Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

fallende Verschiedenheiten, die sie in 3 Classen zu ordnen verstatten
(demgemäß sie durch die Buchstaben b, c und d unterschieden sind).
Noch genauere Untersuchung zeigt uns, daß die mit d bezeichneten
Organe (siehe Fig. dI. Fig. dII.) ebenfalls aus einem Hauptkörper und
seitlichen Organen zusammengesetzt und in ihrer spätern Entwicklung
sich ganz wie die Pflanze selbst verhaltend nur Wiederholungen dieser
sind, so daß sie sich von derselben nur dadurch unterscheiden, daß ihnen
das freie untere Ende der Pflanze fehlt. Wir können diese "Knos-
pen
" genannten Theile also vorläufig ganz von unserer Betrachtung
ausschließen. Die mit b bezeichneten Organe ferner sind so sehr über-
einstimmend in ihrer ganzen Erscheinungsweise mit dem untern freien
Ende des Pflanzenkörpers, daß wir sie vorläufig als Theile desselben
ansehen können, wenn auch die Wissenschaft später nachweist, daß sie
in manchen Stücken wesentlich verschieden sind. So bleiben uns dann
eigentlich nur noch zwei Organe an der ganzen Pflanze übrig. Das Erste
ist der durchgehende Hauptkörper der Pflanze, "Axe oder Stengel-
organ
" genannt, letzteres weil die verschiedenen Formen des Pflanzen-
stengels sich stets nur aus diesem Theile entwickeln. Diese Axe ist an der
ganzen Pflanze bei ihrer Entstehung das Erste, Ursprüngliche und nicht
selten bilden sich die andern Organe nur sehr unvollkommen, oder nur
in einzelnen besondern Erscheinungsweisen aus, wie die blattlosen Cac-
teen, Stapelien und fast alle parasitischen Pflanzen zeigen. Das zweite
Organ stellen die mit c bezeichneten seitlichen dar, bei mannigfacher
Verschiedenheit im Einzelnen doch eine wesentliche Grundphysiogno-
mie zeigend, welche sie nie ablegen und welche besonders in ihrer Ent-
wicklungsgeschichte hervortritt; man nennt sie im Allgemeinen "Blatt-
organe
oder Blätter." -- Auf diese Weise ergiebt sich uns, daß
auch die vollkommenste Pflanze eigentlich nur zwei wesentlich ver-
schiedene Grundorgane, nämlich Stengel und Blatt, besitzt, daß also
das in der Phantasie ausgezeichnete Pflanzenideal, die Urpflanze, eine
über alle Erwartung einfache Grundlage habe. Genauer müssen wir
aber noch folgende Modificationen der Grundorgane unterscheiden
und bezeichnen.

fallende Verſchiedenheiten, die ſie in 3 Claſſen zu ordnen verſtatten
(demgemäß ſie durch die Buchſtaben b, c und d unterſchieden ſind).
Noch genauere Unterſuchung zeigt uns, daß die mit d bezeichneten
Organe (ſiehe Fig. dI. Fig. dII.) ebenfalls aus einem Hauptkörper und
ſeitlichen Organen zuſammengeſetzt und in ihrer ſpätern Entwicklung
ſich ganz wie die Pflanze ſelbſt verhaltend nur Wiederholungen dieſer
ſind, ſo daß ſie ſich von derſelben nur dadurch unterſcheiden, daß ihnen
das freie untere Ende der Pflanze fehlt. Wir können dieſe „Knos-
pen
“ genannten Theile alſo vorläufig ganz von unſerer Betrachtung
ausſchließen. Die mit b bezeichneten Organe ferner ſind ſo ſehr über-
einſtimmend in ihrer ganzen Erſcheinungsweiſe mit dem untern freien
Ende des Pflanzenkörpers, daß wir ſie vorläufig als Theile deſſelben
anſehen können, wenn auch die Wiſſenſchaft ſpäter nachweiſt, daß ſie
in manchen Stücken weſentlich verſchieden ſind. So bleiben uns dann
eigentlich nur noch zwei Organe an der ganzen Pflanze übrig. Das Erſte
iſt der durchgehende Hauptkörper der Pflanze, „Axe oder Stengel-
organ
“ genannt, letzteres weil die verſchiedenen Formen des Pflanzen-
ſtengels ſich ſtets nur aus dieſem Theile entwickeln. Dieſe Axe iſt an der
ganzen Pflanze bei ihrer Entſtehung das Erſte, Urſprüngliche und nicht
ſelten bilden ſich die andern Organe nur ſehr unvollkommen, oder nur
in einzelnen beſondern Erſcheinungsweiſen aus, wie die blattloſen Cac-
teen, Stapelien und faſt alle paraſitiſchen Pflanzen zeigen. Das zweite
Organ ſtellen die mit c bezeichneten ſeitlichen dar, bei mannigfacher
Verſchiedenheit im Einzelnen doch eine weſentliche Grundphyſiogno-
mie zeigend, welche ſie nie ablegen und welche beſonders in ihrer Ent-
wicklungsgeſchichte hervortritt; man nennt ſie im Allgemeinen „Blatt-
organe
oder Blätter.“ — Auf dieſe Weiſe ergiebt ſich uns, daß
auch die vollkommenſte Pflanze eigentlich nur zwei weſentlich ver-
ſchiedene Grundorgane, nämlich Stengel und Blatt, beſitzt, daß alſo
das in der Phantaſie ausgezeichnete Pflanzenideal, die Urpflanze, eine
über alle Erwartung einfache Grundlage habe. Genauer müſſen wir
aber noch folgende Modificationen der Grundorgane unterſcheiden
und bezeichnen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0098" n="82"/>
fallende Ver&#x017F;chiedenheiten, die &#x017F;ie in 3 Cla&#x017F;&#x017F;en zu ordnen ver&#x017F;tatten<lb/>
(demgemäß &#x017F;ie durch die Buch&#x017F;taben <hi rendition="#aq">b, c</hi> und <hi rendition="#aq">d</hi> unter&#x017F;chieden &#x017F;ind).<lb/>
Noch genauere Unter&#x017F;uchung zeigt uns, daß die mit <hi rendition="#aq">d</hi> bezeichneten<lb/>
Organe (&#x017F;iehe Fig. <hi rendition="#aq">d<hi rendition="#sup">I.</hi></hi> Fig. <hi rendition="#aq">d<hi rendition="#sup">II.</hi></hi>) ebenfalls aus einem Hauptkörper und<lb/>
&#x017F;eitlichen Organen zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt und in ihrer &#x017F;pätern Entwicklung<lb/>
&#x017F;ich ganz wie die Pflanze &#x017F;elb&#x017F;t verhaltend nur Wiederholungen die&#x017F;er<lb/>
&#x017F;ind, &#x017F;o daß &#x017F;ie &#x017F;ich von der&#x017F;elben nur dadurch unter&#x017F;cheiden, daß ihnen<lb/>
das freie <hi rendition="#g">untere</hi> Ende der Pflanze fehlt. Wir können die&#x017F;e &#x201E;<hi rendition="#g">Knos-<lb/>
pen</hi>&#x201C; genannten Theile al&#x017F;o vorläufig ganz von un&#x017F;erer Betrachtung<lb/>
aus&#x017F;chließen. Die mit <hi rendition="#aq">b</hi> bezeichneten Organe ferner &#x017F;ind &#x017F;o &#x017F;ehr über-<lb/>
ein&#x017F;timmend in ihrer ganzen Er&#x017F;cheinungswei&#x017F;e mit dem untern freien<lb/>
Ende des Pflanzenkörpers, daß wir &#x017F;ie vorläufig als Theile de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
an&#x017F;ehen können, wenn auch die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;päter nachwei&#x017F;t, daß &#x017F;ie<lb/>
in manchen Stücken we&#x017F;entlich ver&#x017F;chieden &#x017F;ind. So bleiben uns dann<lb/>
eigentlich nur noch zwei Organe an der ganzen Pflanze übrig. Das Er&#x017F;te<lb/>
i&#x017F;t der durchgehende Hauptkörper der Pflanze, &#x201E;<hi rendition="#g">Axe</hi> oder <hi rendition="#g">Stengel-<lb/>
organ</hi>&#x201C; genannt, letzteres weil die ver&#x017F;chiedenen Formen des Pflanzen-<lb/>
&#x017F;tengels &#x017F;ich &#x017F;tets nur aus die&#x017F;em Theile entwickeln. Die&#x017F;e Axe i&#x017F;t an der<lb/>
ganzen Pflanze bei ihrer Ent&#x017F;tehung das Er&#x017F;te, Ur&#x017F;prüngliche und nicht<lb/>
&#x017F;elten bilden &#x017F;ich die andern Organe nur &#x017F;ehr unvollkommen, oder nur<lb/>
in einzelnen be&#x017F;ondern Er&#x017F;cheinungswei&#x017F;en aus, wie die blattlo&#x017F;en Cac-<lb/>
teen, Stapelien und fa&#x017F;t alle para&#x017F;iti&#x017F;chen Pflanzen zeigen. Das zweite<lb/>
Organ &#x017F;tellen die mit <hi rendition="#aq">c</hi> bezeichneten &#x017F;eitlichen dar, bei mannigfacher<lb/>
Ver&#x017F;chiedenheit im Einzelnen doch eine we&#x017F;entliche Grundphy&#x017F;iogno-<lb/>
mie zeigend, welche &#x017F;ie nie ablegen und welche be&#x017F;onders in ihrer Ent-<lb/>
wicklungsge&#x017F;chichte hervortritt; man nennt &#x017F;ie im Allgemeinen &#x201E;<hi rendition="#g">Blatt-<lb/>
organe</hi> oder <hi rendition="#g">Blätter</hi>.&#x201C; &#x2014; Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e ergiebt &#x017F;ich uns, daß<lb/>
auch die vollkommen&#x017F;te Pflanze eigentlich nur zwei we&#x017F;entlich ver-<lb/>
&#x017F;chiedene Grundorgane, nämlich Stengel und Blatt, be&#x017F;itzt, daß al&#x017F;o<lb/>
das in der Phanta&#x017F;ie ausgezeichnete Pflanzenideal, die Urpflanze, eine<lb/>
über alle Erwartung einfache Grundlage habe. Genauer mü&#x017F;&#x017F;en wir<lb/>
aber noch folgende Modificationen der Grundorgane unter&#x017F;cheiden<lb/>
und bezeichnen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0098] fallende Verſchiedenheiten, die ſie in 3 Claſſen zu ordnen verſtatten (demgemäß ſie durch die Buchſtaben b, c und d unterſchieden ſind). Noch genauere Unterſuchung zeigt uns, daß die mit d bezeichneten Organe (ſiehe Fig. dI. Fig. dII.) ebenfalls aus einem Hauptkörper und ſeitlichen Organen zuſammengeſetzt und in ihrer ſpätern Entwicklung ſich ganz wie die Pflanze ſelbſt verhaltend nur Wiederholungen dieſer ſind, ſo daß ſie ſich von derſelben nur dadurch unterſcheiden, daß ihnen das freie untere Ende der Pflanze fehlt. Wir können dieſe „Knos- pen“ genannten Theile alſo vorläufig ganz von unſerer Betrachtung ausſchließen. Die mit b bezeichneten Organe ferner ſind ſo ſehr über- einſtimmend in ihrer ganzen Erſcheinungsweiſe mit dem untern freien Ende des Pflanzenkörpers, daß wir ſie vorläufig als Theile deſſelben anſehen können, wenn auch die Wiſſenſchaft ſpäter nachweiſt, daß ſie in manchen Stücken weſentlich verſchieden ſind. So bleiben uns dann eigentlich nur noch zwei Organe an der ganzen Pflanze übrig. Das Erſte iſt der durchgehende Hauptkörper der Pflanze, „Axe oder Stengel- organ“ genannt, letzteres weil die verſchiedenen Formen des Pflanzen- ſtengels ſich ſtets nur aus dieſem Theile entwickeln. Dieſe Axe iſt an der ganzen Pflanze bei ihrer Entſtehung das Erſte, Urſprüngliche und nicht ſelten bilden ſich die andern Organe nur ſehr unvollkommen, oder nur in einzelnen beſondern Erſcheinungsweiſen aus, wie die blattloſen Cac- teen, Stapelien und faſt alle paraſitiſchen Pflanzen zeigen. Das zweite Organ ſtellen die mit c bezeichneten ſeitlichen dar, bei mannigfacher Verſchiedenheit im Einzelnen doch eine weſentliche Grundphyſiogno- mie zeigend, welche ſie nie ablegen und welche beſonders in ihrer Ent- wicklungsgeſchichte hervortritt; man nennt ſie im Allgemeinen „Blatt- organe oder Blätter.“ — Auf dieſe Weiſe ergiebt ſich uns, daß auch die vollkommenſte Pflanze eigentlich nur zwei weſentlich ver- ſchiedene Grundorgane, nämlich Stengel und Blatt, beſitzt, daß alſo das in der Phantaſie ausgezeichnete Pflanzenideal, die Urpflanze, eine über alle Erwartung einfache Grundlage habe. Genauer müſſen wir aber noch folgende Modificationen der Grundorgane unterſcheiden und bezeichnen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/98
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/98>, abgerufen am 05.12.2024.