seitig von ihren kirchlichen Verhältnissen und Schriften Notiz. So kam die Zusammenschreibung des N. T. zu Stande. Von sol- chen Hauptpunkten ging nun auch die Vervielfältigung durch Abschriften aus, und so bekam allmählich jede Gemeinde ein Neues Testament. Der Text, der von solchen Hauptgemeinden ausging, war wesentlich derselbe. Waren das aber schon Recen- sionen? Möglich, daß solche ausgingen von Metropolen, die zugleich einen scholastischen Charakter hatten, wie Alexandrien u. a. Allein wir haben keine sichere Spur, daß dieß wirklich geschehen wäre. Man weiß nur von der Lucianischen Kritik, aber auch, daß sie gemißbilligt wurde. Von einem durchgreifenden kritischen Verfahren im neutest. Text haben wir durchaus keine Spur.
Finden wir also Ähnlichkeiten in den Handschriften, so muß man es problematisch lassen, ob es zufällig ist oder nicht, da die Ähnlichkeit nie durchgreifend ist. Die Theorie von den Re- censionen verflicht sich auch so künstlich, muß eine Menge von Ausnahmen machen, und beruht so wenig auf sicherm Fundament, daß man sie aufgeben muß.
Haben wir nun an den oben festgestellten Maximen, die wir aus dem Charakter der Handschriften nach ihrer chronologi- schen und geographischen Classification entnommen haben, genug, oder müssen wir noch Regeln haben darüber, was aus mechani- schen Irrungen entstanden sein kann?
Gehen wir von den Interlinearhandschriften aus, so finden wir Veränderungen, welche auf sehr analoge Weise entstanden sind. Es giebt Handschriften, welche am Rande mehr und we- niger Bemerkungen enthalten. Außerdem hat es von früh an Erklärungen des N. T. gegeben, die zum Theil mit verbreitet waren. Nun läßt sich oft eine Schwierigkeit im Text durch eine geringe Veränderung im Text erklären oder durch Danebenstellung eines leichten Ausdrucks am Rande. Solche Marginalien sind oft aus Erklärungen genommen. Da ist denn die Regel, solche Lesearten, eben weil ihr Ursprung sich nachweisen läßt, zurückzu- weisen. Allein hier sind wir nicht mehr genau auf unsrem Gebiet,
ſeitig von ihren kirchlichen Verhaͤltniſſen und Schriften Notiz. So kam die Zuſammenſchreibung des N. T. zu Stande. Von ſol- chen Hauptpunkten ging nun auch die Vervielfaͤltigung durch Abſchriften aus, und ſo bekam allmaͤhlich jede Gemeinde ein Neues Teſtament. Der Text, der von ſolchen Hauptgemeinden ausging, war weſentlich derſelbe. Waren das aber ſchon Recen- ſionen? Moͤglich, daß ſolche ausgingen von Metropolen, die zugleich einen ſcholaſtiſchen Charakter hatten, wie Alexandrien u. a. Allein wir haben keine ſichere Spur, daß dieß wirklich geſchehen waͤre. Man weiß nur von der Lucianiſchen Kritik, aber auch, daß ſie gemißbilligt wurde. Von einem durchgreifenden kritiſchen Verfahren im neuteſt. Text haben wir durchaus keine Spur.
Finden wir alſo Ähnlichkeiten in den Handſchriften, ſo muß man es problematiſch laſſen, ob es zufaͤllig iſt oder nicht, da die Ähnlichkeit nie durchgreifend iſt. Die Theorie von den Re- cenſionen verflicht ſich auch ſo kuͤnſtlich, muß eine Menge von Ausnahmen machen, und beruht ſo wenig auf ſicherm Fundament, daß man ſie aufgeben muß.
Haben wir nun an den oben feſtgeſtellten Maximen, die wir aus dem Charakter der Handſchriften nach ihrer chronologi- ſchen und geographiſchen Claſſification entnommen haben, genug, oder muͤſſen wir noch Regeln haben daruͤber, was aus mechani- ſchen Irrungen entſtanden ſein kann?
Gehen wir von den Interlinearhandſchriften aus, ſo finden wir Veraͤnderungen, welche auf ſehr analoge Weiſe entſtanden ſind. Es giebt Handſchriften, welche am Rande mehr und we- niger Bemerkungen enthalten. Außerdem hat es von fruͤh an Erklaͤrungen des N. T. gegeben, die zum Theil mit verbreitet waren. Nun laͤßt ſich oft eine Schwierigkeit im Text durch eine geringe Veraͤnderung im Text erklaͤren oder durch Danebenſtellung eines leichten Ausdrucks am Rande. Solche Marginalien ſind oft aus Erklaͤrungen genommen. Da iſt denn die Regel, ſolche Leſearten, eben weil ihr Urſprung ſich nachweiſen laͤßt, zuruͤckzu- weiſen. Allein hier ſind wir nicht mehr genau auf unſrem Gebiet,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0342"n="318"/>ſeitig von ihren kirchlichen Verhaͤltniſſen und Schriften Notiz. So<lb/>
kam die Zuſammenſchreibung des N. T. zu Stande. Von ſol-<lb/>
chen Hauptpunkten ging nun auch die Vervielfaͤltigung durch<lb/>
Abſchriften aus, und ſo bekam allmaͤhlich jede Gemeinde ein<lb/>
Neues Teſtament. Der Text, der von ſolchen Hauptgemeinden<lb/>
ausging, war weſentlich derſelbe. Waren das aber ſchon Recen-<lb/>ſionen? Moͤglich, daß ſolche ausgingen von Metropolen, die<lb/>
zugleich einen ſcholaſtiſchen Charakter hatten, wie Alexandrien u. a.<lb/>
Allein wir haben keine ſichere Spur, daß dieß wirklich geſchehen<lb/>
waͤre. Man weiß nur von der Lucianiſchen Kritik, aber auch,<lb/>
daß ſie gemißbilligt wurde. Von einem durchgreifenden kritiſchen<lb/>
Verfahren im neuteſt. Text haben wir durchaus keine Spur.</p><lb/><p>Finden wir alſo Ähnlichkeiten in den Handſchriften, ſo muß<lb/>
man es problematiſch laſſen, ob es zufaͤllig iſt oder nicht, da<lb/>
die Ähnlichkeit nie durchgreifend iſt. Die Theorie von den Re-<lb/>
cenſionen verflicht ſich auch ſo kuͤnſtlich, muß eine Menge von<lb/>
Ausnahmen machen, und beruht ſo wenig auf ſicherm Fundament,<lb/>
daß man ſie aufgeben muß.</p><lb/><p>Haben wir nun an den oben feſtgeſtellten Maximen, die<lb/>
wir aus dem Charakter der Handſchriften nach ihrer chronologi-<lb/>ſchen und geographiſchen Claſſification entnommen haben, genug,<lb/>
oder muͤſſen wir noch Regeln haben daruͤber, was aus mechani-<lb/>ſchen Irrungen entſtanden ſein kann?</p><lb/><p>Gehen wir von den Interlinearhandſchriften aus, ſo finden<lb/>
wir Veraͤnderungen, welche auf ſehr analoge Weiſe entſtanden<lb/>ſind. Es giebt Handſchriften, welche am Rande mehr und we-<lb/>
niger Bemerkungen enthalten. Außerdem hat es von fruͤh an<lb/>
Erklaͤrungen des N. T. gegeben, die zum Theil mit verbreitet<lb/>
waren. Nun laͤßt ſich oft eine Schwierigkeit im Text durch eine<lb/>
geringe Veraͤnderung im Text erklaͤren oder durch Danebenſtellung<lb/>
eines leichten Ausdrucks am Rande. Solche Marginalien ſind<lb/>
oft aus Erklaͤrungen genommen. Da iſt denn die Regel, ſolche<lb/>
Leſearten, eben weil ihr Urſprung ſich nachweiſen laͤßt, zuruͤckzu-<lb/>
weiſen. Allein hier ſind wir nicht mehr genau auf unſrem Gebiet,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[318/0342]
ſeitig von ihren kirchlichen Verhaͤltniſſen und Schriften Notiz. So
kam die Zuſammenſchreibung des N. T. zu Stande. Von ſol-
chen Hauptpunkten ging nun auch die Vervielfaͤltigung durch
Abſchriften aus, und ſo bekam allmaͤhlich jede Gemeinde ein
Neues Teſtament. Der Text, der von ſolchen Hauptgemeinden
ausging, war weſentlich derſelbe. Waren das aber ſchon Recen-
ſionen? Moͤglich, daß ſolche ausgingen von Metropolen, die
zugleich einen ſcholaſtiſchen Charakter hatten, wie Alexandrien u. a.
Allein wir haben keine ſichere Spur, daß dieß wirklich geſchehen
waͤre. Man weiß nur von der Lucianiſchen Kritik, aber auch,
daß ſie gemißbilligt wurde. Von einem durchgreifenden kritiſchen
Verfahren im neuteſt. Text haben wir durchaus keine Spur.
Finden wir alſo Ähnlichkeiten in den Handſchriften, ſo muß
man es problematiſch laſſen, ob es zufaͤllig iſt oder nicht, da
die Ähnlichkeit nie durchgreifend iſt. Die Theorie von den Re-
cenſionen verflicht ſich auch ſo kuͤnſtlich, muß eine Menge von
Ausnahmen machen, und beruht ſo wenig auf ſicherm Fundament,
daß man ſie aufgeben muß.
Haben wir nun an den oben feſtgeſtellten Maximen, die
wir aus dem Charakter der Handſchriften nach ihrer chronologi-
ſchen und geographiſchen Claſſification entnommen haben, genug,
oder muͤſſen wir noch Regeln haben daruͤber, was aus mechani-
ſchen Irrungen entſtanden ſein kann?
Gehen wir von den Interlinearhandſchriften aus, ſo finden
wir Veraͤnderungen, welche auf ſehr analoge Weiſe entſtanden
ſind. Es giebt Handſchriften, welche am Rande mehr und we-
niger Bemerkungen enthalten. Außerdem hat es von fruͤh an
Erklaͤrungen des N. T. gegeben, die zum Theil mit verbreitet
waren. Nun laͤßt ſich oft eine Schwierigkeit im Text durch eine
geringe Veraͤnderung im Text erklaͤren oder durch Danebenſtellung
eines leichten Ausdrucks am Rande. Solche Marginalien ſind
oft aus Erklaͤrungen genommen. Da iſt denn die Regel, ſolche
Leſearten, eben weil ihr Urſprung ſich nachweiſen laͤßt, zuruͤckzu-
weiſen. Allein hier ſind wir nicht mehr genau auf unſrem Gebiet,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/342>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.