Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmid, Hermann: Mohrenfranzl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 88–178. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

tertem, sondern mit erheitertem Gemüthe von sich lassen. Es war eigentlich nur eine einzige Scene, in welcher ein unterm Pantoffel seiner etwas herrschsüchtigen Ehehälfte stehender Mann das Stricken erlernen und sich damit beschäftigen sollte, während sie selbst eine auswärtige Kaffeevisite vorzunehmen beabsichtigte. Der Ehemann stellte sich sehr albern und ungelehrig an, so daß die Frau ihm das Strickzeug abnimmt und ihm die Behandlung eifrigst vormacht. Statt aufzumerken benützt aber der Ehemann diesen Augenblick, um durchzubrennen und sich unter die Zuschauer zu schleichen. Von hier aus ruft er der emsig strickenden Alten zu, sie belfert auf den Entflohenen herunter, und unter dem dröhnenden Gelächter der Versammlung stürzte die ganze, nur an Stricken hängende leinene Bühne über der Keiferin zusammen. Wie ich erfuhr, ist dieser Einsturz jedesmal der Schluß der Vorstellung und ein nicht mißzuverstehendes Zeichen, daß die Zuschauer nichts mehr zu thun haben, als sich zu trollen.

Ich trollte mich denn auch, vollauf mit dem Gesehenen und Gehörten beschäftigt, denn es war mir schnell klar geworden, daß mein Glücksstern mir ein wunderbar erhaltenes Bruchstück aus dem alten deutschen Volksleben entgegengeführt hatte. Diese schauspielerischen Schiffer waren unverkennbar ein Ueberrest der alten zünftigen Handwerkerbühnen, und das Nachspiel war ein Abkömmling der früheren Stegreif-Komödie, bei welcher nur der Plan und Gang des Stücks

tertem, sondern mit erheitertem Gemüthe von sich lassen. Es war eigentlich nur eine einzige Scene, in welcher ein unterm Pantoffel seiner etwas herrschsüchtigen Ehehälfte stehender Mann das Stricken erlernen und sich damit beschäftigen sollte, während sie selbst eine auswärtige Kaffeevisite vorzunehmen beabsichtigte. Der Ehemann stellte sich sehr albern und ungelehrig an, so daß die Frau ihm das Strickzeug abnimmt und ihm die Behandlung eifrigst vormacht. Statt aufzumerken benützt aber der Ehemann diesen Augenblick, um durchzubrennen und sich unter die Zuschauer zu schleichen. Von hier aus ruft er der emsig strickenden Alten zu, sie belfert auf den Entflohenen herunter, und unter dem dröhnenden Gelächter der Versammlung stürzte die ganze, nur an Stricken hängende leinene Bühne über der Keiferin zusammen. Wie ich erfuhr, ist dieser Einsturz jedesmal der Schluß der Vorstellung und ein nicht mißzuverstehendes Zeichen, daß die Zuschauer nichts mehr zu thun haben, als sich zu trollen.

Ich trollte mich denn auch, vollauf mit dem Gesehenen und Gehörten beschäftigt, denn es war mir schnell klar geworden, daß mein Glücksstern mir ein wunderbar erhaltenes Bruchstück aus dem alten deutschen Volksleben entgegengeführt hatte. Diese schauspielerischen Schiffer waren unverkennbar ein Ueberrest der alten zünftigen Handwerkerbühnen, und das Nachspiel war ein Abkömmling der früheren Stegreif-Komödie, bei welcher nur der Plan und Gang des Stücks

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0012"/>
tertem, sondern mit erheitertem Gemüthe von sich                lassen. Es war eigentlich nur eine einzige Scene, in welcher ein unterm Pantoffel                seiner etwas herrschsüchtigen Ehehälfte stehender Mann das Stricken erlernen und sich                damit beschäftigen sollte, während sie selbst eine auswärtige Kaffeevisite                vorzunehmen beabsichtigte. Der Ehemann stellte sich sehr albern und ungelehrig an, so                daß die Frau ihm das Strickzeug abnimmt und ihm die Behandlung eifrigst vormacht.                Statt aufzumerken benützt aber der Ehemann diesen Augenblick, um durchzubrennen und                sich unter die Zuschauer zu schleichen. Von hier aus ruft er der emsig strickenden                Alten zu, sie belfert auf den Entflohenen herunter, und unter dem dröhnenden                Gelächter der Versammlung stürzte die ganze, nur an Stricken hängende leinene Bühne                über der Keiferin zusammen. Wie ich erfuhr, ist dieser Einsturz jedesmal der Schluß                der Vorstellung und ein nicht mißzuverstehendes Zeichen, daß die Zuschauer nichts                mehr zu thun haben, als sich zu trollen.</p><lb/>
        <p>Ich trollte mich denn auch, vollauf mit dem Gesehenen und Gehörten beschäftigt, denn                es war mir schnell klar geworden, daß mein Glücksstern mir ein wunderbar erhaltenes                Bruchstück aus dem alten deutschen Volksleben entgegengeführt hatte. Diese                schauspielerischen Schiffer waren unverkennbar ein Ueberrest der alten zünftigen                Handwerkerbühnen, und das Nachspiel war ein Abkömmling der früheren Stegreif-Komödie,                bei welcher nur der Plan und Gang des Stücks<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0012] tertem, sondern mit erheitertem Gemüthe von sich lassen. Es war eigentlich nur eine einzige Scene, in welcher ein unterm Pantoffel seiner etwas herrschsüchtigen Ehehälfte stehender Mann das Stricken erlernen und sich damit beschäftigen sollte, während sie selbst eine auswärtige Kaffeevisite vorzunehmen beabsichtigte. Der Ehemann stellte sich sehr albern und ungelehrig an, so daß die Frau ihm das Strickzeug abnimmt und ihm die Behandlung eifrigst vormacht. Statt aufzumerken benützt aber der Ehemann diesen Augenblick, um durchzubrennen und sich unter die Zuschauer zu schleichen. Von hier aus ruft er der emsig strickenden Alten zu, sie belfert auf den Entflohenen herunter, und unter dem dröhnenden Gelächter der Versammlung stürzte die ganze, nur an Stricken hängende leinene Bühne über der Keiferin zusammen. Wie ich erfuhr, ist dieser Einsturz jedesmal der Schluß der Vorstellung und ein nicht mißzuverstehendes Zeichen, daß die Zuschauer nichts mehr zu thun haben, als sich zu trollen. Ich trollte mich denn auch, vollauf mit dem Gesehenen und Gehörten beschäftigt, denn es war mir schnell klar geworden, daß mein Glücksstern mir ein wunderbar erhaltenes Bruchstück aus dem alten deutschen Volksleben entgegengeführt hatte. Diese schauspielerischen Schiffer waren unverkennbar ein Ueberrest der alten zünftigen Handwerkerbühnen, und das Nachspiel war ein Abkömmling der früheren Stegreif-Komödie, bei welcher nur der Plan und Gang des Stücks

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:20:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:20:55Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmid_mohrenfranzl_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmid_mohrenfranzl_1910/12
Zitationshilfe: Schmid, Hermann: Mohrenfranzl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 88–178. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmid_mohrenfranzl_1910/12>, abgerufen am 24.11.2024.