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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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Verfasser und das Zeitalter des Buches aus dem Spiele. Aber
dieser Inhalt ist im Allgemeinen eine Beschreibung von Visionen.
Fragt man nun, was hierbei die hermeneutische Aufgabe sei, so
ist sie die, aus der Rede des Verfassers mit Bestimmtheit zu
erkennen, was er gesehen. Eine ganz andere Frage ist, was das
Gesehene bedeutet? Diese Frage bezöge sich nicht mehr eigentlich auf
die Schrift, sondern auf die Thatsache des Sehens. Halten
wir uns mit der hermeneutischen Aufgabe bei der Apokalypse
auch nur in diesen Grenzen, so ist sie doch eigentlich nicht auf-
zulösen.

Betrachten wir die Vision des Petrus, ehe er zu Cornelius
ging, so haben wir davon zwei Relationen AG. 10, 9 ff. 11, 3 ff.
Da können nun zwei verschiedene Ansichten von der Thatsache
statt finden. Wie das Faktum in Joppe Kap. 10, 1 ff. erzählt
wird, so war niemand dabei, Petrus allein. Hat nun Petrus
die Vision schon früher, oder erst in Jerusalem erzählt Kap. 11,
3 ff. Ist das nun eine wirkliche Vision oder eine Parabel gewe-
sen? Die hermeneutische Aufgabe ist die, wie weit sich die Vi-
sion aus der Beschreibung erkennen lasse. Das Wesentliche in
der Erzählung ist das Gespräch über das was gesehen wird. So
ist die Vision Nebensache, die abermalige Wiederholung der
Stimme, die solenne Zahl giebt den starken Verdacht, daß wir
kein Faktum haben. Sollen wir die Erzählung als ein Faktum
annehmen, so fragt sich, sah Petrus äußerlich oder innerlich?
Nach dem Ausdruck 10, 10. war es ein inneres Sehen, nach
der Art und Weise der Erzählung aber ein äußeres. Man kann
sich aber das äußere Sehen als solches nicht construiren. So
war es ein inneres. Sagt man, das müsse aus der Erzählung
selbst hervorgehen, so sezt man sich nicht genug aus unsrer Stelle
heraus. Eine klare Vorstellung bekommt man nur, wenn man
als Thatsächliches nur die Entstehung der Überzeugung in Petrus
ansieht, das Übrige als Einkleidung.

In der Apokalypse sind überall dieselben Fragen zu thun.
Wenn wir fragen, was hat der Verfasser nach den Worten ge-

Verfaſſer und das Zeitalter des Buches aus dem Spiele. Aber
dieſer Inhalt iſt im Allgemeinen eine Beſchreibung von Viſionen.
Fragt man nun, was hierbei die hermeneutiſche Aufgabe ſei, ſo
iſt ſie die, aus der Rede des Verfaſſers mit Beſtimmtheit zu
erkennen, was er geſehen. Eine ganz andere Frage iſt, was das
Geſehene bedeutet? Dieſe Frage bezoͤge ſich nicht mehr eigentlich auf
die Schrift, ſondern auf die Thatſache des Sehens. Halten
wir uns mit der hermeneutiſchen Aufgabe bei der Apokalypſe
auch nur in dieſen Grenzen, ſo iſt ſie doch eigentlich nicht auf-
zuloͤſen.

Betrachten wir die Viſion des Petrus, ehe er zu Cornelius
ging, ſo haben wir davon zwei Relationen AG. 10, 9 ff. 11, 3 ff.
Da koͤnnen nun zwei verſchiedene Anſichten von der Thatſache
ſtatt finden. Wie das Faktum in Joppe Kap. 10, 1 ff. erzaͤhlt
wird, ſo war niemand dabei, Petrus allein. Hat nun Petrus
die Viſion ſchon fruͤher, oder erſt in Jeruſalem erzaͤhlt Kap. 11,
3 ff. Iſt das nun eine wirkliche Viſion oder eine Parabel gewe-
ſen? Die hermeneutiſche Aufgabe iſt die, wie weit ſich die Vi-
ſion aus der Beſchreibung erkennen laſſe. Das Weſentliche in
der Erzaͤhlung iſt das Geſpraͤch uͤber das was geſehen wird. So
iſt die Viſion Nebenſache, die abermalige Wiederholung der
Stimme, die ſolenne Zahl giebt den ſtarken Verdacht, daß wir
kein Faktum haben. Sollen wir die Erzaͤhlung als ein Faktum
annehmen, ſo fragt ſich, ſah Petrus aͤußerlich oder innerlich?
Nach dem Ausdruck 10, 10. war es ein inneres Sehen, nach
der Art und Weiſe der Erzaͤhlung aber ein aͤußeres. Man kann
ſich aber das aͤußere Sehen als ſolches nicht conſtruiren. So
war es ein inneres. Sagt man, das muͤſſe aus der Erzaͤhlung
ſelbſt hervorgehen, ſo ſezt man ſich nicht genug aus unſrer Stelle
heraus. Eine klare Vorſtellung bekommt man nur, wenn man
als Thatſaͤchliches nur die Entſtehung der Überzeugung in Petrus
anſieht, das Übrige als Einkleidung.

In der Apokalypſe ſind uͤberall dieſelben Fragen zu thun.
Wenn wir fragen, was hat der Verfaſſer nach den Worten ge-

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[249/0273] Verfaſſer und das Zeitalter des Buches aus dem Spiele. Aber dieſer Inhalt iſt im Allgemeinen eine Beſchreibung von Viſionen. Fragt man nun, was hierbei die hermeneutiſche Aufgabe ſei, ſo iſt ſie die, aus der Rede des Verfaſſers mit Beſtimmtheit zu erkennen, was er geſehen. Eine ganz andere Frage iſt, was das Geſehene bedeutet? Dieſe Frage bezoͤge ſich nicht mehr eigentlich auf die Schrift, ſondern auf die Thatſache des Sehens. Halten wir uns mit der hermeneutiſchen Aufgabe bei der Apokalypſe auch nur in dieſen Grenzen, ſo iſt ſie doch eigentlich nicht auf- zuloͤſen. Betrachten wir die Viſion des Petrus, ehe er zu Cornelius ging, ſo haben wir davon zwei Relationen AG. 10, 9 ff. 11, 3 ff. Da koͤnnen nun zwei verſchiedene Anſichten von der Thatſache ſtatt finden. Wie das Faktum in Joppe Kap. 10, 1 ff. erzaͤhlt wird, ſo war niemand dabei, Petrus allein. Hat nun Petrus die Viſion ſchon fruͤher, oder erſt in Jeruſalem erzaͤhlt Kap. 11, 3 ff. Iſt das nun eine wirkliche Viſion oder eine Parabel gewe- ſen? Die hermeneutiſche Aufgabe iſt die, wie weit ſich die Vi- ſion aus der Beſchreibung erkennen laſſe. Das Weſentliche in der Erzaͤhlung iſt das Geſpraͤch uͤber das was geſehen wird. So iſt die Viſion Nebenſache, die abermalige Wiederholung der Stimme, die ſolenne Zahl giebt den ſtarken Verdacht, daß wir kein Faktum haben. Sollen wir die Erzaͤhlung als ein Faktum annehmen, ſo fragt ſich, ſah Petrus aͤußerlich oder innerlich? Nach dem Ausdruck 10, 10. war es ein inneres Sehen, nach der Art und Weiſe der Erzaͤhlung aber ein aͤußeres. Man kann ſich aber das aͤußere Sehen als ſolches nicht conſtruiren. So war es ein inneres. Sagt man, das muͤſſe aus der Erzaͤhlung ſelbſt hervorgehen, ſo ſezt man ſich nicht genug aus unſrer Stelle heraus. Eine klare Vorſtellung bekommt man nur, wenn man als Thatſaͤchliches nur die Entſtehung der Überzeugung in Petrus anſieht, das Übrige als Einkleidung. In der Apokalypſe ſind uͤberall dieſelben Fragen zu thun. Wenn wir fragen, was hat der Verfaſſer nach den Worten ge-

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/273>, abgerufen am 04.05.2024.