung neuer Jnduſtrie-
Schulen zu ſorgen. — Beſonders ließ es auch die
Centralleitung dieſes Vereins nie, weder im
Allgemeinen, noch im Beſonderen, an Erinnerungen,
Aufmunterungen, und Unterſtuͤtzungen zu dieſem Be-
hufe fehlen. — Auch das K. evangeliſche Conſiſto-
rium forderte unterm 31. Maͤrz 1818 die gemeinſchaft-
lichen Oberaͤmter zu baldmoͤglicher Befolgung und Voll-
ziehung der G. V. v. \frac{25}{31} Dec. 1810 auf, und empfahl
denſelben, unter Beyziehung der Schulconferenz-Direc-
toren Sorge zu tragen, daß wenigſtens in jedem Ober-
amts- und Decanatorte, in Verbindung mit der Ele-
mentar-Schule, eine Jnduſtrie-Schule errichtet werde, —
und unterm 25. Aug. 1818 ließ eben dieſes Conſiſtorium
den Decanen durch die General-Superintendenten auf-
geben, die Geiſtlichen zur thaͤtigen Verwendung fuͤr
die Errichtung und Belebung der Jnduſtrie-Schulen
zu ermuntern, und in die Viſitations-Berichte uͤber den
Zuſtand der freywilligen Jnduſtrie-Anſtalten, und uͤber
den Antheil, den die Orts-Geiſtlichen daran nehmen,
die noͤthigen Angaben einzuruͤcken; auch wieß es die
General-Superintendenten an, das Noͤthige aus die-
ſen Berichten in die von ihnen zu fertigenden Gene-
ralberichte aufzunehmen, und die Geiſtlichen, welche
mit beſonderer Thaͤtigkeit die Errichtung und die Auf-
nahme von Jnduſtrie-Anſtalten befoͤrdern, zu benennen.
— Beſonders empfahlen und unterſtuͤtzten auch Jhre
Majeſtaͤt, die nun verewigte Koͤnigin Ca-
tharina, die Errichtung und Erhaltung ſolcher Jn-
ſtitute, weil der nicht von allen gefaßte Zweck des von
Jhr geſtifteten Wohlthaͤtigkeits-Vereins, zunaͤchſt zwar
Abhuͤlfe der damaligen Noth, hingegen, den Verein als
bleibende Anſtalt betrachtet, die Erziehung des Volks,
beſonders der niedrigſten Claſſen deſſelben, zur Sitt-
lichkeit, und Abgewoͤhnung von den Laſtern, welche
die gewoͤhnliche Folge der Armuth ſind, war. — Seine
Majeſtaͤt der Koͤnig verewigten die ſegensreichen
Bemuͤhungen der hohen Vollendeten, indem Sie unterm
1. Maͤrz 1819 gnaͤdigſt genehmigten, daß alle die Be-
foͤrderung der Arbeitſamkeit und Jnduſtrie bezwecken-
den Jnſtitute, welche durch Veranlaſſung Jhrer Maje-
ſtaͤt und in Jhrem Geiſte geſtiftet oder erweitert und
vervollkommnet worden, und welche fundirt ſeyen oder
noch fundirt werden, und daher nicht als bloß ephe-
mere Erſcheinungen betrachtet werden koͤuen, den Nah-
men der verewigten Stifterinn fuͤhren duͤrfen. — Die
Gemeinden waren durch die dringende Noth, ſo
wie durch die außerordentlichen Anſtalten der Regierung
zu außerordentlichen Ausgaben gezwungen, und wo es
an Mitteln fehlte, ſelbſt zu Geld-Aufnahmen bevollmaͤch-
tigt; die Noth der Zeit rechtfertigte einen außerordent-
lichen Aufwand, und gab ſomit Arbeitsſchulen an Or-
ten ihr Daſeyn, welche im Jahre 1811 in den an das
K. Conſiſtorium erſtatteten Berichten das Beduͤrfniß
derſelben, und zum Theil auch die Mittel dazu ver-
laͤugnet hatten; auch wurden dieſelben durch die mei-
ſtens damit in Verbindung geſetzten Suppen-Anſtalten
und den Arbeitslohn beguͤnſtigt. — Auf dieſe Art
kam im Jahre 1817 die Errichtung von 47 weiteren
Schnlen dieſer Art im Koͤnigreiche zu Stande, und
wenn gleich mehrere der bereits beſtandenen Jnduſtrie-
Schulen einige Zeit nach ihrer Errichtung wieder in
Abgang kamen, ſo belief ſich doch am Ende des Jah-
res 1817 ihre Zahl im Ganzen noch auf 88, — am
Ende des Jahres 1818 auf 113, — und am Ende
des Jahres 1819 auf 132. — Auch iſt man gegen-
waͤrtig an verſchiedenen Orten mit Errichtung weiterer
dergleichen Schulen beſchaͤftigt, oder wenigſtens dazu
geneigt.
§. 29.
Die Zahl der Jnduſtrie-Schuͤler iſt in den Berich-
ten ſelten angegeben; in einigen Orten, ſelbſt Staͤdten,
beſchraͤnkt ſich dieſelbe auf 10, 12, 20, 25, bis 30, —
in anderen belaͤuft ſie ſich auf 50, 60, 70, 80, bis 90,
— in den groͤßten Landſtaͤdten auf 140, bis 160, —
und in der Reſidenzſtadt Stuttgardt auf 800 Kinder. —
Nimmt man im Durchſchnitt die Zahl der Schuͤler in
jeder der gegenwaͤrtig beſtehenden 132 Jnduſtrie-Schu-
len zu 80 an, ſo waͤren es im Ganzen zwiſchen 10 und
11,000 Jnduſtrie-Schuͤler.
§. 30.
Manche der in Wuͤrttemberg bereits beſtehenden
Jnduſtrie-Schulen ſcheinen auch wirklich ihrem Zwecke
vollkommen zu entſprechen, und haben zum
Theil bereits ſehr erfreuliche Reſultate geliefert.
— Einen Beweiß hievon gibt unter anderem die am
14 Septbr. 1818 in der Catharinen-Schule zu Stutt-
gardt gehaltene Rede, worin es heißt: „Es ſind nur
aͤußerſt wenige unter den Kindern uͤbrig, die ſich bis
jetzt nicht haben abſchrecken laſſen, je und je noch der
Verſuchung zum Bettel Raum zu geben. Dagegen
zaͤhlen wir viele, die auch den Sommer hindurch die
Anſtalt fleißig beſuchten; beſonders iſt ein wahrer Eifer
des Fleißes unter den Knaben rege; man konnte in
gegenwaͤrtigem Sommer dieſe wackeren Menſchen oft
ſchon Morgens um 4 Uhr nach dem Hauſe der Anſtalt
gehen ſehen, um ihre Geſchaͤfte zu beginnen; wir zaͤh-
len viele, die mit Vergnuͤgen lernen und arbeiten. Ein
betraͤchtlicher Theil der Zoͤglinge hat es in Handarbei-
ten, die ſie in der Anſtalt treiben, zu einer ruͤhmlichen
Geſchicklichkeit und Fertigkeit gebracht. Auch der Un-
terricht, den ein Theil der Knaben noch in anderen,
beſonders fuͤr den kuͤnftigen Handwerker nuͤtzlichen Faͤ-
chern erhaͤlt, und der Unterricht, den Knaben, und
Maͤdchen in Schulkenntniſſen erhalten, zeigt bey man-
3
chen gute Fruͤchte. Die Sittenbildung hat bey den
Zoͤglingen im Ganzen unleugbar zugenommen; um vie-
les mehr und allgemeiner, als anfangs, haben ſie Ge-
ſetz und Ordnung achten, und das Anſehen der Lehrer
und Vorſteher ehren gelernt; das freundliche und zu-
trauliche Weſen, womit die Letzteren von den bey wei-
tem meiſten Zoͤglingen bey Beſuchen, die ſie in der
Anſtalt machen, empfangen, bey dem Begegnen auf
der Straße begruͤßt werden, darf unſtreitig in ſittlicher
Hinſicht als ein gutes Zeichen betrachtet werden. Die
beſſeren Zoͤglinge, beſonders unter den Knaben, ſchlie-
ßen ſich allmaͤhlich naͤher an einander, und es bildet
ſich unter ihnen immer mehr ein Geiſt der Rechtlich-
keit, der Ehrliebe, und des anſtaͤndigen Benehmens
aus, der nicht verfehlen kann, auch auf die uͤbrigen
heilſam einzuwirken. Beſonders aber weilt mit hoher
Ruͤhrung unſer Blick auf Mehreren, von denen mit
Ausdruͤcken der Schrift ſich ſagen laͤßt: „ſie waren ehe-
mals gleich verlorenen Schafen, aber nunmehr ſind
ſie wieder gefunden; mit hoher Ruͤhrung blicken wir
auf Mehrere hin, die von den Wegen des Laſters und
des Verbrechens zuruͤckgekehrt ſind, die ſich aus den
Umtrieben eines wuͤſten und zuͤgelloßen Lebens haben
retten laſſen, und deren fortgeſetztes Wohlverhalten die
Zuverſicht uns einfloͤßt, daß das Gute nun fuͤr immer
den Sieg bey ihnen davon getragen habe.“
§. 31.
So bedeutend indeſſen dieſe Reſultate in
Vergleichung mit den Hinderniſſen, welche beſiegt wer-
den mußten, allerdings erſcheinen, ſo unbefriedi-
gend ſind ſie, wenn man ſie mit der ganzen Zahl der
einer ſolchen Fuͤrſorge beduͤrftigen Kinder vergleicht. —
Unter den 1,396,434 Einwohnern, welche Wuͤrttemberg
im Ganzen zaͤhlt, ſind
— 213,414 Kinder maͤnnlichen, und
— 225,912 Kinder weiblichen Geſchlechts, zuſammen
— 439,326 Kinder unter 14 Jahren, wovon
— 160,000 die beſtehenden
1400 evangeliſchen, und
— 70,000 die beſtehenden
780 katholiſchen, alſo
230,000 Kinder die beſtehenden
2,180 Elementar-Schulen beſuchen,
und unter dieſen allein
— 11,580 arme Knaben, und
— 12,404 arme Maͤdchen, zuſammen
23,984 arme Kinder unter 14 Jahren
, worunter
4,645 arme Waiſen begriffen, und wovon 16,847 ar-
beitsfaͤhig ſeyn ſollen. Es iſt alſo kaum fuͤr die Haͤlfte
der armen, geſchweige denn auch der uͤbrigen Kinder,
Anſtalt getroffen. — Mehrere dieſer Anſtalten haben uͤber-
dieß durchaus noch keine dem Zwecke ganz entſprechende
Einrichtung; — anderen droht bereits wieder gaͤnzliche
Aufloͤſung; — und obgleich von mehreren Orten be-
ſtimmt bekannt iſt, daß die Errichtung einer Jnduſtrie-
Schule daſelbſt das dringendſte Beduͤrfniß waͤre, ſo ſind
doch die meiſten Gemeinden, und oft ſelbſt die geiſtli-
chen und weltlichen Vorſteher der Erhaltung und Ver-
beſſerung der beſtehenden und der Errichtung neuer
Kinder-Jnduſtrie-Schulen noch entgegen.
§. 32.
Eine der gewoͤhnlichſten Einwendungen gegen die
Jnduſtrie-Schulen iſt die Behauptung, daß es unmoͤg-
lich ſey, den Kindern, beſonders den Knaben, darin
3 *
eine angemeſſene Art der Beſchaͤftigung zu ver-
ſchaffen. — Allerdings iſt die erſte Ruͤckſicht, welche
in dieſer Beziehung eintreten muß, offenbar der Stand
und kuͤnftige Beruf der Kinder, wie dieß auch
die katholiſche Schul-Ordnung vom 10. Septbr. 1808
ausdruͤcklich vorſchreibt. — Die Kinder ſelbſt oder
wenigſtens ihre Eltern und Lehrer muͤſſen, wie ſchon
oben bemerkt wurde, einſehen und ſich uͤberzeugen koͤn-
nen, daß ihnen ihr Lernen und Arbeiten, waͤre es auch
nicht im Augenblicke, doch wenigſtens in Zukunft zu
etwas nuͤtze ſeyn werde, denn wenn dieß nicht der Fall
iſt, ſo muß ihnen ihr Geſchaͤfte als eine unnoͤthige
Plage erſcheinen, ſie muͤſſen alle Luſt zu dieſem Ge-
ſchaͤfte verlieren, und eigentliche wahre Arbeitſamkeit
und Jnduſtrie kann nie in ihnen erwachen.
§. 33.
Nun wird aber nahmentlich behauptet, daß es
nicht moͤglich ſey, die Kinder der Landleute in den
ſchweren land- und hauswirthſchaftlichen
Arbeiten, welche doch ſowohl in Hinſicht auf ihre
Geſundheit, als auf ihre kuͤnftige Beſtimmung fuͤr ſie
die einzig zutraͤglichen ſeyen, in oͤffentlichen Jnduſtrie-
Schulen zu unterrichten und zu uͤben. — Allerdings
moͤchte hiezu der Wurzgarten, welcher nach der ka-
tholiſchen Schul-Ordnung mit einer jeden gut eingerich-
teten Arbeits-Schule verbunden, und wozu daher von
der Gemeinde ein ſchicklicher Platz angewieſen werden
ſoll, der uͤbrigens bis jetzt nur in einigen wenigen Or-
ten des Koͤnigreichs wirklich angelegt zu ſeyn ſcheint,
nicht hinreichend —, die von anderen vorgeſchlagene
Anweiſung groͤßerer Gemeinds-Laͤndereyen
aber, um ſolche durch die Kinder auf oͤffentliche Rech-
nung bearbeiten, anpflanzen, und benuͤtzen zu laſſen,
an den meiſten Orten weder ausfuͤhrbar noch zweck-
maͤßig ſeyn. — Allein Arbeiten dieſer Art ſind ja in
der Regel auch nur der kuͤnftige Beruf ſolcher Kinder,
welche die Auſſicht haben, ſeiner Zeit Guͤterbeſitzer zu
werden, oder als Tagloͤhner bey Guͤterbeſitzern ihre
Nahrung zu finden. Die Eltern ſolcher Kinder ſind
aber gewoͤhnlich ſelbſt Guͤterbeſitzer oder Tagloͤhner, und
leiten und halten daher gewoͤhnlich dieſe Kinder ſelbſt
zu ihren kuͤnftigen Berufs-Arbeiten an, was ihnen auch
— nach dem Vorhergehenden — auf keine Weiſe durch
die Jnduſtrie-Schulen erſchwert werden ſoll. — Jndeſſen
laſſen ſich fuͤr Einzelne, deren Abhaͤrtung durch Feld-
Arbeiten etwa zu wuͤnſchen ſeyn moͤchte, und welche
bey den Jhrigen hiezu keine Gelegenheit haben ſollten,
vielleicht doch auch Mittel und Wege finden, um ih-
nen dieſe Gelegenheit von Seite der Jnduſtrie-Anſtalt
zu verſchaffen. Vielleicht koͤnnte man ſie gegen billige
Bezahlung an einzelne Landwirthe zur Beyhuͤlfe
bey verſchiedenen Ernte- und anderen land-
wirthſchaftlichen Geſchaͤften verdingen, —
oder ſie im Accord Steine ableſen, Unkraut
ausjaͤten, Raupen, Kaͤfer, Maͤuſe und andere ſchaͤd-
liche Thiere vertilgen laſſen, oder ihnen nach
der Ernte das Aehren- und Kartoffel-Leſen auf
den abgeleerten Feldern erlauben, oder ſie nutzbare
Jnſecten, (z. B. Spaniſche Fliegen, Schnecken ꝛc.)
Wurzeln, Kraͤuter (z. B. Heil- Gift- Faͤrbepflan-
zen, Sauerklee ꝛc.,) Fruͤchte, auch Kerne derſelben
(z. B. Zwetſchenkerne zum Oelſchlagen), allerhand
Beere (z. B. Vogelbeere, Wachholderbeere, Him-
beere, Erdbeere, Heidelbeere, Preißelbeere ꝛc.), und
Samen von allerley Graͤſern und Fruͤchten ſammeln
und ausleſen laſſen, wodurch man oft guten
und reinen Samen erhalten koͤnnte, ohne das Geld
dafuͤr in das Ausland gehen laſſen zu muͤſſen, — alles
dieß freylich nur in dem Falle, wenn zugleich die ge-
hoͤrige Aufſicht uͤber ſie angeordnet werden koͤnnte.
§. 34.
Uebrigens iſt es nicht allein darum zu thun, daß
die kuͤnftigen Land- und Hauswirthe und deren Tag-
loͤhner ihre Geſchaͤfte nach dem alten Schlen-
drian der Vaͤter und Großvaͤter forttreiben lernen; an
ſehr vielen Orten waͤre es vielmehr ſehr heilſam und
gut, wenn ſie ſchon in einem Alter, wo Anhaͤnglichkeit
an das Alte und Vorurtheile noch nicht ſo tiefe Wur-
zel bey ihnen gefaſſt haben, mit nuͤtzlichen Zweigen
der Landwirthſchaft, welche bisher im Orte
unbekannt oder vernachlaͤßigt waren, und
mit den durch Verſuche und Erfahrungen anderer Orte
als vorzuͤglicher bewaͤhrten neueren Methoden der
Betreibung derſelben bekannt gemacht und darin
geuͤbt, und hiedurch in den Stand geſetzt wuͤrden, den
Werth ihrer Guͤter und Producte hoͤher zu treiben. —
Hiezu bieten aber die Kinder-Jnduſtrie-Schulen die
ſchoͤnſte Gelegenheit dar, denn ſo großen Schwierig-
keiten an den meiſten Orten die von Einigen vorge-
ſchlagene Anlegung allgemeiner Muſtergaͤrten
unterworfen ſeyn moͤchte, ſo leicht koͤnnten dagegen die
Kinder zu Pflanzung einzelner im Orte bisher
unbekannten oder vernachlaͤßigten nuͤtzli-
chen Producte, wie z. B. der Hopfen, und be-
ſonders zu der in manchen Landes-Gegenden ſo ſehr
vernachlaͤßigten Obſtbaumzucht practiſch angeleitet
und angehalten, oder wenigſtens nach und nach fuͤr
jeden Ort ein oder mehrere Baumgaͤrtner gebildet wer-
den, durch welche dann dieſer wichtige Zweig der land-
wirthſchaftlichen Jnduſtrie weiter verbreitet wuͤrde. —
Schon die katholiſche Schul-Ordnung verordnet daher,
daß mit jeder gut eingerichteten Arbeitsſchule auch eine
Baum-Schule verbunden, und hiezu, wo es nur
immer moͤglich ſey, ein ſchicklicher Platz von der Ge-
meinde angewieſen werden ſoll, und wirklich ſind auch
in mehreren Orten des Koͤnigreichs oͤffentliche Baum-
ſchulen angelegt, worin die maͤnnliche Jugend zum
Einlegen der Kerne, zum Pelzen, Oculiren, und Co-
puliren der wilden ſowohl als der aus Kernen gezoge-
nen Staͤmmchen, zum Schneiden und Ausputzen der-
ſelben, uͤberhaupt zur Pflanzung, Veredlung, und ſon-
ſtigen Behandlung der Obſtbaͤume unter Aufſicht der
Lehrer und zum Theil auch der Vaͤter angeleitet wird;
die herangewachſenen Staͤmmchen werden dann in die
Gaͤrten und Felder der Eltern verſetzt.
§. 35.
Die katholiſche Schul-Ordnung empfielt auch den
Unterricht im Waſchen und Kochen, und wirklich
werden an einigen Orten dtedie Kinder zum Waſchen und
zum Kochen, wenigſtens der Rumfordiſchen Suppe,
angeleitet, oder wird wenigſtens den aͤlteren Maͤdchen,
ehe ſie in Dienſte treten, Gelegenheit verſchafft, das
Waſchen und Buͤgeln zu erlernen, und einige Kennt-
niſſe von den Geſchaͤften in der Kuͤche zu erhalten. —
Auch werden die Kinder abwechslungsweiſe zum Rei-
nigen der Lehrzimmer, der Kuͤche, der Treppen, und
Hausgaͤnge gebraucht, — und eben ſo koͤnnten ſie viel-
leicht zum Theil zum Aufmachen, Herbeyfuͤh-
ren, Saͤgen, Spalten, Aufſetzen, und Her-
auftragen des fuͤr die Schule erforderlichen Brenn-
holzes, und zum Einheitzen der Schulzimmer,
unter gehoͤriger Aufſicht, verwendet werden. —
§. 36.
Jndeſſen ſind die ſchwereren land- und hauswirth-
ſchaftlichen Arbeiten bey weitem nicht die einzige
Beſchaͤftigung, womit ſich die Kinder der Landleute in
Zukunft ihr Brod erwerben muͤſſen, und ſie ſind bey
weitem nicht der kuͤnftige Beruf aller Kinder. Zwar
iſt allerdings die Urproduction, d. h. die Land-
wirthſchaft, oder die Gewinnung der Lebensbeduͤrf-
niſſe durch Cultivirung und Benuͤtzung des Grund und
Bodens in der Regel ein weit nothwendigeres
und ſichereres Gewerbe, als die Kunſt-Pro-
duction, und es waͤre daher hoͤchſt unzweckmaͤßig,
Menſchen, welche bey dem erſteren ihre Nahrung fin-
den koͤnnen, beſonders an Orten, wo noch oͤdes Land
vorhanden iſt, und wo uͤberhaupt die Landwirthſchaft
ihrer Haͤnde bedarf, demſelben entziehen, oder gar
fremde unvermoͤgliche Menſchen, welchen man nicht
das zu Producirung der erſten Lebensbeduͤrfniſſe fuͤr ſie
und ihre wahrſcheinlich noch zahlreicheren Nachkommen
erforderliche Land anweiſen kann, herbeylocken und
aufnehmen, und ſie zu Ergreifung eines Kunſtgewer-
bes veranlaſſen zu wollen, welches vielleicht bereits von
allzuvielen betrieben wird, oder wenigſtens in Zukunft
durch Ueberſetzung der Zahl der Arbeiter, durch Erfin-
dung neuer Maſchinen, durch Territorial- und ſonſtige
den Handelszug beſtimmende Veraͤnderungen, durch
Veraͤnderungen der Mode ꝛc. ſo ſehr niedergedruͤckt
werden kann, daß es zuletzt denen, welche es anfangs
vielleicht mit Vortheil betrieben hatten, keineswegs
mehr hinreichenden Verdienſt und Unterhalt gewaͤhrt.
§. 37.
Allein ſchon zu Betreibung der Landwirth-
ſchaft ſelbſt iſt eine Menge von Kunſtarbeiteu, z. B.
Holz-Arbeiten, Korbflechten ꝛc. noͤthig, und in keiner
Land- oder Hauswirthſchaft koͤnnen Arbeiten, wie z. B.
Spinnerey, Strickerey, Naͤherey ꝛc. entbehrt werden.
Schon oben iſt gezeigt worden, daß dem Landwirthe
und ſeinen Leuten, beſonders im Winter, ſo manche
muͤßige Stunde uͤbrig bleibt, und wie gut es waͤre,
wenn er in ſolchen Stunden dann nicht nur manches
fuͤr ſeine eigene Wirthſchaft erforderliche kleine Beduͤrfniß
ſelbſt verfertigen oder durch ſeine Leute verfertigen laſ-
ſen, und damit zuweilen eine Ausgabe erſparen, ſondern
auch durch irgend eine Neben-Arbeit ſich eine kleine
Neben-Einnahme verſchaffen koͤnnte. Nun gibt es
zwar vermoͤgliche Baͤuerinnen, welche ſchon um deß-
willen ihre Kinder nicht naͤhen, ſtricken ꝛc. lernen laſ-
ſen wollen, weil ſie aus anderen Vorurtheilen auf eine
Naͤherinn ꝛc. mit Verachtung herabzuſehen gewohnt
ſind. Allein in jedem Falle muß entweder der Land-
und Hauswirth ſolche Arbeiten ſelbſt verſtehen und
treiben, oder durch ſeine Leute treiben laſſen, oder es
muͤſſen beſondere Leute vorhanden ſeyn, welche ſie ge-
gen Bezahlung fuͤr ihn verfertigen; an dergleichen Leu-
ten iſt aber in manchem Orte ein eigentlicher den
uͤbrigen Bewohnern oft ſehr fuͤhlbarer und unangeneh-
mer Mangel.
§. 38.
Ueberdieß gibt es ja eine Menge von Menſchen,
welche durchaus keine Ausſicht haben, je-
mals zu dem Beſitz von Grundſtuͤcken zu
gelangen, oder auch nur Gelegenheit zu finden,
als Paͤchter oder Tagloͤhner mit ſchwereren
landwirthſchaftlichen Geſchaͤften ihr Brod erwerben zu
koͤnnen. — Was nuͤtzt den armen Mann die herrlichſte
Markung ſeiner Gemeinde, wenn jeder Schuh breit
Landes bereits ſeinen anderen Beſitzer hat, oder wenn
das etwa vorhandene unkultivirte Feld zur Viehweide
unentbehrlich iſt, oder wenn die Geſetze, fruͤheren Ver-
traͤge, oder altes Herkommen ihn, ſelbſt im Falle einer
Vertheilung, von dem Mitgenuſſe ausſchließen. Auch
braucht zwar in der Regel jeder Landwirth, jede Ge-
meinde wenigſtens, ihre Tagloͤhner, es gibt ſogar Orte,
wo Mangel an Tagloͤhnern iſt, aber das Beduͤrfniß
an ſolchen Gehuͤlfen hat doch auch ſeine Grenzen, ſo
mancher findet niemand im Orte, der ihn als Tag-
loͤhner anſtellen kann oder will, und in fremden Orten
wird nicht leicht ein armer Mann als Tagloͤhner auf-
genommen. — Mancher iſt uͤberhaupt ſchon vermoͤge
ſeines Geſchlechts und ſeiner koͤrperlichen Conſtitution
oder ſeiner Geſundheits-Umſtaͤnde den ſchwereren Land-
und Hauswirthſchaftlichen Geſchaͤften gar nicht gewach-
ſen. — Gelehrte, Geiſtliche, Schullehrer, Beamte,
und ſonſtige Geſchaͤftsmaͤnner, oder Kaufleute, Kuͤnſt-
ler, Handwerker ꝛc. und deren Gattinnen koͤnnen aber
nicht alle werden. — Es bleibt daher ſo manchen,
wollen ſie nicht bitteren Mangel leiden, abſolut nichts
anderes uͤbrig, als ſich auf irgend eine Art von
Kunſt-Arbeiten zu legen, wodurch ſie ſich ihren
Unterhalt zu erwerben hoffen koͤnnen, und wenn alſo
gleich dieſe Kunſt-Arbeiten, wenn ſie nicht in Verbin-
dung mit ſchwereren Feld-Arbeiten getrieben werden,
allerdings, wie man ihnen vorwirft, vielleicht man-
chen abgeneigt und unfaͤhig zu Betreibung der lezteren,
alſo zur landwirthſchaftlichen Production machen, ſo
geht deswegen nicht gerade immer fuͤr die Feldkultur
und uͤberhaupt fuͤr den Wohlſtand des Landes et-
was verloren, es kann vielmehr gerade zu Erhaltung
dieſes Wohlſtandes oft recht viel beytragen, ja weſent-
lich nothwendig ſeyn, daß ſelbſt in einem dem Anſchein
nach durch die Natur zum Agrikultur-Staat beſtimm-
ten Lande neben der Landwirthſchaft auch Kunſtgewerbe
verſchiedener Art getrieben werden.
§. 39.
Alle dieſe Kunſt-Arbeiten ſind freylich, wie ſchon
bemerkt wurde, in gewiſſer Hinſicht mißlich, beſonders
wenn ſie nicht in ſolchen Arbeiten beſtehen, welche
dem inlaͤndiſchen Land- und Hauswirth,
und uͤberhaupt dem Jnlaͤnder unentbehrlich
ſind. Man beſchraͤnke ſie daher, ſo lange das haͤus-
liche Beduͤrfniß des Ortes und der Gegend, oder we-
nigſtens das inlaͤndiſche Beduͤrfniß hinreicht, um jeden
Armen hinlaͤnglich zu beſchaͤftigen, nur auf Arbeiten
dieſer Art. — Allein auch das Beduͤrfniß dieſer dem
Jnlaͤnder unentbehrlichen Artikel hat ſeine Grenze,
und gar leicht kann, beſonders in einem im Verhaͤlt-
niſſe zu ſeinem kulturfaͤhigen Grund und Boden ſehr
bevoͤlkerten Lande der Fall eintreten, daß auch Arbeiten
dieſer Art in allzugroßem Ueberfluſſe verfertigt werden,
und daher nicht jeder mehr ſeinen Unterhalt dabey fin-
den kann. Jn dieſem Falle, und gewiß iſt dieſer Fall
in manchen Gegenden des Koͤnigreichs Wuͤrttemberg
bereits eingetreten, bleibt offenbar nichts uͤbrig, als
daß die Menſchen, wollen ſie nicht verhungern, oder
betteln und ſtehlen, ſich ſelbſt alsdann auf Kunſt-
Arbeiten legen, wenn dieſelbe nur in das Aus-
land, und waͤren es die entfernteſten Laͤn-
der, abgeſezt werden koͤnnen. Moͤgen alſo
gleich ſolche Kunſt-Arbeiten immerhin der Gefahr aus-
geſezt ſeyn, durch Umſtaͤnde der obengedachten Art
uͤber kurz oder lang ihren Werth zu verlieren, ſo ſind
ſie doch in ſehr vielen Faͤllen gleichſam der lezte Zweig,
an welchem ſich der Huͤlfloſe halten, und vor gaͤnz-
lichem Untergange retten kann, und es iſt doch beſſer,
ſich an einen ſolchen wenn gleich ſehr precaͤren und
nur voruͤbergehenden Gewerbszweig zu halten, als zu
verhungern oder durch Betteln und Stehlen ſich ſeinen
Lebens-Unterhalt zu verſchaffen.
§. 40.
Große Vorſicht erfordert hiebey allerdings die
Wahl ſolcher Kunſtgewerbe, wozu das rohe Material,
wie z. B. die Baumwolle, Seide ꝛc. erſt mit großen
Koſten aus dem Auslande bezogen werden
muß, und welche, wie z. B. die Baum- und Schaf-
wollen-Arbeiten, bereits im Jn- oder Auslande durch
Maſchinen mit einer Zeit- und Kraft-Er-
ſparniß und mit einer Kunſt betrieben werden,
mit welcher die Hand-Arbeit die Concurrenz nicht
aushalten kann, und wobey alſo der Erloͤß aus dem
Fabrikat und der Arbeitslohn ſo gering ausfallen, daß
niemand dabey beſtehen kann. — Aber ſelbſt die vater-
laͤndiſche Urproduction kann gehoben, ſelbſt der Ertrag
des vaterlaͤndiſchen Grund und Bodens kann fuͤr den
Landwirth geſteigert werden, wenn Naturprodukte,
zu deren Hervorbringung im Lande Clima
und Boden geeignet ſind, und welche unbeſcha-
det der Production der fuͤr den inlaͤndiſchen Bedarf er-
forderlichen Natur-Erzeugniſſe in groͤßerer Menge,
im Ueberfluſſe, im Lande erzeugt werden
koͤnnen, im Lande ſelbſt bis auf das Aeußerſte ver-
arbeitet, und dadurch nicht nur die großen Summen,
welche fuͤr dergleichen Artikel oft unnoͤthigerweiſe in
das Ausland verſchickt werden, im Lande behalten,
ſondern eben ſo große Summen vielleicht aus dem
Auslande bezogen werden. — Hieher gehoͤren z. B.
die verſchiedenen Verarbeitungs-Arten der Schaf-
wolle, — und beſonders des Flachſes und Han-
fes, eines vaterlaͤndiſchen Produkts, zu deſſen vor-
theilhaftem Anbau Clima und Boden an den meiſten
Orten ſo ſehr geeignet ſind; mit den ans dieſem Pro-
dukte im Lande gefertigten Garnen, Leinwanden, und
uͤbrigen Fabrikaten wurde fruͤher ein hoͤchſt eintraͤglicher
Handel in das Ausland getrieben, und da nicht zu
erwarten iſt, daß der ſo allgemeine Verbrauch der lin-
nenen Stoffe ſich jemals bedeutend vermindern werde,
die Herſtellung derſelben durch Maſchinen aber ſchwe-
rer, als bey anderen Artikeln zu bewerkſtelligen zu
ſeyn ſcheint, ſo duͤrfte dieſe Beſchaͤftigungs-Quelle
wohl ſpaͤter als ſo manche andere verſiegen. — So
ſollen auch fuͤr ausgenaͤhete und geſtickte Waa-
ren fortdauernd nicht unbedeutende Geld-Summen
in das Ausland gehen, — und ebenſo koͤnnten durch
Stroh-Geflechte verſchiedener Art ohne Zweifel
bedeutende Summen, welche man dafuͤr außer Lands
zu ſchicken pflegt, um ſo mehr im Lande behalten wer-
den, als das dazu erforderliche Material (das Rog-
genſtroh) uͤberall zu erhalten iſt, die Werkzeuge keinen
großen Aufwand erfordern, und der Gebrauch der
Stroh-Arbeiten ſehr allgemein und bekannt iſt.
§. 41.
Auch dergleichen Kunſt-Arbeiten koͤnnen
alſo der kuͤnftige Beruf der Kinder ſeyn,
und wenn auch diejenigen beſonderen Arbeiten, welche
man ſie in ihrer Jugend lehrt, kuͤnftig nicht gerade die-
jenigen ſeyn werden, womit ſie ſich ihr Brod werden
erwerben koͤnnen, ſo werden ſie doch dadurch, beſon-
ders wenn man ſie nicht nur Eine, ſondern verſchiedene
Arbeiten dieſer Art lehrt, im Allgemeinen zu Kunſt-Ar-
beiten geſchickt und darin geuͤbt, was ihnen kuͤnftig die
Erlernung jeder neuen Kunſtfertigkeit ſehr erleichtern
muß. — Sucht man ſie uͤberdieß auf der einen Seite
bey jeder Gelegenheit von der Nuͤtzlichkeit und Noth-
wendigkeit der Erlernung und Betreibung ſolcher Ar-
beiten uͤberhaupt zu uͤberzeugen, auf der anderen Seite
aber ſtets darauf aufmerkſam zu machen, daß nicht
immer ein und ebendaſſelbe Kunſtgewerbe Verdienſt und
Nahrung verſchaffe, daß ſie alſo nach Beſchaffenheit
des Ortes, der Zeiten, und der uͤbrigen Umſtaͤnde viel-
leicht kuͤnftig einmal, oder auch mehrmals ihr Gewerbe
wieder gegen ein anderes werden vertauſchen muͤſſen;
ſo werden ſie von der verderblichen Beharrlichkeit auf
dem einmal ergriffenen Gewerbszweige und von dem
Vorurtheile gegen die Ergreifung eines neuen, welche
ſeit neueren Zeiten, nahmentlich auch in Wuͤrttemberg,
viele tauſend Menſchen dem groͤßten Elende entgegen-
fuͤhren, frey bleiben, und ſich denjenigen Speculations-
Geiſt, diejenige eigentliche Jnduſtrie zu eigen machen,
welcher es nie an neuem Stoff zu einem nuͤtzlichen
Erwerbe fehlt, und welche allein Menſchen der oben-
gedachten Art vom Verderben retten kann.
§. 42.
Selbſt diejenigen Kinder, welche von den Jhrigen
zu Hauſe zu nuͤtzlichen Kunſt-Arbeiten angeleitet und
angehalten werden, koͤnnten in einer Jnduſtrie-Schule
vielleicht zu ihrem und der Jhrigen großen Vortheil ei-
ne ſolche Arbeit vollkommener und beſſer ma-
chen lernen. — Auch koͤnnen ſolche Arbeiten eine
ſehr gute Voruͤbung der Kinder fuͤr ein Hand-
werk werden, zu deſſen Erlernung und Betreibung
ſie vielleicht ſpaͤterhin Neigung und Gelegenheit erhal-
ten. — Und ſelbſt wenn ſie ſpaͤterhin nicht in den
Fall kommen ſollten, die erlernten Arbeiten ſelbſt betrei-
ben zu muͤſſen, ſondern erhoͤhter Wohlſtand ihnen viel-
leicht erlaubt, dieſelbe durch andere verrichten zu laſſen,
ſie bey anderen zu beſtellen, oder zu erkaufen, wird
es ihnen ſehr nuͤtzlich ſeyn, ſie fruͤher ſelbſt gelernt und
betrieben zu haben, indem ſie alsdann den Werth
der ihnen von anderen geleiſteten Arbeit
oder gelieferten Waare deſto beſſer, — und
im entgegengeſetzten Falle vielleicht gar
nicht beurtheilen koͤnnen. — Uebrigens iſt es
ja uͤberhaupt bey Kindern, wie bereits gezeigt wurde,
nicht allein darum zu thun, daß ſie eine ihrer kuͤnf-
tigen Beſtimmung angemeſſene, ſondern uͤber-
haupt, daß ſie Beſchaͤftigung haben, und dadurch
vom Muͤſſiggang, Bettel, und anderen Ausſchweifun-
gen und Laſtern abgehalten werden, und es kann ih-
nen alſo die Betreibung verſchiedener Kunſt-Arbeiten,
ſelbſt wenn dieſelbe zu Erfuͤllung ihrer kuͤnftigen
Beſtimmung gar nichts beytragen ſollten, ſchon in die-
ſer Hinſicht ſehr nuͤtzlich und nothwendig ſeyn.
§. 43.
Die beſonderen Kunſt-Arbeiten nun, wel-
che hauptſaͤchlich ſich zur Betreibung in Kinder-Jndu-
ſtrie-Schulen zu eignen ſcheinen, und wirklich auch bis-
her theils in den bereits in Wuͤrttemberg beſtehenden,
theils in auslaͤndiſchen Jnduſtrie-Schulen betrieben wor-
den ſind, beſtehen hauptſaͤchlich in Folgenden:
a) Poliren zinnerner Loͤffel;
b) Allerley Arbeiten aus Eiſen, z. B. Verfertigung
von Vogelkaͤfichen, Fenſtergittern ꝛc.; Nadeln ꝛc.;
c) Verfertigung hoͤlzerner Uhren;
d) Verfertigung hoͤlzerner Schachteln, Loͤffel, Ga-
beln, Meſſerhefte, Teller, Rechen, ꝛc. und andere
Holz-Schniz-Arbeiten;
e) Verfertigung von Lobkaͤſen; Aufrollen der Ta-
baksblaͤtter in Tabaksfabriken, Arbeiten in Por-
cellan-Fabriken ꝛc.;
f) Allerley Arbeiten aus Borſten, z. B. Buͤrſten,
Kehrbeſen ꝛc.;
g) Flechten groͤßerer und kleinerer Koͤrbe, auch Sie-
be fuͤr Muͤller und Baͤcker ꝛc.;
h) Allerley Stroh-Geflechte, nahmentlich zu Stuͤh-
len, Fußboͤden (Fußdecken, Fußtritten, Strohboͤ-
den), Tiſchdecken, Tellern, Naͤpfen, Brodkoͤr-
ben, Bienenkoͤrben, Stroh-Feuereimern, Stroh-
Huͤten, und Stroh-Kappen;
i) Durchſchlagen von Hemd-Knoͤpfen durch Leder-Ab-
ſchnitte ꝛc.;
k) Verfertigung von Deviſen, papierenen Duͤten
(Gucken) fuͤr Kaufleute, und andere Papparbeiten;
l) Aufziehen alter wollenen Struͤmpfe, Auszupfen
wollener und ſeidener Lappen, Charpie-Zupfen,
Roßhaar-Zupfen;
m) Verleſen der Baumwolle;
n) Verarbeitung der Seidehaſenhaare, Zupfſeide,
Schafwolle, Baumwolle, des Flachſes, Hanfes, ꝛc.
nahmentlich
o) Kardiren (Kardaͤtſchen) der Zupfſeide, Schafwolle,
und Baumwolle;
p) Kraͤmpeln und Streichen der Baum- und Schaf-
wolle;
q) Spinnen der Seidehaſenhaare, Zupfſeide, Schaf-
wolle, Baumwolle, des Abgangs vom baumwol-
lenen Garn, des Flachſes, Hanfes, ꝛc.
r) Spulen und Zwirnen des ſeidenen, wollenen und
linnenen Garns;
ſ) Verfertigung von Dochten fuͤr die Lichtermacher;
t) Verfertigung von Bindgarn, und Schnuͤren;
u) Filetſtricken mit Bindfaden, nahmentlich Verfer-
tigung von Fiſchernetzen, Fiſchhamen, Tauben-
ſaͤcken, Garnen zum Trocknen des Leims ꝛc.;
v) Filet-Spitzenmachen;
w) Band- und Bortenwirken;
x) Stricken ſchafwollener, baumwollener, und linne-
ner Struͤmpfe, Halbſtruͤmpfe (Socken), Schuhe,
Handſchuhe, Hauben, Zottel- und anderen Muͤtzen,
Aermel, Leibchen, Kinderkleidchen, Kittel, Strumpf-
baͤnder, Hoſentraͤger, Beutel, Arbeitskoͤrbchen,
Perlen-Seide- und andere Strickerey;
y) Haͤkeln, Flechten, und Wirken wollener Winter-
ſchuhe aus Tuch-Enden ꝛc.;
z) Stoppen von Struͤmpfen und Winterſchuhen;
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aa) Verfertigung ſogenannter Pudelmuͤtzen;
bb) Weben von Leinwand;
cc) Zuſchneiden derſelben zu Kleidungsſtuͤcken,
Tiſch- und Bettzeug;
dd) Saͤumen von Sacktuͤchern, Halstuͤchern ꝛc.;
ee) Naͤhen neuer Tiſchtuͤcher, Leintuͤcher, Bett-
ziechen, Halstuͤcher, Hemden, Schuͤrzen, uͤber-
haupt Weißnaͤhen, — Verfertigung von Trag-
baͤuſten, und Decken ꝛc. aus Schneiderflecken,
— Kleidermachen, — Ausbeſſern (Flicken) ſol-
cher Stuͤcke, auch Schuhflicken, — und andere
Naͤhtereyen;
ff) Zeichnen der Waͤſche mit Buchſtaben;
gg) Feſtoniren; und
hh) Sticken, mit Perlen, Wolle, Seide, Gold ꝛc.
Ohne Zweifel laſſen ſich aber noch verſchiedene an-
dere fuͤr dieſen Zweck eben ſo taugliche Arbeiten ausfin-
dig machen.
§. 44.
Es verſteht ſich wohl von ſelbſt, daß die Abſicht
nicht ſeyn kann, daß alle vorſtehende Arbeiten
in einer und ebenderſelben Jnduſtrie-
Schule getrieben werden ſollen. — Vielmehr duͤrfte
es im Allgemeinen genug ſeyn, wenn jedes Kind in
Einer derſelben eine beſondere Fertigkeit erlangt. —
Die allgemeinen weiblichen Arbeiten jedoch, nahment-
lich Spinnen, Stricken, und Naͤhen, ſollte in der Re-
gel jedes Maͤdchen, das nicht von den Jhrigen
dazu angeleitet wird, ſo weit, als es fuͤr den gewoͤhn-
lichen Hausbedarf noͤthig iſt, in der Jnduſtrie-Schule
lernen muͤſſen, wie dieß auch wirklich diejenigen 3
Arten von Kunſt-Arbeiten ſind, welche in den in Wuͤrt-
temberg bereits beſtehenden Jnduſtrie-Schulen am haͤu-
figſten getrieben werden. Ueberhaupt ſollte in der Re-
gel in keiner Jnduſtrie-Schule nur Eine, ſondern es
ſollten, was ebenfalls in den meiſten wuͤrttembergiſchen
Jnduſtrie-Schulen beobachtet wird, immer mehrere
verſchiedene Kunſt-Arbeiten gelehrt und ge-
trieben werden, — theils damit, wenn es zuweilen an
Beſtellungen fuͤr die Eine fehlen, oder wenn uͤberhaupt
ſpaͤterhin mit einer derſelben nichts mehr zu verdienen
ſeyn ſollte, wenigſtens die anderen getrieben werden
koͤnnen, und ſelbſt wenn nach und nach alle die gelern-
ten Arbeiten verlaſſen werden muͤſſten, wenigſtens Muth
und Faͤhigkeit zum Uebergang zu einem neuen Erwerbs-
zweig vorhanden ſeyn moͤgen, — theils weil nicht alle in
eine ſolche Schule gehoͤrigen Kinder von gleichem Alter
und Geſchlechte, und gleichen geiſtigen und koͤrperli-
chen Faͤhigkeiten ſind, und nicht alle ebendieſelbe kuͤnf-
tige Beſtimmung haben.
§. 45.
Ueberhaupt muͤſſen bey der Wahl der in jeder Jn-
duſtrie-Schule zu treibenden Arbeiten die Faſſungs-
kraft, das Alter, die koͤrperliche Beſchaf-
fenheit, die Geſundheit, das Geſchlecht,
der Stand und die kuͤnftige Beſtimmung,
ſelbſt die Neigung der Zoͤglinge, die Ver-
moͤgens-Umſtaͤnde der Eltern, die beſonde-
ren Verhaͤltuiſſe des Ortes, und die Zeit-
verhaͤltniſſe moͤglichſt beruͤckſichtigt werden.
— So muͤſſen z. B. Kinder der Stadtleute feinere Ar-
beiten lernen, als Kinder der Landleute. Es muß an
Orten, wo die Kinder auf einen ſehr engen Raum be-
4 *
ſchraͤnkt ſind, keine Arbeit gewaͤhlt werden, wobey die
Werkzeuge, wie z. B. bey dem Wollenſpinnen am
großen Rade, zu vielen Raum erfordern wuͤrden. Man
muß auch wo moͤglich darauf Ruͤckſicht nehmen, daß
den im Orte befindlichen Profeſſioniſten und den mit
dergleichen Arbeiten ſich naͤhrenden Armen, wie z. B.
den Naͤherinnen, Strickerinnen, Spinnerinnen ꝛc. nicht
ihr bisheriger Verdienſt durch ſtarke Betreibung aͤhnli-
cher Arbeiten in der Jnduſtrie-Schule geſchmaͤlert wird.
— Die Auswahl und Beſtimmung der in je-
der Schule zu treibenden Arbeiten muß da-
her den Ortsbehoͤrden uͤberlaſſen, und ſelbſt
nach Umſtaͤnden von Zeit zu Zeit damit gewechſelt wer-
den.
§. 46.
Es laſſen ſich aber auch gewiß aus obigem Ver-
zeichniſſe fuͤr jeden Ort jederzeit wenigſtens einige Ar-
beiten herausfinden, welche fuͤr jedes Jndi-
viduum, fuͤr jedes Geſchlecht, fuͤr jeden
Stand taugen. — Die meiſten der oben aufge-
zaͤhlten Arbeiten ſind der Faſſungskraft der Kinder
des Landvolks angemeſſen, und gewiß haben viele zu
noch viel kuͤnſtlicheren und verwickelteren Arbeiten natuͤr-
liche Faͤhigkeit genug, beſonders wenn dieſelbe durch
zweckmaͤßigen Unterricht und Uebung mehr entwickelt
wird. — Die meiſten dieſer Arbeiten erfordern auch
nicht zu viele koͤrperliche Kraft, denn ſchon Kinder
zwiſchen 4 und 5 Jahren koͤnnen z. B. alte
Struͤmpfe aufziehen, wollene und ſeidene Lappen, Char-
pie, Roßhaar ꝛc. zupfen, — ſobald ſie etwas
aͤlter ſind, koͤnnen ſie Flachs und Hanf ſpinnen,
ſtricken ꝛc. — vom 12ten Jahre an koͤnnen die
Schwaͤcheren naͤhen, Wolle ſpinnen ꝛc., die Staͤrkeren
Leinwand weben, Bindgarn machen ꝛc. — Selbſt
Blinde und Taubſtumme lernen ſpinnen ꝛc. —
Ob (wie ſchon behauptet worden iſt) die Wollen-Ar-
beiten, oder auch andere der oben aufgezaͤhlten Arbei-
ten, der Geſundheit der Schuͤler im Allgemeinen,
oder wenigſtens Einzelnen von ihnen nachtheilig ſeyen,
muß der Pruͤfung und Entſcheidung der Aerzte uͤber-
laſſen werden. — Fuͤr die Knaben werden haupt-
ſaͤchlich die Arbeiten a, bis k, fuͤr die Maͤdchen die
Arbeiten l, bis z, und aa, bis hh, tauglich ſeyn;
doch taugen auch mehrere der letzteren, z. B. o, p, t,
u, y, bb, vorzuͤglich fuͤr die Knaben; fuͤr viele Kna-
ben, beſonders kuͤnftige Strumpfſtricker, Soldaten ꝛc.
waͤre das Stricken ſehr angemeſſen; und ſelbſt das
Spinnen und andere dergleichen ſogenannte weibliche
Arbeiten koͤnnen in keinem Falle ſo unſchicklich, als der
Muͤßiggang und Bettel, koͤnnten uͤberhaupt nur dann
unſchicklich fuͤr ſie ſeyn, wenn ſie ſich dadurch ſchwere-
ren, fuͤr ſie ebenſo nuͤtzlichen, Arbeiten muthwillig ent-
zoͤgen, nie aber, wenn dieſe Arbeiten das einzige Mit-
tel ſind, ſich kuͤnftig ihren Unterhalt auf eine rechtliche
Weiſe zu erwerben; es wird alſo, um ſie auch zu ſol-
chen Arbeiten geneigter zu machen, als dieß gewoͤhnlich
der Fall zu ſeyn ſcheint, nur darauf ankommen, daß
ihnen und anderen dieß auf eine zwekmaͤßige Art vor-
geſtellt, hiedurch das Vorurtheil, welches ſie und an-
dere etwa gegen ſolche Arbeiten haben moͤchten, zer-
ſtreut, und ſo viel moͤglich verhindert wird, daß nicht
Andere ſie durch Aeußerung ſolcher Vorurtheile necken;
wirklich werden auch verſchiedene dergleichen ſogenannte
weibliche Arbeiten in mehreren wuͤrttembergiſchen Jn-
duſtrie-Schulen ſchon ſeit vielen Jahren mit gutem Er-
folge durch Knaben betrieben. — Wem es um Arbei-
ten zu thun iſt, wobey die Kinder nicht an die
Stube gefeſſelt und zum Sitzen gezwungen
ſind, dem wird die Verfertigung vou Lohkaͤſen, das
Korbflechten, das Bindgarnmachen, beſonders aber
das Strohflechten, Stricken, Spinnen ꝛc., wobey ſie
an ſchoͤnen Taͤgen ſogar ſpazieren gehen, oder wenig-
ſtens ſich vor ihre Haͤuſer ſetzen koͤnnen, am beſten zu-
ſagen. — Auch muß, damit den Kindern ihr Ge-
ſchaͤfte ſo wenig als moͤglich entleide, mit den verſchie-
denen fuͤr ſie gewaͤhlten Arbeiten zweckmaͤßig abge-
wechſelt werden. — Jſt endlich den Eltern daran
gelegen, daß die Kinder ihnen bald zu Hauſe an
die Hand gehen, oder etwas verdienen koͤn-
nen, ſo wird das Stricken, Spinnen ꝛc. ſie am beſten
befriedigen.
§. 47.
Wo Arbeiten verſchiedener Art getrieben
werden, wird es zum Theil, doch wohl nicht immer,
noͤthig ſeyn, die mit jeder beſonderen Art von Arbeit
beſchaͤftigten Kinder an einem beſonderen Platze
zu vereinigen, und von denjenigen, welche etwas
anderes treiben, abzuſondern. Es wird aber gut
ſeyn, wenn an dieſem Platze dann jedem Kinde
ſeine eigene beſtimmte Stelle angewieſen, und
deren eigenmaͤchtige Veraͤnderung nicht geſtattet wird. —
Ueber die Methode des Unterrichts laͤßt ſich im
Allgemeinen bloß bemerken, daß ſtets vom Leichteren
zum Schwereren Stufenweiſe fortgeſchrit-
ten werden muß. — Bey jeder Art von Arbeit beruͤck-
ſichtige man zwar ſo viel als moͤglich die im Orte
etwa althergebrachte Weiſe; aber man verſaͤume
nicht, die in neueren Zeiten erfundenen und an an-
deren Orten vielleicht bereits eingefuͤhrten neuen Vor-
theile und Verbeſſerungen damit zu verbinden. —
Man erklaͤre zwar den Kindern die beſte und kuͤr-
zeſte Art, jede Arbeit zu betreiben, und zeige ihnen
die dazu erforderlichen Handgriffe, aber man be-
handle ſie nicht ſelbſt als Maſchinen, ſondern lehre ſie
auch den Zweck jeder Arbeit einſehen, und mit Be-
ſonnenheit und Verſtand arbeiten. — Man ſehe
darauf, daß ſie jede Arbeit mit Ordnung verrich-
ten, halte ſie zur Genauigkeit, Puͤnktlichkeit,
Beharrlichkeit, und zum Fleiße in der Arbeit
an, und verbeſſere nicht nur, ſondern verwerfe
ſogar nach Umſtaͤnden ſtrenge, ohne unzeitige Scho-
nung und Ruͤckſicht auf Unzufriedenheit der Kinder
und Eltern, jede unpuͤnctliche oder fehlerhafte
Arbeit. — Auch wird es gut ſeyn, wenn den Kindern das
Arbeits-Material oder das angefangene Fabrikat nicht
mit nach Hauſe gegeben, ſondern fuͤr jedes Kind
eine eigene mit ſeinem Nahmen oder einer
Nummer bezeichnete Schachtel oder ſonſt
ein Behaͤltniß angeſchaft, und jedem ſein beſon-
derer - nach Umſtaͤnden auf aͤhnliche Weiſe zu bezeich-
nender Platz in einem Schranke ꝛc. angewieſen
wird, wo ſeine Arbeit jedesmal aufbewahrt werden
muß.
§. 48.
Allein manche wiſſen nicht, woher ſie das Ma-
terial zu hinreichender Beſchaͤftigung der Kinder mit
ſolchen Arbeiten nehmen ſollen, beſonders an Orten,
wo eine ziemliche Quantitaͤt deſſelben noͤthig waͤre. —
Das Einfachſte iſt offenbar, wenn die Eltern, be-
ſonders die vermoͤglicheren, veranlaßt werden, ihren
Kindern ſo viel moͤglich das Material ſelbſt an-
zuſchaffen, und in die Schule mitzugeben, wie
dieß auch wirklich in vielen der wuͤrttembergiſchen Jn-
duſtrie-Schulen laͤngſt geſchieht. Sollten dieß jedoch
nicht alle Eltern thun koͤnnen oder wollen, ſo duͤrfte
es am zweckmaͤßigſten ſeyn, andere Perſonen,
und zwar zunaͤchſt die Ortsbewohner zu Beſtel-
lungen in der Anſtalt zu veranlaſſen; manche wuͤrt-
tembergiſche Jnduſtrie-Schule erhielt auf dieſe Art bis-
her hinreichende Beſtellungen von Privat-Perſonen,
beſonders von den Frauen der Honoratioren,
und anderen Freunden der Anſtalt, ſelbſt von
fuͤrſtlichen Perſonen, welche oft in einem ſolchen
Orte ihren Wohnſitz haben. Es haben ſich auch ſchon
Jnduſtrie-Lehrer gefunden, welche die Kinder
fuͤr ihre eigene Rechnung arbeiten laſſen; doch moͤchte
allen, welche von Amtswegen mit einer
ſolchen Schule zu thun haben, alle Vorſicht zu
empfehlen ſeyn, daß ſie ſich nicht durch dergleichen Un-
ternehmungen oder auch nur einzelne unbedeutendere,
Beſtellungen bey der beſten Meinung den Verdacht einer
eigennuͤtzigen Abſicht zuziehen, wodurch der guten Sa-
che leicht ſo ſehr geſchadet werden koͤnnte. Vielleicht
koͤnnen auch Beſtellungen von Leuten aus benach-
barten Orten veranlaſſt werden. Beſonders aber
iſt es raͤthlich, die Handwerks- Handels- und
anderen Gewerbs-Leute im Orte und in der
Nachbarſchaft auf dergleichen Schulen aufmerkſam zu
machen, indem ſich in ſo vielen Faͤllen der beiderſeitige
Vortheil mit einander vereinigen laͤſſt; auf dieſe Weiſe
wird in mehreren wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen
nicht nur fuͤr einheimiſche Zeugmacher, Tuchmacher,
und andere Fabrikanten, ſondern ſelbſt fuͤr Kaufleute in
der Schweiz zu gegenſeitiger Zufriedenheit gearbeitet,
und die Centralleitung des Wohlthaͤtigkeits-Vereins
koͤnnte vielleicht weſentlich zu Befoͤrderung dieſes Zwe-
ckes beytragen, wenn ſie, etwa unter Ruͤckſprache mit
der Centralſtelle des Handels- und Gewerbs-Vereins,
von Zeit zu Zeit Kundſchaft einzoͤge, nach welchen Ar-
tikeln gerade im Jn- und Auslande die meiſte Nach-
frage iſt, und wenn ſie dann nicht nur die Lokal-
Anſtalten hievon in Kenntniß ſezte, und ihnen die er-
forderliche weitere Anleitung gaͤbe, ſondern auch ein-
zelne Fabrikanten und Kaufleute des Jn- oder Aus-
landes entweder zu Beſtellungen bey beſonderen Jndu-
ſtrie-Schulen oder auch zu Beſtellungen im Großen
veranlaſſte, und nach Umſtaͤnden die Leitung und Spe-
dition des Ganzen durch ihren Magazins-Verwalter
beſorgen ließe. — Am beſten iſt es in ſolchen Faͤllen,
wenn, wie dieß auch wirklich bey obengedachten Be-
ſtellungen groͤßtentheils geſchieht, die beſtellenden
Perſonen das Material in die Anſtalt ſchi-
cken; mehrere Jnduſtrie-Schulen erhalten auf dieſe
Art Material genug, ohne eine Ausgabe dafuͤr noͤthig
zu haben, und brauchen daher auch gar nichts auf ei-
gene Rechnung arbeiten zu laſſen. — Es haben auch
ſchon Jnduſtrie-Schulen Arbeits-Material, wie z. B.
uͤberfluͤßiges Papier zu Duͤten, geſchenkt erhalten.
— Wenn hingegen die Eltern zu arm oder wenigſtens
nicht geneigt ſind, ihren Kindern ſelbſt Arbeits-Mate-
rialien mitzugeben, oder wenn diejenigen, welche bey
der Anſtalt Beſtellungen machen, das Material nicht
dazu geben wollen, oder wenn es ganz an dergleichen
Beſtellungen fuͤr andere fehlt, nun dann bleibt freylich
nichts uͤbrig, als das erforderliche Arbeits-Material,
wie dieß auch wirklich in verſchiedenen wuͤrttembergi-
ſchen Jnduſtrie-Schulen laͤngſt geſchieht, ganz oder
zum Theil auf oͤffentliche Koſten anzuſchaffen,
und ſolches wenigſtens den aͤrmeren Kindern unentgeld-
lich oder etwa in herabgeſezten Preiſen abzugeben, wo-
bey nicht außer Acht gelaſſen werden darf, daß, da
der Erloͤß aus den Fabrikaten immer wieder zum An-
kauf neuer Materialien verwendet werden kann, dieſe
Methode kein ſo großes Betriebs-Capital erfordert,
als manche ſich vorzuſtellen ſcheinen.
§. 49.
Viele klagen auch, beſonders an Orten, welche
nicht die Mittel haben, um bedeutendere Waaren-
Vorraͤthe laͤngere Zeit unverkauft liegen laſſen zu koͤn-
nen, uͤber Mangel an Gelegenheit zu einem vortheil-
haften Abſatz der zum Theil ſehr zahlreichen
Fabrikate, indem der Verkauf ſolcher von Kindern,
und zwar großentheils von Anfaͤngern, verfertigten,
und daher meiſtens ſehr unvollkommenen Waaren ſchon
an ſich ſchwer ſey, durch die Concurrenz ſo vieler Ver-
kaͤufe gleichfoͤrmiger Arbeits-Produkte aus ſo vielen
Jnduſtrie-Schulen aber, ſo wie durch die gegenwaͤr-
tige Stockung aller Gewerbe, und den allgemeinen
Geldmangel noch mehr erſchwert werde. — Dieſe Ver-
legenheit hebt ſich aber von ſelbſt, wenn, wie oben
vorgeſchlagen wurde, die Einleitung getroffen wird, daß
die Kinder die Arbeits-Materialien von Hauſe mit-
bringen, indem in dieſem Falle die Fabrikate, wie dieß
auch in ſehr vielen wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen
geſchieht, ohne weiteres den Kindern und deren
Eltern ſelbſt zu ihrem und der Jhrigen eigenen
Gebrauch, oder zur eigenen Verwerthung, oder zu ſon-
ſtiger willkuͤhrlichen Benutzung und Verwendung uͤber-
laſſen werden koͤnnen. — Eben ſo wenig kann dieſe
Verlegenheit eintreten, wenn die Arbeiten auf Beſtel-
lung von Privatperſonen, Fabrikanten, Kaufleuten ꝛc.
gefertigt worden ſind, indem in dieſem Falle nichts zu thun
iſt, als die Fabrikate, wie auch wirklich in mehreren
wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen geſchieht, an
diejenige Perſonen, welche die Beſtellung
gemacht haben, abzuliefern, welche dann den be-
dungenen- auf beyden Seiten billig zu beſtimmenden
Arbeitslohn zu der Caſſe des Jnſtituts bezahlen. —
Hat es aber auch zu beſtellten Arbeiten keine Gelegen-
heit gegeben, dann muͤſſen freylich die Fabrikate den
Kindern abgenommen, in das Magazin der An-
ſtalt gebracht, und unter obrigkeitlicher Leitung und
Aufſicht durch das Magazins- und Lehr-Perſonal ſo
vortheilhaft als moͤglich zum Beſten der Jnſtituts-Caſſe
verwerthet werden. Sehr oft kann dieſe Verwer-
thung ohne weiteres Statt finden, zuweilen kann es
aber auch raͤthlich oder noͤthig ſeyn, die Fabrikate der Kinder
zuvor noch weiter, z. B. das Garn zu Struͤmpfen,
Socken, Flanell, Leinwand ꝛc., den Flanell, die Lein-
wand ꝛc. zu Kleidungsſtuͤcken ꝛc., entweder durch die
Kinder ſelbſt, oder auch durch Andere, verarbeiten
zu laſſen. — Der Verkauf geſchah dann bisher
bey den wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen entweder
nnter der Hand, ſucceſſive, nach billig regulirten
Preiſen, im Jnſtitut ſelbſt, zum Theil an Kauf-
leute, oder auch commiſſionsweiſe durch Kauf-
leute, oder auf oͤffentlichen Wochen- und
Jahr-Maͤrkten, wo dann das Jnſtitut gewoͤhnlich
eine eigene Bude miethete, und zum Theil die weib-
lichen Mitglieder des Wohlthaͤtigkeits-Vereins den Ver-
kauf beſorgten, oder auch durch einen von Zeit zu Zeit
veranſtalteten oͤffentlichen Aufſtreich. — An man-
chen Orten fand auf dieſe Art der Abſatz, wenigſtens
gewiſſer Artikel, durchaus keine Schwierigkeit, und die
Auslage fuͤr das Material und den Arbeitslohn wurde
durch den Erloͤß ans den Fabrikaten theils ganz ge-
deckt, theils kam wenigſtens nur ein geringer
Verluſt heraus. Wenn daher an anderen Orten im
Gegentheil verſichert wird, daß bey dem Verkauf der
Fabrikate ein weit bedeutenderer, zum Theil
unverhaͤltnißmaͤßig großer Verluſt herausge-
kommen ſey, ſo ſcheint die Urſache hievon großentheils
in einer unzweckmaͤßigen Wahl der Beſchaͤftigungs-
Gegenſtaͤnde, oder der Art und Weiſe des Verkaufs,
oder auch darin geſucht werden zu muͤſſen, daß mit
dem Verkaufe zu ſehr geeilt wurde, und vielleicht aus
Mangel an Mitteln wirklich geeilt werden muſſte. —
Vielleicht koͤnnten uͤbrigens die Jnduſtrie-Schulen vor
einem ſolchen Verluſte durch naͤhere Verbindung
mehrerer benachbarten, beſonders der zu eben-
demſelben Oberamts-Bezirke gehoͤrigen Anſtalten die-
ſer Art, oder durch eine gewiſſe Verbindung mit der
in ebendemſelben Orte beſtehenden Beſchaͤftigungs-
Anſtalt fuͤr erwachſene Arme, oder durch naͤ-
here Verbindung mit dem in Stuttgart ſeit einigen
Jahren beſtehenden Magazin zu Befoͤrderung
des Abſatzes vaterlaͤndiſcher weiblichen
Fabrikate, oder durch Einſendung ihrer Fabrikate
zum Magazin der Central-Leitung noch wei-
ter geſichert werden, ſo wie mehreren Kinder-Beſchaͤf-
tigungs-Anſtalten bisher von Seite des Koͤniglichen
Kriegs-Departements durch Beſtellung und
Annahme von Lieferungen an Hemden, Socken, und
dergleichen kleineu Montirungs-Stuͤcken der Abſatz
ihrer Fabrikate ſehr erleichtert wurde. — Uebrigens
kann, da es bey dieſen Jnduſtrie-Schulen mehr um
moraliſchen und intellectuellen, als pecuniaͤren Gewinn
zn thun iſt, auf einen kleinen- bey ſo vielen An-
faͤngern allerdings beynahe unvermeidlichen Geld-
Verluſt nicht geſehen werden, und ſelbſt wenn
manches Stuͤck eben als das Produkt eines Anfaͤngers,
mithin als ein unvollkommenes Fabrikat, gar keinen
Kaufliebhaber finden ſollte, bleibt ja immer noch der
an mehreren Orten ganz zweckmaͤßig gewaͤhlte Ausweg
uͤbrig, ſolche Fabrikate den aͤrmſten Zoͤglingen
der Anſtalt, oder anderen armen Kindern,
oder auch erwachſenen Armen zum Gebrauche zu
ſchenken, oder dieſelbe zur Kleidung der Spi-
talpfruͤnder zu verwenden, ſo daß alſo wenigſtens
ein Allmoſen oder eine ſonſtige Ausgabe damit erſpart,
und mithin der Werth des Fabrikats in keinem Falle
ganz verloren wird.
§. 50.
Uebrigens iſt es keineswegs noͤthig, ja nicht ein-
mal raͤthlich, die Kinder in denjenigen Stunden, wel-
che ihnen der ordentliche Elementar-Schul-Unterricht
und ihre haͤusliche Beſchaͤftigung uͤbrig laͤßt, ausſchließ-
lich mit Handarbeiten in den Jnduſtrie-Schulen zu be-
ſchaͤftigen: denn da der Zweck dieſer Schulen nicht bloß
dahin geht, ſie in Handarbeiten zu unterrichten und
zu uͤben, und ihnen fruͤhzeitig Gelegenheit zu einem
kleinen Erwerb zu verſchaffen, ſondern ſie uͤberhaupt
vom Muͤſſiggang und Bettel abzuhalten, und zu ver-
ſtaͤndigeren, geſchickteren, und rechtſchaffeneren Dienſt-
boten, Hausvaͤtern, und Hausmuͤttern, uͤberhaupt zu
beſſeren und gluͤcklicheren Buͤrgern und Menſchen zu
bilden; ſo iſt ihnen jede andere Beſchaͤftigung, welche
zu Bildung ihres Verſtandes und Herzens,
uͤberhaupt zu ihrer geiſtig-ſittlichen, intellectuel-
len, religioͤſen, u. moraliſchen Bildung, Beſ-
ſerung u. Veredlung etwas beytragen kann, ebenſo
nuͤtzlich, und beſonders alsdann ſehr nothwendig, wenn
ſie in dieſer Hinſicht zu Hauſe oder in der ordentlichen
Elementarſchule vernachlaͤßigt werden, oder wenigſtens
fruͤher vernachlaͤßigt worden ſind.
§. 51.
Was insbeſondere die intellectuelle Bil-
dung der Kinder betrifft, ſo iſt in einzelnen wuͤrttem-
bergiſchen Jnduſtrie-Schulen bereits nicht ohne Erfolg
der Verſuch gemacht worden, den in den uͤbrigen Kennt-
niſſen am weiteſten vorgeruͤckten Knaben die Anfangs-
gruͤnde der Oeconomie und der Kunde der Ge-
werbe (Technologie, Waarenkunde ꝛc.) mit-
zutheilen. — Auch wird es gewiß nicht ohne Nutzen
ſeyn, wenn die Kinder mit den Naturkoͤrpern,
welche ſie taͤglich unter Augen haben, bekannt gemacht
werden, und nicht allein die zum Anbau dienenden
Gewaͤchſe mit der Behandlungs- und Gebrauchsart,
und die gewoͤhnlich wild wachſenden Pflanzen, deren
Nutzen und Schaͤdlichkeit, ſondern auch die am haͤufig-
ſten vorkommenden Feldſteine und Gebirgs-Arten, ſo
weit alles dieß zum Hausbrauch noͤthig iſt, kennen
lernen. — Selbſt einige Kenntniß von der Geo-
graphie und Geſchichte, ſo weit ſie dazu dienen
kann, die Kinder mit ihrem Vaterlande bekannt zu
machen, und ihnen Liebe fuͤr daſſelbe beyzubringen,
kann nicht ohne Nutzen ſeyn. — Das Zeichnen dient
nicht nur im Allgemeinen dazu, den Sinn der Kinder
zum achtſamen und genauen Ergreifen der Form des
aͤußerlich Angeſchauten, und beſonders zu richtiger
Auffaſſung, Schaͤtzung, Unterſuchung und Berechnung
der Maßverhaͤltniſſe zu bilden, alſo ihr Augenmaß,
und hiedurch zugleich ihren Verſtand zu uͤben, ſondern
es hilft den Kindern beſonders auch dazu, das, was
ihnen kuͤnftighin in Erzeugniſſen des Kunſtfleißes Mu-
ſterhaftes vorkommen wird, genauer unterſuchen, be-
greifen, und beurtheilen, und durch Nachzeichnen ſich
leichter zu eigen machen zu koͤnnen. Jn verſchiedenen
wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen erhalten daher auch
bereits nicht nur die (zu Handwerkern beſtimmten)
Knaben, ſondern zum Theil auch die Maͤdchen (zum
Behuf der kuͤnſtlicheren Arbeiten, wie Sticken, Perlen-
Strickerey ꝛc.) Unterricht im Zeichnen. — Von dem
Unterrichte in der Geometrie als Wiſſenſchaft kann
zwar nicht die Rede ſeyn, hingegen gehoͤrt es zu den
Elementen der ſinnlichen Erkenntniß, gerade und krum-
me, gleichlaufende und ſich durchkreuzende Linien, rech-
te, ſpitze, und ſtumpfe Winkel, Dreyecke, Vierecke,
und Vielecke, den Wuͤrfel, die Walze, den Kegel, die
Kugel, zu kennen und benennen zu wiſſen; wenn ſich
alſo der Unterricht in der Geometrie auch nur darauf
beſchraͤnkt, ſo werden die Kinder dadurch doch die Groͤße
einer Linie oder Oberflaͤche ſchaͤtzen, die Hoͤhe eines
Baumes oder ſeines kubiſchen Jnhalts wenigſtens an-
naͤhernd beſtimmen, und eine Wieſe oder einen Acker,
wenn auch nicht mit geometriſcher Genauigkeit, dennoch
aber auf eine fuͤr den gewoͤhnlichen Gebrauch des Le-
bens hinreichende Weiſe ausmeſſen lernen. — Auch
der Unterricht im Rechnen und Rechnungs-
Uebungen ſind in verſchiedenen wuͤrttembergiſchen
Jnduſtrie-Schulen bereits eingefuͤhrt; hiebey duͤrfte es
am angemeſſenſten ſeyn, mit dem Kopfrechnen, worin
die Kinder ohnehin gewoͤhnlich eine Freude finden, und
zum Theil eine große Fertigkeit erlangen, den Anfang
zu machen, und dann erſt mit geſchriebenen Zahlen we-
nigſtens ſo lange fortzufahren, bis die Kinder die 4
Rechnungsarten in genannten und ungenannten Zahlen
und die Regel de tri verſtehen, und nach denſelben mit
gebrochenen ſowohl, als ganzen Zahlen rechnen koͤnnen.
— Die Sprachlehre wird ſich darauf beſchraͤnken
duͤrfen, die Kinder den Unterſchied zwiſchen Haupt-
woͤrtern, Zeitwoͤrtern, und Beywoͤrtern kennen zu leh-
ren, uͤberhaupt ihnen diejenigen Sprachbegriffe beyzu-
bringen, ohne welche ſie nicht wohl wuͤrden richtig
ſprechen und ſchreiben lernen. — Hingegen koͤnnte oft
dem Schul-Unterrichte dadurch vortrefflich nachgeholfen
werden, wenn die dabey zuruͤckbleibenden Kinder in der
Jnduſtrie-Schule im Schoͤn- und Rechtſchreiben,
und richtigen Leſen geuͤbt wuͤrden, wie dieß in ei-
nigen wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen bereits mit
dem beſten Erfolge geſchieht. — Nicht nur zur all-
gemeinen Uebung des Gedaͤchtniſſes und
Verſtandes, ſondern auch zu Sammlung eines fuͤr
das ganze Leben brauchbaren Vorraths, und Aufbe-
wahrung deſſelben im Gedaͤchtniſſe, alſo in formeller
und materieller Hinſicht wird es gut ſeyn, ſie Spruͤche,
Lieder ꝛc. auswendig lernen zu laſſen, ihnen unterhal-
tende und belehrende Schriften vorzuleſen, und zu er-
klaͤren, und ſich dann durch zwekmaͤßige Fragen zu ver-
ſichern, ob ſie das Vorgeleſene richtig gefaſſt haben,
auch ſie nach Umſtaͤnden ein Tagbuch fuͤhren zu laſſen,
in welches ſie am Sonntage alles in der verfloſſenen
Woche Erlernte und Erfahrene eintragen.
§. 52.
Zum Behuf der religioͤſen Bildung der Kin-
der werden in den beſſeren wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-
Schulen die Zoͤglinge derſelben nicht nur ſorgfaͤltig in
die allgemeinen woͤchentlichen Catechiſationen ge-
foͤrdert, ſondern ſie erhalten zum Theil auch an den
Sonn- und Feſttaͤgen regelmaͤßig beſonderen ausſchließ-
lich fuͤr ſie beſtimmten Religions-Unterricht. —
Der uͤbrige Unterricht beginnt und endet mit einem
paſſenden Gebet, und beſonders koͤnnen Morgen-
und Abend-Andachten unendlich viel zu der reli-
gioͤſen Bildung der Kinder beytragen, wenn ſie von der
Art ſind, daß durch ſie ein Urtheilen uͤber die Sittlich-
keit ihrer Handlungen in ihren Herzen erweckt wird;
der Lehrer wird deßwegen bey der Morgen-Andacht
gute Entſchluͤſſe fuͤr den kommenden Tag beleben, bey
der AbendAndacht aber die Ereigniſſe des vollbrachten
Tages muſtern, und jede auffallende Handlung ruͤgen;
dann wird Freude uͤber gutes Gelingen im guten Le-
ben ſtaͤrken, und Reue uͤber einen begangenen Fehltritt
vor deſſelben Wiederkehr bewahren; der Geſang wird
bey dieſen Andachts-Uebungen, wenn die Lieder in
Ruͤckſicht der Gegenſtaͤnde ſowohl, als der Darſtellung
gluͤcklich gewaͤhlt werden, mit vielem Nutzen in An-
wendung kommen, und tiefe und bleibende Eindruͤcke
hinterlaſſen. — An Sonn- Feſt- und Feyertaͤgen wer-
den die Jnduſtrie-Schuͤler entweder zu Beſuchung des
allgemeinen oͤffentlichen Gottesdienſtes, oder
zu Anhoͤrung einer fuͤr ſie insbeſondere veranſtalteten
Predigt angehalten. — Auch zwiſchen der Zeit wer-
den ſie mit ausgewaͤhlten bibliſchen Geſchichten
bekannt gemacht, und ihnen bibliſche Spruͤche
und chriſtliche Liederverſe erlaͤutert, und zum
5
Auswendig-Lernen aufgegeben. — Daneben benuͤtzen
die Vorſteher, die Freunde, und Freundinnen der An-
ſtalt ihre haͤufigen Beruͤhrungen mit den Kindern ſo ſehr
wie moͤglich, um durch ihr Beyſpiel, durch Beſprechun-
gen, durch Beurtheilung vorkommender Faͤlle gute
Gefuͤhle in ihnen zu beleben, und ihnen chriſtlich-
rechtſchaffene Grundſaͤtze einzupraͤgen. — Bey
jeder Gelegeuheit wird darauf geſehen, daß ſie allem,
was Gott und Religion angeht, mit Wort und
That Ehrerbietung beweiſen, und gottloſe
Reden werden nie von ihnen geduldet. — Uberhaupt
wird alles angewendet, um es dahin zu bringen, daß
ſie ſich eineu kindlich-frommen Sinn, eine chriſt-
liche, rechtſchaffene, wuͤrdige Denkungsart
zu eigen machen, daß ſie ſich zum Wandel vor
Gott und zur chriſtlichen Tugend-Uebung
gewoͤhnen, daß ſie nichts thun, als was Gott ge-
faͤllig iſt, uͤberhaupt daß ſie wahrhaft gute, got-
tesfuͤrchtige und gottſelige Menſchen werden.
§. 53.
Zu Befoͤrderung der moraliſchen Bildung
der Kinder wird denſelben theils in Verbindung mit
dem Religions- eigentlicher Unterricht in der
Moral ertheilt, theils werden ihnen lehrreiche
Geſchichten, in welchen die Moral in Hand-
lungen erſcheint, entweder erzaͤhlt, oder aus ſorg-
faͤltig ausgewaͤhlten guten Jugendſchriften, z. B. Ro-
chows Kinderfreund, vorgeleſen, das Erzaͤhlte und
Vorgeleſene wird ihnen erlaͤutert, und wieder abge-
fragt, von Einzelnen wieder erzaͤhlt, und auf ihr eige-
nes ſittliche Verhalten zweckmaͤßig angewendet. Auch
ſonſt werden ſie bey jeder ſchicklichen Gelegenheit zu
Beobachtung aller Pflichten in der haͤuslichen und buͤr-
gerlichen Geſellſchaft, und zu einem ſittlichen Betragen
anfgemuntert, und erinnert, nie etwas, weder
oͤffentlich noch heimlich zu thun, deſſen ſie ſich vor Gott
und ehrbaren Menſchen ſchaͤmen muͤſſteu. — Vorzuͤg-
lich wird ihnen ein unſchuldvolles, ſtilles und
ſittſames Betragen, Einfachheit in der
Kleidung, Genuͤgſamkeit, Haͤuslichkeit,
und Sparſamkeit empfohlen, man ſucht ſie zur
Puͤnctlichkeit und Ordnungsliebe zu gewoͤhnen,
und beſonders wird auf Reinlichkeit bey ihnen ge-
drungen; es wird darauf geſehen, daß ſie rein gekaͤmmt,
und mit rein gewaſchenem Geſichte und Haͤnden in der
Schule erſcheinen, reinlich muͤſſen in der Schule alle
Arbeiten und Geraͤthe, alle Zimmer und Gaͤnge im
ganzen Hauſe gehalten werden. — Die Kinder wer-
den ferner gewarnt, nie zu luͤgen, und nirgends et-
was zu nehmen, was nicht ihnen gehoͤrt; dagegen
werden ſie erinnert, jedem das Seine zu laſſen,
und im Großen wie im Kleinen ſtets ehrlich, ge-
wiſſenhaft, und treu zu ſeyn. — Es wird ihnen
Liebe, Wohlwollen, Dienſtfertigkeit, Ver-
traͤglichkeit, Hoͤflichkeit, und Beſcheiden-
heit gegen Jhresgleichen ſowohl, als gegen Eltern,
Lehrer, und andere Vorgeſetzte, Folgſamkeit und
Achtung gegen die Letzteren, uͤberhaupt ein anſtaͤn-
diges Betragen gegen jedermann empfohlen, und
ihnen ernſtlich verboten, irgend jemand, ſey es mit
Worten oder mit der That, zu beleidigen.
§. 54.
Schlimmen Geſinnungen, Neigungen,
und Angewoͤhnungen der Kinder muß auf jede
5 *
Art entgegengewirkt, und beſonders zu Heilung bereits
verdorbener Geſchoͤpfe allem aufgeboten werden.
Hiebey werden zwar in den meiſten Faͤllen das gute
Beyſpiel anderer Kinder, eine elterlich-lieb-
reiche Behandlung, ein ruhiges kaltbluͤti-
ges Benehmen, ſanfte Ermahnungen und
nachſichtige Zurechtweiſungen manche Strafe
erſparen koͤnnen, und dabey doch mehr und ſicherer
wirken, als ein allzuraſches ſtuͤrmiſches Ver-
fahren. Wenn jedoch ein Kind aller guͤtlichen Er-
mahnungen, Warnungen, und Zurechtweiſungen un-
geachtet fortfaͤhrt, unfleißig, traͤge, geſchwaͤzig, unor-
dentlich, unreinlich, unſittlich, unredlich, muͤrriſch,
eigenſinnig, zaͤnkiſch, ungehorſam, luͤgenhaft, verlaͤum-
deriſch, uͤberhaupt boßhaft zu ſeyn; ſo bleibt alsdann
nichts uͤbrig, als mit wirklichen Strafen gegen daſ-
ſelbe vorzugehen. Muthwillige Beſchaͤdigungen an Ar-
beits-Materialien, Werkzeugen, Fabricaten, Fenſtern,
Waͤnden ꝛc. koͤnnen nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde
durch Abzug an dem Arbeitslohn beſtraft werden;
außerdem aber koͤnnen die Strafen beſtehen: im Her-
unterſetzen ſolcher Kinder unter andere, welche ſich vor-
theilhafter auszeichnen, im Ausſchluß derſelben aus dem
Kreiſe beſſerer Kinder, im Ausſchluſſe von der Anſtalt
uͤberhaupt auf kuͤrzere oder laͤngere Zeit, und im Aus-
ſchluſſe von den den Kindern bereiteten Freuden. Selbſt
Arreſt und koͤrperliche Zuͤchtigungen zu gebrauchen muß
dem Jnſtitut ſo gut, wie den Eltern ſelbſt, deren
Stelle es in ſolchen Faͤllen vertritt, erlaubt ſeyn; doch
moͤchte es raͤthlich ſeyn, dieſe Mittel ſo ſparſam als
moͤglich zu waͤhlen, und in jedem Falle nur mit aͤußer-
ſter Vorſicht, mit Ueberlegung und Maͤßigung, mit
ſteter Ruͤckſicht auf die Jndividualitaͤt der Kinder, und
mit gehoͤriger Gradation anzuwenden, um nicht Er-
bitterung, Heucheley, Trotz, Abneigung gegen die
Schule, und eine niedrige ſclaviſche Denkungsart bey
den Schuͤlern hervorzubringen; in einigen der beſſeren
wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen iſt es bisher den
Lehrern und Vorſtehern gelungen, die meiſten Kinder,
zum Theil aus den niedrigſten Volksclaſſen, ohne ſolche
traurige Mittel in Ordnung zu bringen und zu erhal-
ten. — Naͤhere allgemeine Vorſchriften in Hinſicht
auf die Schulzucht laſſen ſich nicht wohl ertheilen,
ſondern es muß vielmehr den Lehrern und Vorſtehern
uͤberlaſſen werden, in den vorkommenden verſchiedenen
Faͤllen nach eigenem beſten Wiſſen und Gewiſſen zu
verfahren.
§. 55.
Aufmerkſamkeit, Fleiß, und Wohlver-
halten der Kinder ſollten, wo nur immer Mittel
dazu vorhanden ſind, durch Geſchenke an Kleidungs-
ſtuͤcken, Arbeits-Materialien und Geraͤthſchaften, Schul-
buͤchern und anderen Jugendſchriften, Denkmuͤnzen mit
paſſenden Jnſchriften, und dergleichen belohnt wer-
den, um dadurch ſie und andere zu kuͤnftigem Fleiß
und Wohlverhalten aufzumuntern. Es moͤchte jedoch
den Kindern in dieſer Beziehung bey jeder ſchicklichen
Gelegenheit zu bemerken ſeyn, daß alle Geſchenke die-
ſer Art nur ein Merkmaal und Unterpfand der Liebe,
Zufriedenheit, und Wuͤnſche ihrer Lehrer und uͤbrigen
Vorgeſetzten, nur eine ſinnliche Hindeutung auf die
zeitlichen Vortheile, welche Geſchicklichkeit und Arbeit-
ſamkeit, in den Schranken der Pflicht geuͤbt, gewaͤh-
ren, nur ein aͤußeres Zeichen, ein Denkmaal ſeyen,
das ſie auch außer dem Feſte hieran erinnern, und ſie
aufmuntern ſoll, das zu werden, was ſie, nicht um
dieſer Geſchenke willen, ſondern aus viel beſſeren, rei-
neren, hoͤheren Gruͤnden, um ihrer ſelbſt und um Got-
tes willen, werden ſollen, — daß ſie alſo dieſe Ge-
ſchenke nicht als die eigentliche und einzige Belohnung
ihres Fleißes und Wohlverhaltens anſehen duͤrfen, in-
dem dieſe vielmehr in dem begluͤckenden Bewußtſeyn,
ſeine Pflicht erfuͤllt, und recht und gut gehandelt zu
haben, beſtehe, und ihnen hauptſaͤchlich erſt ſpaͤterhin
dadurch zu Theil werden koͤnne, daß das, was ſie
jetzt lernen und treiben, in Zukunft das Mittel ſeyn
werde, ſich ihren Lebens-Unterhalt, an dem es ſo man-
chem anderen fehle, der ſeine Jugendzeit nicht zweck-
maͤßig angewendet habe, zu erwerben, und ſich ihren
Nebenmenſchen nuͤtzlich, hiedurch aber bey den Men-
ſchen beliebt, und Gott gefaͤllig zu machen. — Auch
wird es zwar immerhin zweckmaͤßig ſeyn, die Geſchenke
nach Maßgabe des groͤßeren oder geringeren Grades
von Fleiß und Wohlverhalten der Einzelnen groͤßer
oder kleiner einzurichten; man moͤchte ſich aber doch
zugleich ſehr huͤten duͤrfen, daß man nicht durch allzu-
ſtarke Auszeichnung Einzelner bey dieſen Stolz,
Ehrgeitz, und Eigennuͤtzigkeit, bey anderen hingegen
Neid und Haß errege; man gebe daher bey dergleichen
Austheilungen wo moͤglich auch den minder ausgezeich-
neten Kindern wenigſtens irgend eine Kleinigkeit, und
ſchließe hoͤchſtens die allerſchlechteſten ganz von der Ge-
ſchenkvertheilung aus.
§. 56.
Um ſich jedoch eines guten Erfolgs aller dieſer
Bemuͤhungen zu verſichern, moͤchte es noͤthig ſeyn,
nicht nur dasjenige, was die Kinder hauptſaͤchlich zu
thun zu laſſen, und zu erwarten haben, in einer kur-
zen und buͤndigen Form zuſammenzutragen, und als
Schulgeſez an einer Tafel oͤffentlich in der Schule
aufzuhaͤngen, ſondern auch ſtrenge Aufſicht zu fuͤh-
ren, ob dieſem Geſetze wirklich in allen Theilen nach-
gelebt werde. Jede Widerſetzlichkeit muß augenblicklich
beſtraft, jede andere Uebertretung der Schulgeſetze,
waͤre ſie auch außerhalb der Schule vorgefallen, ſo-
gleich, ſobald ſie zur Kenntniß des Lehrers kommt,
von dieſem geruͤgt werden. — Ueberdieß wird es ſehr
gut ſeyn, wenn man jede Art von Vergehungen gegen
die Schulgeſetze ſogleich auf einer Schiefertafel,
auf welcher ein Papierſtreifen mit den Nahmen der
Kinder aufgeklebt, und von jedem Nahmen aus eine
Linie quer in die Tafel eingekerbt wird, ſogleich durch
ein beſonderes Zeichen bemerkt, und die Tafel nach
der Schule einſchließt, — am Ende jeder Woche aber
denjenigen Kindern, welche im Laufe derſelben die
Schulgeſetze nach Kraͤften beobachtet haben, ſo daß nie
eine Klage gegen ſie vorkam, ein mit einer paſſenden -
gedruckten oder geſchriebenen Jnſchrift verſehenes Zu-
friedenheits-Zettelchen von ſteifem Papier zur
Aufbewahrung in ihrem Arbeitsbehaͤltniß zuſtellt. —
Von Zeit zu Zeit koͤnnen dann dieſe Bemerkungen in
ein beſonderes alle Jahre zu erneuerndes Buch, worin
jedes Kind ſeine eigene Seite hat, uͤbertragen werden,
ſo daß aus dieſem Buche jederzeit ſowohl der Fleiß
oder Unfleiß, als das ſittliche Verhalten eines jeden
Kindes erſehen werden kaun. — Dieſes Buch kann
hernach von Zeit zu Zeit den Freunden und Vorſtehern
der Anſtalt vorgelegt, uͤberhaupt kann von Zeit zu Zeit
eine Cenſur des Verhaltens ſaͤmmtlicher Kinder vor-
genommen, und hiebey denjenigen Kindern, welche
ſich in der lezten Zeit uͤbel gehalten haben, eine ange-
meſſene Erinnerung, den anderen aber das gebuͤhrende Lob
ertheilt werden; doch ſollte bey dieſer Cenſur außer den
Lehrern und Vorſtehern in der Regel niemand zugegen
ſeyn, damit nicht das kindliche Vertrauen den Wir-
kungen eines unzeitig geſteigerten Ehrgeizes weichen
moͤge. — Am Ende eines jeden Jahres aber ſollte ver-
mittelſt des obengedachten Buches genau unterſucht
werden, welche Kinder ſich im verfloſſenen Jahre durch
Unfleiß und ſchlechtes Verhalten, und welche ſich durch
Fleiß und Wohlverhalten ausgezeichnet haben, worauf
dann die Nahmen der boͤſen Kinder in ein mit
ſchwarzer Decke, die Nahmen der guten Kinder aber
in ein mit weiſſer, ſilber- oder goldfarbiger
Decke verſehenes, auch fuͤr die folgenden Jahre beyzu-
behaltendes und fortzufuͤhrendes Buch, nach Umſtaͤn-
den mit Unterſcheidung der verſchiedenen Grade des
Uebel- oder Wohlverhaltens, eingetragen werden ſoll-
ten. — Um dieſe Zeit ſollte dann alle Jahre zugleich
auch ein oͤffentliches Schul- oder Kinderfeſt
an irgend einem ſchoͤnen Tage veranſtaltet werden,
welcher mit einer angemeſſenen Andacht, und einer
fuͤr den Zweck des Feſtes paſſenden Rede, Vertheilung
der den Kindern zugedachten Geſchenke, oͤffentlicher
jedoch nicht nahmentlicher Belobung der guten und
Ermahnung der ſchlimmen Schuͤler eroͤffnet, außerdem
aber ausſchließlich unſchuldigen Spielen und anderen
Vergnuͤgungen der Kinder im Freyen gewidmet, und,
wo die Mittel dazu vorhanden ſind, durch Geſang,
Muſik, und eine dem Alter der Kinder angemeſſene
Bewirthung derſelben fuͤr ſie verherrlicht werden koͤnn-
te; der an manchen Orten bey ſolchen Feſten gewoͤhn-
liche Tanz duͤrfte jedoch, da er ſo leicht in phyſiſch-
und moraliſch-nachtheilige Ausgelaſſenheit ausartet,
beſonders an ſolchen Orten unterlaſſen werden, wo ir-
gend ein redlicher, der Anſtalt geneigter, ſorgfaͤltiger
Vater dadurch abgehalten werden koͤnnte, mit gutem
Gewiſſen und ungetruͤbter Luſt ſeine Kinder daran An-
theil nehmen zu laſſen.
§. 57.
Manche fuͤrchten zwar, durch ſolche Jnduſtrie-
Schulen moͤchte der bisher gewoͤhnliche Elementar-
Schul- und Religions-Unterricht Noth lei-
den, und nahmentlich moͤchten manche Eltern glau-
ben, ſie haͤtten ihre Schuldigkeit gethan, wenn ihre
Kinder nur abwechslungsweiſe bald in die Arbeits- bald
in die Lehrſchule befoͤrdert werden. — Allerdings waͤre
es zweckwidrig, wenn man aus uͤbertriebener Vorliebe
fuͤr die Jnduſtrie-Schulen dieſe auf Koſten der bishe-
rigen Elementar-Schulen beguͤnſtigen wollte. — Allein
dieß iſt ja auch durchaus nicht noͤthig. An den mei-
ſten Orten, wo in Wuͤrttemberg ſchon Jnduſtrie-Schu-
len beſtehen, ſind die gewoͤhnlichen Schulſtun-
den bis jezt ganz unveraͤndert geblieben, und der
Jnduſtrie-Unterricht beſchraͤnkt ſich lediglich auf die
von dem gewoͤhnlichen Elementar-Unter-
richte freyen Stunden. Es iſt zwar ſchon be-
hauptet worden, der leztere fuͤlle, beſonders an Orten,
wo die Kinder weit, zuweilen bis auf 1½ Stunde in
die Schule zn gehen haben, die ganze, im Winter oft
ſo kurze Tageszeit aus, und es wuͤrde daher keine
ſchickliche Zeit zum Jnduſtrie-Unterricht ausgemittelt
werden koͤnnen. Allein es bleibt ja noch der Sonn-
tag, es bleiben die beyden ſogenannten Vacanz-Taͤge,
an welchen des Nachmittags keine Schule gehalten
wird, es bleibt beſonders im Sommer, wo die Taͤge
laͤnger ſind, und jedes Kind nur 2 Stunden taͤglich
die Elementar-Schule zu beſuchen hat, jeden Tag noch
ſo manche Stunde uͤbrig. — Wirklich wird auch in
manchem Orte in Wuͤrttemberg die Jnduſtrie-Schule
nur an gedachten beyden Vacanztaͤgen,
nehmlich Mittwoch und Samſtag Nachmittags, gehal-
ten, und in anderen Orten wird zwar auch an den
uͤbrigen Taͤgen, aber jedesmal nur nach geendig-
ter Elementar-Schule, Jnduſtrie-Unterricht er-
theilt. Auf dieſe Art koͤnnen die Jnduſtrie-Schulen,
ob ſie gleich vielleicht in einem und ebendemſelben Ge-
baͤude und Zimmer mit den Elementar-Schulen ge-
halten werden, doch ganz von den lezteren ge-
trennt, und deſſen ungeachtet ſo eingetheilt ſeyn,
daß jedes Kind beyde beſuchen kann, ohne daß der
bisherige Elementar-Unterricht die mindeſte Aenderung
dadurch erleidet.
§. 58.
Jndeſſen iſt in einer gewoͤhnlichen Elementar-
Schule der Lehrer nicht immer im Stande, alle
Schuͤler zugleich zu beſchaͤftigen, beſonders
die kleineren; waͤhrend eine Claſſe unterrichtet wird,
ſizt indeſſen die andern muͤſſig da; wer kann es hin-
dern, daß ſie nicht durch Plaudern, Lachen, und
Muthwillen den Lehrer alle Augenblicke ſtoͤren; entwe-
weder verliert dann der Lehrer durch das unaufhoͤrliche
Abwehren und Beſtrafen ſeine Zeit, und der Unterricht
wird beſtaͤndig unterbrochen, oder er gewoͤhnt ſich an
den Laͤrmen, und laͤſſt ſeine muͤßige Schuljugend trei-
ben, was ſie will. — Ueberhaupt moͤchte es ſich fra-
gen, ob nicht dem lebhaften thaͤtigen Geiſte der Kin-
der allzuvieler Zwang angethan werde, wenn man ſie
die bisher gewoͤhnliche Zeit ununterbrochen mit
dem gewoͤhnlichen Elementar-Unterrichte
beſchaͤftigt, und ob es nicht angemeſſener waͤre, ver-
mittelſt des Jnduſtrie-Unterrichts mehr Jntereſſe
und Abwechslung in den erſteren zu bringen.
Verſchiedene der oben aufgezaͤhlten Beſchaͤftignngs-
Gegenſtaͤnde der Elementar- und Jnduſtrie-Schulen,
und zwar nahmentlich Hand- und Kopf-Arbeiten, laſ-
ſen ſich fuͤglich, und oft ſehr zweckmaͤßig, mit ein-
ander verbinden, ohne daß bey einer ſolchen Ver-
bindung die fuͤr die eine Beſchaͤftigung in Anſpruch
genommenen Kraͤfte durch die andere zerſtreut werden,
vielmehr wird durch die Verbindung der Hand-
arbeiten mit dem Elementar-Unterrichte
und die hiemit verknuͤpfte Abwechslung der leztere
fuͤr die jugendliche Lebhaftigkeit unterhaltender und an-
genehmer, und da hiedurch die Aufmerkſamkeit der
Kinder mehr feſtgehalten wird, zugleich fruchtbarer,
waͤhrend durch die Verbindung geiſtiger Uebun-
gen mit den mechaniſchen verhindert wird, daß
die Kinder nicht durch allzu-einfoͤrmige Beſchaͤftigung
der Haͤnde ſelbſt zu Maſchinen werden. — Es duͤrfte
daher durchaus nicht unangemeſſen ſeyn, wenn die
Jnduſtrie-Schulen in naͤhere Verbindung
mit den bisherigen Elementar-Schulen ge-
ſezt wuͤrden, wie dieß auch durch ein Reſcript des
evangeliſchen Conſiſtoriums vom 31. Maͤrz 1818. aus-
druͤcklich befohlen, und in mehreren wuͤrttembergiſchen
Orten, und zwar ſelbſt in Orten, wo man ſich auf
ein einziges durchaus nicht geraͤumiges Schulzimmer
beſchraͤnken muß, bereits geſchehen iſt.
§. 59.
Bereits gibt es in Wuͤrttemberg Elementar-Schu-
len, wo die Kinder ſich waͤhrend des Religions-
Unterrichts mit Stricken ꝛc. beſchaͤftigen, oder
wo man wenigſtens diejenige, an welchen nicht gerade
das Penſum iſt, neben dem Lernen ſtricken laͤſſt, ſo
wie im Gegentheil waͤhrend der Handarbeiten
nuͤtzliche Unterredungen mit ihnen gefuͤhrt, ihnen
bibliſche oder andere lehrreiche Geſchichten erzaͤhlt,
oder moraliſche und andere nuͤtzliche Schriften vor-
geleſen, auch Spruͤche und Lieder von ihnen aus-
wendig gelernt, und andere Gedaͤchtniß- und
ſelbſt Rechnungs-Uebungen mit ihnen vorgenom-
men werden. — Am zweckmaͤßigſten laͤſſt ſich jedoch
die Sache da einrichten, wo fuͤr die Handarbeiten be-
ſondere Lehrer, und beſondere Zimmer, beſonders wenn
leztere in ebendemſelben Gebaͤude vorhanden ſind. Jn
dieſem Falle koͤnnen ſaͤmmtliche Kinder nach Maßgabe
ihres Alters oder ihrer Faͤhigkeiten und Kenntniſſe in
2 oder 3 Abtheilungen oder Claſſen einge-
theilt, und waͤhrend dann die eine dieſer Claſſen in
der Elementar-Schule den ordentlichen Unterricht ge-
nießt, die andere in der Jnduſtrie-Schule unter Auf-
ſicht gehalten und beſchaͤftigt werden, ſo daß alſo die
verſchiedenen Claſſen in der Elementar-Schule in der
Regel nie, als am Anfang und Ende derſelben bey
der gemeinſchaftlichen Andacht zuſammen kommen.
Dieſe Einrichtung iſt ſchon durch die Katholiſche Schul-
Ordnung empfohlen, und auch wirklich in mehreren
wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen eingefuͤhrt.
§. 60.
Der Wechſel kann alle Stunden, oder auch je
nur nach Verfluß mehrerer Stunden Statt finden, je
nachdem die Beduͤrfniſſe der Kinder es erfordern, und
der Elementar-Lehrer eine groͤßere oder kleinere Anzahl
von Kindern zu gleicher Zeit zu beſchaͤftigen im Stande
iſt. Es kann alſo auch dafuͤr geſorgt werden, daß nicht
nur uͤberhaupt die Lehrſchule, wie dieß die katho-
liſche Schul-Ordnung vorſchreibt, immer das Erſte
bleibt, und die Arbeits-Schule nur als ein Anhang
derſelben zu betrachten iſt, ſondern daß auch einzelne
Claſſen von Kindern, und ſelbſt einzelne Kinder,
welche den Elementar-Unterricht noch noͤthiger haben
als andere, oͤfter und laͤnger als dieſe, an dem
letzteren Theil nehmen. Es koͤnnen ferner bey dieſer
Einrichtung fuͤr den Elementar-Unterricht der-
jenigen Kinder, welche von ihren Eltern viel zu Haus-
und Feldarbeiten angehalten werden, und mithin den
Schul-Unterricht in Handarbeiten weniger, deſto mehr
aber den Elementar-Unterricht noͤthig haben, ſolche
Taͤge und Stunden gewaͤhlt werden, in
welchen ihre Eltern ſie am Beſten entbehren
koͤnnen, was um ſo eher geſchehen kann, als eben
dieſe Stunden auch ein Elementar-Schullehrer, welcher
vielleicht ebenfalls eigene Haus- und Feldgeſchaͤften hat,
am liebſten dem Schul-Unterrichte wiedmen wird. —
Jm Allgemeinen laͤßt ſich jedoch in dieſer Hinſicht
nicht wohl etwas beſtimmen, vielmehr ſollte den geiſt-
lichen und weltlichen Vorſtehern eines jeden Ortes uͤber-
laſſen werden, unter Ruͤckſprache mit den Lehrern und
unter genauer Beruͤckſichtigung der beſonderen Verhaͤlt-
niſſe des Ortes und der einzelnen Ortsbewohner einen
- nach Beſchaffenheit der Jahrszeit und anderen Um-
ſtaͤnde ſogar veraͤnderlichen - wenn gleich zum Voraus
feſtzuſetzenden beſtimmten Lehr- und Stunden-
plan zu verfaſſen, welcher deßwegen doch einer hoͤhe-
ren Pruͤfung und Genehmigung unterworfen werden
koͤnnte. — Selbſt die Zahl der Stunden, welche
auf jeden Theil des Elementar-Unterrichts taͤglich ver-
wendet werden muͤſſen, duͤrfte vielleicht uicht ſo ganz
unabaͤnderlich zu beſtimmen, vielmehr moͤchte es viel-
leicht angemeſſen ſeyn, mehr nur den Grad von
Kenntniſſen, welcher von jedem Kinde in jedem
Alter erwartet wird, alſo das Ziel, nach welchem bey
jedem Kinde geſtrebt werden ſoll, als die darauf zu ver-
wendende Zeit, im Allgemeinen feſtzuſetzen. — Jn
dieſem Falle koͤnnten vielleicht ſelbſt die bisher gewoͤhn-
lichen Elementar-Schul-Stunden, wenigſtens
bey einzelnen faͤhigeren und fleißigeren Kindern, ver-
kuͤrzt, und jedes Kind, ſobald es dasjenige, was
ihm aufgegeben war, gelernt haͤtte, in die Arbeits-
Schule abgegeben, ein anderes aber, welches das Auf-
gegebene auch in der vollen Elementar-Schulzeit nicht
lernen ſollte, auch uͤber dieſe Zeit in der Elementar-
Schule zuruͤckbehalten werden. — Auf ſolche Art laſſen
ſich gewiß die Jnduſtrie-Schulen auf das Jn-
nigſte mit den bisherigen Elementar-Schu-
len verbinden, ohne daß der Elementar-Unterricht
im Mindeſten dabey verliert. Und wenn durch dieſe
Jnduſtrie-Schulen zugleich den Kindern Gelegenheit
verſchafft wird, ihr Stuͤckchen Brod, das ſie vorher
zum Theil ſo muͤhſelig und bey jeder Witterung vor
fremder Thuͤre in weit entlegenen beſſern Orten ſich
erbetteln mußten, beſſer und ruhiger zu Hauſe verdienen
zu koͤnnen, wenn durch eine zweckmaͤßige Stunden-
Eintheilung es den Eltern moͤglich gemacht wird, ihre
Kinder unbeſchadet ihrer eigenen Haus- und Feldge-
ſchaͤfte an dem oͤffentlichen Unterrichte Theil nehmen
zu laſſen, und wenn durch angemeſſene Abwechslung
den Kindern dieſer Unterricht unterhaltender und ange-
nehmer gemacht wird; ſo werden ſelbſt die bisherigen
Verſaͤumniſſe der Kirche und ordentlichen
Elementar-Schule ſich vermindern, und die
Jnduſtrie-Schulen werden, ſtatt den Elementar-Unter-
richt zu hindern, vielmehr demſelben Befoͤrderung
und Vorſchub leiſten, und ihm zur Nachhuͤlfe
und Wiederhohlung dienen.
§. 61.
Ferner fuͤrchten einige, die Kinder moͤchten allzuſehr
mit Geſchaͤften uͤberladen, und es moͤchte
durch allzuanhaltende ernſthafte Beſchaͤftigung derſelben
ihr Frohſinn zu ſehr unterdruͤckt werden. —
Allerdings verdient dieſe Beſorgniß alle Beruͤckſichti-
gung, und es kann daher in keinem Falle die Meinung
ſeyn, daß an jedem Orte alle oben aufgezaͤhlten Ge-
genſtaͤnde mit den Kindern getrieben werden ſollen, viel-
mehr ſind dieſelben nur aufgezaͤhlt und zuſammengeſtellt
worden, um eine zweckmaͤßige Auswahl der nach den
beſonderen Verhaͤltniſſen eines jeden Ortes angemeſſen
ſcheinenden Beſchaͤftigungs-Gegenſtaͤnde zu erleichtern.
— Ueberdieß muß aber fuͤr gehoͤrige Erhohlung und
angemeſſene Erheiterung der Kinder moͤglichſt ge-
ſorgt werden. — Jn dieſer Hinſicht moͤchte ihnen das
Sprechen miteinander bey Handarbeiten, womit
es ſich nur immer vertraͤgt, nicht zu erſchweren ſeyn,
ſo lange es nicht zu rauſchend wird, oder in Erzaͤhlung
von Geſpenſtergeſchichten, Klatſchereyen, Zoten, und
ſchaͤndliche Reden ausartet. — Beſonders aber iſt der
Geſang, der, wenn die Lieder ſowohl in Ruͤckſicht
der Gegenſtaͤnde, als der Darſtellung gut gewaͤhlt, und
die Kinder gewoͤhnt werden, zu verſtehen und zu fuͤhlen,
was ſie ſingen, nicht nur als Erheiterungs- ſondern
ſelbſt als moraliſches Bildungsmittel dienen kann, ſehr
zu empfehlen, und es wird deßwegen in mehreren
wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen den Kindern nicht
nur erlaubt, waͤhrend der Arbeit Lieder uͤber die Pflich-
ten des Lebens, uͤber große und erhabene Natur-Er-
ſcheinungen, uͤber die Arbeiten des Landmanns, oder
ſonſtige lehrreiche und erheiternde Linder zu ſingen, ſon-
dern es wird ihnen auch zum Theil foͤrmlicher Unter-
richt im Singen nach der einfachen Naͤgelin'ſchen
(Schweizer-) Methode ertheilt. — Ueberdieß ſollten ſie
unter gehoͤriger Aufſicht fleißig ſpazieren, und uͤber-
haupt in's Freye, auch an Orten, wo ſich gute
und ſichere Gelegenheit dazu darbietet, im Sommer
von Zeit zu Zeit in ein Flußbad gefuͤhrt, und nach
Umſtaͤnden zum Schwimmen angeleitet werden, ſo
wie uͤberhaupt allerhand einfache gymnaſtiſche
Uebungen, z. B. Gleiten (Schleifen) auf dem Eiſe,
Klettern, Springen, ꝛc. und andere unſchuldige Spiele,
unter gehoͤriger Aufſicht, beſonders fuͤr diejenigen Kin-
der, welche nicht zu landwirthſchaftlichen Arbeiten an-
geleitet und angehalten werden koͤnnen, ſehr angemeſſen
ſeyn moͤchten. — Selbſt dieſe Erhohlungen koͤnnen
zum Theil ſo eingeleitet werden, daß ſie zugleich unter-
richtend ſind, denn auch auf dem Felde wird der Leh-
rer reichen Stoff finden, um die Wißbegierde der Kin-
der zu reizen, ihren Beobachtungsgeiſt zu ſchaͤrfen, und
ſie im Nachdenken zu uͤben, beſonders um ihnen na-
turhiſtoriſche Kenntniſſe beyzubringen, und ſie uͤber
Gottes Daſeyn und Eigenſchaften zu belehren. — Auf
dieſe Art wird es nicht ſchwer ſeyn, an jedem Orte
die Zeit der Kinder dergeſtalt auszufuͤllen, daß ſie vom
Morgen bis in die Nacht, oder wenigſtens ſo lange,
bis ihnen keine Zeit und Luſt zum Betteln mehr uͤbrig
bleibt, auf eine ſolche Art beſchaͤftigt und unter Auf-
ſicht gehalten ſind, daß weder die Lehrer uͤberladen
werden, noch die Geſundheit und der Frohſinn der Kin-
der darunter Noth leiden.
§. 62.
Jn Hinſicht auf das Alter der Kinder iſt
zwar allerdings eine anhaltende und angemeſſene Be-
ſchaͤftigung ganz kleiner Kinder anfaͤnglich mit
vielen Schwierigkeiten verbunden, und ſelten treten da-
her in die in Wuͤrttemberg bereits beſtehenden Jndu-
ſtrie-Schulen die Kinder ſchon mit dem vierten oder
fuͤnften, gewoͤhnlich mit dem ſechsten oder ſiebenten,
zuweilen auch erſt mit dem zehenten Jahre ein. Allein
die Erfahrung hat gelehrt, daß ſelbſt Kinder von 4
Jahren ſich oft in kurzer Zeit ſehr an Ordnung und
Arbeitſamkeit gewoͤhnen laſſen, und da bey ſolchen
Kindern alsdann von dem weiteren Unterrichte Fruͤchte
zu erwarten ſind, welche man mit aller Muͤhe bey ei-
nem großen Theile derjenigen Kinder, welche bis in
das 9te oder 10te Jahr ſich ganz ſelbſt uͤberlaſſen wa-
ren, vergeblich zu erzielen ſtreben wuͤrde, ſo ſollten ſie
wo moͤglich ſchon mit dem 4ten bis 5ten, in jedem
Falle aber wenigſtens mit dem 6ten Jahre, in welchem
ſie auch in die Elementar-Schulen eintreten muͤſſen, in
die Anſtalt gebracht werden. — Was die Zeit des
Austritts betrifft; ſo werden zwar in einigen wuͤrt-
tembergiſchen Jnduſtrie-Schulen die jungen Leute, ob
ſie gleich bereits ganz erwachſen ſind, bis in das ſech-
6
zehnte, zwanzigſte ꝛc. Jahr beybehalten. Allein dieſe
lange Theilnahme derſelben ſcheint dem Zwecke nicht
ganz zu entſprechen, nicht nur, weil die jungen Leute
ſelbſt, wenn ſie einmal ein gewiſſes Alter erreicht ha-
ben, nicht mehr auf jedem Tritte und Schritte von
Eltern und Lehrern gegaͤngelt, ſondern nach und nach
gewoͤhnt werden ſollten, von ihrem freyen Willen Ge-
brauch zu machen, und ſich allmaͤhlich zu ſelbſtſtaͤndi-
gen Menſchen zu bilden, ſondern auch, weil in dieſem
Falle diejenige innige Verbindung der Jnduſtrie-Schule
mit der Elementar-Schule, welche nach dem Obigen
zu wuͤnſchen waͤre, nicht moͤglich iſt, und uͤberdieß die
Theilnahme junger Leute, welche im Alter ſchon ſo
weit vorgeruͤckt, und nicht ſelten ſchon in Dinge ein-
geweyht ſind, welche der zaͤrteren Jugend fremd blei-
ben ſollten, leicht der Unſchuld der letzteren gefaͤhrlich
werden koͤnnte. Es moͤchte daher angemeſſener ſeyn,
wenn, wie auch wirklich an den meiſten Orten geſchieht,
die Beſchaͤftigung der erwachſenen Armen ganz abge-
ſondert von den Kinder-Jnduſtrie-Schulen eingeleitet,
und in dieſen jedes Kind nur bis zu ſeiner Confirma-
tion, oder uͤberhaupt bis zu der Zeit, da es ohnehin
auch aus der Elementar-Schule entlaſſen wird, alſo
bis nach zuruͤckgelegtem 14ten Jahre, beybehalten wird,
wie dieß auch in den wuͤrttembergiſchen Waiſenhaͤuſern
bisher beobachtet worden iſt. —
§. 63.
Es glauben zwar manche, daß eine Anſtalt dieſer
Art fuͤr das maͤnnliche Geſchlecht weniger
nothwendig ſey, als fuͤr das weibliche, und
wirklich iſt nur ein geringer Theil der in Wuͤrttemberg
beſtehenden Jnduſtrie-Schulen fuͤr Kinder beyderley
Geſchlechts eingerichtet, vielmehr beſchraͤnken ſich die-
ſelbe in den meiſten Orten lediglich auf die Maͤdchen.
Allein aus dem, was im Vorhergehenden geſagt iſt,
wird erhellen, daß ſie fuͤr beide Geſchlechter ein gleich
dringendes Beduͤrfniß ſind, und daß ſie daher noth-
wendig beyde Geſchlechter, Knaben und Maͤdchen,
umfaſſen ſollten, wovon man ſich auch an vielen Or-
ten bereits uͤberzeugt hat. Wegen Trennung und Entfernthaltung der beyden Ge-
ſchlechter von einander S. §. 89.
§. 64.
Andere glauben ferner, mit dem Stande man-
cher Eltern ſey die Theilnahme ihrer Kinder an
einer ſolchen Anſtalt nicht vereinbarlich. Allein
da der Staat gleiche Pflicht fuͤr die gute Erziehung
aller ihm angehoͤrigen Kinder ohne Ausnahme hat; ſo
kann der Stand an und fuͤr ſich von dieſer Theilnahme
niemand befreyen, vielmehr iſt es billig, daß jedes
Kind, das nicht aus anderen Gruͤnden freygelaſſen
werden muß, ſich derſelben ohne Ruͤckſicht auf den
Stand der Eltern unterwerfe. — Es muͤſſte ſchon
einen Widerwillen der aͤrmeren Kinder und Eltern ge-
gen die Sache erregen, wenn nur ſie einer ſolchen
Aufſicht unterworfen, und die Kinder der Wohlhaben-
deren davon freygelaſſen wuͤrden, wohingegen es die
Anſtalt in der oͤffentlichen Meinung heben, und die
aͤrmeren Kinder und Eltern zu waͤrmerer Theilnahme
ermuntern wuͤrde, wenn auch wohlhabendere Eltern
ihre Kinder Theil nehmen ließen, und ſomit oͤffent-
lich bewieſen, daß ſie die Theilnahme an einer ſolchen
6 *
Anſtalt durchaus fuͤr keine Schande halten, waͤhrend
zugleich auch den Lehrern ihr Geſchaͤfte durch die Theil-
nahme wohlgezogener Kinder erleichtert werden, und
ſchon das gute Beyſpiel der letzteren auf minder gut
gezogene Kinder vortheilhaft wirken duͤrfte.
§. 65.
Daher ſind auch die in Wuͤrttemberg bereits be-
ſtehenden Jnduſtrie-Schulen zwar in manchen Orten
nur fuͤr ſolche Kinder, welche von ihren Eltern nicht
gehoͤrig unterrichtet, vielmehr ſich ſelbſt uͤberlaſſen, und
zum Holzſammeln oder gar zum Betteln angehalten
werden, uͤberhaupt nur fuͤr arme Kinder beſtimmt,
oder ſie werden wenigſtens nur von Kindern dieſer
Claſſe beſucht; groͤßtentheils aber ſind ſie fuͤr alle,
ſowohl reiche als arme Kinder beſtimmt, oder
werden wenigſtens die erſteren auf Verlangen ebenfalls
zugelaſſen, und wirklich nehmen auch an vielen Orten
nicht nur einzelne, ſondern zum Theil die meiſten Kin-
der der Vermoͤglicheren, ja es nehmen ſogar in eini-
gen Orten die Kinder der Reichen mehr, als die der
Armen, an der Anſtalt Theil.
§. 66.
Jndeſſen duͤrfte die Beſorgniß mancher Eltern, daß
durch die Gemeinſchaft mit ſchlecht gezogenen Kindern
die ihrigen verdorben werden moͤchten, uͤberhaupt der
Widerwille mancher Eltern gegen eine ſolche Gemein-
ſchaft doch auch wieder Beruͤckſichtigung verdienen, und
es moͤchte daher kein Hinderniß in den Weg zu legen
ſeyn, wenn fuͤr die Kinder der gebildeteren
Staͤnde, ſo fern es unbeſchadet des Raums und
Unterrichts fuͤr die uͤbrigen Kinder und ohne Vermeh-
rung der Koſten fuͤr die oͤffentlichen Caſſen geſchehen
koͤnnte, beſondere Jnduſtrie-Schulen errichtet
werden wollten, wie auch bereits in Hinſicht auf den
moraliſchen und intellectuellen Unterricht aͤhnliche ſoge-
nannte Privat-Schulen und Privat-Stunden
beſtehen.
§. 67.
Beſondere Ruͤckſicht jedoch verdient die Behaup-
tung, daß ſehr viele Eltern, beſonders in aͤrmeren
Familien, ihre Kinder nicht, wenigſtens nicht den
ganzen Tag uͤber, entbehren koͤnnen oder wol-
len, weil ſie dieſelben von fruͤher Jugend an, beſon-
ders aber, wenn ſie einmal heranwachſen, ſo fern nur
immer ihre Kraͤfte es erlauben, die meiſte Zeit zu
ihrer Unterſtuͤtzung und zur Beyhuͤlfe in
ihrem Nahrungs-Erwerbe noͤthig haben. —
Hauptſaͤchlich ſollen viele Eltern ihre Kinder zur Bey-
huͤlfe und Unterſtuͤtzung bey ihren eigenen Gewer-
ben und Geſchaͤften, und beſonders in den Doͤr-
fern, und uͤberhaupt in Orten, welche ſich von dem
Acker- und Weinbau, der Baumzucht, und der Vieh-
zucht naͤhren, dieſelben, beſonders die Knaben, deu
Sommer uͤber vom Fruͤhjahr bis tief in den Herbſt
hinein zu Feldarbeiten und zum Viehhuͤten, uͤberhaupt
zu landwirthſchaftlichen Geſchaͤften, wozu ſie oft gar
nicht einmal Tagloͤhner haben koͤnnten, nothwendig
brauchen, waͤhrend andere Kinder zu Hauſe die juͤn-
geren Geſchwiſter huͤten, auch andere haͤusliche Ge-
ſchaͤfte verrichten, uͤberhaupt das Hausweſen verſorgen
muͤſſen, damit die Eltern deſto eher ihren Arbeiten ob-
liegen koͤnnen. — Manche Eltern verdingen auch
ihre Kinder an Andere um einen kleinen Lohn,
oder ſchicken ſie dieſelbe hinaus, um Holz zu ſam-
meln, Sand zuzubereiten und auszutra-
gen ꝛc. ꝛc., und behaupten, daß ſie bey dergleichen
ſelbſtgewaͤhlten Arbeiten mehr Vortheil und Unter-
ſtuͤtzung finden, als wenn ſie ihre Kinder in oͤffent-
liche Beſchaͤftigungs-Anſtalten abgeben muͤſſten, ſo
daß es alſo ihr Ungluͤck waͤre, wenn ihnen die Bey-
huͤlfe ihrer Kinder entzogen wuͤrde. —
„Wenn daher“, heißt es an mehreren Orten,
„bisher ſchon, nicht nur die Eltern ſich genoͤthigt ge-
ſehen haben, jede Stunde, welche ihren Kindern die
gewoͤhnliche Elementar-Schule uͤbrig gelaſſen habe,
zu benuͤtzen, um in der Beyhuͤlfe derſelben einige Un-
terſtuͤtzung zu finden, ſondern es auch den geiſtlichen
und weltlichen Orts-Vorgeſezten nicht immer, beſon-
ders den Sommer hindurch, moͤglich geweſen ſey,
ſelbſt Verſaͤumniſſe der ordentlichen Schule zu vermei-
den, weil die Eltern ihre Kinder oft allzunothwendig
zu ihren Haus- und Feldgeſchaͤften brauchen, ſo wuͤr-
de es noch viel weniger moͤglich ſeyn, die Eltern zu
vermoͤgen, daß ſie ihre Kinder in eine ſolche Jnduſtrie-
Schule ſchickten, und daher dieſelbe, beſonders den
Sommer hindurch, beſtaͤndig leer ſtehen.“ —
An vielen Orten widerſezt man ſich daher theils
ganz der Errichtung einer Jnduſtrie-Schule, theils
wird dieſelbe wenigſtens den Sommer uͤber ausgeſezt,
und, beſonders fuͤr die Knaben, nur zur Winterszeit,
zwiſchen Martini und Georgii, drey, vier, hoͤchſtens
ſechs Monate lang gehalten.
§. 68.
Wirklich ſcheint auch kein hinreichender Grund
vorhanden zu ſeyn, diejenigen Eltern, welche an Or-
ten, wo es nicht an Privat-Gelegenheit fehlt,
die Kinder einzeln in nuͤtzlichen Handar-
beiten unterrichten zu laſſen, von dieſer Ge-
legenheit Gebrauch machen wollen, oder welche ihre
Kinder ſelbſt zu ſolchen Arbeiten privatim
anleiten, und unter ihrer eigenen Aufſicht
dazu anhalten koͤnnen und wollen, in dieſer Hin-
ſicht beſchraͤnken, und die Kinder waͤhrend der Stun-
den, in welchen dieß der Fall iſt, der Diſpoſition
ihrer Eltern entziehen, und zur Theilnahme an der oͤf-
fentlichen Beſchaͤftigungs- und Aufſichts-Anſtalt zwin-
gen zu wollen. Offenbar wuͤrde dadurch ohne Noth
mancher armen Perſon, z. B. mancher Naͤherinn, ihr
bisheriger mit dem Unterrichte der Kinder vermoͤglicher
Eltern verbundener Verdienſt entzogen, und es wuͤrde
oft ſchon an dem fuͤr ſo gar viele Kinder erforderlichen
Lehr- und Aufſichts-Perſonal und Local, und den noͤ-
thigen Geldmitteln fehlen, oder wenigſtens der Raum
auf Koſten der - einer ſolchen Fuͤrſorge beduͤrftigeren
Kinder zu ſehr beengt, und der Koſtens-Aufwand fuͤr
die oͤffentlichen Kaſſen unnoͤthig vermehrt. — Man
laſſe daher jedem, ſey er reich oder arm, ſo viel als
moͤglich vollkommene Freyheit, ſeine Kinder zu be-
ſchaͤftigen, mit was und wo es ihm beliebt. Ja man
geſtatte ſogar, wenn ſich Wohlhabendere frey-
willig zur Theilnahme an der Anſtalt mel-
den, ihnen dieſelbe nur, wenn es ohne Beengung
des Raums fuͤr die aͤrmeren Kinder, uͤberhaupt unbe-
ſchadet der auf dieſe zu verwendenden Sorgfalt ge-
ſchehen kann, nur gegen einen verhaͤltnißmaͤßigen Bei-
trag zu Beſtreitung der Koſten des Ganzen, und nur
unter der Bedingung, daß ſie ſich ganz, wie jedes
andere Kind, in den Plan und die allgemeinen Ge-
ſetze und Ordnungen der Anſtalt fuͤgen muͤſſen.
§. 69.
Aber es gibt ja, wie oben gezeigt worden iſt, ſo
viele Stunden, Taͤge, Wochen, Monate, be-
ſonders im Winter, in welchen ſelbſt die beguͤ-
terten, und die fuͤr das Wohl ihrer Kinder beſorgten
Eltern ihnen keine angemeſſene Beſchaͤftigung
zu verſchaffen wiſſen, — ſo viele Eltern,
welche ſelbſt keine nuͤtzliche Arbeit verſtehen,
oder ſelbſt nicht hinlaͤnglich und angemeſſen
beſchaͤftigt ſind, mithin noch weniger ihre Kinder
gehoͤrig anleiten und beſchaͤftigen koͤnnen, waͤhrend ſie
zu arm ſind, um ihnen Privat-Unterricht in ſolchen
Arbeiten ertheilen zu laſſen, — Eltern, welche durch
die Selbſtbeſchaͤftigung ihrer Kinder an ihren eige-
nen Geſchaͤften und dem davon abhaͤngenden
Brod-Erwerb verhindert wuͤrden, und daher
dieſelben entweder deßwegen, oder auch aus Nach-
laͤſſigkeit ohne die gehoͤrige Beſchaͤftigung und Auf-
ſicht laſſen. —
Es bleiben alſo, beſonders im Winter, Stunden
genug uͤbrig, auf welche bei einem großen Theile der
Kinder obige Ausreden keine Anwendung finden, —
in vielen Orten das ganze Jahr uͤber Kinder genug,
bey welchen das Obige kein Grund ſeyn kann, ſie
von der oͤffentlichen Jnduſtrie-Schule frey zu ſprechen,
oder wenigſtens ihren Unterricht in derſelben den gan-
zen Sommer uͤber zu unterbrechen, ſo daß zulezt alles,
was ſie den Winter uͤber gelernt haben, wo nicht ver-
geſſen, doch wenigſtens außer Uebung gebracht wird. —
Und wenn gewiſſenloſe Eltern ihre Kinder zum Nach-
theil ihrer Geſundheit allzufruͤhe und allzu-
ſtrenge zu allzuharten Arbeiten anhalten,
oder dieſelbe zu Verrichtungen, welche ihnen an und
fuͤr ſich moraliſch-nachtheilig ſind, mißbrau-
chen; ſo iſt es Pflicht der Obrigkeit, ſie ſelbſt in ſol-
chen Stunden, in welchen die Eltern ſie wirklich zu
dergleichen Privat-Geſchaͤften gebrauchen wollen, zur
Theilnahme an der oͤffentlichen Jnduſtrie-Anſtalt an-
zuhalten. — Es iſt daher gewiß zweckmaͤßiger, wenn
die Jnduſtrie-Schulen, wie dieß auch wirklich in man-
chem Orte der Fall iſt, das ganze Jahr uͤber
fortgehalten, oder doch wenigſtens nur uͤber die
Zeit der Heu- und Frucht-Ernte, des Herbſtes ꝛc.
ausgeſezt, und nur einzelne Kinder, deren beſon-
dere Verhaͤltniſſe eine Ausnahme noͤthig oder zulaͤſſig
machen, je nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde auf laͤn-
gere oder kuͤrzere Zeit ganz oder nur in Beziehung auf
gewiſſe Stunden davon freigeſprochen werden.
§. 70.
Bey der großen Abneigung jedoch, welche
uͤberhaupt ſo viele Kinder und Eltern gegen alle An-
ſtalten dieſer Art zeigen, iſt es raͤthlich, ſo viel moͤg-
lich alles zu vermeiden, was ihnen die Theilnahme
daran erſchweren, und nichts zu verſaͤumen, was
ihnen dieſelbe anziehender machen kann. — Jn
mehreren wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen muͤſſen
daher zwar diejenigen Eltern, welche nicht in die Ca-
thegorie der Armen gehoͤren, woͤchentlich, monatlich,
oder jaͤhrlich, entweder an das Lehrperſonal, oder an
die Jnſtituts-Caſſe ein gewiſſes Schul- oder Lehr-
geld fuͤr ihre Kinder bezahlen, welches ſich je nach
Verſchiedenheit der Vermoͤgens-Umſtaͤnde und oͤrtlichen
Verhaͤltniſſe jaͤhrlich auf 1 bis 6 fl. belaͤuft; armen
Kindern hingegen wird, da oft ſelbſt vermoͤglichere El-
tern kaum zu bewegen ſind, das geringe Lehrgeld zu
entrichten, ja es wird an manchen Orten ſogar den
Kindern der Vermoͤglichen die Theilnahme an dem
Jnſtitut unentgeldlich geſtattet, oder das Jnduſtrie-
Schulgeld aus oͤffentlichen Kaſſen fuͤr ſie bezahlt. —
Auch gibt es Orte, wo, um die Theilnahme an der
Jnduſtrie-Schule zu befoͤrdern, die dieſelbe beſuchen-
den Kinder uͤberdieß von dem Elementar-Schulgeld
freygeſprochen werden, oder wohl auch Schulbuͤcher,
Schreib-Materialien ꝛc. unentgeldlich erhalten,
oder wo die Werkzeuge auf oͤffentliche Koſten ange-
ſchafft, und ihnen wo nicht Schenkungs- doch wenig-
ſtens Lehnungs-weiſe unentgeldlich abgegeben werden.—
§. 71.
Beſonders duͤrfte es aber zur Aufmunterung der
Kinder ſowohl, als zu Befoͤrderung der Theilnahme
der Eltern dienen, wenn den erſteren durch die Jn-
duſtrie-Schule Gelegenheit verſchaft wuͤrde, ſich darin
etwas zu erwerben, oder zu Erhaltung ihrer
Familie etwas beyzutragen. — Daß in dieſer
Hinſicht denjenigen Kindern, welche das Arbeits-Ma-
terial ſelbſt mit in die Schule gebracht haben, auch
das Fabrikat uͤberlaſſen wird, und daß zuwei-
len den aͤrmeren aus ihrer Mitte auch ſolche in der
Schule gefertigte Fabrikate, wozu das Jnſtitut das
Material angeſchafft hat, beſonders alsdann geſchenkt
werden, wenn ſie als Anfaͤnger-Arbeit mißrathen, oder
ſonſt unverkaͤuflich ſind, iſt bereits oben bemerkt wor-
den. An einigen Orten wird den Schuͤlern der ganze
Erloͤß aus ihrer Arbeit, theils mit, theils ohne
Abzug deſſen, was die Materialien gekoſtet haben,
uͤberlaſſen. — Vorzuͤglicher jedoch ſcheint die an vielen
Orten, beſonders da, wo fuͤr Fremde gearbeitet wird,
beſtehende Einrichtung zu ſeyn, nach welcher die Kin-
der fuͤr ihre Arbeit einen Lohn, und zwar eben denſelben
Lohn, welcher auch ſonſt im gemeinen Leben fuͤr Ar-
beiten von gleicher Beſchaffenheit bezahlt wird, erhal-
ten; es muß jedoch nur wirklich kaufmannsgute Waare
fuͤr gut angenommen, und fuͤr verdorbene oder ganz
unbrauchbare Fabrikate auch nur ein verhaͤltnißmaͤßig
kleinerer oder auch gar kein Lohn bezahlt werden; hie-
durch wird, wie die Erfahrung bereits gelehrt hat, der
Eifer, gut und fleißig zu arbeiten, ungemein erhoͤht,
und bey fleißigen Kindern belaͤuft ſich zum Theil ihr
Verdienſt bereits hoͤher, als das Allmoſen, das ſie zu-
vor erhielten; es gibt Kinder, welche ſich woͤchentlich
von 3 kr. bis 48 kr., zum Theil auch uͤber 1 Gulden
auf dieſe Art verdienen. — Ueber den Verdienſt der
Kinder wird nicht nur ein eigenes Buch gefuͤhrt, ſon-
dern es erhaͤlt auch jedes Kind ſein eigenes Arbeits-
buͤchlein, in welches ihm jede gelieferte Arbeit, nebſt
dem ihm dafuͤr gebuͤhrenden Verdienſte, eingeſchrieben
wird, eine Einrichtung, welche nicht nur den Nutzen
gewaͤhrt, daß mit jedem neu eingeſchriebenen Verdien-
ſte das Kind eine neue Aufmunterung zum Fleiße er-
haͤlt, und gewoͤhnt wird, ſeinen Fleiß als die Be-
dingung eines jeden Erwerbs anzuſehen, ſondern auch
zugleich zur Aufmunterung der Eltern dient, ihre Kin-
der zum fleißigen Beſuche der Jnduſtrie-Schule anzu-
halten. — An einigen Orten wird den Kindern ihr
Arbeitslohn ſo lange nicht ausbezahlt, bis ſie con-
firmirt werden, und aus der Schule treten, wo ihnen
dann Kleidung dafuͤr angeſchafft wird, oder wird ihnen
wenigſtens ihr Verdienſt ſo lange zuſammenge-
ſpart, bis ihnen ein Kleidungsſtuͤck dafuͤr angeſchafft
werden kann. Anziehender moͤchte es jedoch fuͤr die
Kinder und Eltern ſeyn, wenn der Verdienſt, wie
auch wirklich an anderen Orten geſchieht, oͤfter ausbe-
zahlt, und nur etwa der Antheil derjenigen Kinder
und Eltern, welchen derſelbe nicht wohl anvertraut
werden koͤnnte, in beſondere Verwaltung genommen
wuͤrde, wozu die in Stuttgart beſtehende wuͤrttem-
bergiſche Sparkaſſe ein ſehr einfaches Mittel darbietet,
daher auch bereits mehrere Kinder von ihrem Lohne
etwas in dieſe Caſſe eingelegt haben.
§. 72.
Es gibt zwar Jnduſtrie-Schulen in Wuͤrttemberg,
wo man die Kinder, um ſie deſto gewiſſer vom Muͤßig-
gang und Bettel, und anderem Unfug abzuhalten,
uͤber Verdienſt bezahlt, oder mit dem Arbeits-
lohn eine gewiſſe Zulage, eine Praͤmie, ein
Allmoſen verbindet, deren Groͤße von dem Fleiße
der Kinder abhaͤngig iſt. —
An einigen Orten bekommen auch die Kinder bey
fleißigem Schulbeſuch Brod und warmes Eſſen
in der Schule, was nach gemachten Erfahrungen ein
ſehr gutes Mittel ſeyn ſoll, ſie vom Auslaufen auf den
Bettel abzuhalten. — Auch hat man ſchon die Ein-
richtung getroffen, daß die Jnduſtrie-Schuͤler unent-
geldliche Kleidung erhalten, welche ſie, wenn ſie
nicht fortfahren, die Schule regelmaͤßig zu beſuchen,
wieder abgeben muͤſſen. — Allein abgeſehen auch da-
von, daß dieſe Einrichtung fuͤr manche Gemeinde zu
koſtſpielig ſeyn moͤchte, duͤrfte hiebey doch zu bedenken
ſeyn, daß eine unverhaͤltnißmaͤßig hohe Belohnung den
Kindern leicht einen uͤbertriebenen Begriff von dem
Werthe ihrer Arbeit beybringen, oder ſie, wenn ſie
auch bey langſamer oder ſchlechter Arbeit doch gut be-
lohnt werden, ſtatt ihren Gewerbfleiß anzuſpornen,
vielmehr zur Traͤgheit und Gleichguͤltigkeit verleiten
koͤnnte. — Es duͤrfte daher zwar nach Beſchaffenheit
der Umſtaͤnde ganz angemeſſen ſeyn, den Kindern und
Eltern, z. B. durch oͤffentliche Speiſe-Anſtalten, Ge-
legenheit zu geben, ihre Lebensbeduͤrfniſſe ſich ſo gut
und wohlfeil als moͤglich anzuſchaffen, aber jede An-
ſtalt dieſer Art, und alles Allmoſengeben, ſo wie uͤber
haupt alles, was nicht in unzertrennlicher Verbindung
mit der Kinder-Jnduſtrie ſteht, ſollte ganz abgeſondert
von dieſer behandelt werden, wie man dieß an eini-
gen Orten in Wuͤrttemberg auch bereits eingeſehen und
eingeleitet hat.
§. 73.
Wenn aller dieſer Gruͤnde, Erleichterungen, und
Beguͤnſtigungen ungeachtet manche Eltern und Pfle-
ge-Eltern keinen Gefallen, Sinn, und Ei-
fer fuͤr dergleichen Kinder-Jnduſtrie-Schu-
len zeigen, vielmehr eine entſchiedene Abneigung
dagegen aͤußern, dieſelbe fuͤr eine - ſie und ihre Kin-
der und Pflegebefohlene erniedrigende Straf-Anſtalt,
oder wenigſtens fuͤr unnoͤthig halten, wegen der kleinen
Unbequemlichkeit, welche die Abweſenheit der Kinder
von Hauſe zuweilen fuͤr ſie mit ſich bringt, die Theil-
nahme daran keineswegs als eine Wohlthat, ſondern
vielmehr als eine beſchwerliche Laſt anſehen, und ſich
nicht der Anſtalt, vielmehr die Anſtalt ihnen fuͤr die
Ueberlaſſung der Kinder an dieſelbe verbunden erach-
ten, wenn ſie den Vortheil, welchen die Kinder von
der Anſtalt ziehen, lediglich nach dem Geld-Erwerbe
berechnen, den die Kinder darin machen, daher die
Geſchenke, welche die Kinder darin bekommen, zu duͤrf-
tig finden, und es lieber ſehen, daß dieſelbe Bettel-
brod ſammeln, als daß ſie in der Jnduſtrie-Schule ſich
etwas verdienen, und wenn ſie nicht nur nicht ſchuldig
zu ſeyn glauben, ihre Kinder in die Anſtalt zu ſchicken,
ſondern es ſogar fuͤr einen ungerechten Zwang und ei-
nen unbefugtǝn Eingriff in ihre elterlichen Rechte aus-
geben, daß man ſich herausnehme, uͤber ihre Kinder
in den von der gewoͤhnlichen Elementar-Schule freyen
Stunden verfuͤgen zu wollen; ſo kann dieß offenbar
nur daher kommen, daß es ihnen entweder uͤberhaupt
an lebendigem Sinn fuͤr das Erziehungs-Beduͤrfniß
ihrer Kinder, an dem rechten Verſtaͤndniſſe von
dem Weſen und den Erforderniſſen der Erziehung, und
an richtigen Begriffen von dem Zwecke und der
Einrichtung der Jnduſtrie-Schulen fehlt, oder daß ſie
ſich uͤber das gewoͤhnliche Vorurtheil der Landleute
gegen alles, was neu iſt, und wovon ſie den Vortheil
nicht deutlich vor Augen oder ſelbſt ſchon durch Erfah-
rung erprobt haben, nicht zu erheben vermoͤgen, oder
daß es ihnen gar an gutem Willen fehlt, daß ſie
uͤberhaupt an der Ordnung und am Guten keine Freude
haben, und daß vielleicht ſie ſelbſt bisher bey der unor-
dentlichen und heilloſen Lebensweiſe ihrer Kinder ihre
Rechnung gefunden hatten.
§. 74.
Wenn aber auf der einen Seite dieß der Fall iſt,
und auf der anderen Seite dem Staate alles daran
gelegen ſeyn muß, daß jedes Kind ſeiner kuͤnftigen
Beſtimmung gemaͤß erzogen werde, hiezu aber allein
beſtaͤndige, zweckmaͤßige, und doch nicht uͤbertriebene
Beſchaͤftigung und Aufſicht der Kinder fuͤhren kann;
ſo iſt es offenbar nicht angemeſſen, die Theilnahme an
den Kinder-Jnduſtrie-Schulen, wie an einigen Orten
geſchieht, dem freyen Willen der Eltern anheim
zu ſtellen, und ruhig zuzuſehen, bis etwa Beyſpiele
des guten Erfolgs in anderen Orten, wo ſolche
Schulen beſtehen, ſie zur Theilnahme ermuntern, oder
ſich wenigſtens auf eine bloße Empfehlung dieſer
Schulen oder eine Einladung zur Theilnahme an den-
ſelben zu beſchraͤnken. Offenbar ſind dieſe Mittel nicht
wirkſam genug, oder wenigſtens allzulangſam wirkend,
um die tief eingewurzelten Vorurtheile des Landmanns
zu beſiegen, und ihn fuͤr ſolche neue Anſtalten zu ge-
winnen, ihm Sinn und Eifer fuͤr dieſelbe beyzubringen.
Vielmehr muß hier durchgegriffen, es muß nicht bloß
empfohlen, ſondern befohlen werden, und nur dann
iſt eine einigermaßen vollſtaͤndige Erreichung des Zwe-
ckes der Jnduſtrie-Schulen zu erwarten, wenn ebenſo,
wie bey dem gewoͤhnlichen Schulbeſuche, zur Regel
gemacht wird, daß in jedem Orte, wo eine
Kinder-Jnduſtrie-Schule beſteht, in dieſer
Schule jedes Kind, gehoͤre es, wem es wol-
le, jede Stunde zubringen muß, in An-
ſehung deren es ſich nicht ausweiſen kann,
daß es anderwaͤrts hinlaͤnglich, zweckmaͤßig,
und nicht uͤbertrieben beſchaͤftigt, oder we-
nigſtens unter gehoͤriger Aufſicht ſey.
§. 75.
Es iſt jedoch nicht genug, daß eine ſolche Regel
aufgeſtellt werde, ſondern es muß auch auf deren ge-
naue Befolgung ein wachſames Auge gerichtet,
und mit Ernſt und Strenge darauf beharrt werden.
Nicht nur den Kindern muß zum Voraus ernſtlich
beditten werden, daß ſie Strafe zu gewarten haben,
ſo oft ſie ohne vorherige Erlaubniß des Lehrers oder
ihrer Eltern oder Pflege-Eltern erſt nach dem feſtge-
ſetzten Stundenſchlag erſcheinen, oder vor demſelben
ſich entfernen, oder gar ausbleiben, ſondern auch den
Eltern und Pflege-Eltern muß bekannt gemacht
werden, daß ſie bey Strafe kein Kind kuͤrzere oder
laͤngere Zeit wegen eigener Geſchaͤfte oder anderen
Urſachen von der Schule abhalten, oder wegen Krank-
heit zu Hauſe behalten duͤrfen, ohne zuvor die Erlaub-
niß des Lehrers hiezu eingehohlt und erhalten, oder we-
nigſtens, wenn dieß abſolut unmoͤglich geweſen ſeyn
ſollte, ſpaͤteſtens bis zum folgenden Morgen ſich bey
dem Lehrer entſchuldigt zu haben. — Sehr zweckmaͤ-
ßig ſcheint in dieſer Beziehung die irgendwo im Aus-
lande beſtehende Einrichtung zu ſeyn, nach welcher je-
den Morgen und jeden Mittag ein Policeydiener ſich
in der Jnduſtrie-Schule bey dem Lehrer melden, und
jedes ohne Erlaubniß ausgebliebene und nicht durch
hinreichende Gruͤnde abgehaltene Kind ſogleich in dem
Hauſe ſeiner Elteen, oder wo es ſonſt anzutreffen iſt,
in die Schule abhohlen muß. — Sehr noth-
wendig moͤchte beſondere policeyliche Aufſicht
auch in ſolchen Gegenden ſeyn, wo die Gemeinde aus
mehreren einzelnen Weilern und Hoͤfen beſteht, und
daher die Kinder oft ½ Stunde, 1 Stunde, und noch
weiter in die Schule zu gehen haben, mithin ſchon
durch dieſen Gang mehr Veranlaſſung und Gelegenheit
zum Betteln erhalten, als dieß in anderen geſchloſſenen
Ortſchaften der Fall iſt. — Ueberdieß ſollte aber dem
Lehrer zur Pflicht gemacht werden, ein beſonderes alle
Jahre zu erneuerndes Buch zu fuͤhren, worin jedes
Kind ſeine eigene Seite haben, und jede von ihm ver-
ſaͤumte Stunde, der jedesmal verſaͤumte Unterrichts-Ge-
genſtand, und die Urſache der Verſaͤumniß genau von
ihm bemerkt werden muͤſſte. Er ſollte dafuͤr verant-
wortlich gemacht werden, keine Erlaubniß zu Verſaͤum-
niſſen ohne volle Ueberzeugung von deren Zweckmaͤßig-
keit und Nothwendigkeit zu ertheilen, in Anſtandsfaͤllen
den geiſtlichen und weltlichen Ortsvorgeſetzten eine An-
zeige zu machen, und uͤberhaupt von Zeit zu Zeit den
Letzteren das Buch oder einen Auszug daraus
vorzulegen. Die Ortsvorſteher aber ſollten nach
Maßgabe dieſes Buchs von Zeit zu Zeit die nachlaͤßig
erſcheinenden Kinder mit ihren Eltern vorberufen, und
dafuͤr ſorgen, daß wenn die Kinder ohne Schuld ihrer
Eltern die Schule unnoͤthigerweiſe verſaͤumt haben, die
erſteren -, wo aber das Gegentheil der Fall iſt, die
letzteren zur Strafe gezogen werden. Dieſe
Strafe der Eltern beſteht in einigen Orten Wuͤrttem-
bergs darin, daß man ihnen die Unterſtuͤtzung, welche
ſie zuvor aus oͤffentlichen Caſſen genoſſen hatten, auf
kuͤrzere oder laͤngere Zeit herabſetzt oder gar entzieht,
ja es gibt Orte, wo man das den Eltern zugedachte
Allmoſen uͤberhaupt nur in der Jnduſtrie-Schule an die
Kinder austheilt, ſo daß alſo die Eltern, wenn ſie ihre
Kinder nicht zum Beſuch dieſer Schule anhalten, auch
kein Allmoſen bekommen; dieſe Strafe moͤchte jedoch
im Allgemeinen nur mit großer Vorſicht anzuwenden
ſeyn, damit nicht einzelne Eltern fuͤr Verſaͤumniſſe ihrer
7
Kinder buͤßen muͤſſen, woran ſie, die Eltern, vielleicht
ganz unſchuldig ſind, oder damit nicht den Eltern ge-
rade durch dieſe Entziehung einer ihnen zu Erhaltung
ihres Lebens unentbehrlichen Unterſtuͤtzung erſt ein Vor-
wand gegeben werden moͤge, ihre Kinder zum Betteln
anzuhalten. Jn der Regel moͤchte es alſo angemeſſener
ſeyn, nachlaͤßige Eltern mit einer eigentlichen Geldſtrafe
oder mit irgend einer anderen, nach den allgemeinen
Grundſaͤtzen und geſetzlichen Beſtimmungen uͤber Straf-
Anſaͤtze, und nahmentlich uͤber Straf-Anſaͤtze fuͤr Schul-
Verſaͤumniſſe, zu waͤhlenden Strafe zu belegen. —
Wenn dann uͤberdieß die Policey auf alle nicht nur
bettelnde, ſondern uͤberhaupt muͤßig umherlaufende ein-
heimiſche und fremde Kinder ein wachſames Auge hat,
und jedes Kind, welches ſie auf ſolche Art ergrei-
fen kann, den betreffenden geiſtlichen und weltlichen
Ortsvorſtehern uͤberliefert, wenn dieſe in jedem
ſolchen Falle zuerſt unterſuchen, ob bey dem Lehrer die
Erlaubniß zum Ausbleiben aus der Schule nachgeſucht,
und ob dieſer nicht vielleicht in Ertheilung ſolcher Er-
laubniß zu freygebig geweſen iſt, wenn ſie hierauf
unterſuchen, ob die Eltern Wiſſenſchaft von der Ver-
ſaͤumniß gehabt haben, und ob ſie Schuld daran ſind,
oder nicht, und wenn ſie hierauf wirklich den ſchuldig
erfundenen Theil zur Strafe ziehen; ſo kann es nicht
fehlen, daß die Jnduſtrie-Schulen den Zweck, wozu
ſie eigentlich beſtimmt ſind, nehmlich Abhaltung der
Kinder vom Bettel und Muͤßiggang, und Bildung
derſelben fuͤr ihren kuͤnftigen Beruf, bey dem groͤßten
Theile der Kinder wirklich erfuͤllen werden.
§. 76.
Bey unehlichen Kindern jedoch, deren El-
tern †. entweder noch nicht richterlich ausgemittelt, oder
aus gaͤnzlicher Mittelloſigkeit oder anderen Gruͤnden nicht
zur Verſorgung ihrer Kinder angehalten werden koͤn-
nen, bey Waiſen, welche beyde Eltern oder wenig-
ſtens eines derſelben verloren haben, bey ſogenannten
moraliſchen Waiſen, d. h. bey ſolchen Kindern,
deren Eltern aus Liederlichkeit ſich um ihre Erziehung
nichts bekuͤmmern, bey Soldatenkindern, und bey
Kindern armer Feldhirten, und ſolcher Ge-
werbsleute, welche in dem ihnen angewieſenen
Wohnorte nicht beſtaͤndig ihre Nahrung finden, und
daher ihrem Gewerbe auswaͤrts nachziehen muͤſſen,
bey Kindern entſchiedener Bettler, welche,
da ſie ſelbſt von Bettlern abſtammen, keine eigentliche
Heimath haben, und, obgleich jedem von ihnen ſeit
neuerer Zeit ein beſtimmter Wohnort angewieſen wor-
den iſt, aus Mangel und Gewohnheit ihr vagirendes
Bettlerleben entweder ohne alle Scheu, oder unter der
Maske unbedeutender Handthierungen fortſetzen, bey
Kindern von Jaunern, welche mit oder ohne
ihre Eltern aufgefangen werden, und bey anderen der-
gleichen ungluͤcklichen und verwahrloßten
Kindern moͤchten alle dieſe Maßregeln doch noch
nicht immer hinreichend ſeyn. —
Da dieſe Kinder von ihrer Geburt an nie die
Stimme der Religion, der Wahrheit, und des Rechts
vernehmen, und an keine Ordnung, keine guten Sit-
ten, keine Thaͤtigkeit, uͤberhaupt an nichts Gutes ge-
woͤhnt, vielmehr von den Jhrigen im Drucke ihrer
armſeligen Umſtaͤnde, als eine ihr Elend vermehrende
Laſt, liebloß und hart behandelt werden, das ſchlechte
7 *
Beyſpiel derſelben beſtaͤndig vor ſich ſehen, hiedurch
fruͤhzeitig alle moͤglichen Untugenden und ſchlimmen
Gewohnheiten annehmen, und nahmentlich zur Ver-
ſtellung, Luͤgen, und den niedertraͤchtigſten Kunſtgrif-
fen des Bettels, ja ſelbſt zum Betruͤgen, zum Dieb-
ſtahl, und anderen Laſtern und Verbrechen nicht nur
verleitet, ſondern oft ſogar gezwungen werden, und
andere wieder verleiten; ſo bleibt, um ſolche Geſchoͤpfe
vom Muͤſſiggang und Bettel abzuhalten, ſie zu nuͤtz-
lichen oder wenigſtens unſchaͤdlichen Mitgliedern der
buͤrgerlichen Geſellſchaft zu erziehen, und zu verhin-
dern, daß eine ſo verwilderte Menſchen-Race ſich nicht
in's Unendliche fortpflanze, nichts uͤbrig, als derglei-
chen Kinder von den Jhrigen ganz zu trennen
und zu entfernen, und irgendwo anders
unterzubringen. Doch ſollte hiebey auf der einen
Seite die ſelbſt bey den roheſten Menſchen ſich nicht
immer verlaͤugnende Mutterliebe, uͤberhaupt die Zaͤrt-
lichkeit und Anhaͤnglichkeit der Eltern an die Kinder
moͤglichſt geſchont, auf der anderen Seite aber ſo viel
moͤglich verhuͤtet werden, daß nicht durch allzugroße
Leichtigkeit, ſich ſeiner Kinder zu entledigen, gefuͤhlloſe
Menſchen allzuleichtſinnig und gleichguͤltig gegen Ueber-
ladung des Staats mit unehlichen und anderen Kin-
dern, welche ſie nicht ernaͤhren koͤnnen, gemacht
werden.
§. 77.
Da jedoch in oͤffentlichen Verpflegungs- und Er-
ziehungs-Anſtalten die Kinder mit den heutzutage ſo
verwickelten geſellſchaftlichen und buͤrgerlichen Verhaͤlt-
niſſen, in denen ſie ſich doch ſpaͤterhin ebenfalls bewe-
gen muͤſſen, und nahmentlich mit den gemeinen Ge-
ſchaͤften des buͤrgerlichen Lebens ziemlich unbekannt
bleiben, waͤhrend ſie ſich, da ihnen jeder Schritt, jede
Handlung vorgeſchrieben iſt, und ſie durchaus keinen
freyen Willen haben, nicht wohl an eigenes Nachden-
ken und eigene Thaͤtigkeit gewoͤhnen koͤnnen, da ſie in
einer ſo zahlreichen Geſellſchaft großentheils von Hauſe
aus verdorbener Geſchoͤpfe der Anſteckung mit phyſi-
ſchen und moraliſchen Uebeln verſchiedener Art mehr als
in Privathaͤuſern ausgeſezt zu ſeyn ſcheinen, waͤhrend
es den oͤffentlichen Aufſehern ſolcher Anſtalten weit
ſchwerer als den den Kindern viel naͤher bleibenden
Privathaus-Genoſſen werden duͤrfte, dergleiben Uebel
zu entdecken, und denſelben entgegen zu arbeiten, und
da uͤberdieß die Errichtung und Unterhaltung ſolcher
oͤffentlichen Verpflegungs- und Erziehungs-Anſtalten
ſehr koſtſpielig iſt; ſo moͤchte es in der Regel am
zweckmaͤßigſten ſeyn, dergleichen verwaiste und ver-
wahrloste Kinder ſoliden Privatperſonen gegen
ein aus irgend einer oͤffentlichen Caſſe zu bezah-
lendes Koſtgeld in's Haus zu geben, wie auch
wirklich in Wuͤrttemberg die Verordnung beſteht, daß
von den in die Staats-Waiſenhaͤuſer aufgenommenen
Kindern 200 außerhalb des Jnſtituts erzogen werden
ſollen. — Die Wahl eines ſolchen Koſthauſes
erfordert jedoch, wenn der Zweck wirklich erreicht wer-
den ſoll, große Vorſicht. Kinder von ſtarkem Koͤrper-
bau, uͤberhaupt ſolche Kinder, welche beſtimmt ſind,
ſich kuͤnftig durch landwirthſchaftliche Arbeiten zu er-
naͤhren, ſollten immer aufs Land verlegt werden.
Hiebey ſollte man jedoch hauptſaͤchlich auf ſolche Orte
ſehen, wo ſich die Geiſtlichen und Schullehrer des
Ortes durch zweckmaͤßige Thaͤtigkeit auszeichnen, deß-
gleichen auf Orte, welche nicht zu entfernt ſind, um
beſtaͤndig von dem Zuſtande der Kinder unterrichtet
bleiben, und ſie von Zeit zu Zeit einberufen oder in
dem Verpflegungs-Orte ſelbſt ſehen zu koͤnnen, und
wenn je entferntere Orte gewaͤhlt werden muͤſſten, ſo
ſollte man zu Erleichterung der Aufſicht und Vermin-
derung der Koſten derſelben wenigſtens trachten, meh-
rere dergleichen Kinder in ebendemſelben Orte unter-
zubringen. — Was die Wahl der einzelnen
Pflege-Eltern ſelbſt betrifft, ſo ſollte durchaus nur
auf verſtaͤndige Leute von anerkannter Rechtſchaffen-
heit und guten Vermoͤgens-Umſtaͤnden geſehen, und
denſelben in beſonders mit ihnen abzuſchlieſſenden Ver-
pflegungs-Accorden zur Bedingung gemacht
werden, das ihnen anvertraute Kind
a) in Beziehung auf Wohnung, Beleuchtung, Hei-
tzung, Liegerſtatt, Bette und Kleidung zu behan-
deln, wie wenn es ihr eigenes Kind waͤre,
b) ihm ſtets hinlaͤngliche geſunde Nahrung zu rei-
chen, damit es nicht aus Hunger auf Betteleyen
und Naſchereyen verfalle,
c) in kranken Tagen es demſelben an Wart und
Pflege, und an aͤrztlicher Huͤlfe, und Medicamen-
ten, beydes leztere jedoch auf oͤffentliche Koſten,
nicht fehlen zu laſſen,
d) daſſelbe zu allen bey der Oekonomie des Koſt-
reichers vorkommenden Haus- und Feldgeſchaͤften,
ſo weit ſie den Kraͤften und der kuͤnftigen Beſtim-
mung des Kindes angemeſſen ſind, jedoch nicht
uͤbertrieben, anzuleiten und anzuhalten, und uͤber-
haupt moͤglichſt an Arbeitſamkeit zu gewoͤhnen,
e) dafuͤr zu ſorgen, daß das Kind Kirche und
Schule, fuͤr welch leztere jedoch das Schulgeld,
Schulbuͤcher, Schreibmaterialien ꝛc. aus oͤffentlichen
Caſſen bezahlt werden, nie ohne Noth verſaͤume,
f) die Waſche des Kindes fleißig zu beſorgen, und
uͤberhaupt daſſelbe zur Reinlichkeit und Ordnung
anzuhalten,
g) daſſelbe außer den Schulſtunden ſtets entweder
ſelbſt im Auge zu behalten, oder jemand von den
Seinigen zur Aufſicht zu uͤbergeben,
h) uͤberhaupt daſſelbe mit ebenderſelben Sorgfalt,
welche ein rechtſchaffener Vater bey ſeinen eigenen
Kindern anzuwenden ſchuldig iſt, ſeiner kuͤnftigen
Beſtimmung gemaͤß zu erziehen, hingegen hiebey
i) mit Schonung und Liebe zu Werk zu gehen,
und ſich aller Mißhandlung des Kindes zu ent-
halten. —
Da jedoch ſchon mehrmals der Fall vorgekommen
iſt, daß dergleichen Koſtreicher ſich aus Eigennutz und
Gewinnſucht verſchiedene der phyſiſchen und morali-
ſchen Bildung der Kinder nachtheilige Mißbraͤuche er-
laubt, ja ſogar dieſelbe auf den Bettel ausgeſchickt ha-
ben; ſo ſollte zwar auf der einen Seite das Koſtgeld
nicht allzuſparſam beſtimmt, und auf deſſen regel-
maͤßige Ausbezahlung ſtets geſehen, auf der anderen
Seite aber wenigſtens alle halbe Jahre ein Durchgang
aller auf ſolche Art in die Koſt gegebenen Kinder und
eine Unterſuchung ihrer Behandlung durch die Koſt-
reicher veranſtaltet, und jedes Kind, deſſen Zuſtand
und Behandlung den gerechten Erwartungen nicht ent-
ſpraͤche, wo moͤglich in ein anderes beſſeres Haus un-
tergebracht werden.
§. 78.
Wenn ſich jedoch durchaus keine Privathaͤuſer fin-
den, von welchen ſich die gewiſſenhafte Erfuͤllung obi-
ger Bedingungen gegen ein verhaͤltnißmaͤßiges Koſt-
geld erwarten laͤßt, ſo bleibt alsdann nichts uͤbrig,
als dergleichen verwaiste und verwahrloste Kinder,
beſonders wenn ſie wegen phyſiſcher oder moraliſchen
Gebrechen einer ſorgfaͤltigeren Pflege und genaueren
Aufſicht beduͤrfen, in oͤffentlichen Kinder- Ver-
pflegungs- und Erziehungs-Anſtalten unter-
zubringen. — Zu dieſem Zwecke ſcheinen ſich nun
hauptſaͤchlich die beynahe in jedem Lande, und nah-
mentlich auch in Wuͤrttemberg bereits beſtehenden
Staats-Waiſenhaͤuſer, nehmlich das fuͤr Kinder
evangeliſcher Religion beſtimmte Waiſenhaus in Stutt-
gart, und das fuͤr Waiſen katholiſcher Religion und
Soldatenknaben beſtimmte Waiſenhaus in Ludwigs-
burg, zu eignen, worin die Kinder Wohnung, Be-
leuchtung, Heitzung, Liegerſtatt, Bette, Kleidung,
Nahrung, Medicamenten, aͤrztliche Huͤlfe, Wart und
Pflege, uͤberhaupt ihre ganze phyſiſche, intellektuelle,
religioͤſe und moraliſche Bildung und Erziehung ge-
meinſchaftlich auf oͤffentliche Rechnung erhalten. —
Da jedoch die Aufnahme in dieſe Waiſenhaͤuſer, ein-
zelne außerordentliche Faͤlle ausgenommen, nur im
May und September geſchieht, da in dieſelbe in der
Regel nur Soldatenkinder und ſolche Kinder, welche
ihre Eltern, oder doch wenigſtens eines derſelben, vor-
nehmlich den Vater verloren, und nur Kinder, welche
das ſiebente Jahr zuruͤckgelegt haben, und bloß in be-
ſonders dringenden Faͤllen auch ſechsjaͤhrige Kinder,
aufgenommen werden, da uͤberhaupt dieſe beyden Wai-
ſenhaͤuſer nur fuͤr 275 Kinder, wovon uͤberdieß 100 in
Privathaͤuſern verpflegt werden ſollen, alſo nur fuͤr
175 und beyde zuſammen fuͤr 350 Kinder eingerichtet
ſind, und daher an verſchiedenen Orten daruͤber ge-
klagt wird, daß in dieſe Staats-Waiſenhaͤuſer nicht
von jedem Oberamts-Bezirke eine mit dem Beduͤrfniſſe
und den Beytraͤgen deſſelben im Verhaͤltniſſe ſtehende
Anzahl armer verwahrloßten Kinder aufgenommen wer-
de; ſo iſt man an verſchiedenen Orten ſchon auf den
Gedanken gekommen, eine eigene Orts- oder Be-
zirks- Kinder- Verpflegungs- und Erzie-
hungs-Anſtalt zu errichten, und wirklich iſt auch
in der Reſidenzſtadt Stuttgart kuͤrzlich eine ſolche, nach
dem Nahmen der jeztregierenden Koͤniginn Pauline,
welcher ſie ihre Ausfuͤhrung verdankt, Paulinen-Pflege
genannte, und am 27. September 1820. wirklich eroͤff-
nete Anſtalt zu Stande gekommen, worin nun zu-
naͤchſt die 25. bisher am meiſten verſaͤumten und ver-
laſſenen der Stadt angehoͤrigen Kinder Heimath, Lie-
gerſtatt, Nahrung, Pflege, und uͤberhaupt Verſorgung
in jeglichem Beduͤrfniſſe finden. — Wirklich moͤchte
auch an Orten, wo eine bedeutende Anzahl verwahr-
loßter Kinder vorhanden iſt, welche weder bey den
Jhrigen gelaſſen, noch in anderen Privathaͤuſern un-
tergebracht werden koͤnnen, die Errichtung ſolcher Orts-
oder Bezirks-Anſtalten ganz zweckmaͤßig, und die
Verpflegung und Erziehung ſolcher Kinder in denſelben
ebenſogut und wohlfeil, ja beſonders alsdann vielleicht
ſogar noch wohlfeiler, als in den Staats-Waiſenhaͤu-
ſern ſeyn, wenn mit dieſen Verpflegungs-Anſtalten
keine beſondere Unterrichts- und Jnduſtrie-Anſtalt ver-
bunden, ſondern dieſelben mit den bereits ohnehin im
Orte beſtehenden allgemeinen Elementar- und Jnduſtrie-
Schulen in Verbindung geſezt werden, wie auch wirk-
lich die neuerrichtete Paulinen-Pflege in Stuttgart mt
der dortigen Catharinen-Schule in der engſten Ver-
bindung ſteht, und ſogar in einem und ebendemſelben
Gebaͤude mit ihr befindlich iſt, ſo daß alſo an Raum,
Holz, Licht, Lehr- und Aufſichts-Perſonal ꝛc. außer-
ordentlich viel erſpart wird. — Nur mit Hoſpitaͤlern,
Zwangs-Arbeitshaͤuſern, Zuchthaͤuſern, und anderen
Verpflegungs- und Beſchaͤftigungs-Anſtalten fuͤr Er-
wachſene, und beſonders fuͤr verdorbene Erwachſene,
ſollten dergleichen Anſtalten nie in Beruͤhrung kom-
men, damit nicht durch ſchlechtes Beyſpiel und Verfuͤh-
rung auf der einen Seite mehr geſchadet werde, als
das Jnſtitut auf der anderen Seite nuͤtzen kann.
Dagegen ſollte eben in dergleichen Kinder-Verpfle-
gungs- und Erziehungs-Anſtalten ſelbſt eine ſolche
Einrichtung getroffen werden, daß phyſiſch- und mo-
raliſch- ganz verdorbene Kinder, von welchen eine
phyſiſche oder moraliſche Anſteckung der uͤbrigen Kin-
der, oder die Flucht zu befuͤrchten iſt, und bey welchen
alle guͤtlichen Mittel ohne Erfolg bleiben, von den
uͤbrigen Kindern abgeſondert, durch Zwang in der An-
ſtalt feſtgehalten, mit Gewalt zur Arbeit gezwungen,
und, wenn auch nicht gebeſſert, doch wenigſtens aus
der buͤrgerlichen Geſellſchaft verbannt, und fuͤr dieſelbe
unſchaͤdlich gemacht werden koͤnnten.
§. 79.
Hiedurch ſcheinen nun die Einwendungen, welche
bisher gegen den Nutzen der Kinder-Jnduſtrie-Schulen
vorgebracht worden ſind, alle beſeitigt zu ſeyn, und an
manchen Orten hat man wirklich die Nothwendigkeit der
Errichtung einer ſolchen Schule, oder einer Verbeſſerung
der bereits beſtehenden vollkommen eingeſehen, und es
fehlt nicht gerade uͤberall an gutem Willen zu einer
ſolchen Verbeſſerung, vielmehr ſind an mehreren Orten
bereits Plane dazu entworfen worden. Allein an vie-
len Orten werden Zweifel gegen die Ausfuͤhrbar-
keit derſelben erhoben. — Nahmentlich wird an vie-
len Orten uͤber Mangel an der erforderlichen
Zahl von Lehrern und Lehrerinnen geklagt,
welche mit den noͤthigen Kenntniſſen zugleich hinlaͤng-
liche ſittliche Bildung, und mit dem Gefuͤhle eines
inneren Berufs zu Uebernahme eines ſo muͤhſamen
Geſchaͤftes zugleich die erforderliche Beharrlichkeit in
ihrem Eifer in ſich vereinigten. — Jedoch auch dieſer
Mangel ſcheint großentheils nur eingebildet zu ſeyn. —
Was den mit dem eigentlichen Jnduſtrie-Unterrichte zu
verbindenden intellectuellen, religioͤſen und
moraliſchen Unterricht betrifft, ſo iſt dieſer theils
ohnehin Obliegenheit der bereits im Orte vorhandenen
Schullehrer und Geiſtlichen, theils haben wenigſtens
einzelne Schullehrer und deren Gehuͤlfen, zum Theil
gegen eine kleine Zulage zu ihrem ordentlichen Gehalte,
und einzelne durch Liebe und beſonderen Eifer fuͤr die
Sache ſich ruͤhmlich auszeichnende Orts-Geiſtliche und
andere Armen- und Kinderfreunde denſelben freywillig
und unentgeldlich uͤbernommen. — Selbſt fuͤr den
eigentlichen Jnduſtrie-Unterricht haben ſich ſchon
unentgeldliche Lehrer und Lehrerinnen gefunden;
ſo gibt es z. B. eine Jnduſtrie-Schule, wo der Unter-
nehmer ſelbſt, nehmlich der Mann, der die Kinder fuͤr
ſeine Rechnung arbeiten laͤſſt, und denſelben einen Ar-
beitslohn bezahlt, zugleich den Lehrer macht, und fuͤr
den Unterricht keine beſondere Belohnung erhaͤlt; auch
haben an einigen Orten die weiblichen Mitglieder des
Wohlthaͤtigkeits-Vereins oder deren erwachſene Toͤchter
oder auch andere Frauenzimmer unentgeldlich theils
abwechslungsweiſe ſich dem Unterrichte der Maͤdchen
in der Jnduſtrie-Schule unterzogen, theils einzelne arme
Maͤdchen zum Unterricht, z. B. in der Kochkunſt, uͤbernom-
men; zum Theil hat freylich dieſer ruͤhmliche Eifer derſel-
ben nacheiniger Zeit wieder aufgehoͤrt; auch ſcheint dem
abwechslungsweiſen Unterrichtgeben mehrerer verſchie-
denen Frauenzimmer der Umſtand im Wege zu ſtehen,
daß auf dieſe Art der Unterricht nicht gleichfoͤrmig iſt,
und daher leicht Widerſpruͤche in der Behandlung deſ-
ſelben entſtehen koͤnnen, welche die Kinder vielleicht
irre machen, oder wenigſtens zu langſam vorwaͤrts
bringen.
§. 80.
An anderen Orten, wo es an dergleichen unent-
geldlichen Lehrern und Lehrerinnen fehlt, muͤſſen nun
freylich dieſelben beſonders auſgeſucht, angeſtellt,
und belohnt werden, und da ſich nicht immer Per-
ſonen finden werden, welche alle diejenigen Kunſtfer-
tigkeiten, worin der Unterricht in einer und ebender-
ſelben Jnduſtrie-Schule zweckmaͤßig waͤre, in ſich ver-
einigen, ſo kann natuͤrlich leicht der Fall eintreten, daß
fuͤr ebendieſelbe Schule, beſonders wenn die Zahl der
Schuͤler groß iſt, mehrere verſchiedene Lehrer und
Lehrerinnen angeſtellt werden muͤſſen; in Hinſicht auf
den Koſtenspunct wird dieß jedoch gewoͤhlich ziemlich
gleichguͤltig ſeyn, da ein Lehrer, welcher nur in einem
einzelnen oder wenigen Faͤchern der Jnduſtrie Unterricht
zu geben, und mithin demſelben auch nur wenige
Stunden zu widmen hat, ſich auch mit einer weit ge-
ringeren Belohnung begnuͤgen wird, als ein Lehrer;
welcher in allen in der Anſtalt vorkommenden Jnduſtrie-
Zweigen Unterricht geben, und mithin demſelben ſeine
ganze Zeit widmen muß. — Wirklich haben auch in
den in Wuͤrttemberg bereits beſtehenden Jnduſtrie-
Schulen in der Regel die Knaben ihre beſonderen
Jnduſtrie-Lehrer, z. B. einen beſonderen Lehrer fuͤr
die Obſtbaumzucht, einen beſonderen Lehrer fuͤr das
Korbmachen, einen beſonderen Spinnmeiſter, einen be-
ſonderen Strickmeiſter ꝛc., und die Maͤdchen dann
wieder ihre beſonderen Jnduſtrie-Lehrerinnen, z. B. eine
beſondere Lehrerinn fuͤr das Spinnen, eine beſondere
fuͤr das Stricken, eine beſondere fuͤr das Naͤhen ꝛc. —
Die mit Unterhaltung des erforderlichen Unterrichts-Per-
ſonals verbundenen, und beſonders an Orten, wo die
Zahl der Schuͤler groß iſt, bedeutenderen Koſten laſſen
ſich jedoch ſehr vermindern, wenn, wie in Wuͤrttem-
berg zum Theil wirklich geſchieht, entweder einzelne
aͤltere - in einer oder der anderen Kunſtfertigkeit bereits
vollkommene Kinder wirklich als eine Art von
Unterlehrern behandelt werden, oder wenn uͤberhaupt
jedem der aͤlteren Kinder ein juͤngeres zur Aufſicht zu-
getheilt wird. So ſind z. B. in Stuttgardt
a) bey der Catharinen-Schule, (welche 175 Knaben,
und 175 Maͤdchen enthaͤlt)
1. Schullehrer (zugleich als Aufſeher),
1. Stricklehrer
1. Spinnlehrer
der Knaben,
1. Naͤh- und Stricklehrerinn . .
2. juͤngere Stricklehrgehuͤlfinnen .
1. Spinnlehrerinn . . . . .
der Maͤdchen
b) bey der Catharinenpflege (fuͤr 200 Maͤdchen)
2. Lehrerinnen im Spinnen,
2. — — im Stricken,
1. — — im Naͤhen ꝛc.
c) bey der Marienpflege (fuͤr 200 Maͤdchen)
2. aͤltere und
2. juͤngere Stricklehrerinnen, und
2. Naͤhlehrerinnen angeſtellt. —
Bey der Jnduſtrie-Schule in Gmuͤnd, (welche im
Jahre 1817. 300 Schuͤlerinnen zaͤhlte) geben 4, und in
Tuͤbingen (bei 140), deßgleichen in Heilbronn (bey
80 bis 90 Schuͤlerinnen) 3 Lehrerinnen Unterricht. —
Jn mehreren anderen groͤßeren Landſtaͤdten und Doͤr-
fern hingegen hat man 2 Jnduſtrie-Lehrerinnen (mei-
ſtens 1 beſondere Spinn- und Strick-, und 1 beſon-
dere Naͤh-Lehrerinn) —, und in den meiſten kleineren
Staͤdtchen und Doͤrfern eine einzige bis jetzt hinreichend
gefunden.
§. 81.
An mehreren Orten wird zwar behauptet, daß auch
eine ſolche einzige Perſon im Orte nicht zu
finden oder zur Uebernahme der Stelle zu bere-
den ſey, weil ledige Perſonen meiſtens zu wenige
Kenntniſſe und Uebung in ſolchen Arbeiten beſitzen,
oder wenn ſie auch geſchickt darin ſeyen, ihre Kunſt
nicht gerne anderen mittheilen, um nicht ſpaͤterhin ih-
ren eigenen Erwerb durch dieſelben geſchmaͤlert zu ſe-
hen, verheirathete Perſonen aber, welche etwa Unter-
richt darin geben koͤnnten, mit ihrer eigenen Haushal-
tung zu viel zu thun haben, um ſich dem oͤffentlichen
Unterrichte widmen zu koͤnnen. — An anderen Orten
hingegen hat man die entgegengeſetzte Erfahrung ge-
macht. An mehreren Orten hat nehmlich die Frau
oder Tochter des Elementar-Schullehrers
gegen eine maͤßige Belohnung, ja an einem gewiſſen
Orte ſogar unentgeldlich, den Jnduſtrie-Unterricht uͤber-
nommen, und dieß koͤnnte ohne Zweifel auch an man-
chem anderen Orte geſchehen; wenn jedoch dieſe Ein-
richtung gleich in ſo ferne ihr Gutes haben mag, daß
der Schullehrer, wenn er die Jnduſtrie-Schule als eine
neue Erwerbs-Quelle fuͤr ihn ſelbſt betrachten kann,
ſich um ſo mehr bemuͤhen wird, die Einwohner dafuͤr
zu gewinnen, und daß es fuͤr die Schule ſelbſt von
Nutzen ſeyn kann, wenn der Elementar-Lehrer und die
Jnduſtrie-Lehrerinn ſich in Erreichung des guten Zwe-
ckes gut zuſammen verſtehen; ſo moͤchte doch die Frage
Beruͤckſichtigung verdienen, wer, wenn die ganze Fa-
milie des Schullehrers ſich dem Unterrichte widmet,
indeſſen die Haushaltung fuͤhren ſoll, und ob alſo nicht
die Vereinigung beyder Stellen in Einer Familie leicht
Vernachlaͤßigung entweder der Haushaltung des Schul-
lehrers, oder der Schule zur Folge haben koͤnnte? —
An mehreren Orten hingegen haben unbemittelte
Schullehrers-Wittwen, deßgleichen vormalige
Kloſterfrauen, gerne, zum Theil ſogar unentgeldlich,
den Jnduſtrie-Unterricht uͤbernommen. — Auch außer-
dem iſt es an vielen Orten durchaus nicht ſchwer ge-
weſen, die erforderlichen Lehrer und Lehrerinnen aus-
zumitteln. Zum Unterricht in der Obſtbaumzucht z. B.
haben ſich leicht erfahrene Baumzuͤchtler, zum Unter-
richt im Korbflechten geuͤbte Korbmacher, zum Unter-
richt in den weiblichen Arbeiten geſchickte ledige Weibs-
Perſonen, Wittwen, und ſelbſt Ehefrauen, zum Theil
ſogar Mutter und Tochter zugleich, im Orte ſelbſt ge-
funden, unter anderen auch gebohrene, nun aber im
Orte anſaͤßige Auslaͤnderinnen, welche nun ſogar in
Jnduſtrie-Zweigen, welche bisher hier zu Lande beynahe
ganz unbekannt waren, Unterricht geben; beſonders
aber an Weibsperſonen, welche im Spinnen, Stricken,
und Naͤhen erfahren ſind, ſoll es gegenwaͤrtig faſt nir-
gends mehr fehlen, und da ſolche Perſonen ſehr oft
ſelbſt in die Cathegorie der Armen gehoͤren, ſo laſſen
ſich zwar keine ganz unentgeldlichen Dienſte von ihnen
erwarten, aber doch nehmen ſie eine ſolche Stelle oft
recht gerne, und gegen eine ſehr maͤßige mit ihrer
Dienſtleiſtung kaum im Verhaͤltniſſe ſtehende, und den
oͤffentlichen Caſſen keineswegs laͤſtige Belohnung an.
§. 82.
Es gibt Orte, wo ſolche Lehrerinnen, wenn die
Jnduſtrie-Schule nur einige Monate des Jahrs, und
auch in dieſen nur an einigen Taͤgen der Woche und
einigen Stunden des Tages gehalten wird, fuͤr das
ganze Jahr nicht weiter, als 4, 8, 10, 11, 12, 15,
20, bis 24, Gulden Lohn erhalten. — An anderen
Orten, wo der Unterricht das ganze Jahr uͤber fort-
dauert, und zum Theil alle Tage, oft einen großen
Theil des Tages hindurch gegeben wird, erhalten ſie
jaͤhrlich 34, 40, 48, 52, 60, 73, 75, 78, bis 80,
Gulden, zu welchen hier und da noch etwas Brod,
oder warme Speiſe, oder Holz, oder freye Wohnung
hinzukommt. — Die hoͤchſten - bey der Centralleitung
des Wohlthaͤtigkeits-Vereins bekannten Belohnungen der
Jnduſtrie-Lehrerinnen ſind jaͤhrlich 96, 100, 104, 109,
120, 125, bis 130, Gulden fuͤr alles und alles. —
Dieſe Belohnungen ſind theils nach der Zahl der Un-
terrichts-Stunden, theils nach Taͤgen, Wochen, Mo-
naten, theil fuͤr das ganze Jahr regulirt. — Einige
der Jnduſtrie-Lehrerinnen haben etwas Gewiſſes monat-
lich oder vierteljaͤhrlich fuͤr jedes Kind, welches ſie un-
terrichten, oder auch nur fuͤr jedes wohlhabende Kind,
waͤhrend ſie die armen Kinder unentgeldlich unterrich-
ten muͤſſen. — Es gibt auch Orte, wo die Lehrerinn
ein gewiſſes jaͤhrliches geringeres Wartgeld, und außer
dieſem von jedem Kinde vierteljaͤhrlich etwas Gewiſſes
erhaͤlt. — Mit anderen iſt uͤberhaupt fuͤr den Unter-
richt eines jeden Kindes, bis es z. B. im Naͤhen,
Stricken ꝛc. ganz fertig iſt, etwas Gewiſſes accordirt.
— Groͤßtentheils erhalten dieſe Lehrerinnen ihre Beloh-
nung aus irgend einer oͤffentlichen Caſſe; zum Theil
ſind ſie jedoch damit an die einzelnen Eltern der Jn-
duſtrie-Schuͤler verwieſen, oder muͤſſen dieſe wenigſtens,
wie bereits oben bemerkt worden iſt, ihren Betreff zu
der Caſſe, aus welcher die Lehrerinn bezahlt wird, er-
ſetzen. —
§. 83.
Sollte ſich jedoch in einem Orte durchaus keine
Perſon finden, welche die zu Uebernahme der Jndu-
ſtrie-Lehrers Stelle erforderlichen Kenntniſſe und Kunſt-
fertigkeiten beſaͤße; ſo bleibt immer noch der ebenfalls
bereits in Wuͤrttemberg mit gutem Erfolge eingeſchla-
gene Ausweg uͤbrig, eine oder einige erwachſe-
ne Perſonen, und einige Kinder aus dem Orte
in eine benachbarte Amtsſtadt, wo ſich eine
der beſſeren Jnduſtrie-Schulen befindet, abzuſenden,
und dieſelben dort ſo weit auf oͤffentliche Koſten un-
terrichten zu laſſen, bis ſie im Stande ſind, den Un-
terricht in ihrem Geburts-Orte mit Erfolg zu uͤberneh-
men. — Das K. evangeliſche Conſiſtorium hat zu die-
ſem Zwecke fruͤher die Errichtung einer beſonderen Mu-
ſter-Jnduſtrie-Schule, etwa in Verbindung mit
dem Stuttgardter Waiſenhauſe, im Auge gehabt; es
8
moͤchte aber zu Erfuͤllung des Zweckes ſchon hinreichend
ſeyn, wenn dergleichen Perſonen auf ebenbemerkte Art
in die bereits muſterhaft eingerichteten Stuttgardter
Jnduſtrie-Schulen zum Unterricht abgeſchickt wuͤrden. —
Ein beſonderes Verdienſt um die vaterlaͤndiſche Jndu-
ſtrie koͤnnte ſich aber die Centralleitung des
Wohlthaͤtigkeits-Vereins ohne Zweifel dadurch
erwerben, wenn ſie auf ihre Koſten vertraute und
geſchickte Perſonen, noͤthigenfalls in's Ausland,
abſchickte, oder bereits unterrichtete dergleichen Per-
ſonen, noͤthigenfalls auch Auslaͤnder, etwa unter Mit-
wirkung des vaterlaͤndiſchen Handelsſtandes, aufſuch-
te, anſtellte, und belohnte, um einzelne im
Lande weniger oder bis jetzt gar nicht bekannte nuͤtz-
liche Jnduſtrie-Zweige in mehreren vaterlaͤndiſchen Jn-
duſtrie-Schulen einzufuͤhren, zu lehren, und deren Be-
treibung zu leiten. Vielleicht waͤre die Aufſtellung
und Bezahlung ſolcher Perſonen nur auf einige Zeit
noͤthig, mithin nicht ſo außerordentlich koſtſpielig, und
in jedem Falle wohlfeiler und zweckmaͤßiger, als wenn
einzelne Oberaͤmter und Orte, wie ſchon geſchehen iſt,
beſondere Perſonen, z. B. zum Unterricht im Stroh-
flechten, mit großen Koſten aus dem Auslande ver-
ſchreiben, und ſich und dem Lande hiedurch vielleicht
zuletzt eine neue Armenfamilie aufbuͤrden, was auch
die Centralleitung bey der Anſtellung ſolcher Leute ver-
meiden ſollte und koͤnnte.
§. 84.
An mehreren Orten wird auch Mangel an taug-
lichen Perſonen vorgeſchuͤtzt, welche ſich ohne Nach-
theil fuͤr ihre eigenen Geſchaͤfte der Beſorgung der
oͤconomiſchen Angelegenheiten der Jnduſtrie-
Schulen, der Rechnungsfuͤhrung daruͤber, und
der Aufſicht uͤber dieſelben unterziehen koͤnnten. —
Allein das Detail der Oeconomie und Rechnungs-Fuͤh-
rung und die unmittelbare Aufſicht uͤber den regelmaͤ-
ßigen Beſuch der Anſtalt, und uͤber den Fleiß und das
ſittliche Betragen der Schuͤler, uͤberhaupt die gewoͤhn-
liche Schul-Diſciplin, und die Fuͤhrung der erforder-
lichen Regiſter uͤber Fleiß und Sitten wird, beſonders,
wenn die Eltern ihren Kindern in dieſer Hinſicht
mit gutem Beyſpiele vorangehen, und die Bemuͤhungen
des Jnſtituts durch ihre Mitwirkung zu dem Zwecke
deſſelben unterſtuͤtzen, in den meiſten Faͤllen, wie dieß
auch wirklich in Wuͤrttemberg haͤufig geſchieht, den
Jnduſtrie-Lehrern und Lehrerinnen ſelbſt,
ohne beſondere Belohnung dafuͤr, uͤberlaſſen werden
koͤnnen, denn die beſonders bezahlten ſogenannten
Aufſeherinnen, welche man in einigen wuͤrttem-
bergiſchen Jnduſtrie-Schulen findet, und welche alsdann
zugleich den Einkauf des Materials, die Ausſtaffirung
der fertig gewordenen Arbeiten, und den Verkauf der-
ſelben zu beſorgen, und uͤber die Einnahmen und Aus-
gaben Rechnung zu fuͤhren haben, ſcheinen nichts an-
deres, als die erſten Lehrerinnen zu ſeyn, welche ſich
als ſolche ebenfalls dem Unterrichte zu widmen haben.
— Sollten jedoch die Jnduſtrie-Lehrer und Lehrerinnen
nicht die erforderlichen Kenntniſſe im Leſen, Schreiben
und Rechnen, oder nicht genug Kraft und perſoͤnliches
Anſehen beſitzen, um ihnen die Buchfuͤhrung und Auf-
ſicht uͤberlaſſen zu koͤnnen; ſo kann ja die Fuͤhrung der
erforderlichen Rechnungen und Liſten, und die Abſtra-
fung der ungezogenen Kinder dem Elementar-
Schullehrer oder deſſen Gehuͤlfen uͤbertragen
8 *
werden, wie denn auch wirklich dieſelben in vielen
wuͤrttembergiſchen Jnduſtrie-Schulen dieſes Geſchaͤfte
gerne, und zwar groͤßtentheils ohne beſondere Beloh-
nung, uͤbernommen haben. Es gibt auch Orte, wo
der Hausvater, in deſſen Wohnung die Jnduſtrie-
Schule ſich befindet, oder wenn dieſelbe in dem Hoſpi-
tal ihr Local hat, der Spital-Aufſeher, gegen eine
kleine Belohnung, dieſe Verrichtungen beſorgt, und nur
in Stuttgardt und Tuͤbingen, wo bey einer ſehr gro-
ßen Anzahl von Kindern die Jnduſtrie-Anſtalt ein eige-
nes Gebaͤude beſitzt, und daſſelbe allein ausfuͤllt, hat
man bis jetzt die Anſtellung eines beſonderen Haus-
meiſters zur Aufſicht uͤber dieſes Gebaͤude, zur Auf-
bewahrung der Vorraͤthe, zu Beſorgung der uͤbrigen
oͤconomiſchen Angelegenheiten, und zu Fuͤhrung der
Rechnungen -, nur in Stuttgardt die Aufſtellung
eines beſonderen Aufſehers fuͤr die Knaben noͤ-
thig gefunden.
§. 85.
Die Lehrer und Lehrerinnen und die Aufſeher und
Aufſeherinnen ſelbſt muͤſſen dann freylich mit den Schuͤ-
lern ebenfalls wieder unter einer hoͤheren Leitung und
Aufſicht ſtehen. — Dieſe Leitung und Aufſicht haben
aber bisher an den meiſten Orten Mitglieder des
Wohlthaͤtigkeits-Vereins gerne, und zwar un-
entgeldlich uͤbernommen. — Beſonders haben ſich in
dieſer Hinſicht bisher an vielen Orten die weiblichen
Mitglieder dieſes Vereins ſehr ruͤhmlich und nuͤtz-
lich ausgezeichnet, indem theils einzelne von ihnen, be-
ſonders unter anderen die Gattinnen der Orts-Geiſtli-
chen, theils ein aus ihrer Mitte gewaͤhlter Ausſchuß,
theils ſaͤmmtliche weibliche Mitglieder des Wohlthaͤtig-
keits-Vereins, und andere Frauen von Honoratioren
und angeſehenen Buͤrgern, zum Theil auch deren Toͤch-
ter, abwechslungsweiſe ſich um die Jnduſtrie-Schulen,
unentgeldlich, angenommen haben. Dieſe Frauenzim-
mer beſorgen zum Theil nicht nur die oͤconomiſchen
Angelegenheiten der Anſtalt, nahmentlich die Aufſuchung
von Arbeitsbeſtellungen, die Anſchaffung der Arbeits-
Materialien, das Aufſchreiben des Arbeits-Verdienſtes
der Kinder, und die Verwerthung der Fabricate, ſon-
dern es beſucht auch jedes derſelben wenigſtens Einmal
in der Woche, oder es beſucht jeden Tag abwechslungs-
weiſe eines dieſer Frauenzimmer die Anſtalt, theils um
den Unterricht der Maͤdchen leiten zu helfen, ihre Ar-
beiten, beſonders auch in Hinſicht auf Puͤnctlichkeit,
zu pruͤfen, und das Betragen der Maͤdchen (uͤber de-
ren Verhalten auch außerhalb der Anſtalt ſie geeignete
Erkundigungen einziehen) in Hinſicht auf Reinlichkeit,
Ordnung, und Sittlichkeit uͤberhaupt, zu beobachten,
theils um nachzuſehen, ob die Lehrerinnen auf der ei-
nen Seite es nicht an hinlaͤnglicher Unterweiſung und
Zucht der Kinder fehlen laſſen, auf der anderen Seite
aber dieſelben mit der erforderlichen Geduld und Nach-
ſicht behandeln; ſie ſuchen auf jede Art die Lehrerinnen
zu ermuntern und zu unterſtuͤtzen; was ihnen aber be-
ſonders lobens- oder tadelnswerth vorkommt, das bemer-
ken ſie in einem zu dieſem Zwecke zu haltenden Regi-
ſter, das ſie jedesmal ihrer Nachfolgerinn uͤbergeben.
§. 86.
Weil jedoch der Antheil, welchen die Frauenzimmer
an dieſem Geſchaͤfte nehmen, nicht uͤberall gleich leb-
haft iſt, und in jedem Falle ihre Aufſicht ſich in der
Regel nur uͤber die Maͤdchen erſtrecken kann, uͤber-
haupt aber Eine beſtimmte Perſon vorhanden ſeyn muß,
welche den Beruf und die Befugniß hat, die verſchie-
denen Bemerkungen, Wuͤnſche und Beſchwerden der
Lehrer und Lehrerinnen, und der Aufſeher und Aufſe-
herinnen zur Kenntniß der hoͤheren Aufſichts-Behoͤrden
zu bringen, und in Faͤllen, wo keine vorherige lange
Berathſchlagung noͤthig oder moͤglich iſt, wenn der
Zweck erreicht werden ſoll, friſch durchzugreifen; ſo
ſollte, wie dieß auch bey mehreren wuͤrttembergiſchen
Jnduſtrie-Schulen wirklich der Fall iſt, jede derſelben
ihren beſonderen Vorſteher haben, an welchen alle
bisher genannten, mit dem Unterrichte und der Auf-
ſicht bemuͤhten Perſonen zunaͤchſt alle ihre Bemerkungen,
Wuͤnſche und Beſchwerden zu bringen, und von wel-
chem ſie alle Befehle in Beziehung auf die Anſtalt zu
empfangen und zu befolgen haͤtten. Dieſer Vorſteher
muͤſſte ebenfalls jede Woche etlichemal die Anſtalt be-
ſuchen, den Lehrern und Lehrerinnen ꝛc. mit Rath und
That an die Hand gehen, nach Umſtaͤnden beloben und
belohnen, oder ermuntern, belehren, warnen, drohen,
ſtrafen, im Nothfalle auch ſich um die Rechnungs-
fuͤhrung annehmen, und theils bey vorkommenden auſ-
ſerordentlichen Faͤllen, theils uͤberhaupt von Zeit zu
Zeit uͤber den Fortgang und Zuſtand des Jnſtituts an
die hoͤhere Aufſichts-Behoͤrde Bericht erſtatten. —
Am beſten moͤchte ſich dieſe Stelle in der Regel
fuͤr den Schul-Jnſpektor oder einen der Orts-
Geiſtlichen eignen, wie denn auch wirklich im Wuͤrt-
tembergiſchen viele von ihnen dieſelbe freywillig uͤber-
nommen, und zum Theil bisher mit ausgezeichneter
Einſicht und Thaͤtigkeit verſehen haben. An anderen
Orten freylich hat ſich zum Theil bis jezt nicht eben-
ſoviel Sinn und Liebe der Geiſtlichkeit fuͤr dieſen Ge-
genſtand gezeigt; auch ſollen an einigen Orten die
Geiſtlichen zu ſehr mit anderen wichtigeren Berufs-
Geſchaͤften uͤberladen ſeyn, als daß ſie ſich auch die-
ſem Gegenſtande widmen koͤnnten; ſo wie es auch be-
kanntlich manche Filial-Orte gibt, in welchen kein
Geiſtlicher ſeinen Wohnſitz hat. — Jndeſſen haben ſich
auch außer der Geiſtlichkeit bis jezt an mehreren Orten,
beſonders unter den Mitgliedern des Wohlthaͤ-
tigkeits-Vereins, und der Stiftungs- und
Gemeinderaͤthe, und ſelbſt unter dem Buͤrger-
und Gewerbsſtande Maͤnner gefunden, welche
ſich der Stelle eines Vorſtehers der Jnduſtrie-Schule
unentgeldlich unterzogen haben, und dieſelbe bis auf
den heutigen Tag mit dem lobenswuͤrdigſten Eifer be-
kleiden.
§. 87.
Die hoͤhere Leitung und Aufſicht uͤber die Jndu-
ſtrie-Schulen und die Vorſteher derſelben hat bisher
in Wuͤrttemberg an einigen Orten ein aus der Mitte
der Lokalleitung des Wohlthaͤtigkeits-Vereins gewaͤhlter
beſonderer Kinder-Beſchaͤftigungs-Ausſchuß,
an den meiſten Orten aber haben dieſelbe theils die
Orts- und Oberamtsleitungen des Wohl-
thaͤtigkeits-Vereins, unter der hoͤchſten Auf-
ſicht der Centralleitung deſſelben, theils die ge-
meinſchaftlichen Unter- und Oberaͤmter,
unter der hoͤchſten Aufſicht des Koͤnigl. Studien-
raths, evangeliſchen Conſiſtoriums, und
katholiſchen Kirchenraths, und zwar, wie ſich
von ſelbſt verſteht, ohne beſondere Belohnung, gefuͤhrt,
und nicht nur dafuͤr geſorgt, daß die zur Theilnahme
an dieſen Schulen geeigneten Kinder wirklich dazu an-
gehalten wurden, ſondern auch den Plan zur inneren
Einrichtung derſelben entworfen, und durch periodiſche
Unterſuchungen ſich uͤberzeugt, ob dieſem Plane wirk-
lich nachgelebt, und uͤberhaupt weder in Beziehung
auf die induſtrioͤſe, intellectuelle, religioͤſe, und mora-
liſche Bildung und Erziehung der Kinder, noch in Be-
ziehung auf die Rechnungsfuͤhrung, und uͤberhaupt auf
die oͤkonomiſchen Angelegenheiten der Anſtalt etwas
verſaͤumt werde. — Zur beſonderen Aufmunterung der
Kinder, Lehrer, Lehrerinnen, Aufſeher und Aufſeherinnen
jedoch hat es ſtets gereicht, daß nicht nur der ver-
ewigten Koͤniginn Catharine, und der jezt
regierenden Koͤniginn Pauline, ſondern ſelbſt
des Koͤnigs Wilhelm Majeſtaͤt ſich ſchon mehr-
mals herabgelaſſen haben, in hoͤchſt-eigener Perſon va-
terlaͤndiſche Anſtalten dieſer Art in Augenſchein zu neh-
men, und dieſelbe der ſorgfaͤltigſten und genaueſten
Pruͤfung bis auf das kleinſte Detail hinaus zu wuͤr-
digen.
§. 88.
Allein an mehreren Orten wird die Unmoͤglichkeit
vorgeſtellt, einen ſchicklichen Ort auszumitteln, wo die
Kinder zu gemeinſchaftlicher Beſchaͤftigung und Aufſicht
vereinigt werden koͤnnten. — Beſonders wird dieſe Un-
moͤglichkeit in ſolchen Gegenden vorgeſtellt, wo eine
Gemeinde aus mehreren kleinen Doͤrfern
und Weilern beſteht, oder wo gar das ſogenannte
Vereinoͤdungs-Syſtem eingefuͤhrt iſt, nach wel-
chem in der ganzen Gegend nichts als einzelne
zerſtreute Hoͤfe und Haͤuſer zu finden ſind, wo-
von manches eine Viertelſtunde von dem anderen ent-
fernt iſt, ſo daß die Wohnhaͤuſer einer und ebender-
ſelben Gemeinde oft einen ſehr weiten Diſtrikt einneh-
men, und die Kinder, — die Jnduſtrie-Schule moͤchte
gehalten werden, wo ſie wollte, — zum Theil 1 bis
1½ Stunde in dieſelbe zu gehen haͤtten, was beſonders
im Winter bey den in ſolchen Gegenden ohnehin zum
Theil ungewoͤhnlich heftigen Stuͤrmen, ſtrenger Kaͤlte,
tiefem Schnee, und ſtarken Eiſe, und bey den in ſol-
chen Gegenden ohnehin meiſtens ſehr ſchlechten und un-
gangbaren Wegen beynahe unmoͤglich waͤre, uͤberdieß
aber wegen des mit dem weiten Hin- und Herweg
verbundenen großen Verluſts an Zeit und Kraͤften die
Eltern des Gebrauchs ihrer Kinder zu leichteren haͤus-
lichen und Feldgeſchaͤften beynahe ganz beraubte, und
den lezteren Veranlaſſung und Gelegenheit gaͤbe, un-
terwegs zu betteln und allerhand ſonſtigen Unfug aus-
zuuͤben. —
Allein ſo ſehr dieſe Umſtaͤnde allerdings Beruͤck-
ſichtigung verdienen, ſo moͤchten ſie doch ebenſowenig
die gaͤnzliche Unterlaſſung der Errichtung einer Jndu-
ſtrie-Schule rechtfertigen, als ſie bisher fuͤr zureichend
erachtet worden ſind, von der Errichtung der gewoͤhn-
lichen Elementar-Schulen abzuſtehen. Jm Gegentheil
koͤnnte gerade in ſolchen Gegenden die Jnduſtrie-Schule
ein Mittel werden, den fleißigen Beſuch der Elementar-
Schule zu befoͤrdern, und den auf dem Hin- und Her-
weg moͤglichen Unfug zu vermindern, beſonders wenn
die Einrichtung getroffen werden koͤnnte, daß die Kin-
der des Mittags an dem Orte, wo die Jnduſtrie-
Schule gehalten wird, verpflegt wuͤrden. — Allerdings
moͤchte uͤbrigens in ſolchen Gegenden bey beſonders
unguͤnſtiger Witterung die Schule ſo lange, als dieſe
Witterung andauert, einzuſtellen, und auch ſonſt den-
jenigen Kindern, welche bey den Jhrigen zu Hauſe un-
ter gehoͤriger Aufſicht Beſchaͤftiguug finden, oder gar
ihren Eltern unentbehrlich ſind, das Ausbleiben ſo
wenig als moͤglich zu erſchweren ſeyn.
§. 89.
Jedoch auch in anderen Gegenden, auch in zu-
ſammengebauten Doͤrfern und Staͤdten wird haͤufig
uͤber Mangel an den zu Einrichtung einer Jnduſtrie-
Schule erforderlichen Gebaͤuden oder Zimmern,
oder wenigſtens uͤber allzugeringen Umfang derſelben,
und ſelbſt uͤber Mangel an dem zu Erbauung oder Er-
weiterung ſolcher Gebaͤude und Zimmer noͤthigen Raum
geklagt. — Allein zum Theil ſcheint man ſich uͤber-
triebene Begriffe von der Groͤße des zu einer ſolchen
Schule erforderlichen Raums zu machen. — So iſt
es z. B. zwar ganz zweckmaͤßig, wenn, wo der vor-
handene Raum es geſtattet, die beyden Geſchlech-
ter von einander getrennt, d. h. die Knaben
in einem beſonderen- und die Maͤdchen in einem be-
ſonderen Gebaͤude oder Zimmer beſchaͤftigt werden, wie
dieß an einigen Orten in Wuͤrttemberg auch wirklich
der Fall iſt; allein noͤthig ſcheint eine ſolche ſcharfe
Trennung der Geſchlechter nicht gerade zu ſeyn, da in
dem Alter, in welchem die Kinder die Jnduſtrie-Schule
zu beſuchen haben, das Beyſammenſeyn der beyden
Geſchlechter ſchon an und fuͤr ſich nicht ſo gefaͤhrlich
iſt, wie bey jungen Leuten von reiferem Alter, uͤber-
dieß aber bey der beſtaͤndigen Geſellſchaft und Aufſicht,
unter welcher ſich die Kinder in der Jnduſtrie-Schule
befinden, in jedem Falle weniger Unfug vorkommen
kann, als wenn ſie einzeln ſich ſelbſt, der Langeweile,
und dem Muͤßiggange uͤberlaſſen werden. — Ferner
iſt es zwar ganz zweckmaͤßig, wenn, wo die Zahl der
arbeitenden Kinder groß, und der erforderliche Raum
vorhanden iſt, ſo viel moͤglich fuͤr jede beſondere
Art von Arbeit ein beſonderes Arbeits-
zimmer angewieſen wird, wie dieß ebenfalls an ei-
nigen Orten wirklich der Fall iſt; allein abſolut noth-
wendig iſt eine ſolche Abſonderung ebenfalls nicht, in-
dem viele ganz verſchiedene Arbeiten ſich fuͤglich in
ebendemſelben Zimmer vereinigen laſſen, und an Or-
ten, wo es an Raum gebricht, ſchon bey der Wahl
der Beſchaͤftigungs-Gegenſtaͤnde auf ſolche Arbeiten
Ruͤckſicht genommen werden kann, welche nicht, wie
z. B. das Wollenſpinnen am großen Rade, einen all-
zugroßen Raum erfordern. — Es iſt daher keineswegs
noͤthig, daß die Kinder-Jnduſtrie-Anſtalt uͤberall, wie
z. B. in der Reſidenz und in einigen Hauptſtaͤdten
Wuͤrttembergs, eigene Gebaͤude beſitze, oder doch
2. 3. 4. und noch mehrere Zimmer inne habe;
vielmehr hat man in mehreren zum Theil ebenfalls be-
deutenden Orten Ein geraͤumiges, helles, und geſun-
des Zimmer hinreichend gefunden.
§. 90.
Der hienach wirklich erforderliche Raum hat ſich
aber an vielen Orten in dem bereits vorhandenen
Schulgebaͤude dargeboten, und ohne Zweifel wuͤrde
er ſich, wenigſtens bey einer kleinen Bauveraͤnderung,
noch in vielen anderen Schulhaͤuſern finden; an man-
chem Orte wuͤrde vielleicht auch der Elementar-Schul-
lehrer eines ſeiner Wohnzimmer gegen eine kleine Ent-
ſchaͤdigung zu dieſem Zwecke einraͤumen. — An einigen
Orten ſoll es zwar ſelbſt an den nothwendigſten Ele-
mentar-Schulzimmern, oder wenigſtens an dem erfor-
derlichen Raume in denſelben, fehlen; dagegen wuͤrde
ſich aber vielleicht, wie dieß an mehreren Orten der
Fall geweſen iſt, in dem Hoſpital oder in irgend
einem anderen Armenhauſe ein Lokal um ſo mehr
ausmitteln laſſen, als es ohnehin oft weit angemeſſe-
ner waͤre, wenn die in ſolchen oͤffentlichen Haͤuſern
wohnenden Armen zum Theil in Privathaͤuſern unter-
gebracht wuͤrden. — An einigen Orten haben ſogar,
was dankbar anerkannt und angeruͤhmt zu werden ver-
dient, Geiſtliche und Oberbeamte die Jnduſtrie-
Schule in ihre Dienſtwohnung aufgenommen, und
verſchiedene Jnduſtrie-Schulen verdanken der Gnade
Seiner Koͤniglichen Majeſtaͤt ein ihnen in Koͤnigl.
Schloͤſſern, aufgehobenen Kloͤſtern und Kaſer-
nen, und in anderen Herrſchaftlichen Gebaͤuden
unentgeldlich angewieſenes Lokal. — An mehreren Or-
ten geben die Jnduſtrie-Lehrer und Lehrerin-
nen den Unterricht in ihrer eigenen Wohnung,
und in anderen Orten hat man in Privathaͤuſern
gegen Bezahlung eines ſehr maͤßigen Miethzinſes das
erforderliche Lokal gefunden. — Sollte ſich jedoch an
einem Orte durchaus kein beſonderes Jnduſtrie-
Schulzimmer ausmitteln laſſen; ſo waͤre dieß zwar al-
lerdings in ſo ferne zu bedauern, als durch dieſen
Mangel die Einfuͤhrung eines claſſenweiſen Wechſels
des Elementar- und des Jnduſtrie-Schulunterrichts
verhindert wuͤrde: allein die gaͤnzliche Verzichtleiſtung
auf Errichtung einer Jnduſtrie-Schule waͤre deßwegen
doch nicht noͤthig, indem immerhin noch der an meh-
reren Orten bisher eingeſchlagene Ausweg uͤbrig bliebe,
in dem gewoͤhnlichen Lokal der Elementar-
Schule die Kinder mit gewiſſen Arbeiten, wie z. B.
Stricken, waͤhrend des Elementar-Unterrichts-, mit
anderen mehr Raum erfordernden, oder mehr Geraͤuſch
verurſachenden Arbeiten aber in den von dem Elemen-
tar-Unterrichte freyen Stunden zu beſchaͤftigen.
§. 91.
Der allergroͤßte Stein des Anſtoßens jedoch iſt der
mit einer jeden Verbeſſerung oder weiteren Ausdehnung
bereits beſtehender-, oder mit Errichtung neuer Jndu-
ſtrie-Schulen nothwendig verbundene Koſtens-Auf-
wand. Es ſind nicht nur die Koſten der erſten
Einrichtung, z. B. der Herſtellung des erforderlichen
Locals, und der Anſchaffung der noͤthigen Tiſche,
Baͤnke, Stuͤhle, Werkzeuge, und anderen Geraͤthſchaf-
ten, woran man ſich an manchem Orte ſtoͤßt, ſondern
beſonders auch die jaͤhrlichen Koſten der Unter-
haltung der Anſtalt, nahmentlich die Baukoſten oder
der Miethzins von dem gewaͤhlten Local, die Koſten
der Beleuchtung und Erwaͤrmung deſſelben, (beſonders
bey Gemeinden, welche keine eigenen Waldungen ha-
ben), die Koſten der Anſchaffung der zu verarbeitenden
Materialien, der den Kindern zu bezahlende Arbeits-
lohn, das bey Kindern, welche ſo manches verderben,
bey dem Verkauf der Fabricate nothwendig entſtehende
Deficit, die Praͤmien fuͤr die Kinder, die Belohnung
der Lehrer und Lehrerinnen, Rechnungsfuͤhrer, Auf-
ſeher ꝛc.
§. 92.
„Dieſe Koſten“, heißt es, „ſtehen in keinem
Verhaͤltniſſe mit dem Gewinn, welchen die
Kinder an Arbeitsverdienſt machen, und die dazu er-
forderliche Summe koͤnnte zweckmaͤßiger verwendet wer-
den, wenn ſie zu Beſchaͤftigung der Armen in ihren
Haͤuſern verwendet wuͤrde, wozu ſie auch in der Regel
Jahre lang hinreichend waͤre; beſonders ſtehe der Auf-
wand an ſolchen Orten in keinem Verhaͤltniſſe mit dem
dadurch bezweckten Nutzen, wo, wie es in ſo vielen
Orten der Fall ſey, die Zahl der zur Theilnahme an
einer ſolchen Anſtalt geeigneten Kinder nur gering ſey.“
— „Abgeſehen jedoch auch von dem Mißverhaͤltniſſe des
Koſtens zu dem Nutzen, ſey es wenigſtens nicht Sa-
che der Gemeinde, ſondern Sache derjenigen, wel-
che die Kinder gezeugt haben, fuͤr den Unterricht und
die Erziehung derſelben zu ſorgen, — und uͤberdieß
ſeyen manche Dorf- und ſelbſt Stadtgemein-
den, beſonders ſolche, welche wenige bemittelte Mit-
glieder oder wenige oder rauhe Felder haben, viel zu
arm, es fehle ihnen viel zu ſehr an Fonds,
wenigſtens an diſponibeln und fluͤſſigen Fonds, an
Vermoͤgen, an Geld, und anderen Huͤlfs-Quel-
len, Mitteln, und Kraͤften, um einen ſolchen
Aufwand beſtreiten zu koͤnnen. Es gebe ja ſo viele
Gemeinden, welche bereits ſo ſchwer belaſtet ſeyen, daß
ſie ſchon ihre bisherigen Ausgaben nicht zu beſtreiten
vermoͤgen, daß ſie nicht einmal zu Haltung der Ele-
mentar-Schule ein angemeſſenes Local auszumitteln,
oder dem Elementar-Schullehrer eine ſchickliche Woh-
nung anzuweiſen, und ihn gehoͤrig zu beſolden, ja den
Kirchenthurm, der ihnen eingeſtuͤrzt ſey, wieder herzu-
ſtellen im Stande ſeyen.“ — „Solche Gemeinden koͤn-
nen ſich in vielen Jahren nicht wieder erhohleu, und
wenn man ihnen daher die Erweiterung einer bey ihnen
bereits beſtehenden Jnduſtrie Schule zumuthen wollte,
ſo koͤnnte gerade die Aufloͤßung der ganzen bisherigen
Anſtalt dadurch bewirkt werden.“ — „Geſetzt jedoch auch,
eine ſolche Gemeinde wuͤrde die Erweiterung einer be-
reits beſtehenden- oder die Errichtung einer neuen
Jnduſtrie-Schule fuͤr den Augenblick zu Stande brin-
gen, ſo wuͤrde ſie wenigſtens den Aufwand nicht jaͤhr-
lich wiederholen koͤnnen, und mithin der Fortbeſtand
der Anſtalt in der Zukunft nicht zu erwarten ſeyn.“
§. 93.
Allerdings koͤnnte durch eine zweckwidrige
Ausdehnung einer ſolchen Anſtalt die gute Abſicht
derſelben verfehlt werden. Man muß daher z. B. nicht,
wie ſchon oben gezeigt wurde, ſolche Kinder, welche
von den Jhrigen zu Hauſe ebenſogut beſchaͤftigt und
erzogen wuͤrden, zur Theilnahme an derſelben noͤthigen,
oder ſolchen Kindern, deren Eltern die Koſten des Un-
terrichts zu bezahlen wohl vermoͤgend ſind, den Zutritt
unentgeldlich geſtatten. Man muß nicht Haͤuſer oder
Zimmer bauen oder miethen, wo man ſolche in einem
bereits vorhandenen oͤffentlichen Gebaͤude unentgeldlich
haben oder wenigſtens mit geringen Koſten einrichten
kann. Man muß nicht ohne Noth Stunden zum Unter-
richt waͤhlen, in welchen die Beleuchtung und Erwaͤr-
mung der Zimmer noͤthig iſt, das Brennholz nicht
durch Tagloͤhner herbeyſchaffen, ſaͤgen, ſpalten, tragen,
aufbeugen laſſen, zum Einheizen nicht beſonders be-
zahlte Einbrenner beſtellen, wenn die Schulkinder bey
gehoͤriger Aufſicht dieß ebenſogut ſelbſt beſorgen koͤnnen.
Man muß nicht Arbeiten waͤhlen, welche die Anſchaf-
fung koſtſpieliger Werkzeuge und anderer Geraͤthſchaf-
ten erfordern, und dieſe Werkzeuge nicht auch ſolchen
Kindern unentgeldlich anſchaffen, deren Eltern ſolche
ſelbſt bezahlen koͤnnen. Man muß die Kinder nicht
auf Rechnung der Anſtalt arbeiten laſſen, wenn ſich
Leute finden, welche das Material auf ihre eigenen
Koſten anſchaffen, und ſich verbindlich machen, die
Fabricate gegen Bezahlung eines gewiſſen Arbeitslohns
zuruͤckzunehmen; beſonders aber muß man nicht ſolche
Beſchaͤftigungs-Gegenſtaͤnde waͤhlen, wozu das Mate-
rial ſehr theuer und leicht zu verderben, und wovon
der Abſatz unſicher oder nur mit bedeutendem Verluſt
zu bewirken iſt; auch muß man den Kindern nicht ei-
nen unverhaͤltnißmaͤßig hohen Arbeitslohn bezahlen, je-
doch hiebey auch nicht vergeſſen, daß bey einer zweck-
maͤßigen Wahl der Beſchaͤftigungs-Gegenſtaͤnde das,
was man auf den Ankauf des Materials und auf Be-
zahlung des Arbeitslohns verwendet, nicht fuͤr immer
ausgegeben, ſondern nur vorgeſchoſſen iſt, und durch
den Erloͤß aus den Fabricaten wo nicht ganz, doch
groͤßtenthrils erſetzt wird. Man muß endlich nicht
allzufreygebig mit Praͤmien-Vertheilungen ſeyn, welche
vielleicht mit der Praͤmien-Vertheilung bey den Ele-
mentar-Schulen zweckmaͤßig in Verbindung geſetzt wer-
den koͤnnten, und keine beſonderen Rechnungsfuͤhrer,
Aufſeher ꝛc. anſtellen und bezahlen, wo dieſes Geſchaͤfte
ohne beſondere Belohnung die Lehrer verſehen koͤnnen,
zu Ertheilung des Unterrichts aber nicht Leute von
fremden Orten mit großen Koſten verſchreiben, wenn
man ſie bey einer zweckmaͤßigen Wahl der Unterrichts-
Gegenſtaͤnde wohlfeiler im Orte ſelbſt finden, oder in
einem benachbarten Orte fuͤr eine ſolche Lehrers-Stelle
ausbilden laſſen koͤnnte.
§. 94.
Jn je naͤhere und engere Verbindung eine
ſolche Jnduſtrie-Schule, wie ſchon oben im All-
gemeinen empfohlen wurde, mit der ohnehin ſchon im
Orte beſtehenden Elementar-Schule geſetzt werden
kann, deſto geringer wird in der Regel auch der mit
einer ſolchen Schule verbundene Aufwand ausfallen. —
Auch eine Verbindung der Jnduſtrie-Schule mit der
in ebendemſelben Orte beſtehenden Beſchaͤftigungs-
Anſtalt fuͤr erwachſene Arme koͤnnte vielleicht in
verſchiedener Hinſicht zu Verminderung der Koſten bey-
tragen, was vielleicht auch der Grund iſt, warum
wirklich einige oͤffentliche Armenbeſchaͤftigungs-Anſtal-
ten in Wuͤrttemberg beydes, erwachſene Arme und Kin-
der, zugleich umfaſſen; doch moͤchte es nicht raͤthlich
ſeyn, in ebendemſelben Local, in welchem die oft ſo
ſehr verdorbenen und rohen erwachſenen Armen arbei-
ten, auch die zu Auffaſſung und Nachahmung ſchlim-
mer Beyſpiele ſo geneigten Kinder zu unterrichten und
zu beſchaͤftigen. — Es iſt auch ſchon der Vorſchlag
gemacht worden, ob nicht zu Verminderung der Ko-
ſten mehrere kleinere benachbarte Gemein-
den auf gemeinſchaftliche Koſten eine gemein-
ſchaftliche Kinder-Jnduſtrie-Schule errich-
ten koͤnnten, oder ob nicht fuͤr einen ganzen
Oberamtsbezirk nur eine einzige gemein-
ſchaftliche Kinder-Jnduſtrie-Schule errichtet
werden ſollte, weil alsdann nicht jeder Ort ein beſon-
deres Local, beſondere Geraͤthſchaften, beſondere Lehrer,
Aufſeher ꝛc. haben muͤſſte, ſondern alles dieß mit weit
geringeren Koſten gemeinſchaftlich ſeyn koͤnnte. Wirk-
lich nehmen auch an einigen wuͤrttembergiſchen Jndu-
ſtrie-Schulen Kinder aus benachbarten Orten Theil.
Allein dieſe Einrichtung ſcheint ſchon um deßwillen keine
allgemeinere Nachahmung zu verdienen, weil die Kin-
der entweder, was ſo leicht zu Verſaͤumung der Ele-
mentar-Schule und zu anderem Unfug Anlaß geben
9
koͤnnte, alle Tage 2 mal den weiten Hin- und Her-
weg aus ihrem Wohnorte in den Ort der Jnduſtrie-
Schule machen, oder aber auch den Elementar-Unter-
richt an dem gemeinſchaftlichen Vereinigungs-Orte ge-
nießen, und daſelbſt zugleich verpflegt und beherbergt
werden muͤſſten, was die Koſten, ſtatt ſie zu vermin-
dern, im Gegentheil gerade vermehren wuͤrde. — De-
ſto angemeſſener hingegen moͤchte alsdann eine Ver-
bindung mehrerer benachbarten, oder ſaͤmmtlicher zu
einem Oberamtsbezirke gehoͤrigen Jnduſtrie-Schulen
ſeyn, wenn zwar in jedem Orte eine beſondere aus-
ſchließlich fuͤr die Jugend des Ortes beſtimmte Jndu-
ſtrie-Schule errichtet wuͤrde, dieſe verſchiedenen Anſtal-
ten aber ungefaͤhr aͤhnliche Beſchaͤftigungs-Gegenſtaͤnde
waͤhlten, die Anſchaffung des Materials, und die Ver-
werthung der Fabricate gemeinſchaftlich beſorgten, und
in allen Faͤllen, wo eine gegenſeitige Aushuͤlfe moͤglich
waͤre, einander ſchweſterlich die Haͤnde boͤten und un-
terſtuͤtzten. —
§. 95.
Uebrigens iſt der Mangel an den zu Errichtung
und Unterhaltung einer Kinder-Jnduſtrie-Schule erfor-
derlichen Mitteln nicht uͤberall ſo groß, als derſelbe
haͤufig vorgeſtellt werden will. — An ſehr vielen Or-
ten bieten die bereits vorhandenen oͤffentlichen
Caſſen, und beſonders die oͤffentlichen Stiftun-
gen hiezu hinreichende Mittel dar. — Wenn auch
nicht uͤberall, wie dieß in einigen Orten der Fall
iſt, ein hiezu vermoͤglicher beſonderer Schulfonds
vorhanden iſt, oder dieſe Koſten aus dem vereinigten
Schul- und Kirchenfonds beſtritten werden koͤn-
nen; ſo hat man dagegen in mehreren Orten in den
vorhandenen Armenfonds, Armen-Caſſen,
Allmoſen-Caſſen, Spitalpflegen ꝛc. die hiezu
noͤthigen Mittel gefunden; wenigſtens haben dieſe Caſ-
ſen an mehreren Orten einen Theil, z. B. die Haͤlfte,
oder den dritten Theil dieſer Koſten uͤbernehmen koͤn-
nen. — An einigen Orten freylich wird daruͤber ge-
klagt, daß die urſpruͤnglich oͤrtlichen Stiftungen in
neueren Zeiten mit anderen Verwaltungen vereinigt,
und der Diſpoſition der Ortsbehoͤrden entzogen worden
ſeyen. An anderen Orten wird geklagt, daß die vor-
handenen Fonds nicht fluͤſſig ſeyen, wiewohl es bey
gutem Willen oft nicht ſchwer ſeyn moͤchte, dergleichen
todte Capitalien wieder lebendig zu machen. An man-
chen Orten ſcheinen auch wirklich die vorhandenen Fonds
ſo erſchoͤpft, ſo verſchuldet, ſo verarmt, oder von je-
her ſo beſchraͤnkt und gering zu ſeyn, daß oft nicht ein-
mal die ihnen urſpruͤnglich obliegenden Ausgaben da-
von beſtritten werden koͤnnen, daß ſchon dieſe Ausga-
ben oft auf die Kirchſpiels-Verwandte umgelegt werden
muͤſſen, und daß alſo dieſe Caſſen keine neuen Aus-
gaben dieſer Art uͤbernehmen koͤnnen. Es gibt auch
Orte, welche gar keine ſolche Stiftung, welche uͤber-
haupt nicht einmal einen Heiligen zu haben ſcheinen.
§. 96.
Allein wenn eine Gemeinde auch keine beſonderen
Stiftungen dieſer Art beſitzt; ſo hat ſie doch oft ande-
res Gemeinde-Vermoͤgen, wovon ſie einen Theil
zu Gruͤndung und Unterhaltung einer Jnduſtrie-Schule
verwenden koͤnnte. — Wie leicht koͤnnte manche Ge-
meinde ein Stuͤck Allmand dem Jnduſtrie-Lehrer zur
Beſoldung anweiſen, oder aus ihren Waldungen
9 *
das zu Heitzung der Jnduſtrie-Schule erforderliche Holz
abgeben. — An vielen Orten werden auch wirklich
die Koſten der Unterhaltung der Jnduſtrie-Schule ganz
oder zum Theil aus der Gemeinde-Caſſe bezahlt.
— Manche Gemeinde-Caſſe freylich iſt bereits ſo ſehr
verſchuldet, ſo erſchoͤpft, arm und unvermoͤgend, mit
Ausgaben aller Art ſo ſehr belaſtet, daß ſie kaum die
gewoͤhnlichſten und allernothwendigſten Gemeinde-Aus-
gaben zu beſtreiten vermag, und ihr daher keine neuen
Laſten dieſer Art aufgelegt, keine Beytraͤge von ihr er-
wartet werden koͤnnen. — Ueberhaupt ſind an man-
chem Orte alle oͤffentlichen Caſſen ſo ſehr ver-
ſchuldet, geſchwaͤcht, entkraͤftet, erſchoͤpft, verarmt,
und unvermoͤgend, oder es fehlt ihnen wenigſtens ſo
ſehr an baarem Gelde, daß ſie das zu ſolchen Zwecken
erforderliche Geld nur durch neue Capital-Aufnahmen,
wodurch ſie ſich noch tiefer in Schulden ſtecken wuͤr-
den, herbeyſchaffen muͤſſten, oder, wenn ſie auch das
augenblickliche Geldbeduͤrfniß aufbringen wuͤrden, we-
nigſtens zu jaͤhrlicher Fortſetzung einer ſolchen Ausgabe
nicht vermoͤgend waͤren.
§. 97.
Jn ſolchen Faͤllen nun, und da uͤberhaupt nicht
mit Gewißheit darauf gezaͤhlt werden kann, daß auch
die kuͤnftigen Ortsbehoͤrden ſich mit gleichem Jntereſſe
der Jnduſtrie Schulen annehmen werden, waͤre es
freylich wuͤnſchenswerth, daß dieſe Schulen von allem
aͤußeren Einfluſſe ſo unabhaͤngig als moͤglich gemacht,
und zu dieſem Ende neue beſondere Fonds fuͤr
ſie gebildet werden koͤnnten, wie nahmentlich auch den
Kirchen, den Staats-Waiſenhaͤuſern, und zum Theil
auch den Elementar-Schulen laͤngſt beſondere Fonds
und beſondere geſetzliche Gefaͤlle angewieſen worden
ſind. — An einigen Orten wurde zu dieſem Zwecke das
Vermoͤgen ehemaliger, nun aufgeloͤßten, ſogenannten
Bruͤderſchaften, oder das Vermoͤgen fruͤher be-
ſtandener, nun abgebrochenen, Kapellen, oder ge-
wiſſe geſtiftete Allmoſen, oder die erſt ſeit neueren
Zeiten den Armenfonds zugewieſene Hundstaxe vorge-
ſchlagen. — An anderen Orten wurden von Gliedern des
koͤniglichen Hauſes, von Gutsherrſchaften, von reichen
Privatperſonen, ſelbſt von gar nicht ſehr bemittelten
Geiſtlichen beſondere Stiftungen zu Gruͤndung
und Unterhaltung einer Jnduſtrie-Schule gemacht, und
an manchem anderen Orte kaͤme es vielleicht nur dar-
auf an, der bekannten Wohlthaͤtigkeit einzelner edeln
Menſchenfreunde zu dieſem Zwecke die erforderliche
Richtung zu geben. — Wieder an anderen Orten wur-
den bey Gelegenheit des Trauerfeſtes zum Andenken
an der verewigten Koͤnigin Catharina Majeſtaͤt Bey-
traͤge zu einem ſolchen Fonds geſammelt, es wurden
die zu einem Denkmahl fuͤr ebendieſe große Befoͤrdere-
rinn der Jnduſtrie-Schulen geſammelten Beytraͤge zu
Gruͤndung und Unterhaltung einer ſolchen Schule be-
ſtimmt, es ließen Geiſtliche dey Gelegenheit der Kir-
chen-Viſitation von ihren Tagsgebuͤhren, ſelbſt arme
Schullehrer von den zu ihrem duͤrftigen Dienſteinkom-
men gehoͤrigen Neujahrs-Geſchenken, zu dieſem Zwecke
etwas zuruͤck, und es wurden ſonſt freywillige
Beytraͤge zu dieſem Behufe geleiſtet, ſo daß an
mehreren Orten ſich bereits ein neuer Fonds gebildet
hat, welcher zwar zum Theil gegenwaͤrtig noch zu
klein iſt, um von den jaͤhrlichen Jntereſſen eine Jndu-
ſtrie-Schule zu unterhalten, der aber doch groß genug
iſt, wenigſtens einen Theil dieſer Koſten zu beſtreiten,
oder wenn, wie an einigen Orten geſchieht, die Zinſe
immer wieder zum Capital geſchlagen werden, wenig-
nigſtens ſeiner Zeit zu Beſtreitung des ganzen jaͤhrlichen
Aufwands hinreichen wird.
§. 98.
Es ſcheint jedoch zu Erreichung des Zweckes nicht
gerade abſolut nothwendig zu ſeyn, daß jede Jnduſtrie-
Schule einen beſonderen Fonds habe, indem die Re-
gierung noch andere Mittel hat, die allgemeinere Er-
richtung ſolcher Schulen zu bewirken, und deren be-
ſtaͤndige Fortdauer auch fuͤr die Zukunft zu ſichern,
gleichwie auch wirklich viele andere gemeinnuͤtzliche An-
ſtalten, nahmentlich viele Elementar-Schulen, zum
Theil ſchon ſeit Jahrhunderten, und ebenſo auch ver-
ſchiedene Jnduſtrie-Schulen ſeit mehreren Jahren, ohne
einen beſonderen Fonds, in Wuͤrttemberg beſtehen. —
Eines der Mittel, welche in Ermanglung beſonderer
oͤffentlichen Fonds, wie uͤberhaupt zu Aufbringung der
Gemeinde-Ausgaben zu gemeinnuͤtzlichen Zwecken, ſo
insbeſondere auch zu Aufbringung der mit Einrichtung
und Unterhaltung der Orts-Jnduſtrie-Schulen verbun-
denen Koſten bisher zum Theil benuͤzt worden ſind,
und ohne Zweifel auch ſonſt noch an manchem Orte
benuzt werden koͤnnten, iſt die Umlage derſelben
unter die Einwohnerſchaft nach dem gewoͤhn-
lichen Steuerfuß. — Freylich gibt es Gemeinden,
welchen jede neue Umlage nach dem Steuerfuß ſchon
um deßwillen ſehr zuwider iſt, weil ſie fruͤher unter
guͤnſtigeren Zeitverhaͤltniſſen ungleich weniger Abgaben
zu bezahlen hatten, als dieß gegenwaͤrtig der Fall iſt.
Es gibt Gemeinden, welche ſchon gegenwaͤrtig mit
Abgaben aller Art, theils zur Gemeinde- und Ober-
amts-Corporations, Caſſe, theils zur Staats Caſſe,
ſo ſehr belaſtet ſind, daß ſie ſchon dieſe, ſchon ihre
bisherigen laufenden Schuldigkeiten nicht zu bezahlen
vermoͤgen. Es gibt Gemeinden, welche uͤberdieß noch
mit aͤlteren, zum Theil ungeheuern, Steuerruͤckſtaͤnden
zu kaͤmpfen haben. Es gibt alſo Gemeinden, oder
wenigſtens einzelne Steuer-Contribuenten, welchen,
wenn ſie nicht vollends gaͤnzlich zu Grunde gerichtet
werden ſollen, abſolut keine neuen Ausgaben und Auf-
lagen dieſer Art zugemuthet werden koͤnnen und duͤrfen.
§. 99.
Jedoch auch ſolchen Gemeinden ſind bisher zum
Theil einzelne wohlhabendere Einwohner mit freywil-
ligen Beytraͤgen zum Behuf der Errichtung und
Unterhaltung einer Jnduſtrie-Schule zu Huͤlfe gekom-
men. Es gibt Orte, wo die Gutsherrſchaft wenigſtens das
fuͤr eine ſolche Schule erforderliche Brennholz aus ihren
Waldungen unentgeldlich abgibt; an anderen Orten
werden woͤchentlich Beytraͤge von der Jnwohnerſchaft
eingeſammelt; wieder an anderen Orten ſind in dem
Lokal der Jnduſtrie-Schule Opferſtoͤcke zu freywilligen
Gaben zum Beſten derſelben aufgeſtellt. — Freylich
gibt es auch wieder andere Orte, wo man die Guts-
herrſchaft nicht auch zu dieſem Zwecke in Anſpruch neh-
men kann und will, weil ſie ſchon bisher fuͤr andere
wohlthaͤtige Zwecke alles Moͤgliche gethan hat; es gibt
Orte, wo uͤberhaupt keine reichen Perſonen ſind, wo
die ganze Einwohnerſchaft aus unvermoͤglichen Leuten
beſteht, wo der Wohlſtand der Einwohner ſo ſehr ge-
ſunken, ihre Mittelloſigkeit und Armuth ſo groß iſt,
daß ſie, beſonders bey dem gegenwaͤrtigen allgemeinen
Geldmangel, ſelbſt ihre Steuern und Abgaben nicht
aufzutreiben vermoͤgen, und daher bey dem beſten Wil-
len keine Beytraͤge dieſer Art zu leiſten im Stande
ſind; es gibt Orte, wo auch die bemittelteren Einwoh-
ner, zum Theil ſchon deswegen, weil ſie in den lezten
Hungerjahren allzuſehr in Anſpruch genommen wurden,
wenigſtens nicht den Willen haben, hinreichende Bey-
traͤge zum Behuf einer ſolchen Anſtalt zu liefern; es
gibt alſo Orte, wo, wenigſtens ſo lange, bis die Ge-
meinde wieder beſſer zu Kraͤften gekommen ſeyn wird,
keine freywilligeu Beytraͤge erwartet werden duͤrfen.
§. 100.
An Orten nun, wo es an allen bis hieher aufge-
zaͤhlten Huͤlfsquellen entweder gaͤnzlich mangelt, oder
dieſelben wenigſtens nicht zu Beſtreitung des ganzen
Aufwandes hinreichen, koͤnnen die dem Fortbeſtande
oder der Verbeſſerung bereits beſtehender, oder der Er-
richtung neuer Jnduſtrie-Schulen im Wege ſtehenden
Hinderniſſe ohne hoͤhere Unterſtuͤtzung allerdings
nicht beſiegt werden. Jedoch auch dieſe hoͤhere Unter-
ſtuͤtzung hat ſich indeſſen fuͤr manchen Ort wirklich ge-
funden. Mehrere Orte haben von der Oberamts-
leitung des Wohlthaͤtigkeits-Vereins,
mit welcher ſie zunaͤchſt in Verbindung ſtehen, Bey-
traͤge zu Errichtung und Unterhaltung einer Jnduſtrie-
Schule erhalten; — beſonders aber hat die Central-
leitung dieſes Vereins ſeit mehreren Jahren nicht
nur keiner Gemeinde, welche um einen Beytrag zu
dieſem Zwecke bey ihr angeſucht, nnd die Nothwendig-
keit und Zweckmaͤßigkeit deſſelben gehoͤrig nachgewieſen
hat, denſelben verweigert, ſondern ſie hat ſogar bey
verſchiedenen Gelegenheiten aus eigenem Antriebe theils
einzelnen Gemeinden in vorgekommenen beſonderen Faͤl-
len, theils ſaͤmmtlichen eines Beytrags beduͤrftigen Ge-
meinden im Allgemeinen oͤffentlich einen ſolchen ange-
boten. Ja es haben ſogar mehrere Orte von des
Koͤniges und der Koͤniginn Majeſtaͤten be-
ſondere Beytraͤge zu dieſem Zwecke erhalten, ungeachtet
die Centralleitung des Wohlthaͤtigkeits-Vereins die
Mittel, aus welchen ſie Beytraͤge dieſer Art zu leiſten
vermoͤgend iſt, groͤßtentheils ebenfalls der Großmuth
beyder Koͤniglichen Majeſtaͤten verdankt.
§. 101.
Wenn man ſich nun aller oben aufgezaͤhlten
Gruͤnde, und aller bereits gemachten ſo ſehr befriedi-
genden Erfahrungen ungeachtet an manchem Orte doch
nicht von der Nothwendigkeit, Wohlthaͤtigkeit, und Aus-
fuͤhrbarkeit ſolcher Kinder-Jnduſtrie-Schulen uͤberzeu-
zeugen, oder, wenn man ſich auch davon wirklich
uͤberzeugt hat, trotz aller Vorſchlaͤge, Aufmunterungen,
Aufforderungen, Ermahnungen, Anerbietungen, Un-
terſtuͤtzungen, und Erleichterungen doch nicht zur Er-
richtung einer ſolchen Schule entſchlieſſen, oder wenig-
ſtens nicht Anſtalt dazu treffen, oder das bereits An-
gefangene fortſetzen will, oder wenn man gar dem Ge-
deyhen bereits beſtehender Anſtalten dieſer Art durch
Schmaͤhungen, und auf andere Weiſe entgegen arbei-
tet, oder dieſelbe ſonſt zu ſtoͤren, oder gar wieder zu
zerſtoͤren ſucht; ſo kann offenbar der Grund hievon nur
darin liegen, — theils, daß die Gemeinden oder deren
Deputirte, oder die Lokalleitungen des Wohlthaͤtigkeits-
Vereins, oder die Gemeinderaͤthe, oder Gemeinde-
Vorſteher, beſonders auch die Orts-Geiſtlichen, nicht
uͤberall uͤber den Zweck und Nutzen der
10
Jnduſtrie-Schulen hinlaͤnglich nachgedacht
haben, oder belehrt worden ſind, oder Mittel
und Wege zu finden wiſſen, wodurch die der
Errichtung einer ſolchen Schule vermeintlich entgegen-
ſtehenden Hinderniſſe beſeitigt, und dergleichen Schulen
wirklich in's Leben gebracht werden koͤnnen, — theils,
daß ſie uͤberhaupt zu wenig Sinn fuͤr gemeinnuͤtzi-
ge Anſtalten, und zu viel Abneigung und Vor-
urtheil gegen alles Neue, und uͤberhaupt gegen al-
les, wovon ihnen die Vortheile nicht an den
Fingern vorgerechnet werden koͤnnen, haben, oder daß
es an gegenſeitigem Vertrauen und Einigkeit
der Gemeindeglieder und Vorſteher untereinander ge-
bricht, oder daß es den lezteren an Muth, Thaͤtig-
keit, Energie, Kraft, und feſtem Willen
fehlt, oder daß gar Privat-Jntereſſe, oder boͤſer
Wille im Spiele iſt, welchen man gar zu gerne
durch Vorſchuͤtzung einer entgegengeſezten ſogenannten
Volksſtimme zu bemaͤnteln ſucht.
§. 102.
Das erſtgedachte Hinderniß nun zu beſeitigen,
nehmlich richtigere Anſichten von der Nothwendigkeit,
dem Zwecke, und Nutzen der Kinder-Jnduſtrie-Schulen
zu verbreiten, die dagegen haͤufig vorgebrachten unſtatt-
haften Einwendungen und beſtehenden Vorurtheile zu
widerlegen und zu zerſtreuen, und jedem, dem es
wirklich darum zu thun iſt, eine ſolche Schule zu
Stande zu bringen, den Weg zu zeigen, auf welchem
die ſcheinbar im Wege ſtehenden Hinderniſſe wegge-
raͤumt, und die ſcheinbar fehlenden Huͤlfsmittel herbey-
geſchafft werden koͤnnen, iſt hauptſaͤchlich der Zweck
der gegenwaͤrtigen kleinen Schrift. — Hin-
derniſſe der anderen Art hingegen laſſen ſich durch
bloße Belehrung und guͤtlichen Zuſpruch nicht
wohl uͤberwinden, vielmehr bleibt, wenn der Zweck
wirklich erreicht werden ſoll, wohl nichts anderes uͤbrig,
als daß, was auch laͤngſt von verſchiedenen einzelnen
Vorſtehern und Beamten als Wunſch geaͤußert worden
iſt, in ſolchen Faͤllen durchgegriffen, und das Gute,
das auf guͤtlichem Wege nicht zu Stande gebracht
werden kann, von Regierungswegen befehls-
weiſe angeordnet wird. — Nun beſtehen zwar in
Wuͤrttemberg, wie ſchon oben gezeigt wurde, laͤngſt
die beſtimmteſten Verordnungen, daß in der Regel
mit jeder katholiſchen ſowohl als evangeliſchen Ele-
mentar-Schule eine Jnduſtrie- oder Arbeits-Schule
verbunden werden ſoll, und an mehreren Orten haben
auch theils die Orts- und Bezirksbehoͤrden ſelbſt, ge-
ſtuͤzt auf obige Verordnungen, die gemachten Verſuche,
der Errichtung oder dem Gedeihen der Jnduſtrie-
Schulen entgegen zu wirken, mit dem erforderlichen
Ernſte zuruͤckgewieſen, theils hat das Koͤnigliche Mini-
ſterium des Jnneren in vorgekommenen beſonderen Faͤl-
len ſich erſt neuerlich wieder beſtimmt dahin ausgeſpro-
chen, daß, da einmal die beſtehenden Verordnungen all-
gemein die Verbindung einer Jnduſtrie-Schule mit
jeder Elementar-Schule verlangen, es nicht in der
Willkuͤhr der Ortsvorſteher liege, ob ſie ſolche Schulen
errichten, oder bereits beſtehende Jnduſtrie-Schulen
fortbeſtehen laſſen wollen oder nicht. — Allein uͤber der
Vollziehung dieſer Verordnungen ſcheint
bisher nicht mit demjenigen Ernſte und Fleiße, welcher
zu Erreichung des Zweckes abſolut nothwendig iſt, ge-
wacht und gehalten worden zu ſeyn.
§. 103.
Sollen die Jnduſtrie-Schulen wirklich in der erforder-
lichen moͤglichſten Allgemeinheit zu Stande kommen, ihrem
Zwecke und den darauf zu verwendenden Koſten wirk-
lich entſprechen, und ihre beſtaͤndige Fortdauer auch
fuͤr die Zukunft geſichert ſeyn, ſo muß vor allen Din-
gen die Regierung, gemeinſchaftlich mit
den Staͤnden, ſich ſelbſt ein deutliches und moͤg-
lichſt vollſtaͤndiges Bild einer ſolchen Jnduſtrie-
Schule entwerfen, und hierauf, unter moͤglichſt ge-
nauer Bezeichnung der Grundzuͤge derſelben, ſo weit
ſich nur immer im Allgemeinen hieruͤber etwas vor-
ſchreiben laͤſſt, die Errichtung einer ſolchen Schule fuͤr
die Jugend einer jeden Gemeinde, durch ein neues
allgemeines Geſetz befehlen. Sollte eine oder
die andere Gemeinde hierauf wegen beſonderer oͤrtlichen
Verhaͤltniſſe die wirkliche Zweckloſigkeit oder Zweck-
widrigkeit oder Unausfuͤhrbarkeit einer Jnduſtrie-Schule
fuͤr den Ort durch hinreichende Gruͤnde darthun koͤn-
nen, ſo muß die Errichtung einer ſolchen Schule ihr
auch nicht zugemuthet werden. Von jeder anderen Ge-
meinde aber muß hierauf ein beſtimmter, zwar nach
Maßgabe der beſonderen oͤrtlichen und Zeit-Verhaͤlt-
niſſe zu entwerfender, aber nach einem beſonders vor-
zuſchreibenden Fragen-Syſtem moͤglichſt gleichfoͤrmig
zu Papier zu bringender Plan uͤber die wirkliche
oͤrtliche Ausfuͤhrung obiger allgemeinen Grund-
zuͤge, und uͤber die Aufbringung der zugleich zu be-
rechnenden Koſten der erſten Einrichtung ſowohl, als
der jaͤhrlichen Unterhaltung verlangt, und jeder ſolche
Plan zunaͤchſt von einer beſonders zu beſtimmenden
Oberamtsbezirks-Behoͤrde, und dann von einer eben-
falls beſonders zu beſtimmenden Central-Behoͤrde
auf's Genaueſte gepruͤft, und nach Umſtaͤnden, unter
Ruͤckſprache mit den betreffenden Bezirks- und Orts-
behoͤrden, modificirt werden. Denjenigen Gemeinden,
welche eine abſolute Unvermoͤgenheit zu Bezahlung des
ganzen Koſtens, ſo weit er nothwendig iſt, nachwei-
ſen, muß der Zuſchuß des Fehlenden aus ir-
gend einer Central-Caſſe beſtimmt zugeſichert,
oder aber von der Errichtung einer ſolchen Schule ebenfalls
abſtrahirt werden. Jeder Gemeinde hingegen, von welcher
nicht die abſolute Unmoͤglichkeit der Errichtung einer ſolchen
Schule oder der Aufbringung des ganzen Koſtens er-
wieſen worden iſt, muß ein beſtimmter Termin zu
wirklicher Eroͤffnung derſelben anberaumt, fuͤr
Einhaltung dieſes Termins die Orts- und Bezirks-
behoͤrde verantwortlich gemacht, und von der oben-
gedachten Central-Behoͤrde dann nicht nur uͤber
wirklicher Eroͤffnung jeder Schule inner-
halb des vorgeſchriebenen Termins, ſondern auch uͤber
kuͤnftigem ordentlichen Fortgang derſelben
mit Eifer, Ernſt, und Beharrlichkeit gewacht wer-
den. — Dann wird gewiß auch der ſchoͤne, durch die
ſtrengſten Polizey-Anſtalten bisher nicht erreichte
Zweck, die Kinder vom Muͤſſiggang, Bet-
tel, und allen daraus entſtehenden La-
ſtern abzuhalten, ſie ihrer kuͤnftigen Be-
ſtimmung gemaͤß zu erziehen, und hiedurch
fuͤr die Zukunft die Zahl der Bettler und
unterſtuͤtzungs-beduͤrftigen Armen zu ver-
mindern, nach und nach im ganzen Umfange und
zum Heil des Vaterlandes erreicht werden. —
Dieſe Schrift iſt allein bey dem Verfaſſer ſelbſt (in
Stuttgart, zunaͤchſt am Wilhelmsthor wohnhaft) zu haben.
Der Preis fuͤr ein einzelnes Exemplar iſt ungebunden
48 kr., broſchirt mit Umſchlag 53 kr., in Pappendeckel ge-
bunden 58 kr. Wenn jedoch mehr als 5 Exemplare zugleich
beſtellt und bezahlt werden; ſo wird je auf 5 Exemplare ein
6tes ungebunden frey verabfolgt.
Es wird gebeten, Briefe und Gelder gefaͤlligſt frankiren,
und erſteren 1 kr., letzteren 2 kr. Brieftraͤgerlohn beylegen
zu wollen.