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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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zusammengesetzt, aber sie unterscheiden sich untereinander als ver-
schiedene Pflanzen eben durch den Umriß, die Zeichnung, nach welcher
die Zellen aneinander gefügt sind. Ob im Wesen der Sache begrün-
det, wissen wir zwar nicht, aber für die Erscheinung wenigstens tritt
bei Betrachtung der Pflanzen die Gestaltenbildung so sehr in den
Vorgrund, daß man oft sogar alles Uebrige ganz darüber vergessen
hat und so wird die Gestaltungslehre oder Morphologie auf jeden Fall
die wichtigste Disciplin in der ganzen Botanik. Aber man würde
sehr irren, wenn man glaubte, daß die Morphologie sich nur bei einer
magern Aufzählung und Beschreibung der Formen zu beruhigen hätte.
Auch sie ist eine naturwissenschaftliche Aufgabe, auch sie hat nach der
Erkenntniß von Gesetzen zu streben und muß wenigstens vorläufig die
Mannigfaltigkeit der Erscheinungen unter Hauptgesichtspuncte ordnen,
nach Regel und Ausnahmen zusammenstellen und so allmälig der
Auffindung wirklicher Naturgesetze näher rücken. --

Die Ahnung einer solchen Gesetzgebung für die Gestaltung der
Pflanzen ist zuerst von Göthe in seiner Idee einer Urpflanze aus-
gesprochen worden, worunter er sich eine Idealpflanze dachte, deren
Verwirklichung gleichsam der Natur als Aufgabe vorgelegen und
welche sie in den einzelnen Pflanzen mehr oder minder vollkommen
erreicht habe. Dieser Gedanke leidet nun allerdings an einigen wesent-
lichen Mängeln. Zunächst ist kaum für irgend Einen, der an scharfes
Denken gewöhnt ist noch zu erwähnen, daß überhaupt alle diese Be-
ziehungen menschlicher Bestrebungen auf die Bildungen der Natur
durchaus unhaltbare Spielereien sind, durch welche im besten Falle
einem lahmen Kopfe die Verhältnisse etwas der Anschaulichkeit näher
gerückt werden, aber stets auf Kosten der allein wahren Anschauung
selbst. Aufstellen eines Planes, Ausführung desselben, dabei Begehen
von Fehlern, und folglich mehr oder minderes Gelingen des Ganzen
sind Beziehungen, welche nur auf die unvollkommene Vernünftigkeit
menschlicher Wesen passen, "deren Wissen Stückwerk ist." Diese
sogenannte Anthropopathie (Vermenschlichung) hat aber für die Natur
gar keinen Sinn; entweder ist diese je nach dem Standpunct, den der

zuſammengeſetzt, aber ſie unterſcheiden ſich untereinander als ver-
ſchiedene Pflanzen eben durch den Umriß, die Zeichnung, nach welcher
die Zellen aneinander gefügt ſind. Ob im Weſen der Sache begrün-
det, wiſſen wir zwar nicht, aber für die Erſcheinung wenigſtens tritt
bei Betrachtung der Pflanzen die Geſtaltenbildung ſo ſehr in den
Vorgrund, daß man oft ſogar alles Uebrige ganz darüber vergeſſen
hat und ſo wird die Geſtaltungslehre oder Morphologie auf jeden Fall
die wichtigſte Disciplin in der ganzen Botanik. Aber man würde
ſehr irren, wenn man glaubte, daß die Morphologie ſich nur bei einer
magern Aufzählung und Beſchreibung der Formen zu beruhigen hätte.
Auch ſie iſt eine naturwiſſenſchaftliche Aufgabe, auch ſie hat nach der
Erkenntniß von Geſetzen zu ſtreben und muß wenigſtens vorläufig die
Mannigfaltigkeit der Erſcheinungen unter Hauptgeſichtspuncte ordnen,
nach Regel und Ausnahmen zuſammenſtellen und ſo allmälig der
Auffindung wirklicher Naturgeſetze näher rücken. —

Die Ahnung einer ſolchen Geſetzgebung für die Geſtaltung der
Pflanzen iſt zuerſt von Göthe in ſeiner Idee einer Urpflanze aus-
geſprochen worden, worunter er ſich eine Idealpflanze dachte, deren
Verwirklichung gleichſam der Natur als Aufgabe vorgelegen und
welche ſie in den einzelnen Pflanzen mehr oder minder vollkommen
erreicht habe. Dieſer Gedanke leidet nun allerdings an einigen weſent-
lichen Mängeln. Zunächſt iſt kaum für irgend Einen, der an ſcharfes
Denken gewöhnt iſt noch zu erwähnen, daß überhaupt alle dieſe Be-
ziehungen menſchlicher Beſtrebungen auf die Bildungen der Natur
durchaus unhaltbare Spielereien ſind, durch welche im beſten Falle
einem lahmen Kopfe die Verhältniſſe etwas der Anſchaulichkeit näher
gerückt werden, aber ſtets auf Koſten der allein wahren Anſchauung
ſelbſt. Aufſtellen eines Planes, Ausführung deſſelben, dabei Begehen
von Fehlern, und folglich mehr oder minderes Gelingen des Ganzen
ſind Beziehungen, welche nur auf die unvollkommene Vernünftigkeit
menſchlicher Weſen paſſen, „deren Wiſſen Stückwerk iſt.“ Dieſe
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[80/0096] zuſammengeſetzt, aber ſie unterſcheiden ſich untereinander als ver- ſchiedene Pflanzen eben durch den Umriß, die Zeichnung, nach welcher die Zellen aneinander gefügt ſind. Ob im Weſen der Sache begrün- det, wiſſen wir zwar nicht, aber für die Erſcheinung wenigſtens tritt bei Betrachtung der Pflanzen die Geſtaltenbildung ſo ſehr in den Vorgrund, daß man oft ſogar alles Uebrige ganz darüber vergeſſen hat und ſo wird die Geſtaltungslehre oder Morphologie auf jeden Fall die wichtigſte Disciplin in der ganzen Botanik. Aber man würde ſehr irren, wenn man glaubte, daß die Morphologie ſich nur bei einer magern Aufzählung und Beſchreibung der Formen zu beruhigen hätte. Auch ſie iſt eine naturwiſſenſchaftliche Aufgabe, auch ſie hat nach der Erkenntniß von Geſetzen zu ſtreben und muß wenigſtens vorläufig die Mannigfaltigkeit der Erſcheinungen unter Hauptgeſichtspuncte ordnen, nach Regel und Ausnahmen zuſammenſtellen und ſo allmälig der Auffindung wirklicher Naturgeſetze näher rücken. — Die Ahnung einer ſolchen Geſetzgebung für die Geſtaltung der Pflanzen iſt zuerſt von Göthe in ſeiner Idee einer Urpflanze aus- geſprochen worden, worunter er ſich eine Idealpflanze dachte, deren Verwirklichung gleichſam der Natur als Aufgabe vorgelegen und welche ſie in den einzelnen Pflanzen mehr oder minder vollkommen erreicht habe. Dieſer Gedanke leidet nun allerdings an einigen weſent- lichen Mängeln. Zunächſt iſt kaum für irgend Einen, der an ſcharfes Denken gewöhnt iſt noch zu erwähnen, daß überhaupt alle dieſe Be- ziehungen menſchlicher Beſtrebungen auf die Bildungen der Natur durchaus unhaltbare Spielereien ſind, durch welche im beſten Falle einem lahmen Kopfe die Verhältniſſe etwas der Anſchaulichkeit näher gerückt werden, aber ſtets auf Koſten der allein wahren Anſchauung ſelbſt. Aufſtellen eines Planes, Ausführung deſſelben, dabei Begehen von Fehlern, und folglich mehr oder minderes Gelingen des Ganzen ſind Beziehungen, welche nur auf die unvollkommene Vernünftigkeit menſchlicher Weſen paſſen, „deren Wiſſen Stückwerk iſt.“ Dieſe ſogenannte Anthropopathie (Vermenſchlichung) hat aber für die Natur gar keinen Sinn; entweder iſt dieſe je nach dem Standpunct, den der

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/96>, abgerufen am 05.12.2024.