Mögen nun daraus wieder abweichende Privathandschriften ent- standen sein, es ist unerweislich, daß dieselbe aus Vergleichung von mehreren Handschriften, die einen verschiedenen Typus gehabt, gemacht sind. Die öffentlichen Handschriften nahmen gewiß nicht sobald von den Privathandschriften Verschiedenheiten an. Das führt wieder auf den Charakter des am meisten Verbreiteten zu- rück, und hier ist der Hauptgegensaz der zwischen den griechisch- lateinischen und den rein griechischen Handschriften.
Außer den Handschriften werden als Zeugnisse des Textes noch die Citate der Kirchenväter und die alten Übersezungen angeführt.
Wenn wir in patristischen Schriften, z. B. besonders bei Origenes und Hieronymus, Stellen finden, wo die Rede ist von einer Verschie- denheit im neutest. Text, so liegt darin allerdings ein bestimmtes Zeugniß, welches älter ist, als die meisten unserer Handschriften, und gar sehr zu gebrauchen. Gewöhnlich meint man aber alle neutest. Citate in den Kirchenvätern überhaupt. Darin ist nun zwar allerdings immer etwas, aber solche Citate sind mit großer Vorsicht zu gebrauchen, weil wir nicht behaupten können, daß die Kirchenväter die Stellen des N. T. immer buchstäblich an- führen. Denken wir uns namentlich Citationen in den Homilien des Chrysostomus und Anderer. Da hat der Vortragende wol bei der Hauptstelle, die er behandelte, das N. T. vor sich gehabt, und gesprochen, wie er es in seinem Codex fand, andere Stellen aber frei aus dem Gedächtniß citirt. In diesen lezteren also liegt kein Beweisgrund für eine verschiedene Leseart. Aber in Beziehung auf die Textesabschnitte selbst, welche die Kirchenväter in ihren Homi- lien commentiren, entsteht die Frage, ob die Abschnitte der Schrift, welche in Handschriften der KVV. den Homilien vorangestellt sind, ursprünglich so von den Homileten gelesen, oder von den spätern Abschreibern aus ihren eigenen Exemplaren genommen worden sind? Ist nun dieß schwer zu entscheiden, so haben auch solche Texte keine bestimmte Auctorität. Anders ist es, wenn in der homiletischen Behandlung auf den Text zurückgegangen wird und man daraus erkennen kann, wie der Homilet in seinem
Moͤgen nun daraus wieder abweichende Privathandſchriften ent- ſtanden ſein, es iſt unerweislich, daß dieſelbe aus Vergleichung von mehreren Handſchriften, die einen verſchiedenen Typus gehabt, gemacht ſind. Die oͤffentlichen Handſchriften nahmen gewiß nicht ſobald von den Privathandſchriften Verſchiedenheiten an. Das fuͤhrt wieder auf den Charakter des am meiſten Verbreiteten zu- ruͤck, und hier iſt der Hauptgegenſaz der zwiſchen den griechiſch- lateiniſchen und den rein griechiſchen Handſchriften.
Außer den Handſchriften werden als Zeugniſſe des Textes noch die Citate der Kirchenvaͤter und die alten Überſezungen angefuͤhrt.
Wenn wir in patriſtiſchen Schriften, z. B. beſonders bei Origenes und Hieronymus, Stellen finden, wo die Rede iſt von einer Verſchie- denheit im neuteſt. Text, ſo liegt darin allerdings ein beſtimmtes Zeugniß, welches aͤlter iſt, als die meiſten unſerer Handſchriften, und gar ſehr zu gebrauchen. Gewoͤhnlich meint man aber alle neuteſt. Citate in den Kirchenvaͤtern uͤberhaupt. Darin iſt nun zwar allerdings immer etwas, aber ſolche Citate ſind mit großer Vorſicht zu gebrauchen, weil wir nicht behaupten koͤnnen, daß die Kirchenvaͤter die Stellen des N. T. immer buchſtaͤblich an- fuͤhren. Denken wir uns namentlich Citationen in den Homilien des Chryſoſtomus und Anderer. Da hat der Vortragende wol bei der Hauptſtelle, die er behandelte, das N. T. vor ſich gehabt, und geſprochen, wie er es in ſeinem Codex fand, andere Stellen aber frei aus dem Gedaͤchtniß citirt. In dieſen lezteren alſo liegt kein Beweisgrund fuͤr eine verſchiedene Leſeart. Aber in Beziehung auf die Textesabſchnitte ſelbſt, welche die Kirchenvaͤter in ihren Homi- lien commentiren, entſteht die Frage, ob die Abſchnitte der Schrift, welche in Handſchriften der KVV. den Homilien vorangeſtellt ſind, urſpruͤnglich ſo von den Homileten geleſen, oder von den ſpaͤtern Abſchreibern aus ihren eigenen Exemplaren genommen worden ſind? Iſt nun dieß ſchwer zu entſcheiden, ſo haben auch ſolche Texte keine beſtimmte Auctoritaͤt. Anders iſt es, wenn in der homiletiſchen Behandlung auf den Text zuruͤckgegangen wird und man daraus erkennen kann, wie der Homilet in ſeinem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0344"n="320"/>
Moͤgen nun daraus wieder abweichende Privathandſchriften ent-<lb/>ſtanden ſein, es iſt unerweislich, daß dieſelbe aus Vergleichung<lb/>
von mehreren Handſchriften, die einen verſchiedenen Typus gehabt,<lb/>
gemacht ſind. Die oͤffentlichen Handſchriften nahmen gewiß nicht<lb/>ſobald von den Privathandſchriften Verſchiedenheiten an. Das<lb/>
fuͤhrt wieder auf den Charakter des am meiſten Verbreiteten zu-<lb/>
ruͤck, und hier iſt der Hauptgegenſaz der zwiſchen den griechiſch-<lb/>
lateiniſchen und den rein griechiſchen Handſchriften.</p><lb/><p>Außer den Handſchriften werden als Zeugniſſe des Textes noch<lb/>
die Citate der Kirchenvaͤter und die alten Überſezungen angefuͤhrt.</p><lb/><p>Wenn wir in patriſtiſchen Schriften, z. B. beſonders bei Origenes<lb/>
und Hieronymus, Stellen finden, wo die Rede iſt von einer Verſchie-<lb/>
denheit im neuteſt. Text, ſo liegt darin allerdings ein beſtimmtes<lb/>
Zeugniß, welches aͤlter iſt, als die meiſten unſerer Handſchriften,<lb/>
und gar ſehr zu gebrauchen. Gewoͤhnlich meint man aber alle<lb/>
neuteſt. Citate in den Kirchenvaͤtern uͤberhaupt. Darin iſt nun<lb/>
zwar allerdings immer etwas, aber ſolche Citate ſind mit großer<lb/>
Vorſicht zu gebrauchen, weil wir nicht behaupten koͤnnen, daß<lb/>
die Kirchenvaͤter die Stellen des N. T. immer buchſtaͤblich an-<lb/>
fuͤhren. Denken wir uns namentlich Citationen in den Homilien<lb/>
des Chryſoſtomus und Anderer. Da hat der Vortragende wol<lb/>
bei der Hauptſtelle, die er behandelte, das N. T. vor ſich gehabt,<lb/>
und geſprochen, wie er es in ſeinem Codex fand, andere Stellen<lb/>
aber frei aus dem Gedaͤchtniß citirt. In dieſen lezteren alſo liegt kein<lb/>
Beweisgrund fuͤr eine verſchiedene Leſeart. Aber in Beziehung auf<lb/>
die Textesabſchnitte ſelbſt, welche die Kirchenvaͤter in ihren Homi-<lb/>
lien commentiren, entſteht die Frage, ob die Abſchnitte der Schrift,<lb/>
welche in Handſchriften der KVV. den Homilien vorangeſtellt<lb/>ſind, urſpruͤnglich ſo von den Homileten geleſen, oder von den<lb/>ſpaͤtern Abſchreibern aus ihren eigenen Exemplaren genommen<lb/>
worden ſind? Iſt nun dieß ſchwer zu entſcheiden, ſo haben auch<lb/>ſolche Texte keine beſtimmte Auctoritaͤt. Anders iſt es, wenn<lb/>
in der homiletiſchen Behandlung auf den Text zuruͤckgegangen<lb/>
wird und man daraus erkennen kann, wie der Homilet in ſeinem<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[320/0344]
Moͤgen nun daraus wieder abweichende Privathandſchriften ent-
ſtanden ſein, es iſt unerweislich, daß dieſelbe aus Vergleichung
von mehreren Handſchriften, die einen verſchiedenen Typus gehabt,
gemacht ſind. Die oͤffentlichen Handſchriften nahmen gewiß nicht
ſobald von den Privathandſchriften Verſchiedenheiten an. Das
fuͤhrt wieder auf den Charakter des am meiſten Verbreiteten zu-
ruͤck, und hier iſt der Hauptgegenſaz der zwiſchen den griechiſch-
lateiniſchen und den rein griechiſchen Handſchriften.
Außer den Handſchriften werden als Zeugniſſe des Textes noch
die Citate der Kirchenvaͤter und die alten Überſezungen angefuͤhrt.
Wenn wir in patriſtiſchen Schriften, z. B. beſonders bei Origenes
und Hieronymus, Stellen finden, wo die Rede iſt von einer Verſchie-
denheit im neuteſt. Text, ſo liegt darin allerdings ein beſtimmtes
Zeugniß, welches aͤlter iſt, als die meiſten unſerer Handſchriften,
und gar ſehr zu gebrauchen. Gewoͤhnlich meint man aber alle
neuteſt. Citate in den Kirchenvaͤtern uͤberhaupt. Darin iſt nun
zwar allerdings immer etwas, aber ſolche Citate ſind mit großer
Vorſicht zu gebrauchen, weil wir nicht behaupten koͤnnen, daß
die Kirchenvaͤter die Stellen des N. T. immer buchſtaͤblich an-
fuͤhren. Denken wir uns namentlich Citationen in den Homilien
des Chryſoſtomus und Anderer. Da hat der Vortragende wol
bei der Hauptſtelle, die er behandelte, das N. T. vor ſich gehabt,
und geſprochen, wie er es in ſeinem Codex fand, andere Stellen
aber frei aus dem Gedaͤchtniß citirt. In dieſen lezteren alſo liegt kein
Beweisgrund fuͤr eine verſchiedene Leſeart. Aber in Beziehung auf
die Textesabſchnitte ſelbſt, welche die Kirchenvaͤter in ihren Homi-
lien commentiren, entſteht die Frage, ob die Abſchnitte der Schrift,
welche in Handſchriften der KVV. den Homilien vorangeſtellt
ſind, urſpruͤnglich ſo von den Homileten geleſen, oder von den
ſpaͤtern Abſchreibern aus ihren eigenen Exemplaren genommen
worden ſind? Iſt nun dieß ſchwer zu entſcheiden, ſo haben auch
ſolche Texte keine beſtimmte Auctoritaͤt. Anders iſt es, wenn
in der homiletiſchen Behandlung auf den Text zuruͤckgegangen
wird und man daraus erkennen kann, wie der Homilet in ſeinem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/344>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.