sehen? Wir finden bestimmte Beschreibungen von Einzelheiten, die Gegenstände sind genau angegeben. Zugleich aber finden wir im Einzelnen eine gewisse doppelte Scenerie, Gegenstände darin, welche eine andere Art von Realität haben als die übrigen. Wenn erzählt wird, etwas sei gesehen worden und der Sehende habe einen Anderen, der nicht außerhalb des Gesehenen bei ihm war, gefragt, was Einzelnes für eine Bewandniß habe, so hat eben dieß mehr Rea- lität für den Seher, als jene unbestimmte Relation mit ihm. Betrachtet man den Ursprung und die Beschaffenheit des Gesehe- nen, so ist, wenn die Gegenstände sollen wirklich äußerlich ge- sehen worden sein, oft nachzuweisen, daß es für das Auge nicht in der Einheit des Bildes, wenigstens nicht in der Bestimmtheit habe dargestellt werden können, mit der es dargestellt wird. Es wird also ein inneres Sehen angenommen werden müssen. Da kommen wir aber auf ein Gebiet, wo es uns an hinreichender Erfahrung fehlt, um Geseze erkennen zu können. Also sind nur die Gestalten und die Verhältnisse, die der Verfasser beschreibt, als sein wirklich Gesehenes aufzufassen. Wenn die Klarheit des Gesehenen so weit gehen sollte, daß man das Ganze unter der Form eines Bildes zur Anschauung bringen könnte, so wäre die unmittelbare hermeneutische Aufgabe gelöst. Aber was hätte man dann? Um zum vollen Verstehen zu gelangen, müßte man über die hermeneutische Aufgabe in dieser Beziehung hinausgehen. Nun ist aber das Gesehene nicht der ganze Inhalt, sondern es kommen auch Reden vor. Hier wäre ein eigentliches Gebiet der Hermeneutik. Die Schrift ist an die Asiatischen Gemeinden gerichtet, dieß ist ihre eigentliche Tendenz im ersten Abschnitt; da sind die Bilder nur die Dekorationen. In dem anderen Theile ist das Gesehene die Hauptsache, und die Rede soll nur einzelne Indikationen einstreuen über die Bedeutung des Gesehenen. Könnte man nach diesen Indikationen allem Einzelnen eine be- stimmte Bedeutung beilegen, und das stimmte zusammen, so wäre dieß das vollkommene Verstehen in Beziehung auf die Verbin- dung des Gesprochenen und Gesehenen, es mag beides ein äuße-
ſehen? Wir finden beſtimmte Beſchreibungen von Einzelheiten, die Gegenſtaͤnde ſind genau angegeben. Zugleich aber finden wir im Einzelnen eine gewiſſe doppelte Scenerie, Gegenſtaͤnde darin, welche eine andere Art von Realitaͤt haben als die uͤbrigen. Wenn erzaͤhlt wird, etwas ſei geſehen worden und der Sehende habe einen Anderen, der nicht außerhalb des Geſehenen bei ihm war, gefragt, was Einzelnes fuͤr eine Bewandniß habe, ſo hat eben dieß mehr Rea- litaͤt fuͤr den Seher, als jene unbeſtimmte Relation mit ihm. Betrachtet man den Urſprung und die Beſchaffenheit des Geſehe- nen, ſo iſt, wenn die Gegenſtaͤnde ſollen wirklich aͤußerlich ge- ſehen worden ſein, oft nachzuweiſen, daß es fuͤr das Auge nicht in der Einheit des Bildes, wenigſtens nicht in der Beſtimmtheit habe dargeſtellt werden koͤnnen, mit der es dargeſtellt wird. Es wird alſo ein inneres Sehen angenommen werden muͤſſen. Da kommen wir aber auf ein Gebiet, wo es uns an hinreichender Erfahrung fehlt, um Geſeze erkennen zu koͤnnen. Alſo ſind nur die Geſtalten und die Verhaͤltniſſe, die der Verfaſſer beſchreibt, als ſein wirklich Geſehenes aufzufaſſen. Wenn die Klarheit des Geſehenen ſo weit gehen ſollte, daß man das Ganze unter der Form eines Bildes zur Anſchauung bringen koͤnnte, ſo waͤre die unmittelbare hermeneutiſche Aufgabe geloͤſt. Aber was haͤtte man dann? Um zum vollen Verſtehen zu gelangen, muͤßte man uͤber die hermeneutiſche Aufgabe in dieſer Beziehung hinausgehen. Nun iſt aber das Geſehene nicht der ganze Inhalt, ſondern es kommen auch Reden vor. Hier waͤre ein eigentliches Gebiet der Hermeneutik. Die Schrift iſt an die Aſiatiſchen Gemeinden gerichtet, dieß iſt ihre eigentliche Tendenz im erſten Abſchnitt; da ſind die Bilder nur die Dekorationen. In dem anderen Theile iſt das Geſehene die Hauptſache, und die Rede ſoll nur einzelne Indikationen einſtreuen uͤber die Bedeutung des Geſehenen. Koͤnnte man nach dieſen Indikationen allem Einzelnen eine be- ſtimmte Bedeutung beilegen, und das ſtimmte zuſammen, ſo waͤre dieß das vollkommene Verſtehen in Beziehung auf die Verbin- dung des Geſprochenen und Geſehenen, es mag beides ein aͤuße-
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ſehen? Wir finden beſtimmte Beſchreibungen von Einzelheiten, die
Gegenſtaͤnde ſind genau angegeben. Zugleich aber finden wir im
Einzelnen eine gewiſſe doppelte Scenerie, Gegenſtaͤnde darin, welche
eine andere Art von Realitaͤt haben als die uͤbrigen. Wenn erzaͤhlt
wird, etwas ſei geſehen worden und der Sehende habe einen Anderen,
der nicht außerhalb des Geſehenen bei ihm war, gefragt, was
Einzelnes fuͤr eine Bewandniß habe, ſo hat eben dieß mehr Rea-
litaͤt fuͤr den Seher, als jene unbeſtimmte Relation mit ihm.
Betrachtet man den Urſprung und die Beſchaffenheit des Geſehe-
nen, ſo iſt, wenn die Gegenſtaͤnde ſollen wirklich aͤußerlich ge-
ſehen worden ſein, oft nachzuweiſen, daß es fuͤr das Auge nicht
in der Einheit des Bildes, wenigſtens nicht in der Beſtimmtheit
habe dargeſtellt werden koͤnnen, mit der es dargeſtellt wird. Es
wird alſo ein inneres Sehen angenommen werden muͤſſen. Da
kommen wir aber auf ein Gebiet, wo es uns an hinreichender
Erfahrung fehlt, um Geſeze erkennen zu koͤnnen. Alſo ſind nur
die Geſtalten und die Verhaͤltniſſe, die der Verfaſſer beſchreibt,
als ſein wirklich Geſehenes aufzufaſſen. Wenn die Klarheit des
Geſehenen ſo weit gehen ſollte, daß man das Ganze unter der
Form eines Bildes zur Anſchauung bringen koͤnnte, ſo waͤre die
unmittelbare hermeneutiſche Aufgabe geloͤſt. Aber was haͤtte man
dann? Um zum vollen Verſtehen zu gelangen, muͤßte man uͤber
die hermeneutiſche Aufgabe in dieſer Beziehung hinausgehen.
Nun iſt aber das Geſehene nicht der ganze Inhalt, ſondern es
kommen auch Reden vor. Hier waͤre ein eigentliches Gebiet
der Hermeneutik. Die Schrift iſt an die Aſiatiſchen Gemeinden
gerichtet, dieß iſt ihre eigentliche Tendenz im erſten Abſchnitt;
da ſind die Bilder nur die Dekorationen. In dem anderen Theile
iſt das Geſehene die Hauptſache, und die Rede ſoll nur einzelne
Indikationen einſtreuen uͤber die Bedeutung des Geſehenen.
Koͤnnte man nach dieſen Indikationen allem Einzelnen eine be-
ſtimmte Bedeutung beilegen, und das ſtimmte zuſammen, ſo waͤre
dieß das vollkommene Verſtehen in Beziehung auf die Verbin-
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/274>, abgerufen am 23.12.2024.
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