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Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874.

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nördlichen Eingang meines grossen, durch den ganzen
Berg führenden Einschnitts.

Es thut mir ungemein leid, einen so kleinen Plan
von Troja geben zu müssen, ja ich hätte gewünscht, ihn
tausendmal grösser machen zu können; aber die Wahrheit
geht mir über alles, und ich freue mich, durch meine
dreijährigen Ausgrabungen, wenn auch nur in verklei-
nertem Massstabe, das homerische Troja aufgedeckt und
bewiesen zu haben, dass die Ilias auf wirkliche That-
sachen basirt ist.

Homer ist ein epischer Dichter, und kein Historiker,
und ist es ganz natürlich, dass er alles mit dichterischer
Freiheit übertreibt; überdies sind die Ereignisse, die er
schildert, so wunderbar, dass gar viele Gelehrte seit
langer Zeit die Existenz Trojas in Zweifel gezogen und
diese Stadt als ein blosses Phantasiebild des Poeten an-
gesehen haben. Ich wage daher zu hoffen, dass die
civilisirte Welt nicht nur nicht darüber entrüstet sein
wird, dass die Stadt des Priamos sich kaum ein Zwanzigstel
so gross herausstellt, als nach den Angaben der Ilias zu
erwarten wäre, sondern im Gegentheil, dass sie mit
Wonnegefühl und Begeisterung die Gewissheit entge-
gennehmen wird, dass Ilium wirklich da war, dass es
jetzt einem grossen Theil nach ans Licht gebracht ist,
und dass Homer, wenn er auch vergrösserte, doch wirklich
stattgefundene Ereignisse besingt. Ueberdies sollte man
auch bedenken, dass die sich jetzt auf diesen kleinen
Berg reducirende Baustelle von Troja doch noch ebenso
gross oder grösser ist als die der Königsstadt Athen,
welche auf die Akropolis beschränkt war, erst durch
die von Theseus hinzugefügten zwölf Dörfer sich ausser-

Schliemann, Troja. 20

die ueberlieferung homer’s.
nördlichen Eingang meines grossen, durch den ganzen
Berg führenden Einschnitts.

Es thut mir ungemein leid, einen so kleinen Plan
von Troja geben zu müssen, ja ich hätte gewünscht, ihn
tausendmal grösser machen zu können; aber die Wahrheit
geht mir über alles, und ich freue mich, durch meine
dreijährigen Ausgrabungen, wenn auch nur in verklei-
nertem Massstabe, das homerische Troja aufgedeckt und
bewiesen zu haben, dass die Ilias auf wirkliche That-
sachen basirt ist.

Homer ist ein epischer Dichter, und kein Historiker,
und ist es ganz natürlich, dass er alles mit dichterischer
Freiheit übertreibt; überdies sind die Ereignisse, die er
schildert, so wunderbar, dass gar viele Gelehrte seit
langer Zeit die Existenz Trojas in Zweifel gezogen und
diese Stadt als ein blosses Phantasiebild des Poeten an-
gesehen haben. Ich wage daher zu hoffen, dass die
civilisirte Welt nicht nur nicht darüber entrüstet sein
wird, dass die Stadt des Priamos sich kaum ein Zwanzigstel
so gross herausstellt, als nach den Angaben der Ilias zu
erwarten wäre, sondern im Gegentheil, dass sie mit
Wonnegefühl und Begeisterung die Gewissheit entge-
gennehmen wird, dass Ilium wirklich da war, dass es
jetzt einem grossen Theil nach ans Licht gebracht ist,
und dass Homer, wenn er auch vergrösserte, doch wirklich
stattgefundene Ereignisse besingt. Ueberdies sollte man
auch bedenken, dass die sich jetzt auf diesen kleinen
Berg reducirende Baustelle von Troja doch noch ebenso
gross oder grösser ist als die der Königsstadt Athen,
welche auf die Akropolis beschränkt war, erst durch
die von Theseus hinzugefügten zwölf Dörfer sich ausser-

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[305/0371] die ueberlieferung homer’s. nördlichen Eingang meines grossen, durch den ganzen Berg führenden Einschnitts. Es thut mir ungemein leid, einen so kleinen Plan von Troja geben zu müssen, ja ich hätte gewünscht, ihn tausendmal grösser machen zu können; aber die Wahrheit geht mir über alles, und ich freue mich, durch meine dreijährigen Ausgrabungen, wenn auch nur in verklei- nertem Massstabe, das homerische Troja aufgedeckt und bewiesen zu haben, dass die Ilias auf wirkliche That- sachen basirt ist. Homer ist ein epischer Dichter, und kein Historiker, und ist es ganz natürlich, dass er alles mit dichterischer Freiheit übertreibt; überdies sind die Ereignisse, die er schildert, so wunderbar, dass gar viele Gelehrte seit langer Zeit die Existenz Trojas in Zweifel gezogen und diese Stadt als ein blosses Phantasiebild des Poeten an- gesehen haben. Ich wage daher zu hoffen, dass die civilisirte Welt nicht nur nicht darüber entrüstet sein wird, dass die Stadt des Priamos sich kaum ein Zwanzigstel so gross herausstellt, als nach den Angaben der Ilias zu erwarten wäre, sondern im Gegentheil, dass sie mit Wonnegefühl und Begeisterung die Gewissheit entge- gennehmen wird, dass Ilium wirklich da war, dass es jetzt einem grossen Theil nach ans Licht gebracht ist, und dass Homer, wenn er auch vergrösserte, doch wirklich stattgefundene Ereignisse besingt. Ueberdies sollte man auch bedenken, dass die sich jetzt auf diesen kleinen Berg reducirende Baustelle von Troja doch noch ebenso gross oder grösser ist als die der Königsstadt Athen, welche auf die Akropolis beschränkt war, erst durch die von Theseus hinzugefügten zwölf Dörfer sich ausser- Schliemann, Troja. 20

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Zitationshilfe: Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schliemann_trojanische_1874/371>, abgerufen am 03.05.2024.