Deutscher
Novellenschatz.
Herausgegeben von
Paul Heyse und Hermann Kurz.
Band 16
Berlin
Globus Verlag
G. m. b. H.
1910
Inhalt:
Seite Gemüth und Selbstsucht. Von F. v. W. 1
Mohrenfranzel. Von Hermann Schmid 87
Der Striethast. Von E. v. Dincklage 179
Die Schlangenkönigin. Von Otto Roquette 221
Mohrenfranzel.
Von Hermann Schmid.
Herman Schmid wurde am 30. März 1815 zu Weißenkirchen in Oberösterreich geboren, wo sein Vater, später Rath am am obersten Gerichtshofe zu München (da das Land noch zur Krone Bayern gehörte), Landgerichtsbeamter war. Nach Vollendung der Gymnasialzeit zu Straubingen und Amberg wandte sich der Sohn dem Rechtsstudium zu und erlangte für die Lösung einer Preisfrage den Grad eines Doctors beider Rechte, worauf er bald in die Praxis eintrat und als Actuar der Polizeidirection zu München angestellt wurde. Das Jahr 1848 brachte eine entscheidene Wendung in sein Leben. Seine Theilnahme an der politischen, insbesondere der deutschkatholischen Bewegung jener Zeit hatte zur Folge, daß der inzwischen zum Assessor am Stadtgericht beförderte junge Jurist seine Stelle verlor und von nun an ausschließlich seiner literarischen Thätigkeit lebte.
Zunächst als Dramatiker. Ein Erstlingswerk, das Trauerspiel „Camoens“ , war in München mit Beifall aufgenommen worden. Eine Reihe anderer Stücke folgte, doch hatte erst das Schauspiel „Columbus“ sich eines durchschlagenden und der Anerkennung in weiteren Kreisen zu erfreuen. Seitdem ist Schmid mit wechselndem Glück dem Drama treu geblieben, während sich seine eigentliche Popularität vorwiegend an sein Erzähltalent knüpft. Seine „alten und neuen Geschichten aus Bayern“, „das Schwalberl“, die historischen Romane „mein Eden“, „der Kanzler von Tyrol“, „Almenrausch und Edelweiß“ und die in den letzten Jahren durch die Gartenlaube weit verbreiteten Dorfgeschichten haben
ihm einen großen Leserkreis gewonnen. Eine Zeitlang mit der Leitung des Münchener Volkstheaters betraut, dem er mancherlei Volks- und Gelegenheitsstücke lieferte, ist er seit einigen Jahren zu seinen schriftstellerischen Aufgaben ausschließlich zurückgekehrt.
Die von uns ausgewählte Erzählung wird den glücklichen Blick des Verfassers für das Charakteristische im Volksleben seiner bayrischen Heimath, die ihm eigene Sicherheit in der novellistischen Composition und seine leichte, gefällige Darstellung erkennen lassen.
1. Der Herbst war ungewöhnlich früh gekommen und hatte mich in den Gebirgsgegenden um Berchtesgaden überrascht. Auf den Höhen lag bereits Schnee, und es war keine Hoffnung mehr, sie besteigen und den Studien nachhängen zu können, welche mich in das enge, glückliche Thal geführt und mich bewogen hatten, dasselbe zum Mittelpunkte meiner Ausflüge zu machen. Wohl oder übel mußte ich an die Rückkehr hinter mehr gesicherte Mauern denken und ließ meine wählenden Blicke auf den kleinen Städten ruhen, welche an dem linken Ufer der Salzach in geringen Entfernungen wie unmuthige und bequeme Stationen liegen und die sanft ansteigenden Hügelketten verzieren.
Eines davon sollte das Winterquartier werden, in welchem ich eine längst vorbereitete größere Arbeit vollenden wollte.
Die Wahl fiel zuletzt auf das freundliche Tittmoning, das mit seinem breiten, stattlichen Platze, mit seinen
an die Städte Italiens erinnernden flachen Dächern, und dem hoch über Häuser und Stadt emporragenden Schlosse sich gar lieblich längs der Salzach hinstreckt, deren blitzender Lauf sich durch das buschige Gelände weithin verfolgen läßt, bis unter die fernschimmernden Zinnen von Hohensalzburg. Ich war über Erwarten leidlich untergebracht, und, von Ort und Einwohnerschaft angeheimelt, hoffte ich den Winter in erwünschter fruchtbringender Weise vorübergehn zu sehn. Mein Gastwirth war ein freundlicher Mann, sehr sorgsam um die Unterhaltung seines Gastes bemüht und zugleich befremdet, daß derselbe die Abende in der Stube hinter Schreibzeug und Büchern zubrachte, anstatt wie die andern männlichen Bewohner dem traulichen Zuge in die gewohnte Abendgesellschaft zu folgen, die sich abwechselnd bald in diesem, bald in einem andern Gasthause versammelte. Dieser Besorgniß hatte ich es zu verdanken, daß er eines Abends mich mit jener freudigen Miene besuchte, welche ankündigte, daß er eine mindestens ihm wichtige Nachricht zu bringen habe. Sie war es auch in der That; mindestens überraschte es mich, als er mir mittheilte, daß dem Städtchen für den Abend das seltene Vergnügen eines Schauspiels bevorstand, und zwar nicht eines Schauspiels von gewöhnlichen wandernden Komödianten, sondern von Bürgern, nämlich von den Laufner Schiffleuten. Das sind, belehrte er mich, als ich meine Verwunderung äußerte, die Mitglieder der Schifferzunft in Laufen, dem näch-
sten Städtchen, das an der Salzach aufwärts an der bayerischen Grenze liegt. Die Zunft ist sehr zahlreich und treibt die Schifffahrt auf der Salzach ausschließend und in großer Ausdehnung. Besonders mit den Salzzügen kommen sie die ganze Donau hinunter bis tief in die Türkei. Im Winter aber und im Spätherbst, wenn wegen der kurzen Tage, wegen der Nebel und dann wegen des Eises die Schifffahrt nicht mehr möglich ist, steht die ganze Zunft zusammen und spielt Theater. Sie theilen sich in mehrere Truppen und bereisen die umliegenden Städte und Marktflecken, wo sie Jahr für Jahr mit Sehnsucht erwartet werden. Sie spielen auf gemeinsame Rechnung; die Spielenden werden aus der Einnahme verpflegt, alles Uebrige fällt in die Kasse und wird theils angelegt, theils vertheilt. Die Stücke, die sie spielen, gehören mitunter den neuern Erscheinungen an; meistens aber sind es Stücke, die aus dem Volke entstanden sind und die man auf keinem andern Theater findet. Ich glaube gewiß, daß Sie es nicht bereuen werden, hingegangen zu sein.
In der ganzen Sache lag etwas Lockendes und Eigenthümliches, so daß ich mich rasch entschloß, den Abend daran zu wenden, ein neues und besonderes Stück Volksthum kennen zu lernen, und also dem Bräuhause zuwanderte, in dessen Tanzsaal die Bühne der Schiffleute aufgeschlagen war. Der am Hausthore neben der Bierglocke angeklebte geschriebene Theaterzettel be-
lehrte mich, daß ich den Lebenslauf und Tod des heiligen Johann Nepomuk, des Patrons aller Schiffer und Flößer, zu sehen bekommen sollte. Als Schluß war ein lustiges Nachspiel ohne Titel angekündigt. Der etwas niedrige Saal hatte nicht gestattet, der Schaubühne, welche die ganze Breite einnahm, die nöthige Erhöhung zu geben. Sie erhob sich daher nur wenig über den Zuschauerraum, und die vordersten Reihen der Plätze waren der Scene gegenüber in so vertraulicher Nähe angebracht, daß man den Spielenden recht wohl die Hände reichen konnte und daß die Absicht scenischer Täuschung nicht auf äußere Zuthaten gegründet war. Ich wählte meinen Platz, der Ungestörtheit wegen, mehr gegen die Mitte zu und überzeugte mich aus der Ueberfüllung des Saales, daß die Beliebtheit der künstlerischen Schiffleute keine Fabel war. Nach einem von den Gesellen des Stadtthürmers herzhaft abgeblasenen Musikstück rollte der Vorhang mit der in Wolken schwebenden und bekränzten Lyra empor, und wir befanden uns in Prag, am Hofe des wilden Böhmenkönigs Wenzel. Es war ein ziemlich grob aus Brettern zusammengenagelter Tyrann, den ein ebenso grobkörniger Bösewicht von Kanzler in allen unwürdigen Leidenschaften bestärkte, um im Trüben fischen und sich bereichern zu können. Dabei waren ihm hauptsächlich zwei Personen im Wege, die tugendhafte Königin und ihr nicht minder tugendhafter Gewissensrath. Der Kanzler drehte daher aus der Eifersucht Wenzels die Dop-
pelschlinge für Beide, und es gelang ihm auch. Die Königin wurde vom Hofe verbannt, Johann von Nepomuk aber für feine standhafte Weigerung, die ihm in der Beichte anvertrauten Geheimnisse der Königin zu offenbaren, zum Tode in den Fluten verurtheilt. Die Hinrichtung bildete die Schlußscene. Von einem Brückenbogen wurde der Martyr in die Moldau herabgestürzt, die vom Maler allerdings schrecklich genug dargestellt war, aber schon im Sturze begann die Verherrlichung desselben, denn um sein Haupt erschien die Krone von Sternen, mit denen der Heilige auf allen Brücken zu prangen pflegt. Es war eine derb gezimmerte und roh umrissene, aber nicht wirkungslose Arbeit, in einem gespreizten, für vornehm geltenden Tone dialogisirt, aber gesund und naturwüchsig im Kern. Die Darstellenden waren große, starkgegliederte Männer und Bursche, die mit den behelmten Köpfen an die Soffiten stießen und ihre Rollen mit derber Natürlichkeit und unverkennbarer Geübtheit durchführten, unbekümmert darum, ob nicht der Gang regelwidrig, oder eine Bewegung eckig war, oder ob der Dialekt der Darsteller sich etwas gar zu deutlich hörbar machte. Das Publicum kehrte sich nicht an derlei Kleinigkeiten, es sah nur den Kern und war von diesem hingerissen, daß es in Thränen zerfloß. Das ebenso kurze als possenhafte Nachspiel war vollkommen geeignet, die Zuschauer wieder in heitere Laune zu versetzen, denn die geschäftskundigen Schiffer wollten ihre Gäste nicht mit erschüt-
tertem, sondern mit erheitertem Gemüthe von sich lassen. Es war eigentlich nur eine einzige Scene, in welcher ein unterm Pantoffel seiner etwas herrschsüchtigen Ehehälfte stehender Mann das Stricken erlernen und sich damit beschäftigen sollte, während sie selbst eine auswärtige Kaffeevisite vorzunehmen beabsichtigte. Der Ehemann stellte sich sehr albern und ungelehrig an, so daß die Frau ihm das Strickzeug abnimmt und ihm die Behandlung eifrigst vormacht. Statt aufzumerken benützt aber der Ehemann diesen Augenblick, um durchzubrennen und sich unter die Zuschauer zu schleichen. Von hier aus ruft er der emsig strickenden Alten zu, sie belfert auf den Entflohenen herunter, und unter dem dröhnenden Gelächter der Versammlung stürzte die ganze, nur an Stricken hängende leinene Bühne über der Keiferin zusammen. Wie ich erfuhr, ist dieser Einsturz jedesmal der Schluß der Vorstellung und ein nicht mißzuverstehendes Zeichen, daß die Zuschauer nichts mehr zu thun haben, als sich zu trollen.
Ich trollte mich denn auch, vollauf mit dem Gesehenen und Gehörten beschäftigt, denn es war mir schnell klar geworden, daß mein Glücksstern mir ein wunderbar erhaltenes Bruchstück aus dem alten deutschen Volksleben entgegengeführt hatte. Diese schauspielerischen Schiffer waren unverkennbar ein Ueberrest der alten zünftigen Handwerkerbühnen, und das Nachspiel war ein Abkömmling der früheren Stegreif-Komödie, bei welcher nur der Plan und Gang des Stücks
voraus im Allgemeinen festgestellt, die Ausführung aber und der Dialog dem Witz und Geschick der Spielenden überlassen war. Mit diesen Gedanken beschäftigt traf ich unter dem Bogenthor des Hauses einen alten Mann in der kurzen Jacke lehnen, welche den Schiffer bezeichnet, und in welchem ich augenblicklich einen der Mitspielenden erkannte. Es war einer von Kaiser Wenzel's Leibtrabanten und in der Posse der glücklich entkommene Pantoffel-Ritter gewesen; schien also eine der ersten komischen Kräfte der Gesellschaft zu sein. Mein Wunsch, von den Verhältnissen der Schiffer und Schauspieler mehr zu erfahren, mich über ihr Leben, über Art und Weise ihres Spiels näher zu unterrichten, brachte mich zu dem Entschluß, die Bekanntschaft des Alten zu suchen, was auch ohne Schwierigkeit gelang. Der Mann war gesprächig und launig, und es schien ihm nicht zu mißfallen, daß man sich um diese Dinge bekümmerte, und so saßen wir bald in der summenden Zechstube nebeneinander, aber weit genug von den übrigen Gästen entfernt, um in unserer Unterredung nicht gestört zu werden.
Ja, das Komödie-Spielen, sagte mein Schiffer und komischer Alter mit stolzem Selbstgefühl, das ist ein Recht, das wir Scharler — so heißen die Schiffer im Munde des Volks — seit mehr als tausend Jahren haben und das uns kein Mensch nehmen kann. Vor etwa vierzig Jahren hat's ein Landrichter einmal probirt und hat es uns verbieten wollen, aber da sind
die Scharler alle aufmarschirt vor dem Landgericht und haben ihm ihre Rechten auseinander gesetzt, und dahat er es wohl bleiben lassen. Es ist eine schöne und ganz erbauliche Beschäftigung und hält uns zusammen während der müßigen Zeit, wo es nichts ist mit dem Schifffahren. Auch bringt es Manchen auf gute Gedanken und giebt den Burschen und Mädeln eine feine Manier, daß sie sich überall sehen lassen und mitreden können an der Salzach und die Donau auf und ab, von Regensburg bis nach Belgrad und noch weiter. Drum halten wir Scharler auch was auf unsern Stand; wer alt oder gebrechlich ist, den versorgt die Zunft, und es kommt wunderselten vor, daß Einer aus der Zunft hinausheirathet oder sich eine Andere als eine Schiffertochter zur Frau holt.
So erzählte der Alte verschiedene Einzelnheiten, die mich anzogen, und erwiderte auf meine Frage nach den Stücken und ihrer Spielweise: Das ist auch eine ganz eigene Sach'. Die neuen Stück', die werden uns von den Leuten oder von den wirklichen Komödianten verrathen und angegeben; die alten aber, die gehören uns allein, und die darf uns auch Niemand nachspielen. Die wenigsten davon haben wir aufgeschrieben; eine jede Person weiß von Jugend auf vom Hören, was sie' zu sagen hat, und wenn Einer nimmer mitmachen kann, muß er es Den lehren, der nach ihm kommt, und muß ihn abrichten. So ist's auch mit den lustigen G'spielen; da muß halt Jeder selber so gescheidt sein
und muß sich was einfallen lassen . . . Wer die alten Stück gemacht hat, wissen wir nicht, aber es heißt, daß es auch ein Scharler gewesen ist. Sie dürfen's gar wohl glauben, daß unter unsern jungen Burschen auch mancher alerte Kopf ist . . . da war Einer, für den es Jammer und Schad ist, daß wir ihn verloren haben . . . Der hat uns ein Spiel gemacht von der Königin von Saba ... ich muß mich allemal giften, so oft ich dran denk', wie schön das war!
Und warum? fragte ich. Habt ihr es nicht mehr? Ist der Bursche nicht mehr da? Ist er Wohl gar verunglückt?
Nein, verunglückt ist er just nicht, war die Antwort, aber er ist weit fort, in die Türkei hinunter, und kommt nimmer wieder und das Spiel hat er auch mitgenommen ... das Mohrenfranzel war an Allem Schuld!
Das Mohrenfranzel? erwiderte ich mit erweckter Neugierde. Ich hatte die Schiffer als Schauspieler gesehn und war darum sehr begierig, etwas aus dem Leben eines ihrer Dichter zu hören. Wie war das? Erzählt mir doch!
Der alte Scharler ließ sich frisch einschenken und erzählte mir, was ich in den folgenden Blättern niedergelegt habe — möglichst treu und ohne andern Schmuck, als die einfache Geschichte in sich selber trägt und verträgt.
Wir schieden als die besten Freunde von einander, und ich mußte dem Alten versprechen, daß ich ihn und
seine Genossen, so lange sie in dem Städtchen sein würden, noch öfter besuchen wolle. Ich hielt es auch, aber — war es Zufall, oder war es eine Laune des Alten, mir auszuweichen, ich begegnete ihm nicht mehr, und dieser Umstand hat vielleicht mitgewirkt, mir die Begegnung mit ihm und die Geschichte vom Mohrenfranzel besonders einzuprägen.
Achtzehn Jahre mochten ungefähr vergangen sein, seit die französischen Heersäulen freundlich und feindlich das Gebiet des Hochstifts Salzburg und die angrenzenden Theile von Bayern durchzogen und darin an manchen Orten auf kürzere oder längere Zeit ihre Quartiere aufgeschlagen hatten. Es war bereits ein jüngeres Geschlecht herangewachsen, das die Erlebnisse und Drangsale jener Zeit nur mehr vom Hörensagen kannte; die früher so sichtbaren Spuren des Aufenthalts dieser unwillkommenen Gäste waren vollends verwischt, und höchstens ein paar an der Laufener Stifskirche eingemauerte Kanonenkugeln erinnerten daran, daß die Franzosen mit ihren Gastgeschenken nicht eben sehr wählig gewesen waren. Der Spätherbst war im vollen Anzuge; zum letztenmal war die „Hohenau“ — so heißt immer das Hauptschiff eines Zuges — stromaufwärts gezogen worden, und die Vorbereitungen für die Beschäftigung des Winters waren im vollen Gange. Deßhalb war es in der „Schopperstadt,“ wo die Schiffbauer wohnen, an einem Vormittag besonders lebendig, denn in einem
großen Schopperstadel sollte die Berathung über die neuen Stücke gepflogen, die Anmeldung von neuen Spielern angenommen und die einzelnen Truppen abgetheilt werden. Um den Eingang zusammengedrängt stand eine Gruppe von jungen Burschen und Männern, Mädchen und Frauen, und zeigte sowohl durch diesen Platz als durch ihr Benehmen, daß sie zu den Vornehmeren und Reicheren der Zunft gehörten. Es waren meistens die Spieler, welche schon in den vorigen Jahren mitgewirkt und besondere Brauchbarkeit bewiesen hatten. Sie durften wohl ein wenig das große Wort führen und waren gewiß, daß sie auch in diesem Jahre hochwillkommen und unentbehrlich sein würden.
Unter den Burschen ragte Einer durch die besondere Höhe, Schlankheit und Wohlgestalt seines Körpers hervor; sein Gesicht war voll Ausdruck und zeigte eine angenehme Heiterkeit. Die braunen Augen funkelten voll Lebenskraft, die kräftigen rothen Lippen zuckten zu einem freundlichen Lachen, und wenn dies laut und herzhaft ausbrach, erschienen ein paar Reihen so blendend weißer Zähne, daß man wohlgefällig bei dem Anblick des Burschen verweilte und seinen Reden gern zuhörte, noch ehe man wußte, was er sagen würde. Es hatte bei diesen Eigenschaften nicht ausbleiben können, daß Hanney — so lautet die Abkürzung von Johannes in der Schiffersprache — der erste Liebhaber und Held der winterlichen Bühne geworden; man fand es allgemein um so natürlicher, denn auch während
des Sommers war er Einer der Ersten. Hanney war überall voran, wo es Ernst und Gefahr galt; Keiner war ein so guter Schwimmer, Keiner wußte so gut zu steuern, Keiner so gut den Zug zu führen und das mächtige Seil, woran das Schiff befestigt ist und welches scherzweise der „Faden“ genannt wird, zu leiten und über die hundert verschiedenen Hindernisse wegzubringen.
Sag, was du willst, rief er einem neben ihm stehenden Burschen zu, wenn ich den Hiesel nicht spielen soll, so könnt ihr auch für die übrigen Rollen um einen andern Spieler umschauen. Ich will eher Schiffbub werden und meiner Lebtag den letzten Stangenreiter machen, als daß ich mich von meinem Platz verdrucken lass'. Der Melcher spielt nicht halb so gut, wie ich — warum soll ich ihm nachgesetzt werden?
Wie du daher red'st, war die Antwort, vom Nachsetzen ist ja gar keine Red'! Der Melcher ist ein Schiffmeisterssohn, und du bist ein gemeiner Scharler, wie wir auch. Das weiß doch alle Welt, daß er der Schwiegersohn von unserm Zunftmeister werden und seine Tochter, die Wolfsind, heirathen will. Da möcht' er halt auch einmal in der Komödie den Liebhaber mit ihr spielen, und weil der bayrische Hiesel just wieder neu gelernt wird, hat sie's durchgesetzt, daß er den Hiesel spielen soll . . .
Das weiß ich lang, entgegnete Hanney, indem ihm das Blut ins Gesicht stieg, aber er soll mit der Wolf-
sind nicht spielen . . . weder den Hiesel noch 'was Anderes!
Aber wie ist denn das? . . . Das sieht ja fast aus . . .
Und wie denn? fragte Hanney rasch.
Als wenn's dir nit so eigentlich um den Hiesel und um das Spielen zu thun wär', sondern um die Wolf sind . . . Dann ging' mir freilich ein Licht auf, wie eine Fackel so groß, und dann wüßt' ich Wohl, warum ihr Zwei es gar so gut und so zärtlich könnt miteinander, wenn ihr auf dem Theater seid!
Untersteh dich, Nickel, rief Hanney auflodernd. Untersteh dich, der Wolfsind so was nachzusagen! Wer kann sagen, daß sie einmal was Andres sagt oder thut, als was sich schickt und gehört? Wer kann sagen, daß ich . . . Wenn du mir so was nachsagst, brech' ich dich in der Mitten ab, wie einen Spahn!
Sei halt so gut, erwiderte Nickel, und sang einen Disputat an wegen Nichts und wieder Nichts. Du bist selber Schuld — red nicht so daher, wenn man nicht auf solche Gedanken kommen soll!
Ich hab' nichts gesagt, entgegnete Hanney ruhiger und nicht ohne einige Zeichen von Verwirrung, nichts — als daß der Melcher nicht spielen soll mit der Wolfsind . . . weil ich . . . weil ich ihm neidig bin darum . . . weil sie die beste Spielerin ist, wie der König keine bessere hat bei seinem Hoftheater . . . weil ich
nicht haben will, daß ein Anderer neben ihr dort steht wie ein Holzblock und ihr das Spiel verdirbt. . .
Das leise Klirren eines angezogenen Fensterflügels unterbrach den Redefluß des Burschen. Es ließ sich gerade über den Köpfen der Redenden vernehmen und schien von der kleinen Stube zu kommen, die in den Schopperstadel eingebaut war und zum gewöhnlichen Versammlungsorte diente. Was ist's? fragte Hanney, der zu nahe stund, um zum Fenster emporsehn zu können. Was wird's gewesen sein! antwortete Nickel lachend, wir haben Zuhörer gehabt bei unserm Discurs — warum schreist du auch so laut, als wenn du auf dem Theater wärst. Es ist Jemand in aller Geschwindigkeit vom Fenster weg, und ich werd' mich nicht irren, daß es die Wolfsind selber gewesen ist . . .
Meinetwegen, sagte Hanney, was ich gesagt habe, hat sie hören dürfen ... ich stehe mein Wort nicht um . . . aber wer ist denn die große schlanke Person, die dort ganz allein auf der halbfertigen Plätten sitzt und uns den Rücken zuwendet? Ich hab' wirklich so halb und halb geglaubt, es müßte die Wolfsind sein nach der ganzen Gestalt . . .
Na, es ist gut, daß sie das Fenster zugemacht hat, lachte ein Alter, der dem Gespräche der beiden Bursche zugehört hatte, denn die Wolfsind würde sich bedanken, wenn du sie mit der Mohrenfranzel zusammen vergleichen thätest . . .
Mit der Mohrenfranzel? rief Hanney verwundert. Ist's möglich, daß das die kleine schwarze Franzel ist?
Die ist's, antwortete Nickel, aber aus der kleinen Franzel ist eine große geworden, noch zehnmal wüster und schwärzer, als wie sie als Kind gewesen ist . . .
Was ist es denn mit ihr? fragte Hanney theilnehmend. Wie kommt's, daß man sie gar nie mehr zu Gesicht bekommen hat? Ich hab' gar nicht mehr daran gedacht, daß sie noch auf der Welt ist! Ich weiß nicht recht, sagte der Alte, aber ich hab' gehört, daß sie fort war bei einer Base im Salzburgischen und hat sich einen Dienst gesucht. Es will sie ja Niemand haben bei uns wegen ihrem schwarzen Gesicht . . .
Armer Narr! sagte Hanney, indem er mitleidig auf die Einsame hinüber sah, die regungslos und sichtbar betrübt dasaß, ohne daß eine der hin und her eilenden Weiber und Mädchen sich um sie bekümmerte. Wir sind Nachbarsleut' gewesen, als Kinder — dazumal, wie mein Vater noch gelebt hat . . . Was wird sie wollen, daß sie so dasitzt?
Weiß nicht, rief Nickel, vielleicht denkt sie sich, wenn es mit dem Dienen nicht geht, so geht's mit etwas Anderm, und sie will mit uns Komödie spielen!
Schallendes Gelächter aller Umstehenden begleitete den Einfall des Burschen. Das wär' selber eine Komödie! sagte der Alte, indem er sich die Lachthränen abwischte. Wenn der schwarze Fankerl mitspielen wollt', da thäten die Leut' davon laufen! Dann könnten wir sie zugleich herleihen zum Kinderschrecken!
Oder wir müßten schauen, daß wir ein neues Stück bekämen, in dem der Teufel vorkommt, da könnte sie dann seine Großmutter vorstellen.
Schade, daß bei den heiligen drei Königen der schwarze Kaspar ein Mannsbild ist, da könnt' man sie prächtig brauchen dazu!
So flog Spott und derber Spaß unter lautem Gelächter hin und her. Hanney allein betheiligte sich nicht daran und sah theilnehmend nach der fremdgewordenen Jugendgespielin hinüber. Sie war unbeweglich wie zuvor.
Jetzt gab eine Glocke das Zeichen zum Beginn der Versammlung und der Verhandlungen. Alles strömte dem Schopperstadel zu, der sich bald mit einer ansehnlichen Menge füllte, unterschieden nicht nur nach Geschlecht und Alter, sondern auch nach Stand und Würden, die nach der patriarchalischen Verfassung der ganzen Zunft noch strenge aufrecht gehalten und beobachtet wurden. Um den Zunftmeister waren die älteren Schiffer, die Schopper oder Schiffbauer, die Vorderstangenreiter versammelt; nebenan kamen ihre Weiber, die entweder aus Neugier Zuhörerinnen abgeben wollten oder noch die Frauenrollen zu übernehmen hatten. Die jüngeren Leute gruppirten sich in der Runde, je nachdem Neigung und Bekanntschaft sie zu einander führten. Eines von den Mädchen zeichnete sich vor den übrigen durch den feinern Anzug und die goldene Halskette aus, während die übrigen sich dabei, wie an den Mieder-
Geschnüren, mit Silber begnügten. Es war eine angenehme Erscheinung, zwar etwas über die gewöhnlichen Verhältnisse und das Maß von Mädchen hinausgehend, aber von höchst regelmäßigen und einnehmenden Gesichtszügen. In ihrer Nähe hielt sich ein etwas aufgeputzter Bursche mit auffallender Selbstgefälligkeit und geziertem Schönthun. Das Mädchen schien ihm mit Vergnügen zuzuhören, doch würde es einem aufmerksamen Beobachter nicht entgangen sein, daß ihre Blicke manchmal nach den übrigen Burschen hinüber streiften, wo Hanney stand.
Die Abtheilung der Gesellschaften war rasch geschehn und bot keinen besondern Zwischenfall dar. Hanney war zu der Abtheilung gekommen, der er schon im vorigen Jahre angehört hatte. Der alte Zunftmeister war der Leiter derselben und spielte die Väter, Wolfsind war die Liebhaberin und Hanney förmlich zum Helden und Liebhaber ausgerufen. Eine Röche der Befriedigung überflog sein Gesicht; auch Wolfsind sah keineswegs unzufrieden vor sich hin, aber der aufgeputzte Bursche neben ihr schien desto weniger von der Neuigkeit erbaut. Er trat vor und rief dem Zunftmeister über den Tisch zu: Das muß eine Irrung sein, Meister — zu der Braunauer Abtheilung bin doch ich bestimmt gewesen! Der Meister, ein eisgrauer Mann mit einem bedächtigen und fast strengen Gesicht, nahm aber die Einsprache sehr übel auf. Wenn die Zunft beieinander ist, weiß ein Jeder, was er sagt oder thut, da kommt
eine Irrung nicht vor. Du bist zu der Braunauer Abtheilung bestimmt gewesen, aber wir haben uns anders besonnen, daß das just die beste Abtheilung ist, die in die größern Städte kommt, wo wir unser Renommee erhalten müssen. Drum gehst du noch auf eine Zeit zu den Burghausern, Melcher, bis du besser eingespielt bist . . .
Aber die Wolfsind? stammelte der Bursche, verbesserte sich aber sogleich und rief: Aber der bayerische Hiesel, will ich sagen?
Der ist dir versprochen, entgegnete der Alte, und Versprechen muß man halten. Wir fangen bei unserer Abtheilung damit an, ihr könnt's auch thun — mach ihn nur recht brav, daß ihr ihn oft geben könnt!
Der enttäuschte Melcher vermochte nichts mehr zu erwidern; die Bursche, die zuvor mit Hanney unter dem Fenster gestanden, winkten sich mit den Augen zu und stießen sich mit den Ellenbogen. Es war Allen klar, daß die plötzliche Umänderung eines Planes, der schon allgemein bekannt gewesen war und für unumstößlich gegolten hatte, einen besondern Grund haben musse, und Alle suchten ihn unwillkürlich in dem vorausgegangenen Gespräch. Offenbar war Niemand Anderer als Wolfsind am Fenster gewesen; sie hatte Hanney's Worte und Lobeserhebungen gehört und wollte ihm durch die That beweisen, daß sie für diese Huldigung weder undankbar noch unempfindlich war. Auch in Hanney ging eine Ahnung davon auf und verwirrte ihn ein wenig, so daß
er, was wohl am Platze gewesen wäre, es unterließ, für die ihm bewiesene Auszeichnung zu danken. Er hatte die schöne Wolfsind schon lang mit andern Augen und wärmern Empfindungen betrachtet, als die Ausführung seiner Rollen erfordert hätte, wenn es auch meistens Rollen glücklicher oder unglücklicher Liebe waren. Er war aber klug genug, solche Gedanken und Gefühle mit aller Gewalt in sich niederzuhalten denn zwischen einem gemeinen und vermögenslosen Scharler und der Tochter eines der reichsten Schopper, der noch dazu Zunftmeister war, lag ein nicht viel geringerer Abstand, als zwischen ihm und einer Prinzessin. Auch war in Wolfsind's Benehmen durchaus nichts, was ihn bei solchen Vorstellungen ermuntert hätte, wenn sie ja wider Willen sich in Kopf und Herz eindrängten; sie blieb genau und trotz des lebhaftesten Spieles mit voller Ruhe in den bestehenden Schranken, und hinter den Coulissen stand ihr der Bursche, für den sie auf der Bühne soeben aus Liebe gestorben war, um kein Haarbreit näher, als derjenige, der die Lampen putzte oder das Aufziehn und Fallenlassen des Vorhangs besorgte. Um so überraschender war eine solche Bevorzugung, und wenn Hanney sich auch schmeichelte, dieselbe durch seine Leistungen zu verdienen', so sagte ihm doch eine innere Stimme, daß ein Mädchen, das den nahezu erklärten Bräutigam auf Monate von sich weise, um mit einem Andern Liebhaberrollen zu spielen, in diesem nicht bloß den Schauspieler sehe, sondern auch den Mann.
Während er mit diesen Gedanken beschäftigt war und Wolfsind lächelnd und mit Achselzucken den Unmuth Melcher's beschwichtigte, waren die übrigen Gegenstände, welche zu berathen gewesen waren, erledigt, und der Zunftmeister wies seine Abtheilung an, in dem Theater nebenan sogleich mit den Proben zum bayrischen Hiesel zu beginnen. Wir haben nicht viel Zeit zu verlieren, denn wir reisen in vierzehn Tagen, und bis dahin muß das Stück gehn, wie am Schnürchen. Fangt nur an, ich komm' bald nach, wir haben noch ein wenig mit den Rechnungen und mit der Kassa zu thun.
Die jungen Leute zögerten nicht, der Weisung nachzukommen; die übrigen, nicht Beschäftigten zerstreuten sich, und nur die Vorsteher und die Alten blieben zurück. An der Thüre hielten jedoch Mehrere wieder inne, denn sie bemerkten, daß Mohrenfranzel, die sich schüchtern und bescheiden in der Ferne gehalten und zugehört hatte, etwas näher kam, als ob sie ein Anliegen vorzubringen habe. Halt, Buben, sagte Nickel, der sich darunter befand, bleiben wir noch da — das müssen wir doch hören, was das Mohrenfranzel will!
Während sie näher schlichen, hatte auch der Zunftmeister das Mädchen wahrgenommen, das mit sichtbarer Befangenheit näher kam und zu warten schien, bis sie angeredet würde. Sie mochte durch viele bittere Erfahrungen und Zurückweisungen eingeschüchtert sein: es war als ob sie ahnte, daß eine neue Kränkung ihrer
warte, und als zögere sie noch, dieselbe über sich ergehen zu lasten. Es war nicht zu widersprechen, daß sie eine etwas befremdliche Erscheinung war; zu dem bunten Kattunkleide, das sie trug, und zu dem hellen Kopftuche, das sie um die Haare geschlungen hatte, paßte die dunkelbraune Hautfarbe nicht, welche die afrikanische Abstammung verrieth. Dem genauern Beobachter aber entging es nicht, daß aus ihren lebhaften Augen, deren Weiß scharf von den dunklen Wangen abstach, ein tiefes, empfindungsvolles Gemüth sprach, und der keineswegs aufgeworfene, sondern feingeschnittene kirschrothe Mund war von einem feinen, liebenswürdigen Lächeln umspielt. Im Augenblick war es beinahe untergegangen in dem Ausdrucke der Betrübniß, der um ihre Züge lag. Trotz des unkleidsamen Anzugs war ihr schlanker Wuchs sowie die Fülle schöner Formen unverkennbar.
Was kommt da für eine Maske auf uns zu? sagte der Zunftmeister zu den Beisitzern. Auch er hatte über der längeren Abwesenheit des Mädchens, das keine Angehörigen oder Verwandten besaß, völlig vergessen, daß sie noch auf der Welt war. Als Einer der Umstehenden ihn daran erinnerte, besann er sich sogleich und rief das Mädchen an. Hast ein Anliegen an uns, Franzel, weil du so herumstehst? Wenn's so ist, so mach nicht viele Flausen und sag's von der Leber weg!
Franzel trat entschieden vor; die Zaghaftigkeit war von ihr genommen, als sie reden mußte. Was fürcht' ich mich auch, sagte sie zu sich selbst. Ich will ja nichts Unrechtes, und den Kopf können sie mir nicht abreißen, und wenn sie noch so wild thun ... Ich hab' wohl eine rechte Bitt', fuhr sie dann laut fort, und ich meine, ihr werdet mir's nicht abschlagen. Ihr seid ja lauter Hausväter und Männer, die selber Kinder haben . . . Ihr wollt gewiß Alle, daß euern Kindern nicht zu wehe geschieht in der Welt, und so werdet ihr eine arme Person nicht im Stich lassen, die niemals erfahren hat, wie das ist, wenn man Vater und Mutter hat!
Na, sagte der Zunftmeister, du bist wohl nur ein lediges Kind und gehst uns eigentlich nichts an — aber weil deine Mutter doch die Tochter von einem Scharler wär, so wollen wir dich nicht verstoßen und dir helfen, wenn wir können.
Wenn ihr wollt, dann könnt ihr auch, sagte Franzel herzhaft. Ich hab's redlich probirt und kann mich ausweisen darüber, daß ich mich als Magd hab' fortbringen wollen, aber es geht doch nicht. Die Leut' wollen mich nirgends in die Läng' behalten . . . Ihr wißt schon warum . . . Der Winter ist vor der Thür', und so hab' ich bitten wollen, ihr sollt mir durchhelfen und sollt mich mitspielen lassen im Theater . . .
Sie wollte noch mehr sagen, aber der Uebermuth der Bursche, die zugehört hatten, unterbrach sie. Sie
schlugen ein lautes, höhnisches Gelächter auf, und wiederholten sich die Witz- und Scherzworte, mit denen sie sich schon vorher belustigt hatten, als Franzels Wunsch für sie noch nicht mehr gewesen war, als eine bloße Vermuthung. Auch die Vorsteher konnten sich des Lachens nicht enthalten, und selbst um die ernsthaften Lippen des Zunftmeisters war ein verrätherisches Zucken bemerkbar. Er wußte sich jedoch zu bemeistern und gebot den Burschen Ruhe — allein vergebens; die Lachlust hatte die Zügel zerrissen und war nicht so leicht zu bändigen.
Was aber der Zunftmeister nicht zu Wege brachte, das erreichte Franzel selbst. Ihr Gesicht ward dunkler vom aufsteigenden Zorn, unheimlich blitzten die weißen Augen, und mit der vernichtenden Geberde einer beleidigten Königin wendete sie sich rasch den Lachenden zu. Ueber was lacht ihr? sagte sie stolz. Ich meine, ihr dürftet vor der eignen Thür' kehren, und hättet damit so vollauf zu thun, daß die Schamröthe gar nicht mehr weggeht von euren weißen Gesichtern! Wartet, bis die Reihe mitzureden an euch kommt, und laßt den Meister reden!
Die gescholtenen Bursche waren von der Anrede verdutzt und wußten im Augenblick nichts zu erwidern. Der Alte aber sagte: Du kannst es dem jungen Volk nicht übel nehmen, wenn sie über dich lachen . . . wenn's auch gescheidter gewesen wäre, sie thäten's nicht, — aber wenn du vernünftig bist, mußt du selber einsehn, daß du zum Theaterspielen nicht taugst . . .
Warum? Laßt mich's nur einmal versuchen; ihr werdet sehn, daß ich reden und mich anstellen kann, wie Eine!
Ich will dir's ungesehn glauben, glaub du mir ebenso, daß es nicht geht, und plag uns nicht.
Es kommt mich hart genug an, daß ich euch Plagen muß, und ich will's auch nicht mehr thun . . . aber zuerst müßt ihr mir sagen, warum?
Warum? Du weißt es ja von selbst . . .
Also bloß darum, weil mein Vater ein Schwarzer gewesen ist und weil ich nicht weiß und rothbackig bin, wie ihr? . . . Die Leute, bei denen ich gedient hab', wollten mich nicht behalten, weil ich ihnen zu absonderlich bin . . . auf dem Theater ist ja das Absonderderliche daheim, darum hab' ich gemeint, da müßte Platz sein für mich . . . und auch da schickt ihr die Mohrenfranzel fort?
Es geht einmal nicht!
Eure Bursche und Mädeln streichen sich roth und weiß an, wenn sie spielen ... ich will das auch thun; ich will es machen wie sie und will mich weiß anstreichen . . . Geht's dann auch nicht?
Auch nicht!
So behüt' euch Gott beieinander — ich plag' euch nicht mehr! Damit wandte sie sich kurz ab und verließ das Gebäude, die Bursche hinter ihr. —
Inzwischen hatte auf dem Theater die Probe zum bayerischen Hiesel lang begonnen und ging nach Wunsch.
Hanney gab den gewandten listigen Wildschützen, dessen tüchtige Kraft in die Bahnen des Verbrechens gedrängt wird, weil sie in den kastenartigen Verhältnissen des Staats keinen Platz zu naturgemäßer Entwicklung findet, mit außerordentlicher Wahrheit und Einfachheit. Dabei war in den vielen Auftritten, wo er den Nachstellungen der Jäger und Schergen durch eine kühne List entgeht, sein lustiger Humor von der besten Wirkung. Auch Wolfsind probte und spielte mit ganz ungewohntem Feuer. Sie hatte die Wirthstochter in einer einsamen und abgelegenen Waldschenke zu spielen, welche Hiesel als Wildschützen kennt, dennoch aber sich gezwungen fühlt, ihn zu lieben und hingerissen von der innern Tüchtigkeit seines Wesens sein Schicksal zu theilen. In einer Abschiedsscene, während welcher von außen die Büchsen der Verfolger knallen, kommt es zur Erklärung zwischen Beiden, und Hanney und Wolfsind wußten sich so ganz in die Lage hinein zu versetzen, daß die Mitspielenden, welche zusahen, nicht genug Worte für ihre Lobeserhebungen zu finden wußten. Was sie aber nicht sahen, war der in der Rolle nicht vorgeschriebene Händedruck, welchen Hanney im Feuer der Leidenschaft sich erlaubte und welcher zu seinem Entzücken von Wolfsind erwidert ward. Hingerissen davon benützte er die durch den Actschluß entstandene kurze Pause, um Wolfsind hinter die Coulissen zu folgen und sie anzureden. Sie stand an ein gemaltes Felsstück gelehnt und schien den Hinzutretenden zu er-
warten. Dadurch kühner gemacht wagte er, an die ebengespielte Abschiedsscene eine Scene des Wiedersehens anzuknüpfen und ihre Hand zu ergreifen. Ich muß mich bedanken, Wolfsind, sagte er, daß du mir's verschafft hast, daß ich zu deiner Abtheilung gekommen bin, und daß ich statt dem Melcher den Hiesel mit dir zu spielen hab' . . .
Wolfsind entzog ihm die Hand nicht. Du spielst ihn halt besser, sagte sie, drum brauchst dich bei mir nicht zu bedanken. Der Vater wird schon gewußt haben, warum er's so macht.
Ich möcht's aber auch wissen, sagte Hanney dringender. Ich möcht' wissen, ob dir's auch recht ist, daß er es so gemacht hat? Ob du nicht doch lieber mit dem Melcher spielen würdest, der doch einmal dein Bräutigam ist?
Der Melcher ist mein Bräutigam noch lange nicht . . .
Aber die Leut' sagen's alle!
Die Leut' sagen gar viel. . . Sie haben mir auch gesagt, daß du mit keiner Andern als mit mir spielen und daß du es nicht leiden wolltest, wenn der Vater den Melcher zu uns Braunauern gethan hätte . . .
Und das wäre nicht wahr? Wie du's auch erfahren hast, es ist Wahrheit, Wolfsind, und ich hätt's auch gehalten, und es wär' das Letztemal gewesen, wenn ich ohne dich hätte spielen müssen . . .
Wolfsind erwiderte nichts; aber ihre Hand lag
noch immer in der Hanney's. Und du, fuhr er fort, spielst auch gern mit mir?
Das Mädchen kam nicht dazu, zu antworten — einer der Mitspielenden kam von draußen herein und rief den Anwesenden lachend zu, daß es unten auf dem Platze einen Spectakel zum Todtlachen gebe. Das Mohrenfranzel habe auch mit Komödie spielen wollen und sei darüber in Streit gekommen mit den Burschen, weil sie sie ausgelacht hätten. Alles eilte von Bühne und Coulissen den Fenstern zu, um den Vorgang mit anzusehen — das Pärchen war wieder allein, und Nichts hinderte Hanney, auf Beantwortung seiner Frage zu dringen.
Dieser aber war auf einmal wie umgewandelt. Die bloße Nennung der Jugendgespielin genügte, ihm deren Bild vor die Seele zu rufen, wie sie einsam und freundlos auf der Plätte gesessen war. Er sah ihre Betrübniß, er hörte das rohe Schreien und das Spottgelächter, das ihr galt ... es war ihm, als ob ihr Hülferuf mitten durch den Lärmen dränge ... als ob sie ihm riefe . . . und ohne sich eigentlich selbst Rechenschaft zu geben, was er that, hatte er Wolfsind's Hand gelassen und stand unten auf dem Platze, mitten unter den Burschen und den Gaffern, die sich dort um diese und um Mohrenfranzel versammelt hatten.
Franzel stand in eine Ecke gedrängt. — die Aufwallung ihrer vorigen Zuversicht war dem Bewußtsein ihrer Ohnmacht, dem Gefühle ihrer Hülflosigkeit gewichen.
Thränen strömten über die braunen Wangen, aber durch die Thränen blickte sie in machtlosem Grimm auf die sie Umdrängenden. Es war etwas in ihrem Anblick, was an die heiße Heimat ihres Vaters erinnerte und an eins der wilden Thiere, das sich dräuend und doch furchtsam gegen den Rudel der Jäger wendet.
Nickel stand voran unter den Burschen. Sag's, daß du gelogen hast! schrie er Franzel an. Gesteh's ein, daß du eine freche, hergelaufene Person bist . . . und wir thun dir nichts zu Leid . . .
In Franzel's Gesicht malte sich unsägliche Verachtung. Was du mich schimpfen willst, sagte sie, das bist du Alles doppelt selber . . .
Was? schrie Nickel wüthend. Du Wechselbalg, willst mich einen hergelaufenen Menschen heißen? Du willst uns roth werden heißen, und kannst selber gar nicht roth werden unter deinem schwarzledernen Gesicht? Du . . .
Er verstummte plötzlich — denn mit einem gewaltigen Ruck fühlte er sich bei Seite geschoben und stand Hanney gegenüber, der sich Bahn ins Gedräng gebrochen hatte und ihn mit zornfunkelnden Augen anschrie: Zurück da! Ist das all deine Courage, daß du über ein armes Mädel herfällst, das sich nicht wehren kann? Habt ihr Alle miteinander, die ihr da herumsteht und gafft, nicht so viel Gehirn in den Köpfen, daß ihr sie wegen etwas verhöhnt, wofür sie nichts kann? . . . Auseinander da, Alle! rief er gebieterisch.
Der Erste, der sie anrührt oder nur ein schiefes Maul macht, hat's mit mir zu thun!
Während die Bursche beschämt und scheu vor dem Genossen zurücktraten, mit dem sie nicht anzubinden wagten, und der Zuhörerhaufen sich zerstreute, war Hanney zu Franzel getreten und sagte gutmüthig: Geh heim, Franzel ... es darf dir Niemand was zu Leid thun!
Die Mulattin erwiderte nichts; aber sie starrte den Burschen aus den weitaufgerissenen Augen wie eine Erscheinung an. Ehe er es verhindern konnte, beugte sie sich auf seine Hand herab, ergriff und küßte sie und war im Augenblick in einem Seitengäßchen verschwunden.
Langsam und gedankenvoll kehrte Hanney in den Stadel zur Fortsetzung der Probe zurück; aber sie konnte nicht wieder begonnen werden, denn so sehr er auch suchte und sich Mühe gab, sie zu erspähen — die schöne Wolfsind war verschwunden.
2. Am Abend desselben Tages saß Hanney allein in seiner Stube, deren ganze Einrichtung und Unordnung den fröhlichen Junggesellenstand des Bewohners verrieth. Als solcher hatte er Niemand, der ihm das Haus oder besser das Häuschen besorgte, das ihm in der Laufner Vorstadt, dem ländlichen Obslaufen, gehörte — den einzigen Erbtheil seines Vaters und wohl geeignet, einmal eine kleine genügsame Schifferfamilie zu
beherbergen, sobald es ihm einfallen sollte, ihr mehrere Bewohner zu geben. Eine alte Nachbarin kam ab und zu, ihm die allerunentbehrlichsten Dienste zu leisten und zu den heiligen Zeiten Stube und Vorplatz zu scheuern. Den Sommer über, wenn er abwesend war auf der Fahrt, und im Winter während des theatralischen Wanderlebens war das Häuschen ganz verlassen, die Läden waren geschlossen, und die Obhut der Nachbarin erstreckte sich nicht weiter als darauf, daß nicht Jemand über Nacht die ganze Hütte in den Sack steckte.
Es dämmerte schon stark; auch war es neblig und kalt, und das im großen Ofen angezündete Feuer war doppelt willkommen, weil es die Stube behaglich erwärmte, und weil der rothe Schein, den es auf den Boden und an die Wände warf, zur Beleuchtung genügte. Hanney saß in der Ecke auf der Bank, und sah in den Feuerschein, der auf den blanken Brettern des Fußbodens allerlei Gestalten und Bilder entstehen und vergehen ließ. Die alte Nachbarin hockte ihm gegenüber auf der Ofenbank und erzählte ihm Allerlei. Sie war besonders gesprächig, denn sie wollte die Laune des Burschen benützen, der ihr sonst nicht viel Gehör schenkte; konnte sie sich doch tüchtig auswärmen und für den Abend Feuer und Licht in der eigenen Hütte ersparen. Schon hatte sie verschiedene Dinge vorgebracht, ohne von Hanney ein anderes Zeichen der Theilnahme, als ein trockenes „So?“ zu erhalten, und tastete in dem Vorrath ihrer Neuigkeiten nach einem anspre-
chenderen Stoff herum. Sie fing daher von Mohrenfranzel zu sprechen an, deren Absicht Komödie zu spielen, sowie Hanney's schützendes Auftreten für sie das Tagesereigniß des Städtchens bildete. Die kluge Alte merkte gleich aus Hanney's verändertem Tone, daß sie die rechte Saite berührt hatte, und fuhr fort, sein Benehmen zu loben und zu bemerken, wie Dieser und Jener im Städtchen das Gleiche gesagt und ihn gerühmt habe, daß er sich der Verlassenen so kräftig angenommen habe.
Das ist nichts Besonderes, sagte Hanney gleichgültig. Wie hätt' ich das nicht thun sollen? Die dummen Leut' waren ja über sie her, wie über ein wildes Thier. . . und sind wir nicht Nachbarsleut' gewesen in der Jugend . . . ? Du mußt es ja selber wissen, Sandhoferin.
Versteht sich! rief die Nachbarin eifrig. Ich hab' ja dich und die Mohrenfranzel gekannt, wie du noch nicht größer gewesen bist, als der Tisch, und die Franzel noch kleiner. Ich bin damals noch nicht verheirath' gewesen, und hab' gedient als Viehmagd beim Obslaufenerbauern ... Du kennst ihn ja und weißt, daß sein Hof von rückwärts an dein Häusel anstößt und an das, was zur selbigen Zeit der Franzel ihrem Großvater gehört hat! Drum weiß ich auch, daß ihr alleweil miteinander gespielt habt. . .
Ja, ja, sagte Hanney wie nachdenkend, bis ich fortgekommen bin, schon als kleiner Bub', zu dem Vetter
nach Burghausen, der mit aller Gewalt einen Studenten und gar einen geistlichen Herrn aus mir hat machen wollen!
Wohl hat er das im Sinn gehabt, war die Antwort der nickenden Alten, aber wer von dem Geistlichwerden und Studiren nichts hören wollte und bei Nacht und Nebel davon ging, das war der Hanney! Es ist recht Schade, daß du ihm nicht gefolgt hast! Könntest jetzt schon Stiftskaplan sein und dir einmal die schönste Pfarrei aussuchen, anstatt daß du jetzt in Wind und Wetter hinaus mußt und dich deiner Lebtag durchschlagen als ein armer Scharler!
Nein, nein, es ist doch bester so! rief Hanney hastig, ich hätte nicht getaugt für die stille sitzende Lebensweise und für das Brüten über den Büchern. Ich hab' es lieber, wenn ich in der weiten Welt herumfahren kann, und möchte meinen Stand als Schiffer mit keinem andern vertauschen! Ich hab' es kein ganzes Jahr ausgehalten bei den lateinischen Wörtern, ich bin mit einem Salzzug davon, und wenn mich etwas dabei reut, so ist's nichts, als daß ich meinen Vater nicht wieder gesehn habe, denn wie ich zurückgekommen bim als ein aufgeschossenes junges Bürschl ... da hab' ich ... da war er . . . Nun, du weißt es ja, daß ich ihn nicht mehr angetroffen hab'.
Daß Gott erbarm'! Wer könnt' auch so was vergessen! Das trifft sich wohl, daß man beim Heimkom-
men gar Manchen nimmer antrifft, den man gesund und wohlauf verlassen hat, wie man fort ist . . .
Die Franzel war selbige Zeit auch nicht mehr in der kleinen Hütte nebenan. So ist sie mir fast ganz aus dem Gedächtniß gekommen, und ich habe sogar nie recht erfahren, was es denn eigentlich mit ihr für eine Bewandtniß hat, und wie sie mitten unter lauter Weißen zu ihrem schwarzen Mohrengesicht gekommen ist.
Das kann ich dir schon erzählen, wenn du's wissen willst! sagte die Alte, indem sie aufstand, das Feuer im Ofen aufstörte und ein Scheit Holz nachschob. Ich weiß es noch, als wenn's gestern gewesen wäre, und hab' der Franzel ihre Mutter schon gekannt, wie sie noch in die Schul' gangen ist. Sie ist dann herangewachsen und ist groß geworden und sauber, und alle Welt hat eine Freud' gehabt, wie brav sie war, zumeist ihr Vater. Das war ein Scharler, wie der deinige, nur noch ein bissel nöthiger, denn wie er gestorben ist, ist von seiner ganzen Erbschaft nicht viel mehr übergeblieben, als eine Hacken und ein paar Wasserstiefel. Die Franzel — sie hat auch so geheißen — war ein Muster von einem Mädel und hat keinen Burschen angeschaut, so viel ihr auch zu lieb gegangen sind und ihr schön gethan haben. Da sind wieder Kriegszeiten kommen, und die Franzosen sind aus dem Kaiserlichen herein ins Land und haben sich bald da bald dort festgesetzt, so daß wir alle Augenblick nicht mehr gewußt haben, ob wir bayerisch sind oder kaiser-
lich, oder ob uns gar schon der Franzos in seinem Schnappsack hat. Einmal ist ein ganzes Regiment fast dreiviertel Jahr dagelegen, lauter Lanzenreiter oder Uhlanen, wie man sie geheißen hat; die waren in der ganzen Stadt einquartiert, und der Oberste davon und die Offiziere haben sich im Schloß eingerichtet und haben ein Leben geführt, voller Lustbarkeit, als wenn sie bloß zum Vergnügen da wären und nicht um die Leut' umzubringen und zu Grund zu richten. Die ganze Nacht durch sind die Fenster beleuchtet gewesen und hat man das Klingen von den Gläsern und das Lachen und das Schreien gehört, wenn sie den Napoleon haben leben lasten. Sie haben auch eine schöne Musikbande bei sich gehabt, die ihnen dabei hat ausspielen mästen; das waren lauter Trompeter, der oberste von den Trompetern aber, das war ein Mohr, ein großer sauberer Mensch, aber schwarz wie . . . na schwarz, wie halt die Mohren sind ... Ich will doch ein Licht anzünden, unterbrach sich die Erzählerin, es ist schon ganz finster, und es erzählt sich lustiger, wenn man einander sieht!
Die Oellampe brannte bald, und sie fuhr fort.
Nun also, der Obertrompeter, der Mohr, der ist bei dem Sternbauer ins Quartier gekommen, bei dem Vater der Franzel, und dem hat's in dem Quartier bald so gut gefallen, daß er alleweil daheimgesessen ist und daß es ihm ordentlich zuwider war, wenn er fortgemußt hat und hat den Offizieren im Schloß was
vorblasen müssen. Daran war die Franzel schuld; die hat dem Schwarzen gar sehr Wohl gefallen, und er hat sich alle Müh' gegeben, zu machen, daß er ihr auch gefallen sollt'. Darüber haben alle Leut' gelacht und die Franzel am meisten, der's gewiß nicht im Traum eingefallen ist, sich einen schwarzen Schatz auszusuchen. Dabei war sie aber dem Menschen gar nicht feind und hat ihm gern zugehört, wenn er ihr und dem Vater von dem Land erzählt hat, wo er daheim gewesen ist, wo's die Löwen giebt und Schlangen so groß wie ein Tannenbaum. Und das muß wahr sein — ich bin selber einmal dabei gewesen an einem Abend und hab' zugehört . . . erzählen hat er können, daß man Maul und Augen aufgerissen und fast das Schnaufen vergessen hat vor Verwunderung. Es war ihm auch gut zuhören, denn er war schon in der halben Welt herumgekommen und hat unsere Sprach' reden können, fast so gut wie wir selber. Das Ding ist so eine Weil' fortgegangen, aber es hat schon allerhand Gered hin und her gegeben, als wenn's nicht richtig wär' zwischen dem schwarzen Trompeter und der Franzel — und es war auch nimmer richtig. Einmal in aller Früh, wie kein Mensch daran gedenkt hat, ist Allarm geblasen worden, und in einer Stund' darauf sind die Uhlanen alle zum Thor hinausgesaus't wie der Wind und sind das Wiederkommen schuldig geblieben bis auf den heutigen Tag. Da ist's aufgekommen — die Franzel hat sich geberdet und hat gethan wie eine Unsinnige, wie
eine Verzweifelte, und so war's halt doch möglich geworden, über was die Leute und sie selbst am meisten gelacht hat. . . die schöne, gescheidte, brave Franzel hat sich mit dem Mohren verbandet und zu tief eingelassen gehabt... das Unglück war da und war nicht mehr zu ändern! Der alte Sternbauer hat sich von der Zeit an fast nicht mehr schauen lassen unter den Leuten und ist bald darauf beim Salzzug ertrunken — die Leut' sagen, es hätt' nicht sein müssen und er wär' wohl zum Retten gewesen, aber es hätt' gerade so ausgesehn, als wenn er's selber hätte haben wollen. Die Franzel hat von Tag zu Tag gepaßt, daß der Trompeter wieder kommen sollt' oder ein Briefel von ihm . . . er hat es ihr versprochen; kann sein, er hat's auch wirklich im Sinn gehabt, aber bei einer großen Schlacht — ich glaub' da drunten im Oesterreichischen an der Donau — da hat er zum Letztenmal aufgeblasen und ist mit dem ganzen Regimente zusammengehauen worden mit Butzen und Stengel. Das hat dem Mädel vollends das Herz abgedruckt, und kaum war das Mohrenfranzel auf der Welt, so hat sie sich auf die Seite gelegt und ist gestorben. Wie das aber möglich gewesen ist, hab' ich nie begreifen können . . . sie selber hat gesagt, sie hätt' sich in ihn verliebt von dem Erzählen und weil er so gescheidt zu reden gewußt hat . . . ich kann's aber nicht glauben, daß das ein junges Mädel so verblenden kann, daß es schwarz und weiß nicht mehr auseinander kennt, und drum mein' ich
immer, es wird so gewesen sein, wie man in der Stille erzählt hat . . .
Und wie denn?
Der Mohr, sagte die Alte näher rückend und mit gedämpfter Stimme, der Mohr war ein Zauberer; in dem schwarzen Land verstehn sie alle das Zaubern. Er hat's dem Mädel angethan und hat ihr vielleicht einen Trank gegeben, der sie von Sinnen gebracht hat. . . Sie kann nichts dafür und wird wohl nicht dafür büßen müssen in der andern Welt — aber wenn ich an sie denk', mach' ich doch allemal die gute Meinung für sie und sag': Herr, gieb ihr die ewige Ruh' und das ewige Licht leuchte ihr . . .
Amen! sagte eine tiefe wohlklingende Stimme, und in der Thüre stand Mohrenfranzel, die über dem Eifer des Erzählens und Zuhörens von Beiden nicht bemerkt worden war und den Schluß der Geschichte mit angehört hatte.
Die Alte war bei dem ersten Laut erschreckend und aufschreiend zusammengefahren. Alle guten Geister, sagte sie jetzt aufathmend. Wie bin ich erschrocken! Ich will keine glückliche Sterbestunde haben, wenn ich nicht geglaubt habe . . .
. . . Es ist ein böser Geist? sagte Mohrenfranzel mit traurigem Lächeln. Aber wenn du an böse Geister glaubst, glaubst du dann auch, daß sie mit einem Amen in die Stube kommen?
Ach was, eiferte die Alte, wer denkt gleich an Alles das? Man könnte den Tod davon haben, auf der Stelle. . .
Mohrenfranzel unterbrach sie, indem sie vor Hanney trat, der sie ebenfalls überrascht und staunend betrachtete. Ich komme zu dir, sagte sie, sei nicht bös darüber. Ich habe gewartet, bis es ganz finster war, und habe wohl Acht gegeben, daß mich Niemand sieht — es hat mir keine Ruh' gelassen. Ich muß dir noch danken, daß du dich so um mich angenommen hast, und da ich morgen fort will in aller Früh', hab' ich nicht länger warten können. . .
Rede doch nicht davon, sagte Hanney, ihre Hand ergreifend und unwillkürlich stockend. Die Berührung ihrer Hand und des sammtweichen Arms, den er dabei gestreift hatte, durchzuckte ihn elektrisch und verwirrte ihn. Es ist nicht der Mühe werth!
Für dich wohl nicht, antwortete sie innig, aber desto mehr für mich! Drum mußt du meinen Dank annehmen und darfst das nicht ausschlagen, was ich dir bringe — als eine geringe Erkenntlichkeit ... als ein Andenken an mich . . .
Ein Andenken? Was wäre denn das?
Die Nachbarin war gutmüthig genug, bei dem Gespräche, das sie kommen sah, nicht als lästige Zeugin bleiben wollen. Mir fällt just ein, sagte sie, daß ich noch gar nicht nach deinem Bett' gesehn habe, Hanney ich will's besorgen und bin gleich wieder da.
Sie ging in die anstoßende Kammer, und Franzel streckte Hanney einen einfachen silbernen Ring entgegen. Nimm, sagte sie, das ist mein Andenken; es ist der Ring, den dein Vater selig getragen hat . . .
Der Ring meines Vaters? rief Hanney überrascht. Wie kommst du dazu?
Das will ich dir sagen. Ich bin dabei gewesen, wie dein Vater . . . zu Grund gegangen ist — da hab' ich den Ring zu mir genommen, und meine Schuld ist's nicht, daß ich ihn dir nicht früher habe geben können . . .
Du bist dabei gewesen . . .? sagte Hanney schmerzlich, indem er den einfachen Silberreif anstarrte. Wie war denn das möglich?
Ich bin damals noch ein kleines Mädel gewesen und hab' unten an der Salzach mit den andern Kindern gespielt, wie die Plätten, auf der dein Vater war, angekommen und auf die Brücke zugeschwommen ist. Sie müssen etwas versehen haben auf dem Schiff, denn man sah's von Weitem, daß sie die rechte Richtung nicht hatten, und Alles lief ans Gestad und schrie ihnen zu. Es war aber zu spät — eh' man Amen sagen konnte, war die Plätten schon an der Brücke und stieß an das mittlere Joch, daß sie kerzengerade daran empor stieg und mit Allem, was darauf war, überschlug in das wilde, brausende Wasser... Ich höre das Geschrei noch und das entsetzliche Krachen ... im nächsten Augenblick trieb und schwamm Alles durcheinander . . .
Sie hielt inne, denn Hanney hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und athmete hörbar tief auf.
Die Zillen fuhren gleich hinaus, fuhr sie fort, und brachten auch die Verunglückten alle heraus — nur deinen Vater hatte der Strudel am Joch gefaßt und' trieb ihn um und riß ihn dann blitzschnell mit sich fort. . . Dein Vater arbeitete wacker und rief den Leuten zu, aber es war keine Möglichkeit, zu ihm hin zu kommen, und Alle sahen, daß er verloren war. Da schrie ihm Einer zu: In Gottes Namen, gieb dich, Hanney, — gieb dich! Wir können dir nicht mehr helfen . . . Dein Vater hatte sich bis dahin tüchtig gewehrt . . . auf den Ruf aber ließ er das Stück Holz, an dem er sich gehalten hatte, los. . . und ging unter. . .
Hanney schluchzte. Nach einer Secunde begann Franzel wieder: Am andern Tag hat ihn das Wasser ausgeworfen, gleich unten am Sand, wo's an die Leiten hingeht. Ich bin mit hinaus . . . und bin bei dem Todten sitzen geblieben, bis sie mit der Tragbahre heraus kamen und ihn herein trugen. Es achtete Niemand auf mich, weil ich ein Kind war ... ich hab' ihm dann den Ring vom Finger gezogen; sie hätten ihn sonst mit ihm eingegraben — ich hab' an dich gedacht und hab' gemeint, es könnte dir einmal lieb sein, den Ring zu haben, und so hab' ich ihn aufbehalten bis heut . . .
Sie schwieg; auch Hanney blieb noch einen Augen-
blick stumm. Dann sah er auf, steckte den Ring an den Finger und sagte: Ich nehme dein Andenken an, Franzel, und behalte den Ring. Verlange von mir was du willst, und ich will ein elender Mensch sein, wenn ich dir den Wunsch nicht erfülle . . .
Ich will nichts dafür ... als daß du auch in der Zukunft manchmal an die arme Franzel denkst!
Das ist nichts verlangt! Das thät' ich auch ohne den Ring, denn ich hab' dich immer . . . denn ich hab' oft an dich gedacht. Verlang etwas Andres!
Ich weiß nichts!
Besinn dich nur — vielleicht fällt dir doch was ein. Mach mir die Freude, daß ich was thun kann für dich: Ich seh' dir's an, fuhr er fort, als Franzel schwieg, daß du ein Verlangen hast . . . Wenn ich auch eins hätte, du könntest mir doch nicht helfen . . .
Wer weiß — sag es nur!
So mach, daß sie mich mit Komödie spielen lassen, mach', daß sie mich nicht fortweisen und ausstoßen wie einen Auswurf . .
Hanney war betreten. Das ist ein schweres Verlangen, sagte er nach einigem Besinnen. Aber hast du dir's denn auch recht überlegt? Zum Theaterspielen gehört allerhand, was man können muß . . . glaubst du denn, daß du das Alles zuwegen bringst?
Probir's einmal, sagte sie, ob ich nicht reden
und mich geberden kann, wie man's muß. Soll ich dir was vorsagen?
Hanney nickte. Ich will dir das „Heimweh“ vorsagen . . . Kennst du's? Ist es dir recht?
Hanney wußte nicht gleich, was er erwidern sollte. Das „Heimweh“ war ein Lied, das er selber gedichtet hatte, als er einmal längere Zeit im untern Ungarn verweilen mußte. Es war ein Lied der Schiffer geworden, von denen wenige den Verfasser kannten, so oft es auch nach der damals allgemein beliebten Melodie von „Bertrands Abschied“ gesungen wurde.
Franzel nahm sein Schweigen als Zustimmung. Sie trat einen Schritt zurück und begann:
O grüß dich Gott, mein Vaterland, so ferne! Da wo die Donau geht ins schwarze Meer, Denk' ich an dich zur Abendzeit so gerne, Und der Gedanke macht das Herz mir schwer! Und ist's auch schön im fernen Land der Serben, Wo der Slowake und der Ungar haus't, Wo ich geboren bin, da möcht' ich sterben, Im lieben Land, wo meine Salzach braus't. Mit von Wort zu Wort steigender Verwunderung hörte Hanney dem Mädchen zu, das ohne alle Kunst mit so warmer Empfindung, mit so warmer Geberde sprach, daß er glaubte, noch nie etwas Besseres gehört zu haben. Schweigend hörte er den übrigen Strophen zu, in denen an allerlei Kleinigkeiten anbindend sich die Sehnsucht eines einfachen Gemüths nach der ge-
liebten Heimath in rührender Weise aussprach. Franzel declamirte nicht; sie sprach so voll ächten Gefühls, daß er sein eigenes Gedicht fast nicht mehr erkannte. Die Schlußstrophe lautete:
Die Donau rauscht — ich kann es wohl errathen, Das ist die Salzach, die daraus mich grüßt, Die durch das Reich so vieler Potentaten Mit ihr vereint und doch gesondert fließt! Das Rauschen thut, als wenn dir in den Ohren Ein unbekanntes fernes Klingen saus't; — Ich möchte sterben, wo ich bin geboren, Im lieben Land, wo meine Salzach braus't! Die Nachbarin war bei den letzten Worten aus der Kammer getreten und hörte verwundert zu. Hanney stand auf. Du hast gesagt, du willst morgen fort, Franzel, sagte er. Thu's nicht; bleib noch da — bleib nur noch acht Tage, und ich will Alles daran setzen, daß ich deinen Wunsch erfüllen kann. Willst du?
Mit leuchtenden Augen gelobte es Franzel, und während er sich zu der Alten wandte, um ihr Stillschweigen über das Gehörte aufzutragen, war sie rasch und lautlos verschwunden, wie sie gekommen war. Auch die Alte ging kopfschüttelnd und voll Verwunderung; Hanney aber blieb allein in einer Fülle von Gedanken und Vorstellungen, die ihn umgab und sich zu immer klareren Bildern gestaltete, bis er trotz Unruhe und Aufregung entschlief. —
Acht Tage waren vorüber; da saß der alte Zunft-
meister gedankenvoll am Tisch und las in einem Hefte, das vor ihm lag. Im Fenster saß Wolfsind, mit einer Arbeit beschäftigt, und sah neugierig dem Vater zu, wie er bald las, bald wieder blätterte und das grüne Käppchen auf dem dünnen Silberhaar hin und wieder schob. Jetzt machte er das Heft zu, legte es vor sich hin, schwieg aber, indem er nur leise mit den Fingern auf dem Tische trommelte. Nun Vater, wie ist's? fragte endlich Wolfsind neugierig. Was sagst du zu dem Stück?
Der Alte sah sich schmunzelnd nach ihr um. Was ich sage? rief er. Ich sage, daß der Hanney ein Teufelskerl ist und daß es Schade ist, daß er in Burghausen aus der Studi gelaufen ist — aus Dem hätte etwas werden können!
Also ist das Stück schön und können wir's spielen? fragte Wolfsind mit unverhehltem Vergnügen. Wie heißt es denn und was ist's für eine Geschichte?
Weiß der Teufel, wie dem Burschen all das Zeug einfällt. . . aber so viel ich versteh', ist das Stück schön und wird ganz unsinnig gefallen, wenn wir es spielen. Es ist aus dem alten Testament, die Geschichte vom weisen König Salomo und von der Königin von Saba.
Was ist's gewesen mit der?
Das war eine heidnische Königin, weit in Indien, die von dem Ruhme von Salomo's Weisheit gehört hatte und bis nach Jerusalem kam, ihn zu sehn, mit
kostbaren Geschenken und reichlichem Gefolge. Sie verlieben sich dann ineinander, und es ist gar schön und geschickt gemacht, wie sie immer daran zweifeln und sich's ausreden wollen, bis es doch zum Ausbruch kommt. Mitten in dem größten Glück aber kommt der hinkende Bote nach — denn die Königin ist eine Feueranbeterin und glaubt nicht an den einigen Gott Jehovah. Eine Heidin kann nicht die Frau des Judenkönigs werden, sie aber weigert sich standhaft und will eher ihrer Liebe als ihrem Glauben entsagen. Die Hohenpriester wollen auch von der Heirath nichts wissen, denn sie fürchten, daß die Heidenkönigin den Salomo zu einem Abtrünnigen machen werde. Sie wiegeln das Volk auf: Salomo zeigt sich aber, und es ist beruhigt — dann aber nehmen Beide Abschied von einander, freiwillig und fürs ganze Leben.
Das ist freilich schön, sagte Wolfsind mit leichtem Erröthen. Die Königin muß eine wunderschöne Rolle sein . . . und was die für schönes Gewand haben wird! Ich freue mich schon darauf!
Ja, es hat doch einen Haken, sagte der Alte, das Käppchen rückend. Die Königin von Saba ist eine Mohrin. . .
Eine Mohrin? rief Wolfsind aufspringend. Das ist eine dumme Geschichte! Wie kann denn ein vernunftiger Mensch glauben, daß der weise Kömg Salomen sich in eine Schwarze verlieben wird? Das muß der Hanney ändern, sag's ihm nur gleich, Vater.
Glaubt er, ich werde mir das Gesicht und die Hände und den Hals schwarz anstreichen, wegen seiner Königin von Saba? Das soll er sich nur vergehen lassen.
Der alte Schiffbauer lächelte eigenthümlich vor sich hin. Verkaufe nur das Fell nicht, sagte er, eh' du den Bären hast. Meinst du denn, es ist so gar gewiß und ausgemacht, daß du die Königin von Saba spielst?
Wolfsind sah ihn verwundert an; ihr Schweigen sagte deutlich genug, daß sie keine Nebenbuhlerin kenne, die sich mit ihr zu messen vermöchte.
Der Hanney, fuhr der Alte fort, indem er aufstand und das Heft einsteckte, hat schon dafür gesorgt, daß er seine schwarze Königin hat. Und er hat sich gleich eine ausgesucht, bei der das Anstreichen nicht von Nöthen ist . . . er will haben, daß Niemand anderes die Königin von Saba spielt — als die Mohrenfranzel!
Wolfsind war einen Augenblick verblüfft; dann brach sie in ein Lachen aus, das spöttisch sein sollte, das aber nur verletzt und bitter klang. Das Mohrenfranzel? sagte sie verächtlich und doch gereizt. Er hat das Stück wohl gar eigens gemacht für sie? Ja ja, es wird schon so sein ... er war ja schon neulich ganz Feuer und Flamme für sie und hat mich stehen lassen mitten in der Prob' . . .
Es kann wohl sein, daß du Recht hast, antwortete der Alte kurz, indem er sich zum Ausgehen fertig machte,
wenigstens hat er's recht wichtig gemacht, daß die Königin von Saba ja gegeben werden sollt' und ja sein gleich, und daß die Franzel die schwarze Königin spielen soll . . .
Das wird aber nicht geschehn! rief Wolfsind zornig. Nicht wahr, Vater, du sorgst dafür? Du giebst dem Hanney den Wisch zurück und sagst ihm, daß die Franzel damit zu ihren Landsleuten gehn soll, wenn sie die Königin von Saba spielen will!
Der Alte war fertig und stand mit Hut und Stock an der Thür. Fallt mir nicht ein! sagte er. Fürs Erste ist das Stück kein Wisch, und es wär' unrecht und dumm von uns, wenn wir's uns entgehen ließen. Wir werden überall ein Heidengeld damit verdienen, denn wenn die Leute hören, daß eine wirkliche Schwarze drinnen mitspielt, so laufen sie uns allein schon deßwegen das Theater nieder. Fürs Zweite ist die Franzel doch allemal ein Scharlerkind, und wir haben sie nur zurückweisen müssen wegen ihrer Färb' . . . Der Hanney hat's zu machen gewußt, daß die nicht mehr im Weg ist dabei. — Also haben wir kein Recht, die Franzel auszuschließen!
Aber Vater! rief Wolfsind zornig. Siehst du denn nicht . . .
Ich seh' allerdings, antwortete er, und noch dazu recht gut und vielleicht mehr, als du meinst und als mir lieb ist. . . Also sag' ich dir, mach mir keine Dummheiten, und schau daß du nicht noch ausgelacht
wirst von den Leuten. Ich gehe jetzt aufs Rathhaus und laß' das Stück ausschreiben. Es ist nicht lang and hat nur drei Acte; der Hanney kann seinen Salomo schon auswendig, die Franzel lernt schon über Hals und Kopf an der Königin; ich werd' mit dem Hohenpriester auch fertig werden, und so kann das Stück in acht Tagen sein, und wir könnens überall gleich geben, wo wir hinkommen. Und damit du auch was zu denken hast während dieser Zeit, so will ich dir sagen, daß ich nicht allemal auf dem Stühlchen dasitzen und deinen Launen zu Gefallen handeln will. Es wär' vielleicht klüger gewesen, ich hätte gleich das Erstemal Nein gesagt. Also besinn' dich und überlege dir, wie du es anstellen willst, den Melcher wieder zurecht zu bringen, der mir von Burghausen einen Brandbrief um den andern schreibt. . . Du verstehst mich schon!
Er ging, nicht ohne etwas theatralisches Pathos, das ihm von der Bühne her zur Gewohnheit geworden war. Wolfsind blieb allein zurück, das Taschentuch vor den Augen und Thränen ohnmächtigen Zorns in denselben.
Sie hatte wohl auch einigen Grund dazu.
Wie viel hatte sie in ihren Augen sich selbst vergeben, als sie bei der Probe des bayrischen Hiesel's die wärmere Annäherung Hanney's nicht wie sonst mit vornehmer Kälte von sich abgehalten hatte! Und wie hatte er ihr gedankt! In Mitte des zärtlichsten Gesprächs,
im Augenblick, als vielleicht schon ein beglückendes Geständniß auf ihren Lippen bebte, hatte er sie verlassen, und warum! Wegen einer einfältigen häßlichen Person, die es sich einfallen lassen wollte, sich neben sie hinzustellen! Als Hanney bei der nächsten Probe wieder vor sie trat, ließ sie ihn das Gewicht seines Unrechts in der verdoppelten Gleichgültigkeit fühlen, mit der sie seine Versuche, sich wieder zu nähern oder sich zu entschuldigen, aufnahm. Sie schnitt ihm sogar jede Gelegenheit dazu ab, indem sie die erweichende Abschiedsscene zwischen der Wirthstochter und dem Wildschützen gar nicht mehr probirte, unter dem Vorwände, sie komme ihr langweilig vor und sei schon genug probirt. Als Hanney gleichwohl nicht nachließ, sie zu besänftigen, wurde sie allmählich etwas milder, und als die erste Aufführung des bayrischen Hiesel's über alles Erwarten glänzend und mit einem wahren Triumphe für sie endigte, war sie zu verzeihen bereit. Die nächste Probe hätte den Anlaß zur Aussöhnung und Erklärung gegeben ... wie stolz war sie auf Hanney, als sie sein Talent und seine Arbeit so anerkannt sah; wie schmeichelhaft war ihr die Huldigung, die sie darin für sich enthalten glaubte, daß er die Rolle einer Königin geschrieben — und nun diese Enttäuschung! — Sollte er die Schwarze wirklich lieben? Das war unmöglich! Aber was fesselte ihn dann so sehr an sie? Was bewog ihn, ihren Wunsch wegen des Theaters zu erfüllen und sogar ein eigenes Stück bloß ihretwegen
zu schreiben? Ich will und muß es wissen, sagte sie nach längerem Sinnen zu sich selbst. Wenn sie es noch so fein anstellen, ich komme doch dahinter, und wenn es so wäre, wenn er mich hintergangen hätte, dann sollen alle Beide an mich denken!
Während dies in Wolfsind's Gemüth vorging, war Hanney in einer nicht viel besseren und ebenso unklaren Gemüthsstimmung. Er hatte Wolfsind nicht hintergangen; er liebte sie wirklich — aber was bei ihr schon ein bestimmtes Gefühl geworden, war bei ihm erst eine in der Entwicklung begriffene Ahnung. Seit er Mohrenfranzel wieder gesehn, war in ihm eine ihm selbst unerklärliche Veränderung vor sich gegangen. Er konnte nicht mehr an Wolfsind denken, ohne daß das Bild Franzel's wie ein dunkler Schatten sich daneben drängte. Er fühlte das tiefste Mitleid mit ihr und versank wider Willen in förmliche Träumereien, wie er ihr helfen könne. Seit dem abendlichen Besuche, seit der Berührung ihres Arms war das Uebel noch um Vieles ärger geworden. Er zankte mit sich selbst, daß ihm die Sache so nachging, und war ordentlich froh, als er in dem Versprechen, sie zum Theaterspielen zu bringen, den Ausweg vor sich sah, all die unnützen Gedanken auf einmal los zu werden. War das erreicht, so hatte er seine Verpflichtung gegen sie erfüllt, er hatte dem Rechte seiner Jugenderinnerungen Genüge gethan, sie war geborgen, und er hatte in Kopf und Herzen nichts mehr mit ihr zu schaffen. Dieser Gedankengang
war auch richtig, aber er enthielt doch eine Täuschung, denn um so weit zu kommen, mußte er sich zuvor erst recht ernstlich mit dem Mädchen und mit den Planen beschäftigen, wie ihr die verschlossene Thüre des dramatischen Schopperstadels geöffnet werden könne. Damit drückte er sich den unbeachteten Angelhaken selbst immer tiefer in die Brust und machte jeden spätern Versuch, ihn herauszuziehen, wo nicht unmöglich, so doch noch schmerzlicher.
Daß er mit Vorstellungen und Bitten nichts ausrichten werde, sah er leicht ein; er konnte sich auch nicht verhehlen, daß Franzel wegen ihrer Hautfarbe in den gewöhnlichen Stücken nicht zu verwenden war. Er besann sich also auf ein anderes, auf ein ungewöhnliches, wobei die Farbe kein Hinderniß wäre — er fand keines, und so stand er bald bei dem Gedanken stille, selber ein Stück zurecht zu machen, in welchem eine Mohrin spielen könne. Die Spöttereien der Bursche selbst brachten ihn hierauf, und als er einmal so weit war, fand sich auch bald ein geeigneter Stoff dazu. Die Holzschnitte der alten Hausbibel verhalfen ihm endlich vollends ins Klare, und bei der ungetrübten Naivetät, womit er an die Arbeit ging und an die Möglichkeit des Mißlingens gar nicht dachte, war das merkwürdige Stück auch bald begonnen und schritt mit Riesenschritten vorwärts. Die bekannten Stücke, in denen er zu spielen pflegte, mußten dabei als Muster dienen, und es war daher nur natürlich, wenn dasselbe
in Anlage und Ausführung ebenso einfach und grobkörnig, aber auch von gleicher Naturwirkung war.
Endlich war die Riesenarbeit fertig; der Zunftmeister hatte die Königin von Saba gelesen und gelobt und unbedenklich seine Zustimmung gegeben, daß dieselbe zum ersten Debut der Mohrenfranzel werden solle. Mit freudigem Herzen eilte Hanney zu ihr, um ihr die große Neuigkeit zu bringen. Er ging hin, in der bestimmten Erwartung, daß er von ihr beruhigt und mit seinen frühern Gedanken und Empfindungen weggehen werde, — als er aber vor ihr stand, stieg ihm eine Ahnung auf, daß er, um dieses Ziel zu erreichen, denn doch nicht, den rechten Weg eingeschlagen habe. Er hatte Franzel seit dem Abend, wo sie zu ihm kam, nicht wieder gesehn und stand wie verdutzt vor ihr. Sie war im leichten Hausgewand; die kurzen Aermel des schneeweißen Hemds ließen die schöne Rundung der dunklen Arme Vortheilhaft hervortreten; um Hals und Nacken stieg die Hemdkrause ebenfalls angenehm empor, und das dunkelrothe Tuch, das sie nachlässig um die Stirne und um das nicht eben lange, aber reiche und sich anmuthig kräuselnde schwarze Haar geschlungen hatte, gab ihrer ganzen Erscheinung etwas Fremdartiges und Eigenthümliches. Zudem strömten, als sie den einzigen Freund erblickte, ihre Augen unbewußt von dem Entzücken über, das in ihrem leidenschaftlichen Herzen loderte, und das Lächeln des feingeformten Gesichts war so verführerisch, daß er sich mit Gewalt an
die dunkle Hautfarbe erinnern mußte. Ja, sagte sie, bebend vor Freude, ja, du bist ein Mann! Ich hab's gewußt, daß du auch durchführst, was du dir vorgenommen hast . . . aber du sollst dich nicht schämen müssen meinetwegen. Das soll mein Dank sein, daß ich allen Leuten zeige, daß der einzige Mensch, der sich um das Mohrenfranzel angenommen hat, doch recht gethan hat!
Hanney eilte, sobald als möglich aus der gefährlichen Nähe fortzukommen. Er nahm die ihm dargebotene Hand nicht an, denn er kannte ihre verwirrende Kraft. Halte Wort, rief er im Davoneilen und wußte selbst nicht recht, was er sagte.
Und Franzel hielt Wort. Als die Königin von Saba zum ersten Male über die Bretter schritt, dröhnte der gedrängt volle Saal von einem Beifalle wieder, wie er selten gehört worden war. Er galt dem Stücke, er galt dem königlichen Salomo, er galt dem würdevollen Hohenpriester, aber er galt im vollsten Maße der Königin von Saba. Franzel hatte sich mit Wahl und Geschmack gekleidet, sie war nicht nur in Gestalt und Erscheinung eine wirkliche Königin; sie wußte sich auch als solche zu geberden. Sie sprach gut und ohne Uebertreibung; ihr etwas tiefes Organ hatte einen gewissen wehmüthig einschmeichelnden Klang, und in den leidenschaftlichen Scenen entwickelte sie eine Kraft und ein Feuer, wie sie auf diesen Brettern noch nie erschienen waren. Sie hatte etwas von der afrikanischen
Glut ihres Vaters geerbt. Als nach der großen rührenden Abschiedsscene der Vorhang gefallen, war kein Auge trocken geblieben, so lebhaft hatte sie den Schmerz einer edlen Seele wiedergegeben, welche Herz und Glück ihrer Ueberzeugung, ihrem besseren Wollen opfert und ein freudloses einsames Dasein im Bewußtsein der erfüllten Pflicht einem Leben voll Freude aber von Schuld befleckt vorzieht. Alle Zuschauer, von den Mägden und Handwerksgesellen bis hinauf zu den Bürgern und ihren Frauen, bis zum Landrichter und Dechant, waren einig über das seltene Talent der Mohrenfranzel, und wie aus Einem Munde erscholl das Lob Hanney's, der ihr Auftreten möglich gemacht hatte.
Dieser stand, als der Lärmen ausgetobt hatte, hinter den Coulissen, seiner Königin von Saba gegenüber und dachte so wenig als sie daran, den Königsmantel und die Krone Salomo's abzulegen. Sie hielten sich an den Händen und waren im eifrigsten Gespräch; Hanney fiel es nicht mehr ein, wie gefährlich diese Berührung war, er sah und dachte nur an Franzel's herrliches Spiel. Wohl hatte er schon auf den Proben gesehn, daß sie ihre Sache gut machen werde; aber der Strom von Gefühl, den sie dort zurückgehalten hatte, nun aber frei aufbrausen ließ, hatte auch ihn mit fortgerissen, daß er zuletzt selbst vergaß, daß er nur Komödie mit ihr spiele, und daß ihm im entscheidenden Augenblick wirklich zu Muthe war, als sei er König Salomo; als liebe er dieses Weib das sich
von ihm losreißen wollte, und als müsse mit dem Stücke, wie seine Königsherrlichkeit, auch all sein Lebensglück zu Ende gehn!
Auf Franzel dagegen hatte das Spiel und der Beifall die entgegengesetzte Wirkung geäußert. Die fieberhafte Aufregung, in der sie während desselben sich befunden hatte, war verraucht und eine desto tiefere Abspannung, eine Entmuthigung zurückgeblieben, die sich nur in Thränen zu äußern vermochte. Sie mußte sich Gewalt anthun, um den Ausbruch derselben zurückzuhalten.
Franzel, rief Hanney, sage mir nur. Franzel, wie es möglich ist, daß du so spielen kannst? Wo hast du das gelernt?
Gelernt! antwortete sie traurig. Kann man das lernen? Ich hab' mich eben hineingedacht, wie der armen Königin ums Herz gewesen sein muß, und da kommt Alles von selbst!
Aber wenn man in so etwas so hineindenken soll, muß man doch etwas Aehnliches erlebt haben! Und du . . .
Und ich? Hab' ich das etwa nicht? — Ach! rief sie und die Thränen strömten unaufhaltsam vor, ich habe ja nur mich selber gespielt ... ich bin ja selber die unglückliche Königin von Saba!
Sei nicht ungerecht, Franzel . . . Wie kannst du so was sagen?
Ungerecht? Bin ich nicht ebenso schlimm, bin ich
nicht noch schlimmer daran als die arme Königin? Sie kann in ihr Land zurückkehren, wo sie treue Diener und Freunde hat . . . wo habe ich eine Heimath? Muß ich nicht, wie sie, auf Alles verzichten, was einem lieb und werth ist, und muß dazu noch ein fröhliches Gesicht machen, damit man mich nicht gleich vor die Thüre weist?
Nein, nein, — jetzt, nach deinem heutigen Spielen gehörst du zu unserm Theater . du wirst bei uns bleiben und bist geborgen.
Geborgen? — Es thut mir leid, daß ich das sagen muß, und ich bitte dich um Alles in der Welt, leg es mir nicht als Undankbarkeit aus — aber glaubst du denn, daß man immerfort die Königin von Saba geben kann? Und wenn sie abgespielt ist, was dann?
Hanney schwieg. Dann ist's wieder das Alte, fuhr sie fort, dann schicken sie mich wieder weiter — dann soll ich mir wieder mein Brod unter fremden Leuten suchen und soll dienen... und kann ich es denn? Wo es die Leute mit mir wagen, es geht nicht — die Nachbarn beschweren sich, weil ihre Kinder sich vor mir fürchten, die Dummen spotten über mich, und die Abergläubischen scheuen mich ... du hast es ja selbst gehört, daß sie alle Schwarzen für Zauberer halten!
Und doch ist es nicht, wie du sagst! Die Königin muß den einzigen Freund aufgeben, den sie hat — das mußt du nicht, denn du hast ja mich!
O sage das nicht! rief Franzel gerührt und mit
wankender Stimme. Du hast schon genug gethan für mich; du kannst nichts mehr thun, und es wäre Unrecht, wenn ich dich hindern und dich aufhalten wollte — du hast noch dein ganzes junges Leben vor dir.
Aber ich will auch künftig für dich sorgen! rief Hanney glühend. Ich will in meinem ganzen Leben nicht von dir lassen!
Ein Schauder des Entzückens durchrieselte das Mädchen, daß sie nur zu stammeln vermochte. Hanney... flüsterte sie.
Ja, ich kann nicht leben ohne dich! rief er innig. Jetzt auf einmal ist es mir klar, daß ich dich von Jugend auf lieb gehabt habe; jetzt weiß ich erst, daß ich dich noch immer lieb habe, daß ich dich lieb haben muß, so lang ich lebe . . .
Franzel vermochte noch immer nichts zu erwidern; stärker durchloderte sie der Glutgedanke, sich geliebt zu wissen.
Aber du? fuhr Hanney zärtlich fort. Wirst auch du mich lieb haben . . . wirst auch du nur mir gehören wollen?
Er drückte die Schweigende fest an sich, und überdeckte ihre schwellenden Lippen mit feurigen Küssen — sie widerstrebte nicht — ihr unausgesprochenen wortlosen Glück des sich Angehörens hielten Beide sich fest umschlungen.
Da schlug höhnisches Gelächter an ihr Ohr und schreckte sie aus ihrem Traum empor. Es war Wolf-
sind, Welcher der Zutritt zur Bühne, auch wenn sie nicht spielte, unverwehrt war. Sie hatte treffend den rechten Moment abgelauert, Beide zu beschämen und sich dadurch an Hanney zu rächen. Ha, ha, ha, rief sie so laut, daß Alles, was sich in der Nähe befand, aufmerksam wurde und herbei eilte. Spielt die Komödie auch noch hinter den Coulissen fort? Der Abschied war auch gar zu hart! Man kann es dem weisen König Salomo nicht verdenken, wenn er sich ein wenig dafür entschädigt! Aber mit natürlichen Dingen geht es doch nicht zu . . . ich möchte Wohl auch das Zaubertränklein wissen, das die Leute so kirre macht!
Eine neugierige lachende Gruppe drängte sich um das Paar, Franzel klammerte sich wie betäubt und Hülfe suchend an Hanney — dieser stand da, wie Einer, der im Schlafe und im Traum gewandelt ist und sich erwachend plötzlich auf einer ungeheuren schroffen Höhe entdeckt. Das ist es, murmelte er, indem er sich wie träumend über die Stirne fuhr, das ist es . . . Wie ist mir denn eigentlich geschehn? Und auf einmal sich aus Franzel's Armen windend, stieß er sie wie im Abscheu von sich und rief: Laß mich los, schwarze Hexe . . . was willst du von mir? Ich habe nichts mit dir zu schaffen . . .
Wie besinnungslos stürzte er fort; die Andern folgten. Niemand hatte ein Wort oder einen Blick für die noch vor Minuten so gefeierte Königin von Saba.
In dumpfem Brüten saß sie in dem dunklen Seitenraum der Bühne, während draußen das possenhafte Nachspiel zu Ende ging. Das Lachgebrüll des Publikums schallte zu ihr herein — die Königin war vergessen, und die um sie geweinten Thränen waren weggelacht. Wie um sich zu überzeugen, daß sie nicht träume, fuhr sie nach der heißen pochenden Stirn . . . die Königskrone fiel ihr darüber aus dem Haar und kollerte vor sie hin auf den dunklem Boden des Bühnenraums !
3. Hanney war nach Hause geeilt, er hatte nicht vermocht, der Unterhaltung beizuwohnen, welche jedesmal auf solche erste Vorstellungen zu folgen pflegten. Er suchte Einsamkeit und Ruhe in seinem Häuschen; in der kleinen Stube fand er zwar die erstere reichlich, aber die Ruhe wollte nicht kommen. Es stürmte fort in seiner Seele, wie draußen in der Natur, wo ein eisig kalter Nordwind über die Schneeflächen hinsaus'te, sie aufhob und durcheinander wirbelte, daß bald alle Niederungen verdeckt und Weg und Steg verweht waren. Er versuchte wohl zu Bette zu gehn und hoffte schlafen zu können, weil er ermüdet war — aber wie er den Kopf auf das Kissen legte und die Augen schloß, war es ihm, als tauche neben ihm ein dunkles Leidensgesicht aus der Finsterniß auf, als sähen ihn daraus zwei kummervolle Augen an, als flüsterte eine
wohlbekannte weiche Stimme ihm ins Ohr und fragte ihn: Was hab' ich dir gethan? Dann wiederholte er sich diese Frage selbst immer und immer und suchte nach allerlei Vorwänden, um eine Antwort zu finden, aber er fand keinen, der ihn vor dem vorwurfsvollen Zuruf geschützt, keine Antwort, die ihn beruhigt hätte. Sie hat dir nichts — gar nichts zu Leid gethan! mußte er sich immer selbst wieder sagen. Sie hat in gar nichts gefehlt, als daß sie den Worten eines schwachen unentschlossenen Menschen geglaubt, der ihr von Liebe vorsprach . . . daß sie nicht bei der ersten Annäherung ihn von sich gestoßen, der nicht den Muth hatte, diese Worte vor Andern zu wiederholen, der sich ihrer geschämt und vom Gelächter der Leute sich hinreißen ließ, sie zu verleugnen. So sehr er sich abmühte, er konnte an Franzel keinen Makel finden, als daß sie nicht die weiße Farbe des Landes trug... wie schmachvoll und unedel stund dagegen er neben ihr! Statt ihr zu helfen, wie er ihr versprochen, hatte er sie erst völlig zu Grunde gerichtet, denn er hatte ihr auch die Ruhe des Herzens genommen, hatte ihre unschuldige Dankbarkeit entflammt, bis sie Liebe geworden war, und das Alles nur, um Liebe und Dankbarkeit mit Einem höhnischen Schlage dem Gelächter preis zu geben. Die Arme hatte Recht gehabt: sie war wirklich die Königin von Saba, und noch unglücklicher — denn diese konnte den Mann ihres Herzens lieben und achten, indem sie ihn von sich stieß... Wie mußte sie dagegen von ihm denken! . .
Die Frucht dieser Kämpfe war der Entschluß, beim ersten Tagesstrahl zu der so bitter Gekränkten zu eilen, sich ihre Verzeihung zu erbitten und, wenn sie Herz und Hand noch annehmen wollte, ihr beide anzubieten und zu betheuern, daß sie sein geliebtes Weib sein solle, vor aller Welt und trotz alles Gelächters und Gespötts! Es litt ihn nicht mehr aus dem schlaflosen Lager, aber es währte noch lange, ehe die langsame Winternacht wich und der erste Sonnenstrahl über den vergoldeten Schneehügeln und Schneedächern heraufblitzte. Mit ihm zugleich traf Hanney vor dem Hause ein, in welchem Franzel eine Zuflucht gefunden hatte; er fragte nach ihr, er wollte sogleich mit ihr sprechen — es war zu spät. Noch in der Nacht hatte Franzel all ihre kleinen Habseligteiten zusammengerafft und war entflohn . . . er stand vor der unscheinbaren Kammer, die sie beherbergt hatte. Sie war unfreundlich und kalt, und doch war sie ein Paradies gegen den Aufenthalt im Freien, gegen den Schneesturm, der die Nacht über getobt . . . und in den er sie hinausgejagt hatte. Das ärmliche Bett war unberührt; Alles war sauber und ordentlich in dem Gemache, nur hie und da ließ ein Endchen Band, eine Nadel oder eine verstreute Papierhülse erkennen, daß die Bewohnerin ferne sein mußte, und daß sie Eile gehabt hatte, zu entkommen. Die Miethfrau wußte nichts zu sagen, als wie leid es ihr thue, eine so brave, stille Inwohnerin verloren zu haben, und wie sie nicht
anders vermuthen könne, als daß sie nach Salzburg gegangen sein werde, wo sie eine Base haben solle . . .
Hanney verließ das Haus schweigend; aber sein Entschluß stand nun fester als zuvor. Er wollte stehenden Fußes nach Salzburg aufbrechen und nicht ruhen, bis er die Verlorene wieder gefunden haben würde. Hastig schritt er die vom Morgenfrost gehärtete Schneebahn dahin in der gewissen Ueberzeugung, sie einzuholen. Bei dem Unwetter der Nacht konnte sie nicht weit gekommen sein, sie konnte keinen großen Vorsprung haben, während er vor Angst und Sehnsucht beinahe wie beflügelt dahin schritt. Dabei spähte er beständig nach allen Seiten, ob er nicht irgendwo ihre Spur wahrnahm, denn wie leicht war es möglich, daß sie vom Wege abgekommen und in eines der Schneegewinde gerathen war, die sich an den Hügelabhängen haushoch gebildet hatten. Wie leicht konnte sie vor Ermattung irgendwo zusammengebrochen sein und erstarrt und hülflos im Schnee zu Grunde gehn, wenn nicht rasche Hülfe kam! Trotz der scharfen Kälte glühte Hanney's Gesicht vor Aufregung und Anstrengung, und der Schweiß hing in schweren Tropfen an der Stirn. Er hätte aufjauchzen mögen, als endlich durch den Morgennebel die Thürme und die Veste von Salzburg vor ihm aufstiegen, denn dort mußte er Gewißheit erhalten. Mit angstvoll klopfendem Herzen gab er dem finstern Zollwart Antwort, der ihn an der Mauthschrauke anhielt, und wagte die Frage, ob nicht
ein Mädchen von dunkler Gesichtsfarbe diesen Morgen in die Stadt gekommen. Trotz seiner Amtsmiene lachte der Visitator hell auf. Ein Mädchen von dunkler Gesichtsfarbe! rief er. Hat man je so etwas gehört und noch dazu von einem Laufner Schiffmann, denn das bist du doch nach deiner Kleidung und deinem ganzen Aussehn! Warum sagst du nicht rund heraus, eine Negerin oder Mohrin oder Mulattin oder was weiß ich! Ein Mädchen mit dunkler Gesichtsfarbe habe ich nicht gesehn, aber eine Mohrin ist herein heute früh, es war noch kaum grau — Hanney hörte nicht mehr, er wußte genug und eilte fort; trotz des Scheltens hatte ihm die Stimme des bärbeißigen Mauthners wie die eines Engels geklungen! Franzel war also in Salzburg; er wußte den Namen ihrer Base, er konnte sie erfragen und durste hoffen, in einer Stunde ihr gegenüber treten und sie im Triumphe mit sich zurückführen zu können!
Eben wollte er über die Straße gehn, als ein heranklingelnder Schlitten seine Blicke auf sich zog. Er erkannte trotz Pelzmütze und Mantelkragen den alten Schopper- und Zunftmeister, den Vater der schönen Wolfsind, und Diese neben ihm, eingemummt bis an die Augen, die ihm aber noch nie so scharf und so bissig vorgekommen waren, als diesmal. Bei ihrem Anblick fiel ihm erst ein, daß heute der letzte Tag der Dult oder des Jahrmarktes in Salzburg war, und daß Beide wohl, um Einkäufe zu machen, dahin fuhren
— im ersten Augenblick war es ihm gewesen, als führe sie dieselbe Absicht hieher, wie ihn . . . er hatte im Augenblick keinen andern Gedanken und meinte, die ganze Welt könne keinen andern Gedanken haben als das arme Mohrenfranzel. Behutsam drückte er sich an die Wand und huschte in eine Hausthüre, um nicht gesehen zu werden — er hätte es nicht vermocht, mit dem Alten ruhig zu reden, oder die boshafte Person anzusehn, der er all dies Elend verdankte! Und dieses herzlose, hochmüthige Ding hatte er einmal zu lieben geglaubt! Ihr hatte er das sanfte, weiche Herz Franzel's opfern wollen und sie vielleicht für immer verloren! — Erst lange nachher, als der Schlitten weiter geklingelt war, trat er wieder hervor.
Die Wohnung der Base war bald aufgefunden; es war eine betagte Frau, die Vaterschwester Franzel's, die Wittwe eines kleinen fürstbischöflichen Bediensteten, von einer kleinen Pension die letzten Lebenslage kärglich fristend. Hanney hätte die wackelnde Alte beinahe umarmt vor Freuden, als er erfuhr, Franzel sei wirklich da, wohne bei ihr und wolle einige Tage bleiben, bis sie einen Dienst oder eine sonstige Unterkunft gefunden haben würde. Sie war augenblicklich nicht zu Hause, sondern in den nahen Dom zur Messe gegangen. Hanney bat die Alte, sie nicht mehr fortzulassen, bis er wieder komme, und eilte nach dem Dom, um der so sehnlich Gesuchten vielleicht dort zu begegnen.
Dem Mohrenfranzel war die Nacht nicht minder
traurig vergangen, als Hanney. Als das Theater zu Ende war und die Lichter und Lampen ausgelöscht wurden, warf sie die Königskleider achtlos von sich und schlüpfte unbeachtet und unangehalten aus dem Hause, dessen Stille grell mit dem Jubel contrastirte, der noch vor so kurzer Zeit dasselbe erschüttert hatte. Sie wußte kaum recht, was sie that und dachte — nur Eines stand blitzeshnell vor ihrer umnachteten Seele: fort wollte und mußte sie — fort aus der Nähe dieser Menschen, die für sie nur Kränkungen hatten, und deren Bester ihr vollends das Herz gebrochen. Vergebens waren Zureden und Bitten der weichherzigen Miethfrau, doch wenigstens den Tag und das Ende des Schneesturmes abzuwarten: sie riß sich los und eilte unaufhaltsam fort wie ein vom Bogen geschnellter Pfeil. Sie fühlte nicht, wie der Nordwind durch die dünnen Kleider blies und ihr den Schnee ins Gesicht schlug — ihr ganzes Wesen war Eine Flamme des Zorns, des Jammers und der schrankenlosesten Liebe! Wie war ihr ganzes Denken und Fühlen ihm entgegengeströmt, als der augenblicklich wieder erkannte Jugendgespiele als Retter vor sie getreten war! Wie hatte sie mit sich selbst gerungen, die erwachende Neigung niederzukämpfen, die seine fortwährende Güte und Freundlichkeit immer lebhafter in ihr anfachte! Und als sie zuletzt nicht mehr zweifeln durfte, daß ein ähnliches Gefühl in Hanney's Brust dem ihrigen antwortete, wie hatte sie innerlich aufgejauchzt — wie war die lang
angelernte Erstarrung ihres Herzens vor seinen Liebesworten geschmolzen — und nun hatte er sie doch verstoßen! Auch er hatte im Grunde seines Gemüths keinen Glauben an sie; um eines albernen Argwohns willen, um einer flüchtigen eingebildeten Beschämung zu entgehn, hatte er sie verleugnet und in das Nichts zurückgestoßen, aus dem er sie hervorgezogen, nur um sie dessen Elend doppelt fühlen zu lassen. Wohl fühlte sie endlich ihre ungewohnten Glieder von der stürmischen Nachtwanderung erstarren, sie fühlte, wie der Augenblick heran kam, wo die Aufregung der Erschöpfung weichen und sie ohnmächtig zusammensinken würde in den Schnee — aber sie riß und raffte sich immer wieder empor und kam mit Morgengrauen vor dem Thore Salzburg's an. Kaum hatte sie sich, von der Base genöthigt, ein wenig Ruhe gegönnt, als die Domglocken zum Gottesdienst riefen. Sie folgte dem ersten Tone des Geläuts, denn wenn sie auch das Liebste verloren hatte, was sie auf Erden während ein paar flüchtiger Secunden besessen, die Glocken mahnten sie gerade zur rechten Zeit, daß sie doch noch einen Freund habe, der sie nicht zurückstoße und vor dem ihr dunkles betendes Gesicht so schön war, als das der weißesten Europäerin!
Gefaßt und beruhigt verließ sie den Dom, kurz zuvor ehe Hanney denselben erreichte. Sie hielt auf den Stufen inne und blickte gleichgültig in das Gewühl hinein, das der Jahrmarkt in Kramläden, Buden
und Ständen aller Art zu entwickeln begann. Langsam schritt sie durch das Gedräng und blieb auf einmal überrascht und verwundert vor einer Schaubude stehen, vor welcher ein großer schwarzbärtiger Mann im rothen Rock die Neugierigen unter dem Schalle einer großen Trommel und einer verstimmten Trompete zum Eintritt aufforderte. Treten Sie ein, meine Herrschaften! rief der Marktschreier. So eben ist der Anfang! Hier sind zu sehen die weltberühmten Hottentotten, Kaffern und Buschmenschen, so von Königen und Kaisern und allen hohen Potentaten bewundert, in hiesiger Stadt aber noch niemals nicht gesehen worden! Treten Sie ein — es sind ächte, wirkliche Kaffern, die Sie in ihrer ganzen Natürlichkeit sehn, wie sie in ihrem Vaterlande frei herum gehn! Immer herein spaziert, meine Herrschaften — es wird Sie nicht gereuen!
Franzel traute ihren Ohren kaum. Also wirkliche Menschen waren hier zur Schau ausgestellt, wie sie sonst Wohl Löwen und Bären gesehen hatte! Und die Leute drängten sich herzu, diese Menschen zu begaffen, und Alles das nur, weil sie nicht die Farbe dieses Himmelstrichs trugen, weil sie eine dunkle Haut hatten, eine Haut, wie sie selbst! Es war kein Zweifel möglich, denn vor der Bude hingen große Bilder und bestätigten die Ankündigung dessen, was drinnen zu sehen war. Es waren nackte farbige Menschen darauf gemalt, mit Federkronen und Federschürzen, mit Korallenschnüren um den Hals, spielend und tanzend, wie sie es in
ihrer Heimath gewohnt sein mochten. Sie wagte kaum aufzuschauen oder sich zu regen, aus Furcht, daß sie bemerkt und selbst ein Gegenstand der Neugierde werden möchte, denn auch sie trug ja die gleiche Absonderlichkeit an sich. Dennoch konnte sie einem unbestimmten Drange nicht widerstehn, die armen farbigen Leute zu sehn, die ja aus demselben Lande kommen mußten, aus welchem der Mann gekommen war, dem sie ihr unglückliches Dasein verdankte. Sie legte rasch die paar Eintrittsgroschen vor die Frau, die an der Kasse saß, eine aufgeputzte und wohlgenährte Person, welcher der Ertrag ihrer Schaustücke ganz wohl zu bekommen schien. Sie sah die Koffern auf einer Bühne, wie sie draußen angemalt waren, hörte sie ihre Kriegsgesänge anstimmen und ihre Tänze aufführen und fühlte ihr Herz von einer unsäglichen Wehmuth und Bitterkeit beschleichen. Noch nie war ihr das Ungewöhnliche ihrer Körperbildung so lebhaft vor die Seele getreten. Das ist der Platz, auf den du gehörst, jammerte sie innerlich. Du bist auch ein Abenteuer, ein Schaustück, wie diese wildfremden Menschen da!
Unbemerkt wollte sie die Bude wieder verlassen, aber dem rothen Manne, der draußen den Ausrufer gemacht hatte, war ihr Eintritt nicht entgangen. Er kam jetzt auf sie zu und bat sie, einen Augenblick mit ihm hinter den Vorhang zu treten, der einen Theil des Budenraumes abschloß und zu einer Art Wohnzimmer machte. Sie folgte, ohne zu bedenken, was sie that,
und stand wie eine halb Träumende vor dem Manne und der ebenfalls herbeigerufenen aufgeputzten Kassiererin, die sie schmunzelnd betrachtete. Der Mann war ausnehmend artig gegen sie und bezeigte ihr seine Verwunderung, eine Afrikanerin anzutreffen, und noch dazu unter dem Landvolke, dem sie ihrer Kleidung nach anzugehören scheine. Sie hatte keinen Grund, aus ihren Verhältnissen im Allgemeinen Hehl zu machen, und was sie verschwieg, mochte der verschmitzte Herr der Bude wohl errathen. Du thust Unrecht, Mädel, rief er, daß du dich in diesem Land und unter diesen Leuten herumquälst und mit der Arbeit plagst, da du doch ein Leben haben könntest, wie eine Dame. Geh mit uns; mir fehlt gerade eine junge hübsche Wilde . . . ich mache dich dazu und putze dich auf, daß du deine Freude daran haben und dich selbst nicht wieder kennen sollst! Du sollst vollauf zu leben haben, wie du es nur verlangst, und Geld genug obendrein, und brauchst nichts dafür zu thun, als dich ein paar Stunden da hinauf zu stellen und dich anschauen zu lassen . . .
Franzel hörte noch immer wie im Halbtraume zu und erwiderte nichts. Der Ausrufer glaubte, sie sei noch unschlüssig, und fuhr dringender fort: Besinne dich nicht lange und sage Ja. Du sollst es gut haben bei uns, ich gebe dir mein Ehrenwort darauf! Auch die Frau bestätigte das, und durch Franzel's Seele zuckte der Gedanke, einzuschlagen. War sie doch ein Schau-
stück, wie die Hottentotten und Koffern, warum sollte es ihr anders ergehen als diesen . . .
In diesem Augenblick schlug der Luftzug den Vorhang etwas zurück und ließ einen Blick auf die Straße thun. Franzel sah halb unwillkürlich hinaus, zuckte zusammen und unterdrückte mit Mühe einen Schrei der Ueberraschung. Nein, nein, rief sie hastig, ich will nicht! schob den verblüfften Ausrufer und das geputzte Weib bei Seite und stürzte hinaus.
Sie hatte Hanney gesehn, der vor der Bude stand, sie hatte gesehn, daß er bleich aussah und mit kummervollem Blick die ausgehängten Abbildungen der Wilden betrachtete ... Er war also da! Er war ihr nachgeeilt, denn was konnte ihn sonst hieher geführt haben . . . er bereute vielleicht . . .
Enttäuscht blickte sie draußen um sich. Es war Hanney gewesen, sie hatte sich nicht geirrt — aber er war nirgends zu sehn, er hatte sich im wachsenden Gedränge des Jahrmarkts verloren. Sie lief schnell nach den verschiedenen Richtungen, die er eingeschlagen haben konnte, sie drängte sich durch, wo sie in der Ferne einen runden Schifferhut über die Menge emporragen sah — es war vergebens. Dennoch gab sie es nicht auf, nach ihm zu suchen. Sie wollte sich entweder überzeugen, daß sie dennoch falsch gesehn, oder, wenn er es wirklich war, wollte sie ihn wenigstens von ferne beobachten, und wollte erfahren, ob ihr thörichtes Herz Recht hatte mit seiner Vermuthung, daß er ihretwegen gekommen.
Hanney war indessen wieder vergeblich bei der Base gewesen und dann in seinem Trübsinne ziel- und planlos herumgewandert. So war er auch an die Bude mit den Wilden gekommen und hatte traurig die Bilder vor derselben betrachtet: waren es auch häßliche Gestalten und Gesichter, ihre Farbe rief ihm doch noch lebhafter das Bild des Mädchens vor Augen, das ihm ohnehin nicht von der Seite wich.
Er riß sich los und eilte, des Tumultes überdrüssig, in ein Seitengäßchen — und schnurgerade dem alten Zunftmeister in die Hände, der mit Wolfsind plötzlich vor ihm stand. Ei sieh da, Hanney! rief der Alte vergnügt. Auch auf dem Jahrmarkt? Das ist schön und mir doppelt angenehm, daß wir so zusammen kommen! Du bist ja gestern nicht einmal in die Versammlung gekommen, wo Alles voll war von Lob und Verwunderung über dein Stück und über dein Spiel als Salomon!
Ehe Hanney etwas erwidern konnte, hatte der Alte ihn am Arme ergriffen und in das nächste offenstehende Haus geführt und gezerrt. Das müssen wir nachholen! Komm nur mit da herein! Wir wollen eine Flasche Klosterneuburger mit einander ausstechen — da sind wir gerade recht am goldenen Wallfisch, da bekommen wir ihn von der ersten Sorte.
Hanncy konnte nur eine unzusammenhängende Entschuldigung vorbringen. Sie wurde nicht gehört, und im nächsten Augenblick befand er sich mit dem gesprä-
chigen und seelenvergnügten Alten und mit der schweigenden Wolfsind in der Schenkstube zum goldenen Wallfisch und mußte Bescheid thun auf das vortreffliche Gelingen der Königin von Saba. Der Alte schien von Franzel's Flucht noch nichts zu wissen, denn er baute goldene Luftschlösser, wie das Stück in Braunau und überall, wo sie hinkommen würden, gefallen und welch reiche Einnahme es ihnen verschaffen werde. Hanney mundete bei solchen Reden der köstliche Wein wie Galle, und er mußte sich alle Gewalt anthun, um dem Alten nur nothdürftig zu antworten und weder seine eigene Stimmung noch das Ereigniß zu verrathen, das ihn darein versetzt hatte. Endlich ließ ihn der Alte einen Augenblick los, um mit dem Wirthe ein Geschäft abzumachen, und er blieb neben Wolfsind allein.
Er schwieg, denn sein Gemüth war voll Bitterkeit gegen sie, und finster sah er auf die Straße hinaus. Die breiten Glasfenster der Schenkstube reichten fast bis an den Boden hinab, daß man Alles übersah, was draußen vorging, daß man aber auch von dort die beim Weine sitzenden Gäste gewahren konnte.
Wolfsind hatte während der Anwesenheit des Vaters kein Wort zu Hanney gesprochen, und der Alte hatte im Grunde seines Herzens darüber gelacht, denn er sah darin nichts als die gekränkte Eitelkeit, daß ihr die Königin von Saba entgangen war. Jetzt rückte sie rasch näher zu Hanney, faßte seine widerstrebende Hand und sagte halblaut mit gepreßter Stimme: Bist
du mir bös, Hanney? Sei es nicht, fuhr sie fort, als er beharrlich schwieg. Wenn du dir Alles recht überlegst, mußt du sagen, daß ich Recht gethan habe. Die heimtückische Schwarze hat es darauf angelegt, dich anzuködern, und der Himmel weiß, was sie dazu für Mittel gebraucht hat. . . Und was hätte draus werden sollen? Du wärst mit ihr ins schlechte Gerede gekommen, und ein Bursch, wie du, hätte ja doch nie mit ihr Ernst machen und eine Mohrin heirathen können . . .
Gieb dir keine Mühe, Wolfsind, erwiderte er endlich kalt. Du machst dich umsonst so schön. Du hast ein boshaftes Gemüth, sonst hättest du der armen Franzel und mir den Spott nicht angethan! . . .
Aus den Augen des Mädchens stürzten Thränen. Das kannst du mir sagen? schluchzte sie. Und du weißt doch, wie viel ich immer auf dich gehalten, wie ich dich allen Andern vorgezogen habe. . .
Ich hab's gespürt gestern, sagte er und suchte seine Hand los zu machen, die sie ergriffen hatte. Sie ließ ihn aber nicht los, sondern drängte sich noch enger an ihn und rief leidenschaftlich: Und wenn ich gefehlt habe, darfst du mir ein hartes Wort sagen deßwegen? Warum habe ich denn Alles gethan, als deinetwegen?
Meinetwegen?
Ja stell dich nur an, als ob du von nichts wüßtest! Warum habe ich's gethan, als weil ich's nicht vertragen kann, dich mit einer Andern zu sehn? Weil
ich dich über Alles lieb hab' und nicht leben kann ohne dich? . . .
Im rücksichtslosen Ungestüm der Leidenschaft fiel sie ihm weinend an die Brust und schlang die Arme um seinen Hals. Laß mich los, Wolfsind, sagte er heftig, indem er sich loszumachen suchte. Willst mich noch einmal zum Gespött machen, wenn Ein sterblicher Mensch in die Stuben kommt? — Als sie sich nicht regte, schob er sie entschieden von sich, stand auf und nahm seinen Hut. Es ist wahr, sagte er, es hat eine Zeit gegeben, wo ich durchs Feuer gegangen wär' um ein solches Wort von dir . . . es ist vorbei und du bist selbst Schuld, daß es so ist. . . Behüt' dich Gott, Wolfsind — wir Zwei sind fertig miteinander für diese Welt!
Er verließ die Stube.
Franzel war inzwischen auf ihrer vergeblichen Wanderung auch in das Gäßchen gekommen und wollte eben am goldenen Wallfisch vorüber, als ihr Blick in das Fenster und auf Hanney und Wolfsind fiel. Sie traute ihren Augen kaum, sie meinte, es müsse ein Traum sein — aber es war nicht anders! Es war Hanney; er saß neben Wolfsind, sie hatte ihn bei der Hand gefaßt und lehnte mit dem Kopf an seiner Brust . . . Also darum war er nach Salzburg gekommen! Und die leichtgläubige Thörin hatte einen Augenblick glauben können, er habe an sie gedacht! . . . Schwarz schwamm es ihr vor den Augen, sie mußte sich an der
Wand des gegenüberstehenden Hauses halten, um nicht umzusinken. . .
Dann aber stürzte sie wie außer sich dem Jahrmärkte und der Bude mit den Wilden zu. Athemlos trat sie vor den erstaunten Eigenthümer und rief: Da bin ich! Da habt ihr mich, wenn es euch Ernst mit eurem Antrag ist . . . ich will werden, was ich werden muß, ein Abenteuer für die müßige Welt, ein nichtsnutziges Schaustück. — Das erfreute Marktschreierpaar war höchlich damit zufrieden und suchte sie auf alle Weise zu beruhigen. Der Handel war bald geschlossen und das Handgeld gegeben. Stell dir's nicht so schwer vor, Mädel, sagte die Frau. Du sollst es gut haben bei uns. Mach dich aber fertig zur Reise; die Dult ist aus, und wir reisen noch heute Abend.
Franzel war bereit; sie verließ die Bude nicht mehr. Abends polterte der Gauklerwagen mit allerlei seltsamem Geräthe beladen durch das hallende Felsenthor; unter der Blähe auf dem Stroh saß Franzel ruhig und thränenlos. Sie war aufs Aeußerste gefaßt. Tags darauf wanderte auch Hanney zur andern Seite aus Salzburg. Er hatte lange bei der Base gewartet, bis er sich der Ueberzeugung nicht mehr verschließen konnte, daß Franzel die Stadt bereits wieder verlassen haben müsse. Er kam Nachts in seinem Häuschen an und übergab am andern Tage der Alten die Schlüssel, weil er verreisen müsse.
Niemand wußte, wohin er gegangen war; aber
seine Entfernung brachte große Verwirrung hervor, denn in den nächsten Tagen sollte die Braunauer Abtheilung der Schauspieler abgehen. Um es möglich zu machen, mußte Melcher durch einen eigenen reitenden Boten von Burghausen einberufen werden.
Die Königin von Saba war zum ersten und letzten Male gespielt worden.
4. . . . Bis hieher hatten die Mittheilungen meines alten Schiffers von Tittmoning gereicht. Ich wußte nichts weiter, als daß Hanney sich wahrscheinlich nach Ungarn oder nach der Walachei gewendet hatte, denn in jenen Gegenden war er von Schiffern zuletzt gesehen worden. Die Geschichte hatte mich interessirt, und ich war eben daran, ihr einen Abschluß aus eigener Erfindung anzupassen, als in der Hauptstadt des Landes ein großes Volksfest gefeiert wurde, bei welchem die Bewohner von nah und fern nach Tausenden herbeigeströnlt waren. Auch ich ging der Festwiese zu und ergötzte mich an dem fröhlichen Gedränge heiterer Menschen, an der verschiedenen Art und Weise, sich zu gebühren, und an den lauten Abstufungen und Mannichfaltigkeiten der Trachten. Mit einem Male bemerkte ich einen alten hagern Mann in kurzer Jacke, rundem Hut und langen Wasserstiefeln, der unfern von mir einherschritt und mich fortwährend von der Seite betrachtete. Auch mir kam das scharfgeprägte muntere
Gesicht bekannt vor; während ich mich aber gerade besann, wo ich ihm begegnet sein mochte, kam der Mann auf mich zu und redete mich grüßend an. Ich mein' alleweil, ich soll' Euch kennen, Herr, sagte er, und als ich erwiderte, daß es mir ebenso mit ihm erginge, fuhr er fort: Seid Ihr vor ein paar Jahren in Tittmoning gewesen? Seid Ihr nicht der Herr, dem ich die Geschichte vom Mohrenfranzel erzählt habe? Nun waren wir schnell im Klaren, die Bekanntschaft wurde erneuert und hinter einem Kruge Tölzerbier bestärkt. Er erzählte mir Vieles von den Wasser- und Bühnen-Fahrten seiner Genossen und wie er Heuer den Rummel noch mitmachen, dann aber sich zur Ruhe begeben wolle, denn „der Kopf läßt aus und die Füß' auch!“ Er unterbrach sich dann selbst und rief: Sakra, die Geschichte vom Mohrenfranzel muß ich Euch doch ganz aus erzählen: die hat seitdem eine Fortsetzung bekommen. Ich hörte zu, und eben war mein Schiffer zu Ende, als das Zeichen zum Beginn des Pferderennens gegeben wurde. Das sollte nicht versäumt werden; wir gingen, waren aber im Nu durch das Gedräng von einander getrennt, um uns nicht wieder zu begegnen.
Ich war der Sorge enthoben, erneut Schluß der Erzählung erfinden zu müssen.
Hier ist, was mir der Schiffer als solchen gab.
Ein halbes Jahr mochte vorübergegangen sein, seit Hanney und Franzel verschwunden waren. Es war
Frühling im „lieben Lande“ an der Salzach, und Frühling weit unten in der Türkei und Walachei, wo die Donau sich dem Ziele ihres Laufes nähert. Da schritt Hanney durch die engen schmutzigen Gassen einer türkischen Grenzfestungsstadt und besah sich das fremde Leben und Treiben, die verschiedenen Menschen und die bunten, noch verschiedeneren Trachten. Er trug den Ledergürtel um die Mitte, welcher den Schiffer immer auf die Reise begleitet, und die Axt über der Schulter zeigte, daß er erst unlängst angekommen sein mußte. Er hatte den ersten Schiffzug mitgemacht und wollte nun aufs Gerathewohl bis ans Meer wandern und sich auf ein Seeschiff verdingen. Er wollte die weite Welt sehen, und dazu schien ihm dies das beste Mittel zu sein; daheim litt es ihn nicht mehr, seit er die Hoffnung hatte aufgeben müssen, Franzel wieder zu finden. Er war nicht mehr der alte rüstige und lustige Bursche; er wanderte trübselig dahin, denn die Ungewißheit über das Schicksal des Mädchens ließ ihn nicht ruhen. Wenn ich nur wüßte, daß sie lebt, sagte er oft zu sich selbst, dann wollte ich getroster sein! Oder wenn ich wußte, wie es ihr ginge! Daß sie nicht krank, nicht in der Noth und im Elend ist und Niemand hat, der sich um sie annimmt. . .
Eben schritt er auf einen größeren Platz hinaus, wo ihn Trompetenton und die Schläge einer großen Trommel aufmerksam machten. Er trat näher und stand vor einer Schaubude, in welcher Springer und
Seiltänzer ihre Künste zum Besten gaben. Zugleich hingen Bilder an den Bretterwänden mit den Abbildungen von Kaffern, die da auch zu sehen sein sollten. Er erkannte die Bilder wieder; er hatte sie in Salzburg an dem Tage gesehen, an welchem er Franzel vergeblich gesucht. Die Erinnerung trieb ihn an, sich unter das bunte Volk zu mischen, das in den Schauplatz drängte. Er sehnte sich ordentlich darnach, Menschen zu sehen, die wenigstens in Einem Stücke der lieben Verlorenen ähnlich waren.
Er schenkte den Kraftstücken und Sprüngen, welche die Aufführung einleiteten, wenig Aufmerksamkeit und erwartete mit Ungeduld das Auftreten der Wilden. Jetzt wurde die berühmte Afrikanerin angekündigt, das Non plus ultra von Gewandtheit und Zierlichkeit in ihren heimathlichen Tänzen. Alles war begierig, aber die Angekündigte kam nicht; statt dessen hörte man hinter der Bühne eine wilde, scheltende und fluchende Stimme und der Gegenstand der allgemeinen Neugier erschien endlich, aber offenbar widerwillig und mehr herausgeschoben als selbst vortretend. Es war eine hohe schlanke Gestalt in einem hellblauen Gewände, das, von einem goldenen Gürtel zusammengehalten, Arme und Beine frei ließ, an denen ebenfalls metallene Ringe glänzten. Sie trug gelbe Kugeln in den Händen, mit denen sie den Tanz zwischen allerlei Hindernissen beginnen sollte, die am Boden umhergestellt wurden und nicht berührt werden durften. Eine mißtönende Musik begann,
aber sie brach plötzlich wieder ab, denn Hanney, dem schon beim bloßen Heraustreten Hören und Sehen vergangen war, hatte die Arme erkannt, wie sie nur den ersten Schritt vorwärts machte. Franzel! rief er, Franzel! mit überlauter Stimme, unbekümmert um all die Türkenköpfe, die sich nach ihm umwendeten und über die Störung zürnten. Franzel stand bei dem Rufe eine Secunde wie vesteinert; sie ließ dann die Kugeln auf die Bühne fallen und starrte, die zitternden Arme weit vorstreckend, nach dem Orte, woher der Laut gekommen war. Franzel! rief es wieder ... sie fand ihn aus; sie erkannte unter den Türken die liebe Tracht der Heimath . . . Hanney! rief sie entgegen und war mit Einem Sprunge über die Bühne herab und über die verblüfften Musikanten und Zuschauer weg. Nichts hielt sie zurück, und im nächsten Momente hing sie ausgelöst in Thränen und unfähig eines Wortes am Herzen des Jugendfreundes.
Ein unbeschreiblicher Tumult brach los; die Türken kreischten und drängten auf das Paar ein und fluchten, diesen unverständlich, über die Störung des Schauspiels, dessen Fortsetzung sie ungestüm verlangten. Auch der „Director“ der Bude, der Mann im rothen Rock, kam heran, fluchte und wetterte und wollte Franzel mit sich fortreißen. Sie aber klammerte sich fest an den Freund und rief: Laß mich nicht los, Hanney, rief sie, um Gotteswillen — laß mich nicht wieder zu den schrecklichen Menschen! Ich will thun, was
du von mir verlangst — nur nicht wieder zu diesen . . . eher will ich sterben!
Hat keine Gefahr, Franzel! rief Hanney. Weil ich dich nur wieder hab', sollen nur noch ein paar hundert solche Hanaken und Türken herkommen und sollen's probiren, dich mir zu entreißen! — Mit einer geschickten Wendung stellte er sich so, daß er den Rücken frei bekam und zugleich Franzel bedeckte. Dann schwang er seine Axt und rief den Schreiern und Drängern zu: Halt! Zurück! Dem Ersten, der mir näher kommt, hau' ich den Schädel auseinander!
Das Volk wich zurück; auch der Budenherr hatte keine Lust, zu versuchen, ob der Bursche entschlossen sei, seine Drohung zu erfüllen. Man schrie hinüber und herüber; über dem Lärmen erschien die Wache, und die Sache sollte vor den Pascha kommen zur Entscheidung. Das mochte dem Marktschreier nicht genehm sein. Er rief Hanney zu, das Mädchen sei ihm schuldig — er solle für sie zahlen, dann wolle er die widerwillige Person laufen lassen, die doch zu nichts zu brauchen sei! Den Türken ließ er durch einen Dollmetscher ein anderes Schauspiel versprechen, das sie vollauf für das verlorene entschädigen würde. Es ist wahr, sagte Franzel, der Mensch hat es schon zu machen gewußt, daß ich ihm schuldig geworden bin und immer tiefer hinein kam... das war's ja allein, womit er mich immer festhielt... ohne das wär' ich ihnen längst entsprungen, und wär' es ins Wasser gewesen!
Hanney warf dem Manne, der sich aber nicht darum bekümmerte, mit dem Gelde einen sehr verständlichen Halunken zu. . . und stand nach wenig Augenblicken vor der Bude, sein braunes Liebchen am Arm und einen Bündel mit ihren wenigen Habseligkeiten in der Hand.
Das Nothwendigste, eine Unterkunft, war bald gefunden, in kurzer Zeit war Franzel umgekleidet und trat wieder vor Hanney, dem das Entzücken aus den Augen strahlte. Sein Benehmen, seine halben Worte, seine Blicke hatten ihr in den ersten Secunden gesagt, daß sie wieder einen Platz in seinem Herzen ihr eigen nennen durste. Sie saßen bei einander, immer von Neuem einander betrachtend und sich verwundernd, daß sie sich wirklich wieder gefunden hatten, so wunderbar, so weit vom Vaterlande, und daß sie einander wieder Alles sein konnten, ungestört von Spott und neidischem Gelächter. Sie wußten gar nicht, wo mit Erzählen begonnen und wo geendet werden solle; alle Ereignisse des verhängnißvollen Tages von Salzburg wurden aufgeklärt, und über dem süßesten Geplauder waren einige Stunden verflogen und der Abend war da.
Was sollte nun werden? Hanney warf die Frage auf, indem er sie zugleich beantwortete. Und nun, rief er, weil wir einander wieder haben, wollen wir auch nicht wieder von einander lasten! Mache dich fertig, Franzel — morgen in aller Frühe reisen wir nach Haus, in drei Wochen ist Hochzeit, und ich führe dich
als mein Weib in das kleine Obslaufener Haus — für uns hat es ja doch Platz genug!
Er zog den Silberring seines Vaters vom Finger und suchte ihn an Franzel's Hand zu stecken: Da nimm, sagte er, du hast mir ihn gebracht — nimm ihn wieder als Verlobungsring . . .
Ungewiß und schwankend hielt Franzel den Reif in der Hand und sah Hanney mit liebevollem Blick an: Gott weiß, daß ich kein größeres Glück im Himmel und auf Erden für mich weiß, als was du mir anbietest! Dein Weib werden, Hanney ... ich kann mir's kaum denken und vorstellen, daß das möglich sein soll. . . und doch muß ich . . . Nein sagen!
Hanney sprang entsetzt auf: Nein? rief er, du könntest Nein sagen, jetzt, wo uns der Himmel so sichtbar zusammengeführt hat? Du willst den Ring nicht nehmen, willst nicht mein Weib werden?
Ich will, Hanney, ich will . . . aber ich kann ja nicht . . . ich kann nicht mehr zurückgehn in die Heimath, . . . ich hab' kein Herz mehr dafür und für die Leute dort, ich hab' zu viel Bitterkeit erfahren müssen . . . dir kann ich nicht zumuthen, daß du die Heimath aufgiebst, die dir nichts zu Leid gethan hat . . . also siehst du wohl, daß ich nicht kann . . .
Hanney sah schweigend vor sich hin. Ich kann dir nicht Unrecht geben, sagte er, aber das will überlegt sein . . . es ist keine Kleinigkeit um einen solchen Entschluß; wir wollen's beschlafen und sehn, ob guter Rath über Nacht kommt . . .
Sie schieden mit schwereren Herzen, als nach dem Jubel des Wiederfindens zu erwarten gewesen war, aber der Rath kam wirklich über Nacht.
Franzel, sagte Hanney, als er sie am Morgen wieder sah . . . ich hab' mir's überlegt. Ich will dich nicht zwingen, in die Heimath zurückzugehn . . . ich kann mir wohl vorstellen, wie dir ums Herz ist — aber ich hab' ja auch nichts mehr, was mich dahin zieht. Mein Vater ist längst todt, Geschwister und nahe Befreundete hab' ich nicht — ich hab' Niemand auf der weiten Gotteswelt als dich, drum will ich dich auch nicht wieder von mir lassen, und wo du bleibst, will ich auch bleiben und mir eine neue Heimath bauen.
Franzel hatte nur Thränen des entzücktesten Dankes zur Erwiderung. Wenn's dir recht ist, bleiben wir gleich hier; der Ort liegt just recht, daß man einen Handel anfangen kann . . . etwas Geld zum Anfangen hab' ich, und so wird unser Herrgott wohl weiter helfen!
Nach wenigen Tagen waren Beide Mann und Frau. Ein freundliches Häuschen vor den Thoren, mit der Aussicht auf die Donau, war zur Wohnung gewählt und zugleich mit ihnen von Zufriedenheit und ungetrübter, glücklicher Heiterkeit bezogen.
Sie blieben auch ihre Hausgenossen Jahre lang, vermehrt durch steigenden Wohlstand, denn Hanney's Holzhandel dehnte sich von Tag zu Tag mehr
aus, und durch ein paar muntere Kinder, in denen die Hautfarbe der Eltern zu Franzel's großer Freude fast bis zu einer unmerklich tiefern Tinte gebrochen erschien. Dennoch entging es der glücklichen Franzel nicht, daß Hanney seit einiger Zeit etwas verändert, daß der frühere frohe Sinn etwas von ihm gewichen schien. Er saß oft Viertelstundenlang wie in Gedanken, und wenn sie ihn anredete, war er betroffen und wußte wohl gar nicht mehr, wovon sie in der letzten Viertelstunde mit ihm gesprochen hatte. Sie fragte und beobachtete, aber sie erhielt nur ausweichende Antwort und konnte nichts bemerken, was sie auf eine sichere Spur gebracht hätte.
Eines Abends trat sie unbeachtet in den Garten, wo er gerne zu sitzen Pflegte und auf die Donau hinaus sah. Sie duckte sich hinter die hohen Kürbisranken und die Maiskolben, um ungesehen näher zu kommen. Hanney stand an einen Baum gelehnt und sah starr in das Wasser hinaus, in welchem die untergehende Sonne brannte... es kam Franzel vor, als ob er mit halber Stimme vor sich hin sänge . . . noch ein paar Schritte, und sie hörte und verstand, was er sang.
Ich möchte sterben, da wo ich geboren, Im lieben Land, wo meine Salzach braust! Es war das Heimweh, das über ihn gekommen war, das ihm in den Worten seines eigenen Liedes zur Klage wurde. Sie störte ihn nicht; unbemerkt schlich sie zurück, er saß noch lange ungestört und einsam bis in die dunkelnde Nacht.
Am andern Tage begrüßte ihn Franzel beim Frühstück mit ihrem schönsten Lächeln. Sie war schon vor Tage aufgestanden und hatte allerlei hin und wieder geräumt und getragen. Hanney bemerkte das und fragte: Was machst du doch für Zubereitungen? Was hast du denn vor?
Sonderbare Frage — man hat doch eine Menge herzurichten, wenn man reis't . . .
Wenn man reis't? Wer will denn verreisen?
Nun, ich und du und die Kinder — wir Alle miteinander. . .
Ich begreife dich nicht, Franzel... Wohin sollten wir denn reisen?
Franzel legte ihre Arbeit weg, faßte ihn an der Hand und sah ihm zärtlich in die Augen. Wohin? kannst du das wirklich nicht errathen? Was hast du denn gestern für ein Lied gesungen, als du Abends allein draußen saßest an der Donau?
Franzel ... du weißt?
Ja, ich weiß. Ich habe erlauschen müssen, was du mir nicht gesagt hast ... du sehnst dich nach deiner Heimath.
Nun ja denn, was soll ich es leugnen . . . es kommen ja wohl manchmal solche Augenblicke über einen. Es wird wieder vorübergehn . . . Geschehene Dinge sind einmal nicht zu ändern . . .
Wohl ist es zu ändern, Hanney . . . wir reisen tu das liebe Land, wo dritte Salzach braus't, in deine Heimath!
Franzel! rief Hanney, sie entzückt umhalsend, du wolltest wirklich? du könntest dich entschließen . . .
Wozu? du hast mir ein großes Opfer gebracht, als du hier bliebst: soll ich dir's nicht vergelten und mit dir zurückgehn, wenn es deine Ruhe gilt . . .?
O du gute, herzliche Franzel ... Ja es hat mir in der Stille am Herzen gefressen und ich hab's nicht verwinden können . . . nun werd' ich erst wieder anfangen zu leben! O du gutes, herzliebes Weib . . .
Lob' mich nicht zu sehr, es ist nicht so viel dahinter. Jetzt ist es anders, wenn wir heim kommen, als wenn wir vor sechs Jahren heimgekommen wären. Jetzt sind wir gemachte Leute, die sich sehn lassen dürfen, und was die Hauptsache ist — ich bin dein Weib, Hanney, dein glückliches Weib, ich bin die Mutter deiner Kinder — nun sollen sie kommen und über mich lachen, wenn sie Lust haben . . . nun steht mein Glück so fest, daß nichts mehr daran rütteln kann!
— Bald war alle Habe zu Geld gemacht, und die Reise wurde angetreten. Nicht gering war das Gerede und das Aufsehen, als der leichte ungarische Korbwagen mit den vier kleinen Pferdchen und dem zierlichen Troddelgeschirr vor dem Posthause zu Laufen anhielt. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, der Hanney sei wieder gekommen aus der Türkei als ein steinreicher Holzhändler, und das Mohrenfranzel sei seine Frau, und ein paar kleine Halbmohren seien
auch dabei. Man freute sich ihrer Wiederkehr und gönnte ihnen das stille Glück, als sie sich auf einem Gütchen in der Nähe ansiedelten und wieder die alten Bekannten und Nachbarn waren, wie vor Jahren.
Hanney trieb seinen Handel fort. Dabei konnte es nicht ausbleiben, daß er mit Melcher zusammentraf, der inzwischen Schiffmeister geworden war und Wolfsind geheirathet hatte. Sie spielten noch immer wacker Komödie, und Niemand war, der ihnen die Helden und Liebhaberinnen streitig gemacht hätte.
Es läßt sich denken, daß die Unterhaltung anfangs etwas gezwungen und einsilbig war, als sich einmal die beiden Familien gegenüber standen und Wolfsind vor Hanney und Franzel trat. Eine trübe Vergangenheit lag noch ungesühnt zwischen ihnen.
Um nur etwas zu sagen, streichelte die stattliche Frau Schiffmeisterin die braunen Kinder und fragte nach deren Namen. Der Bube, antwortete Franzel, mußte nach dem Vater heißen — das Mädel aber haben wir — Wolfsind getauft!
Ueberrascht blickte sie die Beiden an und streckte ihnen die Hände entgegen; sie wurden herzlich ergriffen, und versöhnt stand die Schiffmeisterin zwischen Hanney und der glücklichen Mohrenfranzel.